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Rot/Grün und der 8. Mai

Antifaschistische Fassade

Peter Lenz, Neue Internationale 100, Mai 2005

Die Kapitulation Hitlerdeutschlands, des verbrecherichsten Regimes der Geschichte, jährt sich zum 60. Mal. Das symbolträchtige Datum wird von den "normalen" bürgerlichen Parteien, von der Regierung und Vertretern des Kapitals zum Anlass genommen, ihre reine antifaschistisch-demokratische Gesinnung zur Schau zu stellen.

Man möchte den 8. Mai als möglichst unpolitischen Feiertag begehen. Dabei stören die Aufmärsche der NPD freilich. Zwar werden die "Ewiggestrigen" kritisiert - die Frage, warum es 60 Jahre nach Kriegsende immer noch faschistische Organisationen gibt, aus welchen sozialen Verhältnissen die faschistische Ideologie erwächst, bleibt indes unberührt.

Verständlich: müssten die Damen und Herren DemokratInnen doch dann zugeben, dass der Faschismus eine Bewegung ist, die nur deshalb vom Kapital und einem erheblichen Teil der bürgerlichen "Mitte" unterstützt und an die Macht gebracht wurde, weil er die einzige Kraft war, durch Expansion dem deutschen Imperialismus wieder zur Weltmacht zu verhelfen.

Nur die faschistische Bewegung war in der Lage, die Arbeiterbewegung als einziges potentielles Hindernis für die imperialistischen Ambitionen des deutschen Kapitalismus zu zerschlagen.

Diese Fakten passen freilich nicht in das offizielle gepflegte Bild des 2. Weltkriegs als eines Konfliktes zwischen Diktatur und Demokratie, welches uns tagtäglich von Politik, Medien, LehrerInnen und Uni-Profs eingetrichtert wird.

Fatalerweise wird auch die Behandlung des größten Nazi-Verbrechens, des Holocaust, dazu benutzt, den Klassencharakter des Faschismus und seine historische Funktion für das deutsche Kapital zu verschleiern.

Es ist insofern auch kein Zufall, dass die Debatte darum, ob der 8. Mai ein Tag der "Befreiung" war, sich an der Rolle der Sowjetunion entzündet. Das "Unangenehme" an der Befreiung durch die Rote Armee war nämlich, dass in deren ostdeutscher Zone der Kapitalismus - wenn auch verspätet und auf bürokratische Weise - abgeschafft wurde.

Aufarbeitung oder Entsorgung?

"Einen Schlußstrich ziehen", zur "Normalität finden"; unter diesen Slogans versuchen die Vertreter des deutschen Imperialismus von heute dessen Verbrechen von gestern zu "entsorgen". Das ist verständlich, da unter Rot/Grün zielstrebig daran gearbeitet wird, Deutschland im Rahmen der EU wieder zum global player zu machen. Dazu sind deutsche Truppen in immer mehr "Konfliktgebieten" im Einsatz.

Das mit der Wiedervereinigung erlangte "neue deutsche Selbstbewusstsein" äußert sich ideologisch u.a. darin, dass Deutschland nicht mehr nur "Täter" war, sondern auch Millionen Deutsche, die Opfer des Faschismus und seines Krieges wurden, ins Blickfeld rücken. Die traditionelle - der früheren "Rücksichtnahme" auf die alliierten Siegermächte geschuldete - Sichtweise wird nun modifiziert. Der westalliierte Bombenterror gegen die deutsche Zivilbevölkerung und die Vertreibung von Millionen aus den "Ostgebieten" sind keine Tabus mehr und dürfen sogar als das bezeichnet werden, was sie tatsächlich waren: Kriegsverbrechen.

Doch hier geht es nicht nur einfach um eine Enttabuisierung. Diese wird nicht nur von der extremen Rechten, sondern auch von weiten Teilen der "offiziellen Politik" dafür genutzt, Deutschland - also den deutschen Staat - auch als Opfer hinzustellen und die Hauptschuld Hitlerdeutschlands am 2. Weltkrieg zu relativieren.

Ähnlich die Diskussion um die Verbrechen der Wehrmacht. Unzweifelhaft waren zumindest Teile der Wehrmacht und nicht nur die SS und Polizei-Sondereinheiten an der Massenvernichtung von Juden, Kriegsgefangenen und dem Terror gegen die Zivilbevölkerung der besetzten Länder beteiligt. Doch das größte Verbrechen der Wehrmacht war ihr "normaler" imperialistischer Raub- und Eroberungskrieg selbst, der den industriellen Massenmord erst möglich machte. In der öffentichen Debatte sollen der Holocaust, die Vernichtung der Roma u.ä. Untaten als Verbrechen, der Krieg an sich aber quasi als "Dienst am Vaterland" reingewaschen werden.

Vor allem aber: Das regierungs-offizielle antifaschistische Gehabe dient dazu, eine ideologische Basis für die aktuellen Pläne des deutschen Imperialismus zu schaffen. Das "Antifaschistische", das "Demokratische", die Verurteilung der Nazi-Verbrechen dient dabei dazu, der heutigen imperialistischen Politik einen humanen Schleier umzuhängen. Intervention im Kosovo? Sie diene nur dazu, einen "neuen Holocaust" zu verhindern, meint Fischer. Rassistische Einreisebestimmungen? Sie dienten nur dazu, keine "ethnischen Konfliktpotentiale" zu schaffen. Die EU-Verfassung? Auch die diene nur dazu, die "Friedensordnung in Europa zu verewigen."

Verschwiegen wird in den Gedenkreden zum 8. Mai natürlich auch, welche Kontinuität es hinsichtlich des deutschen Staatsapparates gab. Hitler konnte ihn 1933 für seine Zwecke nahezu unverändert übernehmen. Adenauer integrierte haufenweise Nazis in seine Bonner Nachkriegsrepublik, die Hauptverantwortlichen für den Aufstieg Hitlers, die Hauptnutznießer von Rüstung, Krieg und der Vernichtung von Millionen "durch Arbeit" in den KZs und Rüstungsschmieden Deutschlands - die deutschen Konzerne - wurden nicht enteignet.

Hitler kaputt, Kapitalismus gerettet

Die tiefere gesellschaftliche Ursache von Faschismus und Krieg, der Kapitalismus, besteht weiter. Das ist der wirkliche Grund zum Feiern für das demokratische Establishment: der deutsche Kapitalismus ist nicht zusammen mit Hitler untergegangen.

Das Nachkriegsprogramm der westlichen Imperialisten hieß: Deutschland muss kapitalistisch bleiben. Die Allierten und die Reformisten bekämpften nach 1945 gemeinsam alle sozialistischen Bestrebungen, die damals in der Arbeiterschaft weit verbreitet waren. So wurde 1948 in Stuttgart gegen Streikende sogar amerikanisches Militär eingesetzt. In Kassel gab es 1948 generalstreikähnliche Aktionen, eine Demo mit 40.000, aus deren Reihen Forderungen nach Produktionskontrolle erhoben wurden.

Der Kapitalismus wurde mit finanzieller Unterstützung der Westalliierten in der BRD wieder aufgebaut. Das "Wirtschaftswunder" schuf Illusionen über den Kapitalismus in breiten Teilen der Arbeiterbewegung. Doch längst zeigt sich die Normalität, die Gesetzmäßigkeit des Kapitalismus ganz unverhüllt: Millionen Arbeitslose, Lohnraub, Arbeitszeitverlängerung, wachsende Arbeitshetze, immer stärker werdende Tendenzen zur Verelendung breiter Schichten. Über diese Themen soll am 8. Mai nicht geredet werden.

Das "antifaschistische" Bündnis von Schröder, Fischer und Merkel, von SPD, CDU und BDI wird fatalerweise auch von den reformistischen Spitzen der Gewerkschaft unterstützt. Anstatt gegen die Offensive des Kapitals zu mobilisieren, findet man es ganz praktisch, wenn die "Sozialpartner" sich als demokratisch präsentieren; statt gegen die Nazis zu mobilisieren, sonnt man sich im offiziellen "Antifaschismus".

Gerade darin liegt die soziale Funktion der inszenierten Feierlichkeiten am Brandenburger Tor. Nicht die Nazis sollen gestoppt werden, sondern die Arbeiterklasse soll über DGB, PDS, SPD usw. in den klassenübergreifenden "Konsens" des deutschen Imperialismus eingespannt werden.

Dass einige FPDler und CDU/CSU- Leute aufgrund ihrer revanchistischen Gelüste ein Problem haben, ist sekundär.

Entscheidend ist vielmehr, dass über vorgeblichen "Antifaschismus" v.a. bei den besser gestellten Schichten der Arbeiterklasse und unter der Intelligenz eine Interessensgleichheit inszeniert wird, die sich zur Legitimation der imperialistischen Einigung Europas, "friedensichernder" Militäreinsätze, zunehmender Repression im Kampf gegen den "Terror" oder des Schulterschlusses zur Rettung des "Standortes" verwenden lässt.

Während eine solche Politik von den reformistischen Bürokraten zu erwarten war und ist, so glänzt die (einstige) kleinbürgerliche Linke mit ähnlicher Gegenaufklärung.

So stellen Teile der Autonomen und der Antifa, insbesondere die "Antideutschen", die imperialistischen Methoden und Kriegsziele der Alliierten zumindest tw. als gerechtfertigt hin. Das passt ganz gut zu ihrer Politik, der Politik der Bush-Administration und der israelischen Regierung zuzustimmen, weil diese angeblich irgendeine fortschrittliche Komponente hätten.

Wenn bürgerliche PolitikerInnen den Klassencharakter des 2. Weltkriegs verschleiern, so ist dies schon verlogen genug. Noch schlimmer aber ist es, wenn auch "Linke" dieser reaktionären Interpretation teilweise folgen. All diesen "Antifaschisten", "Demokraten" oder "Linken" sei der Satz von Max Horkheimer ins Stammbuch geschrieben: "Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen."

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Nr. 100, Mai 2005

*  Erster-Mai-Aufruf: Klassenkampf statt Kapitulation!
*  DGB Aktuell: Frühling der Bürokratie?
*  Papstwahl: In Rom nichts Neues
*  Heile Welt
*  60 Jahre Befreiung vom Faschismus: Krieg und reaktionäre Weltordnung
*  Frankreich: Aus für EU-Verfassung?
*  WASG-Parteitag: Nein zum Programm!
*  Neue Internationale 100: Revolutionäre Zeitung
*  Rot/Grün und der 8. Mai: Antifaschistische Fassade