Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

USA

Sanders will auch nach Vorwahlniederlage weiterkämpfen

Andy Yorke, Infomail 876, 26. April 2016

Die Prognosen für die Kandidatenkür zu den Präsidentschaftswahlen 2016 in den USA ließen einen langweiligen Verlauf erwarten, vorhersagbar vom Anfang bis zum genormten Ende. Jeb Bush war der erklärte Favorit der Republikanischen Partei und Hillary Clinton die Gegenspielerin von der Demokratischen Partei. Beide gehören etablierten republikanischen und demokratischen politischen Dynastien an mit starken Verbindungen zum Großkapital und dem außenpolitischen Establishment, und beide waren Anwärter für eine sichere Amtsübernahme.

Ein Anwalt des Finanzkapitals mit Verbindung zu den Republikanern sagte dem Politico-Webmagazin von Ben White: „Wenn es auf die Kandidatur von Jeb Bush und Hillary Clinton hinausläuft, würde uns das gefallen, und beide wären uns als Präsident recht.“

Dann aber verdarben plötzlich der „sozialistische“ Kandidat Bernie Sanders auf Seiten der Demokratischen Partei und der rassistische und demagogische Milliardär Donald Trump auf Seiten der Republikanischen Partei die Laune und machten die Vorwahlkampagne zu einem echten Wahlkampf.

Beide stellen sich gegen das Establishment ihrer Parteien, aber gingen bei den ersten Vorwahlen in Front, wo eingetragene Parteimitglieder der Republikaner und Demokraten nacheinander in den verschiedenen Bundesstaaten ihren Parteikandidaten für den November 2016 küren. Hier entluden sich offen die seit der Wirtschaftskrise 2008 aufgestauten sozialen Spannungen mit möglicherweise grundlegenden Folgen für die Politik der Vereinigten Staaten von Amerika.

Der rassistische Außenseiter Trump liegt bei den Delegiertenstimmen klar vor seinen größten Konkurrenten und hat auch die Vorwahlen in mehreren mitgliedsstarken Bundesstaaten am 1. März gewonnen. Das republikanische Establishment unterstützt den berechenbaren, aber unbedeutenden Marco Rubio und hat Trump wegen seiner lange „liberalen” Position zur Abtreibung angegriffen. Jedenfalls schlagen die Republikaner nach rechts auf und hoffen damit die Präsidentschaft zu gewinnen. Sie verfügen bereits über die größte Mehrheit im Kongress seit 1931.

Bernie Sanders ist ebenfalls zu einem Phänomen geworden, aber aus anderen Gründen. Mit seinem überraschenden Gleichauf-Ergebnis bei den Vorwahlen von Iowa und seinem 22%-Sieg in New Hampshire ist er vom Außenseiter zu einem ernsthaften Widersacher geworden, den Hillary Clinton erst einmal schlagen muss.

Seine Forderung nach einer „politischen Revolution“, um ein „manipuliertes Wirtschaftssystem“ zu ändern, das von einer „Klasse von Milliardären“ auf Kosten der arbeitenden Mehrheit beherrscht wird, stieß auf massiven Widerhall mit Massenkundgebungen und einer Spendenflut. Während 77% der Wahlkampfspenden für Clinton aus den Schatullen großer Geldgeber fließen, beträgt das durchschnittliche Höhe der Einzelspenden für Sanders nur 27 Dollar.

Sanders genießt besonders unter jungen WählerInnen Rückhalt. 84% seiner Wählerschaft in Iowa und 87% in New Hampshire waren zwischen 18 und 29 Jahre alt, also ein noch höherer Anteil als bei Obama. Bei jüngeren WählerInnen führt Sanders gegen Clinton in den gesamten USA mit 58% gegen 38%.

„StudentInnen für Bernie”-Gruppen haben sich überall an den Universitäten gebildet, und mehr als 100.000 Freiwillige haben sich seinem Wahlkampf angeschlossen. Der Aktivismus dieser jungen HelferInnen eröffnet Sanders den einzigen Weg, Clintons langjährige Basis bei den WählerInnen der Minderheiten aufzubrechen. Bei der dritten Vorwahl in Nevada konnte Sanders Clintons Mehrheit durch Gewinne bei der jungen Latino-Bevölkerung fast brechen. Doch vor Sanders steht ein Berg, und es ist unwahrscheinlich, dass er Clinton schlagen kann. Dazu müsste er erst zwei Haupthindernisse überwinden.  

Clinton und das schwarze Bürgertum

Clinton hat in der schwarzen Wählerschaft eine Basis, wo sie gegenüber Sanders mit mehr als 60% in Führung liegt. Am 27. Februar erzielte sie bei den Vorwahlen von South Carolina mit 73,5% einen klaren Sieg über Sanders (26%). Am „Super-Vorwahltag”, am 1. März siegte sie in 7 von 11 Bundesstaaten, v. a. im Süden, und setzte sich von ihrem Herausforderer ab.  

Das nahezu unangetastete Monopol der Clinton-Dynastie im afro-amerikanischen Establishment reicht zurück auf die Präsidentschaft von Bill Clinton 1993 - 2000. Dieser wird von Rechten als „Amerikas erster schwarzer Präsident” diffamiert, weil er so emsig um schwarze WählerInnenstimmen geworben habe. Er brachte einflussreiche schwarze Gemeinden und religiöse Führer, Politiker und Geschäftseliten im konservativen Süden hinter sich.

Sanders stellt nun eine Gefahr für Hillary Clintons Kampagne dar, und der schwarze Flügel des Establishments der Demokratischen Partei stellt sich auf, um ihn anzugreifen. Sie stellen seine antirassistische Glaubwürdigkeit in Frage. Der Kongressabgeordnete Todd Rutherford aus South Carolina sagte z. B.: „Sanders hat sich über Fragen, die Afro-AmerikanerInnen betreffen, erst in den vergangenen 40 Tagen geäußert.“

Sanders hat sich allerdings in Fragen der Rassenpolitik weitgehend untadelig verhalten. Er begann als Aktivist für Bürgerrechte in den 60er Jahren und trat gegen den Sozialabbau und die Sicherheitsgesetze in Clintons Amtszeit auf, dessen Politik von seiner Ehefrau unterstützt wurde, und die nach den Worten von antirassistischen AktivistInnen einen „neuen Jim Crow” durch systematische Verarmung, Polizeigewalt und Einkerkerung von schwarzen Menschen geschaffen haben.

Sanders hat sich jedoch nicht im Kampf gegen die Polizeimorde seit Ferguson 2014 hervorgetan, und im August 2015 haben Protestierende der „Black lives matter” (Schwarzes Leben zählt)-Kampagne, die auch gegen Clinton protestierten, seine Kundgebung in Seattle gestört.

Bislang hat Sanders Clintons Hochburg nicht erobern können, obwohl mehrere angesehene schwarze AktivistInnen und AkademikerInnen deren Rassenpolitik und ihre Verleumdungskampagne gegen Sanders angegriffen haben. Als jemand, der aus dem Nordoststaat Vermont kommt und der schwarzen Wählerschaft im Süden weithin unbekannt ist, zahlt Sanders den Preis für seinen Schwerpunkt auf Armut und wirtschaftliche Ungleichheit.

Obamas Sieg in Iowa 2008 hat ihn wie Sanders von einem Kandidaten am Rand zu einem ernsthaften Konkurrenten befördert. Es war aber Obamas überwältigender Sieg in South Carolina, wo er Clinton die schwarze Wählerschaft abspenstig machen konnte, der das Rennen offen machte und ihm schließlich zum Gewinn der Präsidentschaftswahl verhalf.

Die meisten „Superdelegierten” der Demokratischen Partei, die PolitikerInnen und Parteielite, die 15% der Wahlstimmen auf dem Parteikonvent im Sommer beanspruchen können, haben sich 2008 dem gemäßigten Obama zugewandt. Aber diesmal genießt Hillary Clinton die Unterstützung von 90 Vorwahl- und 453 Superdelegierten. Dem stehen nur 65 Vorwahl- und 20 Super-Wahlleute auf Sanders’ Seite gegenüber. Mit seinen Angriffen gegen das Finanzkapital der Wall Street hat Sanders praktisch keine Chance, vom DP-Establishment unterstützt zu werden.

Sanders und der Sozialismus

Doch Sanders ist „radikal” nur in Hinsicht auf die heutige US-Politik und das neoliberale Dreiecks-Übereinkommen der Demokratischen Partei seit Clinton. Dieser Konsens ist die Grundlinie für die Spender und Führer von Konzernen und Banken, die die Partei kontrollieren. Anders als bei der europäischen Sozialdemokratie oder der britischen Labour Party sind die Gewerkschaften in den Vereinigten Staaten nur Juniorpartner im Apparat der Demokratischen Partei.

Allerdings spiegelt Sanders’ Politik die sofortigen und dringenden Bedürfnisse der amerikanischen ArbeiterInnenklasse wider: freie Universitätsausbildung, 15 Dollar Mindestlohn und umfassende Gesundheitsversorgung, bezahlt aus den Taschen der Reichen und Spekulanten. Wenn das umgesetzt werden würde, wäre es ein bedeutsamer Umschwung für den Jahrzehnte lang gefallenen Lebensstandard der Masse der US-amerikanischen Bevölkerung.

Sanders verurteilt die wuchernde Ungleichheit in den USA und benennt als Feind die „Klasse der Milliardäre“, die die „Wirtschaft manipuliert“ hat. Diese Angriffe auf den US-Kapitalismus und seine einheimischen und internationalen Profitquellen, die ihre Legitimität in Frage stellen könnten, haben ihm trotz seiner letztlichen Loyalität zum kapitalistischen System die Feindschaft der herrschenden Klasse der USA eingetragen.

Sanders nennt sich selber einen demokratischen Sozialisten, aber sein Vorbild sind die liberalen Präsidenten der Demokratischen Partei Lyndon Baines Johnson und v. a. Franklin Delano Roosevelt. Beide sahen sich genötigt, soziale Reformen in begrenztem Umfang einzuleiten: Roosevelt durch den Druck der massenhaften gewerkschaftlichen Organisierungsbewegung und Streiks in den 30er Jahren und Johnson durch den Druck der zunehmend militanten Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren. Diese Bewegungen stumpften sich ab und spalteten sich, als sie in den Parteiapparat der Demokraten integriert wurden.

Aber wo ist Bernies Bewegung? Sanders hat gesagt, dass die Demokratische Partei sich einigen muss, um die Republikanische Partei im November zu schlagen. Aber das bedeutet vier weitere Jahre von Clintons etwas milderer Austeritätspolitik oder im äußersten Fall eine Präsidentschaft von Sanders, die durch einen feindlichen Kongress, sei er demokratisch oder republikanisch dominiert, behindert werden würde.

Die ArbeiterInnen der Vereinigten Staaten, Jugend, Frauen und Minderheiten müssen den Würgegriff der Demokratischen Partei brechen und eine neue ArbeiterInnenpartei aufbauen, eine, die eine wirkliche Diskussion um die Bedeutung von „Sozialismus“ im gegenwärtigen Amerika entfachen und einen Kampf für dieses Ziel entfesseln würde. Sanders’ Kandidatur hat das Potenzial für das Heranwachsen einer solchen Partei unter den gegenwärtigen Umständen aufgedeckt, jedoch noch keinen Weg zu ihrer Formierung gewiesen. Das bleibt die dringende Aufgabe von SozialistInnen in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::

Nr. 208, April 2016

*  Anschläge in Belgien und Pakistan: Die Täter sind dieselben
*  Erdrutschsiege der AfD bei Landtagswahlen: Eine schockierende Warnung
*  Bundesweiter Schulstreik am 27. April: Alle auf die Straße!
*  Leiharbeit und Werkverträge: Gesetz auf Eis
*  IG Metall Tarifrunde 16: Kleckern oder doch klotzen?
*  Tarifrunde Öffentlicher Dienst: Forderungen mit Anti-Rassismus verbinden
*  Reaktion zum AfD-Wahlsieg: Wohin geht die Linkspartei?
*  Krise der EU und die sog. "Flüchtlingsfrage": Internationale Solidarität statt Nationalismus und Festung Europa!
*  Frankreich: ArbeiterInnen und Jugend gegen die Regierung
*  Bernie Sanders: Die "politische Revolution" geht weiter - aber eine Revolution braucht eine Partei
*  Brasilien: Wir wollen keinen Putsch, wir wollen kämpfen!
*  Referendum in Britannien: Was auf dem Spiel steht?
*  Großbritannien: Das EU-Referendum und die ArbeiterInnenklasse