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Nein zum Europa des Kapitals!

Für ein sozialistisches Europa!

Martin Suchanek, Neue Internationale 98, März 2005

Es ist Halbzeit im Generalangriff. Die Kapitalisten sind in der Offensive. Der EU-Gipfel in Brüssel findet fünf Jahre nach der Annahme der "Lissaboner Agenda", benannt nach dem Ort des 1999er Gipfels, statt.

Danach soll die EU bis 2010 zum stärksten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt geworden sein. Alles, was die Profitabilität des Kapitals behindert, soll der Agenda zum Opfer fallen: Sozialleistungen und soziale Sicherungssysteme sollen zerschlagen, Renten- und Krankenversicherungen sollen privatisiert werden. Der Billiglohnsektor soll massiv ausgebaut, Arbeitsrecht und Kündigungsschutz sollen demontiert werden.

Das sind zentrale Hebel, mit denen die EU-Regierungen, die Kommission und die Unternehmer ihre Ziele durchsetzen wollen. Die "Bolkestein-Verordnung" der EU-Kommission (siehe nächsten Artikel) soll die weitere Öffnung und Liberalisierung des Dienstleistungs- und Arbeitsmarktes in diesem Sektor festschreiben.

Doch das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Errungenschaften und Rechte der Lohnabhängigen wie die 35-Stunden-Woche werden attackiert. Betriebliche und gewerkschaftliche Rechte sollen vollständig ausgehebelt werden.

Die Herrschenden haben den Generalangriff aus gutem Grund gestartet. Ihr System - der globale Kapitalismus - befindet sich in der Krise. Immer größere Konzerne konkurrieren um Extraprofite auf einem immer härter umkämpften Weltmarkt.

Ihre eigenen "Erfolge" führen zur Krise. Profite werden investiert, um noch mehr Profite zu machen und Marktanteile auszudehnen. Der Arbeitsprozess wird rationalisiert, die Arbeit intensiviert, immer mehr Produkte werden von immer weniger Arbeitskräften produziert.

In einem rationalen, gemäß den Bedürfnissen der Menschheit funktionierenden System könnte die zunehmende Produktivität der Arbeit allen zugute kommen.

Im Kapitalismus jedoch führt die immer größere Zentralisation und Konzentration des Kapitals zu einer fallenden Rate des Profits, d.h. der Profit sinkt im Verhältnis zum investierten Gesamtkapital. Das führt zu verschärfter Konkurrenz und schließlich zur Krise. Für die Lohnabhängigen bedeutet das größere Ausbeutung und Mehrarbeit einerseits, Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung andererseits. Für immer mehr Menschen heißt das: Verelendung, Armut, Hunger.

Die vollmundigen Versprechungen von Lissabon, dass am Ende des Kahlschlags mehr Wohlstand und Beschäftigung für alle stünde, dass auch die Ausgebeuteten von einem prosperierenden Ausbeutungssystem profitieren würden, haben sich wie immer als bürgerliche Ammenmärchen herausgestellt.

Der große Masse der Lohnabhängigen - ob beschäftigt oder erwerbslos, ob Mann oder Frau, ob jung oder alt, ob EU-BürgerIn oder ImmigrantIn - geht es heute schlechter als vor fünf Jahren. Und es wird noch einmal dramatisch schlechter, wenn die EU-Regierungen, die Kommission und die Kapitalisten nicht gestoppt werden!

Internationale Konkurrenz

Die Bosse haben nie genug. Die europäischen Kapitalisten stehen massiver US-amerikanischer und japanischer Konkurrenz gegenüber. Sie wollen die Bedingungen, die das US-Kapital in den USA gegenüber der Arbeiterklasse durchgesetzt hat, auch in Europa. Der EU-Arbeitsmarkt soll für das Kapital so frei oder noch freier sein als in den USA. Die Arbeitszeit so lange oder noch länger als in den USA.

Die europäischen Kapitalisten, vor allem die großen Konzerne aus führenden Ländern wie Deutschland und Frankreich, wollen auch einen Staat, der so mächtig und global durchsetzungsfähig ist wie der US-amerikanische.

Darum soll auch die EU-Verfassung mit allen Mitteln durchgedrückt werden - eine Verfassung, welche die neoliberale Politik und Verordnungen der letzten Jahre, welche die Militarisierung der EU, die rassistischen Einreisegesetze und -kontrollen festschreiben soll. Die Verfassung soll die internationale Politik der EU unter Führung des deutschen und französischen Imperialismus sanktionieren und einen Rahmen liefern, ihre Vorherrschaft weiter auszubauen.

Die EU-Verfassung gibt den rechtlichen Rahmen für die Festigung und Entwicklung europaweiter staatlicher Institutionen wie der Zentralbank, polizeilicher und militärischer Institutionen, des EU-Außenministers und des Präsidenten. Ganz auf dieser Linie hat auch Schröder anlässlich der NATO-Sicherheitskonferenz gefordert, dass direkt Konsultationen von EU und USA ins Zentrum der "transatlantischen Beziehungen" zu rücken seien. Kurzum, die EU will in jeder Hinsicht auf gleiche "Augenhöhe" wie die imperialistische Führungsmacht USA.

Der undemokratische Charakter der EU-Verfassung ist daher auch kein Zufall, sondern notwendiges Mittel, um das Klassenverhältnis zugunsten der Kapitalisten zu verschieben und innerhalb des Staatenbundes die Vormachtstellung des deutschen und französischen Imperialismus sicherzustellen.

Auch die Referenden in einigen EU-Ländern sind sie nur ein schaler, plebiszitärer Nachhall selbst bürgerlicher Demokratie, der v.a. dazu dient, die kapitalistische Verfassung vom Volk sanktionieren zu lassen.

Kein Wunder, dass das "demokratische Defizit" der EU zu massivem Unmut in vielen Ländern führt. Der EU-Verfassung stellen wir daher die Losung nach einer Verfassunggebenden Versammlung entgegen - nicht weil diese an sich ein Ziel ist, sondern weil sich so die berechtigte Empörung über die Aushebelung der bürgerlichen Demokratie besser artikulieren kann. Darüber hinaus schafft sie einen Rahmen für die Auseinandersetzung darüber, für welches Europa die Arbeiterbewegung kämpfen soll - für ein bürgerliches oder für ein sozialistisches.

Aggression und Repression

Die führenden EU-Mächte drängen darauf, die Union zu einer politischen, ökonomischen und auch militärischen Macht auszubauen, die eine ebenso große Bedrohung für die Menschheit wie der US-Imperialismus sein wird. Schon heute zeigen sie sich, wo sie können und wo ihre Interessen auf dem Spiel stehen, nicht minder repressiv und reaktionär als die USA.

Deutsche, französische, britische und andere Truppen sind weltweit stationiert, spielen eine zentrale Rolle bei globalen imperialistischen Unternehmungen oder verfolgen ihre Regionalinteressen mit Rückendeckung der EU. Bosnien und das Kosovo sind praktisch EU-Kolonien.

Im Inneren der EU verweigert der Spanische Staat dem baskischen Volk jedes Recht auf Selbstbestimmung und kriminalisiert deren Parteien und Jugendorganisationen. Britannien hält weiter Nordirland besetzt. Die Sinti und Roma werden europaweit als BürgerInnen zweiter Klasse behandelt und sind brutaler rassistischer Unterdrückung und der Verelendung ausgesetzt. Die ArbeiterInnen aus den osteuropäischen Neumitgliedstaaten gelten im EU-Recht als Lohnabhängige zweiter Klasse. Während westliche Konzerne jede Firma in diesen Ländern aufkaufen dürfen, ist den ArbeiterInnen aus Osteuropa der Zugang zum westlichen Arbeitsmarkt verwehrt. Diese rassistische Diskriminierung schützt natürlich keinen "Arbeitsplatz" im Westen, wie bürgerliche Politiker und viele Gewerkschaftsbürokraten behaupten, sondern vertieft nur die Spaltung der Arbeiterklasse auf dem Kontinent.

An den Außengrenzen errichtet die EU Grenzkontrollen, die an den Eisernen Vorhang erinnern. ImmigrantInnen werden viele Staatsbürgerrechte vorenthalten. Rassisten wie Schily oder Berlusconi fordern Auffanglager für Flüchtlinge und ArbeitsimmigrantInnen in Nordafrika, um spätere Abschiebungen ganz einzusparen.

Vor allem dieses Beispiel zeigt, wie verlogen und gespielt die Empörung des bürgerlich-demokratischen Europa über das Anwachsen von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Faschismus ist. Der staatliche Rassismus ist selbst ein Nährboden für rassistische Ideologien und faschistische Gruppierungen.

Der Angriff des Kapitals muss gestoppt werden! Das Potential dazu ist vorhanden. In den letzten fünf Jahren gingen Millionen und Abermillionen in ganz Europa gegen Krieg und soziale Angriffe auf die Straße, beteiligten sich an Streiks oder Betriebsbesetzungen.

Massenbewegung entstanden: die Sozialforen in Italien nach Genua und gegen die Regierung Berlusconi, die Anti-Kriegsbewegung, Koordinationen bei den Streiks und Demos in Frankreich, Montagsdemos und Anti-Agenda-Bündnisse in Deutschland. Kämpferischere Gewerkschaften und oppositionelle Strömungen erhielten mehr Zulauf.

Aber die offiziellen Führungen der Gewerkschaften und die traditionellen reformistischen Führungen haben es geschafft, den Widerstand immer wieder zu demobilisieren. Während die sozialdemokratischen Parteien an der Regierung den Generalangriff selbst anführten - siehe Schröder oder Blair - verstanden es andererseits die Reformisten in der Opposition sich noch immer als "kleineres Übel" zu halten, v.a. dort, wo die bürgerlichen Regierungen von besonders reaktionären Kräften geführt wurden wie in Spanien oder werden wie in Italien.

Die politische Hauptverantwortung dafür, dass der Widerstand demobilisiert wurde und die Kapitalisten in allen Ländern nicht gestoppt werden konnten, trägt aber die Gewerkschaftsbürokratie. In den Ländern, die sich am Krieg beteiligten, wie Britannien, stützen die Gewerkschaftsführer den Krieg. In Ländern wie Deutschland schluckten sie Schröder als Friedensengel.

Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) mobilisiert zwar am 19. März nach Brüssel gegen den EU-Gipfel. Aber sein Aufruf beschränkt sich auf die sozialen Angriffe, genauer auf die Opposition gegen die Liberalisierung der Dienstleistungen.

Die EU-Verfassung hingegen unterstützt der EGB! Den Vogel abschlossen hat hier wieder einmal der DGB, der gar so tut, als wäre die EU-Verfassung ein Bruch mit dem Neoliberalismus!

Vor allem aber haben die Gewerkschaften in Europa letztlich das Bündnis mit den regierenden reformistischen Parteien und die Sozialpartnerschaft vertreten - und sich gegen einen Bruch mit der Sozialdemokratie ausgesprochen, obwohl der Generalangriff zur Abwendung von Millionen reformistischer ArbeiterInnen, GewerkschafterInnen und Jugendlicher von den alten, bürgerlichen, d.h. prokapitalistischen Arbeiterparteien geführt hat.

Neue Arbeiterpartei

Den Bewegungen, die sich gegen den Generalangriff, gegen Krieg und Rassismus gebildet haben, mangelt es vor allem an einer politischen Alternative, um diese Bewegungen zu verbinden.

Dabei hat sich in vielen Ländern eine solches Potential gezeigt. Doch dazu braucht es mehr als nur bessere Koordinierung. Der Aufbau neuer Arbeiterparteien ist notwendig! Doch das wirft automatisch die Frage ihres Programms, ihrer politischen Ausrichtung auf. Soll es sich um eine Neuauflage einer sozial-reformerischen Partei handeln, wie es der Spitze der Wahlalternative vorschwebt? Soll es sich um eine Partei handeln, die gegen die Internationalisierung des Kapitals die Rückkehr zum "unabhängigen" Nationalstaat vertritt, in dessen Rahmen ein "vernünftiger" Kompromiss zwischen Kapital und Arbeit ausgehandelt werden könne?

Beides wäre nicht nur komplett utopisch, sondern auch reaktionär. Ein zunehmend international organisierter Prozess des Produktion und des Austausches kann nicht wieder auf "nationale" Dimensionen zurückgestutzt werden. Eine solche Politik würde unwillkürlich den rückständigsten Teilen des deutschen Kapitals, dem dumpfesten und borniertesten Nationalismus und den Rechten in die Hände spielen.

Wir bekämpfen nicht die zunehmende Internationalisierung der Produktion und des Verkehrs, sondern ihre kapitalistische Form, unsere Alternative zum Europa des Kapitals ist nicht der "nationale" Aufbau des Sozialismus.

Eine solche Perspektive würde die entstanden Formen internationaler und europaweiter Koordinierung des Abwehrkampfes nicht weiter bringen, sondern zerstören und in ihre "nationalen" Sonderinteressen zurückführen.

Unsere Aufgabe ist es jedoch, Organisationsformen wie das Europäische oder das Weltsozialforum zu wirklichen Koordinationen des Kampfes zu machen, zu Foren, die eine Strategie des Abwehrkampfes und der globalen Überwindung des Kapitalismus entwickeln.

Die fortschrittlichen Potenzen internationaler Produktion können nur in einer zukünftigen, sozialistischen Gesellschaft wirklich realisiert und gemäß den Bedürfnissen der Menschen entwickelt werden. Daher setzen wir der kapitalistischen EU die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entgegen, die für die Weltrevolution kämpfen.

Wir treten bewusst für ein sozialistisches Europa ein und lehnen die Losung eines "sozialen Europas" ab. Diese Formel lässt - bestenfalls - offen, welche Klasse in einem solchen Europa herrschen soll. Doch wer das offen lässt, belässt es im Grunde nur dabei, dass jene, die heute herrschen, auch zukünftig herrschen. Das "soziale" Europa läuft also auf nichts anderes als auf ein bürgerliches, ein imperialistisches Europa hinaus.

Einem solchen Europa können KommunistInnen, können RevolutionärInnen nie ihre Zustimmung geben! Ein solches Europa wäre nur "sozial" für eine mehr oder weniger große Minderheit der Mittelschichten und besser gestellten ArbeiterInnen, die auf Kosten der Masse der Lohnabhängigen in der EU und den Milliarden auf der Welt einen "Sozialkompromiss" mit den Herrschenden aushandeln würden. Ein soziales Europa wäre ein sozialchauvinistisches Europa!

Die Formel des "sozialen" Europa dient aber als Cover für Reformisten und Gewerkschaftsführer, die den europäischen Imperialismus und Kapitalismus nicht in Frage stellen wollen. Statt das imperialistische Europa beim Namen zu nennen und dagegen zu kämpfen, wollen sie es mit sozialer, ökologischer und sonstiger Tünche streichen. Damit wird natürlich kein Kapitalist, kein bürgerlicher Ideologe getäuscht - wohl aber werden die Ausgebeuteten über den Charakter der EU und des Kapitalismus in die Irre geführt.

Ein kapitalistisches Europa ist imperialistisch oder gar nicht. Es kann nicht "sozial", "ökologisch", "friedlich" oder gar "anti-rassistisch" sein. Ein solches imperialistisches Staatsgebilde kann ebenso wenig wie der deutsche Staat wegreformiert werden. Es muss zerschlagen und durch die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa ersetzt werden.

Diese würden die Voraussetzungen schaffen für eine ausgewogene Reorganisation der europäischen und Weltwirtschaft auf Grundlage demokratischer Planung.

Zentrale Probleme wie die Massenarbeitslosigkeit können nur auf dieser Grundlage wirklich gelöst werden. Nur auf dieser Grundlage wäre auch die Überwindung langjähriger nationaler und rassistischer Unterdrückung möglich. Ein sozialistisches Europa würde z.B. das Selbstbestimmungsrecht der Basken realisieren, er würde die Möglichkeiten einer Überwindung des nationalen Haders am Balkan schaffen, indem es einerseits den verschiedenen Nationen ihr Selbstbestimmungsrecht, andererseits die Möglichkeiten eines freiwilligen Zusammenschlusses schaffen würde, ohne dass die Profitinteressen der imperialistischen Kapitale wie der nationalen Bourgeoisien dazwischenkommen.

Dazu muss die Macht des europäischen Imperialismus und des Kapitals gebrochen und durch die Räteherrschaft der Arbeiterklasse ersetzt werden!

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Nr. 98, März 2005

*  Nein zum Europa des Kapitals! Für ein sozialistisches Europa!
*  EU-Dienstleistungsrichtlinie: Lohndrücker Bolkestein
*  Baskenland: Stoppt die Repression!
*  Siemens: Entlassungen trotz Rekordgewinn
*  Heile Welt
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