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Ausbildungsplatzumlage

Ausbildung für alle!

Rico Rodriguez, Neue Internationale 92, Juli/August

SPD-Politiker strahlen neben den Spitzenvertretern der Wirtschaft, denn der Streit um die Ausbildungsplatzumlage ist beendet. Die WirtschaftsvertreterInnen haben es durch geschicktes Lobbying geschafft, den unangenehmen Beigeschmack einer Ausbildungsplatzumlage per Gesetz vom Speisetisch fern zu halten. Statt dessen wurde ein "Ausbildungspakt" geschlossen. Politik und Wirtschaft schütteln sich die Hände und grinsen in die Kamera. Verlierer sind wieder mal die Betroffenen: die Jugendlichen.

In besagtem Pakt sagen die Wirtschaftsverbände zu, in den nächsten drei Jahren

Lippenbekenntnis

30.000 neue Lehrstellen sowie 25.000 Praktikumsplätze für schwer vermittelbare Jugendliche zur Verfügung zu stellen. Ziel sei es, die Zahl der "Ausbildungsplätze möglichst zu erhöhen." Die Wirtschaftsvertreter hatten nicht nur energisch gegen eine gesetzliche Umlage gekämpft, sondern auch für derartig schwammige Formulierungen. Damit gehen sie keine Verbindlichkeiten ein. Niemand garantiert, dass es mehr Ausbildungsplätze geben wird. Der Pakt ist nur ein Lippenbekenntnis. Damit ist die Wirtschaft natürlich aus dem Schneider, sich wirklich um neue Ausbildungsplätze bemühen zu müssen.

Am Problem der Jugendarbeitslosigkeit, welche die Jugendlichen schon am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn ins soziale Abseits lenkt, ändert die neue Regelung nichts. In der Marktwirtschaft geht es schließlich um Profite. Wer glaubt, dass die Kapitalisten aufgrund moralischer Bedenken und freiwilliger Zusagen ihre Gewinnausschüttung aufs Spiel setzen, ist auf dem Holzweg.

Selbst wenn die Wirtschaft so "gnädig" wäre, in den nächsten drei Jahren 30.000 neue Ausbildungsplätze zu schaffen, wäre das Problem nicht gelöst. Allein in Baden-Württemberg fehlen 21.000 Plätze. Bundesweit stehen weit mehr als 100.000 Jugendliche ohne Chance auf einen Ausbildungsplatz da. Und angesichts dieser Zahlen schließt man einen Pakt, der in drei Jahren gerade mal 30.000 neue Ausbildungs- und 25.000 Praktikumsplätze verspricht. Wer dieses Ergebnis als Erfolg preist, hat jeden Realitätsbezug verloren - oder ist Parteistratege in der SPD.

Dabei liegt das Problem nicht allein in fehlenden Ausbildungsplätzen. Auch die Qualität der Ausbildung wird vielerorts immer mieser. In den letzten Jahren ist zudem auch die Zahl von Ausbildungen gestiegen, die man - was früher unvorstellbar gewesen wäre! - auch noch selbst bezahlen muss!

Die SPD und der Pakt

Seit Jahren propagiert die SPD, der Wirtschaft Beine zu machen, falls sie nicht mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt. Im Regierungsprogramm von 2002 war sogar direkt von einem Gesetzentwurf die Rede. Warum geben sich die GenossInnen nun mit solch einer inakzeptablen Einigung zufrieden?

Es kommt nicht von ungefähr, dass die SPD ein solches Gesetz in ihre Regierungserklärung aufgenommen hat, es gerade zu diesem Zeitpunkt in die öffentliche Diskussion einbringt und dann doch wieder fallen lässt. 2002 war Wahlkampf. Einen solchen Gesetzentwurf ins Programm aufzunehmen, hat natürlich für gewiefte Parteipolitiker mehrere Vorteile.

Erstens klingt das ganze schön und lässt sozialdemokratische Herzen höher schlagen. Man beruhigt die Basis der eigenen Partei und die Wählerschaft.

Rosstäuscherei

Zweitens ist das ein klarer Unterschied zum Wahlprogramm der Union, was sich in der Öffentlichkeit gut darstellen lässt. Eine clevere Methode, um auf Diskussionen einzugehen, die im Endeffekt wenig bringen, aber davon ablenken, dass sich die Politik der Parteien kaum mehr unterscheidet. Kleine, unwesentliche Differenzen verschleiern den Gesamtkonsens aller bürgerlichen Parteien.

Drittens schließlich zieht man die Gewerkschaften ins Boot und sorgt dafür, dass Gerhard Schröder und Michael Sommer sich weiterhin das Ehebett teilen. Nicht zuletzt durch die Unterstützung der Gewerkschaften, die durch solche kleinen Flirts zustande kam, konnte die SPD 2002 erneut ins Kanzleramt einziehen. Anschließend beruhigen die Parteistrategen die Wirtschaftskapitäne. Sie wissen bereits, dass man das Ding nachher schon irgendwie hinbiegen wird.

Die ganze Sache beruhigte sich dann auch schnell. Man ließ das Vorhaben erstmal in der Schublade ruhen. Offensichtlich hatte man nicht damit gerechnet, dass sich das Angebot der Ausbildungsplätze derart dramatisch verschlechtert. Außerdem hatte man ja schließlich genug damit zu tun, die Demontage des Sozialstaates vorzubereiten. Doch dann, ganz plötzlich, war das Ding wieder da! Das hatte zwei Gründe: einen politischen und einen personellen.

Politisch gesehen ist die SPD auf einem Tiefpunkt angelangt. Nachdem sie ihre Agenda vorgestellt und damit begonnen hatte, sie umzusetzen, war schnell klar, dass das sogar für eingefleischte SozialdemokratInnen zu weit geht. Die Basis schwand, desolate Wahlergebnisse folgten, Parteiaustritte sind die neue Sommermode und - das ist das Allerschlimmste - es begann sich Widerstand in der Bevölkerung zu formieren. Was sollen wir nur tun, fragten sich die SPD-Spitzen? Doch wozu hat man denn hoch bezahlte Strategen? So kam die Ausbildungsplatzumlage - als Beruhigungspille - wieder auf die Tagesordnung. Das Ganze fiel mit einer personellen Entscheidung zusammen. Gerhard trat als Parteichef zurück, Franz wurde der neue. Er wollte einerseits die sozialdemokratische Basis etwas im Zaum halten und gleichzeitig seine persönliche Autorität innerhalb der Partei festigen. Im Nachhinein kann man feststellen, dass beides ziemlich in die Hose ging.

Von Anfang an war der geplante Gesetzesentwurf in der SPD keinesfalls unumstritten. Einflussreiche Stimmen waren von Anfang an gegen eine Ausbildungsplatzumlage. Wirtschaftminister Clement ließ keine Möglichkeit aus, öffentlich zu erklären, dass er das Gesetz nicht will. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck stellte während der Verhandlungen mit der Wirtschaft klar: "Ziel ist es, eine Abgabe zu verhindern und einen Ausbildungspakt zu schließen." Bundeskanzler Schröder sah sogar den Aufschwung in Gefahr.

Die Position der Wirtschaft war von Anfang an klar. BDI-Chef Rogowski: "Das ist Planwirtschaft, das ist Zwangsjacke. " Oder: "Wir sind bereit zu einem Ausbildungspakt - aber ohne Gesetz!" Die Zeichen standen also von vornherein auf faulen Kompromiss.

Der Widerstand gegen die Umlage deckt außerdem eine weitere Heuchelei der Kapitalisten auf. Einerseits fordern sie Eliteuniversitäten, an denen künftig eine neue Schar nützlicher Fachidioten herangezüchtet werden soll; andererseits sind sie nicht bereit, selbst die Kosten dafür zu übernehmen. Die Gesellschaft zahlt, der Kapitalist kassiert!

Für die SPD ist die ganze Sache ganz gut verlaufen. Man hatte eine öffentliche Diskussion, die SPD zeigt sich zumindest als lauwarme Vertreterin sozialer Gerechtigkeit und man löste das Problem ohne Konfrontation. Der gewünschte Effekt der "Basisberuhigung" wird allerdings ausbleiben.

Fit für eine Berufsausbildung?

Die Situation bei der Berufsausbildung sieht hierzulande (wie in anderen kapitalistischen Staaten) seit geraumer Zeit miserabel aus und wird von Jahr zu Jahr schlechter. Hunderttausende Jugendliche finden keinen Ausbildungsplatz, sitzen auf der Straße oder werden in sinnlose Berufsvorbereitungsmaßnahmen abgeschoben. Besonders hilfreich erweist sich hier das "selbstlose" Angebot, Praktikumsplätze für schwer vermittelbare Jugendliche zu schaffen. Damit sollen die Jugendlichen für eine Berufsausbildung "fit gemacht" werden. Wie solche Praktikumsplätze in der Realität aussehen, zeigt die Erfahrung. Beispiel Stuttgart: hier machte sich ein kleiner Lackierbetrieb die Sache zu Nutze. Die Auszubildenden werden befristet für ein Jahr eingestellt, ohne jeglichen Anspruch, übernommen zu werden. Dabei bekommen sie einen Hungerlohn von 100 Euro pro Monat und arbeiten voll in der Produktion mit. Die Auszubildenden kleben rund um die Uhr Autos ab und sind den giftigen Lackierstoffen ausgesetzt. So werden die Jugendlichen also für eine Berufsausbildung fit! Vielen Dank auch!

Organisierter Protest

Den Unternehmern muss endlich gezeigt werden, dass sie nicht tun und lassen können, was sie wollen! Natürlich würde auch eine Ausbildungsplatzumlage das Problem nicht gänzlich lösen, da dieses aus der Marktwirtschaft und den Produktionsverhältnissen selbst entspringt.

Aber sie wäre immerhin ein deutliches Zeichen der erfolgreichen Abwehr eines Angriffs des Kapitals. Außerdem darf man nicht vergessen, dass durch die Umlage viele Jugendliche mehr eine Chance bekommen würden. Nun ist die Umlage vom Tisch und ein nutzloser Pakt geschlossen. Es gehören endlich verbindliche Zielsetzungen auf die Tagesordnung, welche die Wirtschaft dazu verpflichten, genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen und eine anständige Ausbildung zu garantieren!

Aktionen von Auszubildenden und Jugendlichen könnten hierbei Druck auf Kapital und Regierung ausüben. Wir müssen deutlich machen, dass wir mit diesem Ergebnis nicht einverstanden sind! Dazu müssen wir an jeder Schule, in jedem Betrieb und innerhalb der Gewerkschaften Strukturen aufbauen, in denen die Ausbildungssituation diskutiert und praktische Aktionen beschlossen werden. Wir müssen die gewerkschaftlichen FunktionärInnen auffordern, uns zu unterstützen.

Der Protest muss mit dem Widerstand gegen die Agenda 2010 und mit dem Kampf gegen das unmenschliche System der Marktwirtschaft selbst verbunden werden. Nur wenn wir das Problem an der Wurzel anpacken, können wir es letztlich auch lösen.

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Nr. 92, Juli/August 2004

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