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Studentenrevolte im Iran

Zwischen USA und Mullahs

Dave Stockton, Neue Internationale 82, Juli/August 2003

Während der letzten beiden Monate wurden Teheran und andere iranische Städte von militanten StudentInnenkundgebungen gegen das seit 23 Jahren bestehende islamistische Regime erschüttert. Es waren die größten Demonstrationen seit den Mobilisierungen vor vier Jahren, die durch von der Regierung gedungenes lumpenproletarisches Gesindel brutal unterdrückt worden waren.

Die jüngsten Proteste richteten sich gegen die geplante Privatisierung der Universitäten, also Maßnahmen, die Teil der 'Reformen' sind, welche die Regierung dem IWF zugesagt hat - als Beitrag zur "Modernisierung", d.h. der Integration in die kapitalistische Weltordnung.

Aber die Proteste bekamen sofort eine weitere politische Dimension und richteten sich gegen das reaktionär- bonapartistische klerikale Regime insgesamt. Die StudentInnen wollen elementare demokratische Freiheiten wiedererlangen: Versammlungs- und Organisationsrecht und größere religiöse Freiheit. Sie richten sich gegen Einschränkungen wie z.B. Bekleidungsvorschriften, wenden sich gegen Frauenunterdrückung und Bevormundung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.

Forderungen

Irans oberste religiöse Führung, das Oberhaupt der konservativen Fraktion Ayatollah Ali Khamenei, ist die Zielscheibe ihres Zorns. 'Tod für Khamenei' war die populärste Losung. Auch gegen den Präsidenten Mohammed Khatami, den scheinbar liberalen Führer, der sich aber als zu schwach erweist, demokratische und marktwirtschaftlichen Reformen gegen die Opposition der klerikalen Gerichte und die konservativen Politiker durchzusetzen, gab es Sprechchöre.

In einem Land, wo jegliche Kritik an der obersten Religionsführung rigide Gefängnisstrafen nach sich zieht, waren diese Aktionen wahrhaft mutig. Die StudentInnen kämpften auf der Straße gegen die regierungstreuen motorisierten 'Revolutionswächter'.

Die Sicherheitskräfte waren mit Ketten, Knüppeln und Messern bewaffnet. Sie setzten aber auch Maschinengewehre, Tränengas und Schlagstöcke ein, um die Demonstrationen aus den Straßen zu vertreiben.

Ayatollah Khamenei hat die USA als Urheber dieser Unruhen bezichtigt und drohte unverhohlen mit dem Einsatz der faschistischen Banden der Hisbollah Miliz gegen die Studenten wie 1999.

Aber nicht nur die StudentInnen sind mit der Situation im Iran unzufrieden. Der Arbeiterklasse ist die Bildung von unabhängigen Gewerkschaften und politischen Parteien verboten. Doch sie ist in Bewegung geraten. Ungefähr 2.000 TextilarbeiterInnen in Bechschachr in der nordiranischen Provinz Mazandaran haben ihren Betrieb besetzt und sind in Hungerstreik getreten, um die seit 27! Monaten ausstehenden Löhne einzufordern. Die Zentralregierung tut im Einvernehmen mit dem Provinzgouverneur alles, um die ArbeiterInnen einzuschüchtern. Polizei- und Sicherkräfte belagern die Fabrik.

Auch in anderen Landesteilen werden Löhne monatelang zurückgehalten, worauf etliche Belegschaften in den Streik getreten sind. Die Zahl der um ihren Lohn geprellten ArbeiterInnen ist inzwischen auf über eine Million gestiegen. Viele von ihnen warten schon seit 3 Jahren! auf ihren Lohn - und das angesichts der sich verschlechternden wirtschaftlichen und politischen Lage und einer zweistelligen Inflationsrate.

Es liegt auf der Hand, dass sich die StudentInnen und die rebellierende Jugend mit der Arbeiterklasse verbünden müssen, wenn sie die erdrückende Theokratie loswerden wollen. Jede auf sich allein gestellte studentische Bewegung wird scheitern.

Nur wenn sie sich mit der Arbeiterschaft und der städtischen und ländlichen Armut verbindet und deren Mobilisierung unterstützt, kann verhindert werden, dass kriminelle Banden und die Polizei sie unterdrücken kann.

Die ersten jedoch, die aus den demokratischen Hoffnungen und Illusionen der StudentInnen Kapital schlagen wollen, sind die ausgewanderten neoliberalen Agenten des US-Imperialismus und die monarchistische Pachlewi-Reaktion.

Es besteht kein Zweifel, dass der US-amerikanische Raubvogel den Iran fest im Auge hat und das Land stets als seinen 1979 verlorenen Besitz betrachtet hat. Bei Präsident Bush rangiert der Iran ganz oben auf der Liste für einen dringenden Regimewechsel. Als drittreichster Ölproduzent der Welt hat das Land für die US-Ölkapitalisten und ihre Helfershelfer wie Bush und Cheney augenscheinlich mehr Gewicht als Syrien.

Aber den letzten, noch relativ unabhängigen unter den drei größten Öl produzierenden Staaten einfach einzusacken, ist nicht so leicht. Jedenfalls nicht durch eine weitere militärische Invasion wie gegen den Irak. Immerhin hat der Iran 67 Millionen Einwohner und verfügt über bergiges Gelände, das nicht leicht besetzt werden kann. Außerdem stecken die USA im Irak noch tief im Schlamassel und erleiden Verluste, nachdem Bush den Krieg für beendet erklärt hat und scheinbar nur noch Aufräumarbeiten notwendig waren.

Trotzdem heckt Kriegsminister Rumsfeld bereits Pläne zum Sturz der Mullahs aus. Die Vorwände für verschiedene Arten des Eingreifens sind ebenso gefälscht wie beim Einmarsch in den Irak, dessen angebliche Massenvernichtungswaffen sich inzwischen als völliger Betrug der Öffentlichkeit herausgestellt hat.

Lügen

Es wird behauptet, der Iran verfüge über ein geheimes Kernwaffenprogramm und würde die Inspektionen der internationalen Atomenergieaufsichtsbehörde behindern. Das Pentagon hat außerdem erklärt, Al Qaida-Führer würden vom Iran aus terroristische Attacken koordinieren.

Diese offensichtlichen Lügen gehen selbst US-Außenminister Powell und der britischen Regierung zu weit. Rumsfelds Plan würde deren Option für einen friedlichen Machtwechsel zu Gunsten der 'gemäßigten' Kräfte um Präsident Khatami zerstören. Powell und der britische Premier Blair versuchen deshalb, Bush, Cheney, Wolfowitz und Rumsfeld, die vier Reiter der irakischen Apokalypse, momentan zu zügeln. Dieser Streit wird spätestens 2004 entschieden werden.

Der Plan des Pentagon läuft mittlerweile auf eine Destabilisierung des iranischen Regimes durch regierungsfeindliche Medienberichte und verdeckte Unterstützung der vom Irak aus operierenden Mudschahedin-i-Khalq hinaus, obwohl diese Formation vom US-Außenministerium als terroristisch bezeichnet wird. Doch wenn es den USA nützt, spielt das dann zufällig keine Rolle.

Die studentischen Proteste wurden auch durch persischsprachige Fernsehsender angeheizt, die von iranischen Exilkräften in den USA betrieben werden. Dort wurden die IranerInnen zu Demonstrationen aufgerufen und die Zahl der DemonstrantInnen gewaltig übertrieben.

Die US-Regierung steht in ständigem Kontakt mit dem Sohn des Schahs Reza Pachlewi, einem blutigen Tyrannen, der Anspruch auf den Thron erhebt. Er kommt in diesen Fernsehsendungen regelmäßig zu Wort.

Aber diese Politik des "konstruktiven Engagements" wird in den nächsten Wochen und Monaten unter Beschuss geraten, wenn Rumsfeld die Anschuldigungen zu Al Qaida und Irans Kernwaffenprogramm verschärft. "Es steht außer Frage, dass hochrangige Al Qaida-Führer im Iran waren und heute noch sind, und sie sind sehr rührig," behauptet er. Von offizieller Seite im Iran wird dies heftig in Abrede gestellt und verlangt, dass Washington Beweise dafür vorlegen solle.

Abgesehen davon, dass die Europäische Union eine völlig andere Linie gegenüber dem Iran fährt (ihr sog. konstruktives Engagement bedeutet allerdings nur Ausverkauf durch Korruption), hat Blair wieder nichts Eiligeres zu tun, als den USA seine Gefolgschaft zu versichern: "Wir haben der iranischen Regierung unmissverständlich klar gemacht, dass die Beherbergung von Al-Qaida völlig unannehmbar sein würde."

Erfahrungen und Lehren

Die StudentInnen und ArbeiterInnen des Iran handeln völlig richtig, indem sie gegen das reaktionäre islamistische Regime mobil machen. Dessen Behauptungen, es sei revolutionär oder antiimperialistisch, sind blanker Hohn. Zwar stimmt es, dass die Umwälzung zum Sturz des Schahs 1978-1979 antiimperialistisch war, denn der Schah war der direkte Knüppel des Imperialismus nicht nur im Iran, sondern in der ganzen Golfregion.

Doch die Revolution der Massen wich rasch der inneren Konterrevolution, die von Ayatollah Khomeini angeführt wurde. Ihre ersten Opfer waren die studentisch geprägte marxistische Linke (die allerdings durch die falsche Etappenlehre des Stalinismus desorientiert war) und die ArbeiterInnen, die Räte aufgebaut hatten und einen Generalstreik durchführten, der zum Zusammenbruch des Schah-Regimes führte.

Diese revolutionäre Bewegung wurde jedoch von der Tudeh-Partei, Irans traditioneller KP, in die Irre geführt. Sie glaubte, gemäß ihrer Etappentheorie, dass zunächst nur eine demokratische Etappe auf der Tagesordnung stehe, und blockierte deshalb die Weiterführung der Revolution bis zur Machtergreifung durch die proletarischen Massen. Das Ergebnis war jedoch kein Patt, keine Atempause, in der man hätte die "nächste Etappe" hätte vorbereiten können, sondern die blutige Konterrevolution durch die reaktionären Islamisten. Tausende von KämpferInnen verschwanden in den Folterkammern oder wurden Opfer der Erschießungskommandos.

Falls die StudentInnen und ArbeiterInnen heute irgendwelche Illusionen in den demokratischen Schwindel des US-Imperialismus oder ihrer iranischen Handlanger im Exil haben, marschieren sie geradenwegs in den Abgrund. Sie werden dann jeden Rückhalt bei den Massen verlieren, die ihrerseits wieder in die Arme der Mullahs zurückgetrieben werden. Wenn die unter dem ökonomischen und militärischen Druck der USA schwankende iranische Regierung aber nicht von den Massen gestürzt wird, besteht die doppelte Gefahr, dass diese die Tore weit für einen neuen Schah oder aber eine neue US-Vorherrschaft im Land öffnet.

Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Iran zeigen, dass weder die erzreaktionären Islamisten noch die sog. Reformkräfte dem Land eine Perspektive bieten können.

Das Regime im Iran ist faul und überreif für einen grundsätzlichen Wandel. Doch dieser muss durch eine Revolution von innen kommen, von der Arbeiterklasse und den armen Massen, nicht durch eine Aggression von außen, vom Imperialismus.

Perspektive

Nur völlige Unabhängigkeit vom Regime und den USA sowie deren Handlangern kann die alleinige Grundlage für eine demokratische antiimperialistische Revolution im Iran sein. Eine Revolution, die diese Ziele erreichen will, muss aber eine Regime anstreben, das auf Arbeiterräten und Volks-Schora (Volksversammlungen) fußt.

Dieses Regime muss sich zum Ziel setzen, die Grundlagen für den Sozialismus im Iran zu legen und die Revolution auf den gesamten mittleren Osten und Zentralasien auszubreiten. Dank der Globalisierung, der Besetzung Palästinas, des Kriegs 'gegen den Terrorismus' besteht dabei kein Mangel an sozialem Zündstoff.

Die iranischen ArbeiterInnen und StudentInnen haben die Kraft, Bush eine ebenso unangenehme Überraschung zu bereiten wie ihre Eltern damals Carter. Sie müssen sich nur über ihre Ziele und Wege klar sein, v. a. aber darüber, wer ihre Bundesgenossen und wer ihre Feinde sind.

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Nr. 82, Juli/August 2003

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