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Neupack

IG BCE verrät den Streik

Martin Suchanek, Neue Internationale 176, Februar 2013

Prekär Beschäftigte sind kampffähig und organisierbar. Das haben die Beschäftigten der Firma Neupack in Hamburg-Stellingen und Rotenburg/Wümme bewiesen.

83 Tage haben sie trotz aller denkbaren Schikanen gestreikt. Streikende wurden gekündigt, andere bei Streikposten oder Protestaktionen von der Polizei festgenommen.

Neupack hat mit mehreren Verfahren versucht, den Streik für illegal erklären zu lassen, hat Streikende als „Gewalttäter“ und „Schläger“ diffamiert, die arbeitswillige KollegInnen zuhause mutwillig angreifen und verletzen würden.

Ohne Zweifel haben die Firma Neupack und ihr Chef, Jens Krüger, das Arsenal des Klassenkampfes ausgeschöpft. Wenn es um die Vertretung seiner Interessen geht, scheut der Chef vor nichts zurück.

Die Rolle der IG BCE

Beendet wurde der Streik freilich nicht, weil die Streikenden, die einen Haustarifvertrag fordern, der bei rund 83 Prozent des Niveaus des Flächentarifs liegt, aufgrund des Drucks des Unternehmens den Rückzug antreten mussten. Und natürlich auch nicht, weil sie schon etwas erreicht hätten.

Vielmehr war es die Führung der IG BCE, die dem Kapitalisten zu Hilfe kam. Ende Januar verkündete sie den überraschten Streikenden bei Vollversammlungen, dass jetzt die „Taktik“ geändert würde. Statt eines Dauerstreiks solle nun „flexibel“ gekämpft werden, also immer nur im „Flexi-Streik“, der ab und an durchgeführt wird. Ansonsten ging es ab 24. Januar zurück an die Arbeit - zu den Bedingungen, die IG BCE und Geschäftsführung ausgehandelt hatten.

Hat Herr Krüger mit allen Mitteln für seine Interessen gekämpft, lässt sich das von der Führung der Streikenden, der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) nicht sagen. Sie wollte von Beginn an verhindern, dass der Arbeitskampf die Grenzen des Erlaubten allzu sehr überschreitet. Es gab praktisch keine Verlautbarung, keine Stellungnahmen der IG BCE, die nicht dem Kapitalisten die Hand gereicht hätte zum „fairen Kompromiss“. Denn was die IG BCE an Herrn Krüger und seinen Machenschaften zu kritisieren hatte, war nicht mehr, als dass er sich nicht an die Spielregeln der „Sozialpartnerschaft“ hielte, die letztlich auch ihm zu einem sicheren Geschäftsgang verhelfen würde.

Der Kampf bei Neupack ist zwar formell noch nicht zu Ende, sondern „ausgesetzt“, seine Spitze ist aber wohl gebrochen.

Wichtig ist zu verstehen, worin seine Stärken, aber auch die Schwächen bestanden, die schließlich dazu führten, dass die IG BCE den Kampf ausverkaufen konnte. Das war keineswegs eine ganz einfache Sache, weil der Kampf zum ersten wenig Spielraum für die üblichen und üblen sozialpartnerschaftlichen Vorgehensweisen der Gewerkschaftsbürokratie brauchte. Er konnte überhaupt nur losbrechen, weil eine Gruppe von KollegInnen bereit war, zumindest konsequent und kämpferisch gewerkschaftlich zu handeln. Ohne Streik wären für den Herrn Krüger selbst Absprachen mit der Gewerkschaftsbürokratie nicht nötig geworden. Schließlich herrschte er jahrelang unumstritten über sein Unternehmen.

Zweitens wurde der Kampf über Wochen von einer aktiven Belegschaft getragen, was  die vollständige Kontrolle durch den bürokratischen Apparat der Gewerkschaft erschwerte. Ja, es mag etlichen Beschäftigen auch erschienen sein, dass sie im Grunde die Führung über den Tarifkampf inne gehabt hätten. Das war aber letztlich nur vordergründig der Fall. Das zeigte sich dann deutlich, als der Kampf über den  einzelbetrieblichen Rahmen hinaus ging. Dazu gehören:

a) das Anheuern von StreikbrecherInnen, vorzugsweise aus Polen;

b) die Durchsetzung des Streikbruchs mit Hilfe von Gerichten und Polizei;

c) Diffamierung und Medienkämpfe sowie Kriminalisierung der Streikenden und deren Zermürbung.

Wie wäre ein Sieg möglich?

Diese drei Entwicklungen zeigten, dass der Kampf nur gewonnen werden konnte, wenn er erstens an den Standorten radikalisiert würde, indem der Streik durch eine Besetzung der Betriebe praktisch durchgesetzt wird. Zweitens hätte es eine massive Solidarität durch die Gewerkschaften, von IG BCE und DGB-Gewerkschaften durch Stellen von Streikposten geben müssen. Drittens galt es, den Kontakt zu den polnischen Gewerkschaften zu forcierten, um das Anheuern von StreikbrecherInnen zumindest zu erschweren und möglichst zu unterbinden. Viertens hätte es gegen den Einsatz der Polizei und gerichtliche Verbote von Seiten der Gewerkschaften Solidaritätsstreiks, Demonstrationen und Aktionen in anderen Betrieben geben müssen.

All das hätte natürlich bedeutet, auch den engen Horizont des bürgerlichen Rechts in Frage zu stellen. Dazu waren die IG BCE und die DGB-Spitzen in der Region natürlich nicht bereit.

Aber auch die Streikenden waren sich über diese Erfordernisse nicht klar genug, das Solidaritätskomitee wies darauf nicht hin. Das hieß aber, dass die KollegInnen nicht darauf vorbereitet wurden, selbst eine Antwort auf die realen Probleme der Weiterführung des Streiks wie auf die Befriedungsversuche der Gewerkschaftsbürokratie zu geben.

Nein zu den „Vermittlern“!

So konnte die IG BCE den Streik aussetzen - ohne dass irgendetwas erreicht worden wäre. Selbst die Frage ist ungeklärt, ob alle Streikenden wieder in „ihren“ Betrieb“ zurückkehren dürfen! Für manche, wohl die entschlossensten KollegInnen, kann sich der neue taktische Schachzug der Gewerkschaftsbürokratie als direkter Weg in die Arbeitslosigkeit entpuppen.

Die IG BCE indes setzt auf „Vermittler“, wofür sie anscheinend so illustre sozialdemokratische Sozialpartner wie die Ex-Bürgermeister von Dohnanyi oder Voscherau ausgeguckt hat.

Überaus zweifelhaft ist dabei, dass von der Forderung der Streikenden - Haustarifvertrag von 83 Prozent des Flächentarifvertrags - allzu viel übrig bleibt. Zweifellos war schon die Forderung nach einem Haustarif anstelle des Flächentarifs ein Zeichen der Schwäche.

Noch entscheidender ist jedoch, dass die Hoheit über die Tarifverhandlungen - und darin zeigt sich u.a., dass die IG BCE von Beginn an die eigentliche Führung des Kampfes stellte - immer in den Händen der Gewerkschaftsverantwortlichen lag.

Diese wurde unseres Wissens während des gesamten Streiks nie in Frage gestellt, geschweige denn praktisch beantwortet durch die Wahl, Verantwortlichkeit und Abwählbarkeit einer solchen Tarifkommission durch die Streikenden, durch die Veröffentlichung aller Verhandlungen und dadurch, dass ohne vorherige Diskussion und Beschlussfassung keine Abmachungen hätten getroffen werden dürfen.

Basis versus Bürokratie

Schließlich, und das ist eine Lehre, die in zahlreichen anderen Kämpfen mit hoher Basisbeteiligung immer wieder zu ziehen war: Die Wochen des Streiks hätten genutzt werden müssen, um einen politischen klaren, klassenkämpferischen Kern in der Belegschaft (und unter den UnterstützerInnen) zu formieren, der auch die politische Auseinandersetzung mit der Gewerkschaftsbürokratie führt, die Belegschaft auf deren unvermeidlichen Verrat vorbereitet und dann auch in der Lage ist, deren Führung - also in diesem Fall deren Ausverkauf und das „Aussetzen“ des Streiks - praktisch durch eine klassenkämpferische zu ersetzen.

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Nr. 176, Februar 2013
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