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Politische Lage

Regierung in der Krise

Hannes Hohn, Neue Internationale 159, Mai 2011

Als Merkel 2009 wiedergewählt wurde und ihr neuer Regierungspartner FDP grandiose 14% erhielt, ahnte kaum jemand, wie schnell diese Wunschregierung des Kapitals ihren Glanz einbüßen würde.

Die FDP scheiterte bei drei Landtagswahlen, darunter in ihrer Hochburg Baden-Württemberg. Westerwelle musste seinen Platz als Parteichef an Rösler abtreten und die liberale Führungsriege wird kräftig durchgeschüttelt. Statt - wie versprochen - die Steuern (wenn wir mal von denen für die Reichen absehen) zu senken, sinken nur die Liberalen.

Schwarz/gelbes Desaster

Momentan ergeben die Umfragen eine Mehrheit für Rot/Grün, wobei die Grünen so stark sind wie nie zuvor. Als Ursache für diese Verschiebung der politischen Koordinaten wird von Politik und Medien oft auf Fukushima verwiesen. Doch das greift zu kurz, weil damit so getan wird, als seien die Ereignisse dort einmalige Zufälle - „Naturkatastrophen“. Doch tatsächlich sind solche Katastrophen sowie die Probleme bei der Beseitigung ihrer Folgen durchaus systembedingt. Mangelnde Kontrolle, Profitgier, schlechte Informationspolitik usw. sind schließlich keine japanischen Besonderheiten. Stuttgart 21 und schon davor der Unfall beim Kölner U-Bahnbau haben auch hierzulande immer mehr Menschen vor Augen geführt, welche Risiken und Wahnsinnigkeiten der Kapitalismus täglich erzeugt.

Die Merkel-Regierung hat von Anfang an deutlich gemacht, in wessen (Klassen)interesse sie regiert. Es fing an mit den Steuergeschenken für die FDP-Hotel-Lobby, es ging weiter mit dem Schnüren neuer, milliardenschwerer Rettungspakete für die Banken und es äußert sich aktuell im Aufspannen des Rettungsschirms für den Erhalt des Euro bzw. der EU.

Die exorbitant gestiegene Staatsverschuldung finanzieren sollen v.a. die Arbeitslosen und die Lohnabhängigen - z.B. in Form schwindender sozialer und kommunaler Leistungen.

Der Niedergang der FDP erklärt sich zum Teil daraus, dass in Zeiten größter Staatsverschuldung Steuersenkungen nicht machbar sind. Die Regierung Merkel wie Union und FDP rutschten immer tiefer in den Strudel der Auswirkungen der Krise, ihre Politik geriet immer deutlicher in Widerspruch zu den elementaren Lebensinteressen der Massen. Fukushima war nur noch das i-Tüpfelchen.

Den Gipfel der „Arroganz der Macht“ stellte dann Merkels Ausstieg aus dem Atomausstieg dar. Doch das „Schwanken“, die Salti mortale von Schwarz/Gelb - ob beim Atommoratorium oder in der Libyen-Politik - sollten nicht oberflächlich als „Dummheit“ oder „Inkonsequenz“ interpretiert werden. Die Regierung laviert lediglich zwischen den Widersprüchen, die sich objektiv ergeben. Natürlich will und soll die Merkel-Regierung nicht ihre Gesamtfunktion für das deutsche Kapital in Gefahr bringen, nur weil sie etwa strikt an der Atom-Technologie festhält. Da ist ein - wenn sicher auch inkonsequenter - Kurswechsel durchaus rational, bevor deshalb der ganze Regierungszug entgleist. Genauso verhält es sich mit Merkels „Aussitzen“ von Problemen. Sie weiß sehr wohl, dass die Position von Schwarz/Gelb nicht mehr so stark ist und daher „Erschütterungen“ möglichst vermieden werden müssen.

Die Arbeiterbewegung

Wir dürfen allerdings zwei wichtige Faktoren nicht vergessen, die dafür sorgten und sorgen, dass die Regierung trotz aller Probleme und abstürzender Umfragewerte immer noch im Amt ist. Erstens schaffte es Schwarz/Gelb, das Gros der Arbeiterklasse - die „Stammbelegschaften“ - durch die Ausweitung der Kurzarbeit vor Massenentlassungen zu schützen - v.a. auf Kosten der LeiharbeiterInnen. Zweitens gelang es dem deutschen Kapital, sich auf Kosten ihrer Konkurrenten, v.a. in Europa, in der Krise zu stärken. Dafür waren v.a. drei Faktoren verantwortlich: a) der Euro, der anderen europäischen Ländern eine Währungsabwertung und damit den Binnenmarktschutz verwehrte; b) eine über Jahre im Vergleich günstige Entwicklung der Lohnkosten und c) eine sehr produktive industrielle Basis.

Der zweite zentrale Faktor für das „Überleben“ der Merkel-Regierung ist die Weigerung der reformistischen Führungen der Arbeiterklasse, der SPD, der LINKEN und des DGB, ihre Basis gegen die Sparprogramme, gegen die Sozialkürzungen, gegen die Rente mit 67 u.a. Angriffe zu mobilisieren. Diese Inaktivität erklärt auch zum großen Teil, warum die Grünen fast unangefochten die Führung in Bewegungen wie gegen S21 oder die Atomkraft übernehmen und auch bei Wahlen fast das gesamte Protestpotential für sich gewinnen konnten.

Der Rest von Stärke der Regierung ist also v.a. der Schwäche, der Inkonsequenz und Alternativlosigkeit ihrer potenziellen Gegner geschuldet.

Zwischenbilanz für das Kapital

Ist die Popularität der Merkel-Regierung auch im Sinken begriffen, so kann die deutsche Bourgeoisie mit ihr sehr zufrieden sein. Merkels Krisenmanagement, die Weiterführung neoliberaler Reformen (Rente, Gesundheit, Hartz IV) und auch ihre Politik zur Bewahrung von Euro und EU entsprechen den Interessen der Bourgeoisie, v.a. der großen, auf den Export orientierten Kapitale.

Gegenwärtig bringen sich neben der SPD v.a. die Grünen als Regierungsalternative für die nächsten Bundestagswahlen verstärkt ins Spiel. Das Kapital weiß natürlich einerseits, dass es auch von Rot/Grün nichts grundlegendes zu befürchten hätte. Andererseits wird sich erst erweisen, ob die Grünen z.B. in Stuttgart die Untiefen des Regierens umschiffen können, ohne dass ihre Passagiere seekrank werden, sprich ihren jüngst erworbenen politischen Kredit schnell wieder verspielen. Selbst die FDP kann sich wieder fangen und dort weitermachen, wo sie vorher schon stand: knapp über der 5%-Hürde.

Merkel neigt nicht zu Panik. Vorgezogene Neuwahlen wie 2005 sind von ihr kaum zu erwarten. In der CDU hat sie auch wenig Konkurrenz zu fürchten, diese hat sie in den letzten Jahren verdrängt. Will die Union weiterregieren, muss sie mit Merkel in den Wahlkampf ziehen. Sobald mit Töpfer der Ausstieg aus der Laufzeitverlängerung verkündet ist, wird die Kanzlerin versuchen, sich als „Wegbereiterin“ der Energiewende darzustellen.

Die politische Schwäche der Regierung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wichtige Angriffe weiter laufen. Denn auch im konjunkturellen Hoch geht es weiter mit der Abwälzung der Krisenlasten auf die Massen der Bevölkerung, allen voran die Erwerbslosen.

Wie kann die Arbeiterbewegung die Schwäche der Regierung ausnutzen?

Die Opposition wird die Bundesregierung dabei wohl kaum in große Verlegenheit bringen. Daher sollten sich weder die Anti-AKW-Bewegung noch die sozialen Bewegungen der Täuschung hingeben, dass diese Regierung schon am Ende wäre.

Die derzeitige relative Klassenkampfruhe in Deutschland soll uns nicht täuschen. Sie könnte schon bald vorbei sein, wenn die Krise erneut ausbricht. Die kommenden Monate müssen deshalb v.a. dafür genutzt werden, die isolierten Kämpfe zu verbinden und organisierte Strukturen zu schaffen um die gegenwärtige doppelte politische Dominanz aufzubrechen: Einerseits die Herrschaft der, reformistischen Apparate, andererseits die Illusionen in die Grünen.

Dazu müssen Forderungen an diese gestellt werden, ihre Versprechen umzusetzen und dafür zu mobilisieren (Mindestlohn, S21, Atomausstieg). Nur so kann für ihre AnhängerInnen gezeigt werden, dass diese Kräfte selbst für ihre Versprechungen nicht zu kämpfen bereit sind, sondern die „Partnerschaft“ und den „vernünftigen Kompromiss“ mit Kapital und Kabinett vorziehen. Denn schließlich stehen auch für sie Standort und Konkurrenzfähigkeit „unserer“ Wirtschaft im Zentrum jeder politischen Überlegung, die kapitalistische Profitmacherei soll nur grüner und sozialer getüncht werden.

Der politische Horizont der „links“-bürgerlichen und reformistischen Kräfte einschließlich der Linkspartei endet dort, wo es der herrschenden Klasse anfängt weh zu tut, dort wo die Lebensinteressen des Kapitals und sein Heißhunger nach immer mehr Profit eingeschränkt oder gar in Frage gestellt werden.

Daher müssen wir zwei Aufgaben gleichzeitig erfüllen:

Erstens den Aufbau möglichst großer Bewegungen aller Kräfte der Arbeiterbewegung und der Linken, von GewerkschafterInnen, Jugendlichen, Frauen- und Migrantenorganisation, der Umweltbewegung und der sozialen Bewegungen zum weiteren Kampf gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf uns. Dazu brauchen wir Aktionskomitees und Aktionskonferenzen, die Pläne der Mobilisierung und des Widerstandes ausarbeiten und auch europaweit und international vernetzt werden.

Zweitens geht es darum, eine politische Alternative aufzubauen zu den GRÜNEN und zu den reformistischen Parteien SPD und DIE LINKE. In der Mobilisierung gegen die Krise wie auch in der Anti-Atom-Bewegung zeigte sich immer wieder, dass es eine bedeutende Strömung von anti-kapitalistischen AktivistInnen gab und gibt, von Jugendlichen und ArbeiterInnen, die nicht nur gegen die Auswirkungen der Krise des Kapitalismus, sondern auch gegen deren Ursachen kämpfen wollen. Eine solche Schicht von ArbeiterInnen gibt es auch in den Gewerkschaften, eine solche Schicht, die zwar zersplittert kämpft, aber dem Apparat eine Politik des Kampfes entgegensetzen will.

Diese Strömung ist jedoch immer nur zeitweilig in Erscheinung getreten. Zu einer Kraft, die den reformistischen Apparaten ernsthaft etwas entgegen zu setzen vermochte, hat sie es nicht gebracht. Warum? Weil in dieser Strömung die notwendige Frage, welche politische Alternative, welche Art revolutionärer Partei wir brauchen, nicht oder jedenfalls nicht ausreichend diskutiert werden konnte. In der aktuellen Lage muss die Frage in den Vordergrund gerückt werden, welche Perspektive, welche Strategie, welche Taktiken, - kurzum welches Programm - brauchen wir? Wenn es uns gelingt, dem Aufbau einer handlungsfähigen revolutionären Partei entscheidend näher zu kommen, werden wir bei der nächsten Verschärfung der Krise der herrschenden Klasse und den reformistischen Bremsern besser Paroli bieten können.

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Nr. 159, Mai 2011
*  Das ist das Mindeste: Klassenkampf!
*  Politische Lage: Regierung in der Krise
*  Heile Welt
*  Stuttgart: Etappenerfolg von Behr-Beschäftigten vor Gericht
*  Bremer Landtagswahlen: Wählt DIE LINKE, aber teste sie im Klassenkampf!
*  Lieken: Teilerfolg im Kampf gegen Schließungspläne
*  Erste Tarifverhandlungen in der Druckindustrie
*  Pariser Kommune: Enteignung der Enteigner
*  Revolutionäre Erste Mai-Demos: Aktionseinheit oder fauler Propagandablock?
*  Brasilien unter Dilma
*  Jemen und Bahrain: Wie entwickelt sich der Kampf?
*  Ägypten: Die Revolution muss weitergehen
*  Syrien zwischen Revolution und Konterrevolution