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Brasilien unter Dilma

Eloy Nogueira, Sympatisant der LFI in Brasilien, Neue Internationale 159, Mai 2011

Nachdem die Regierung Lula (PT/„Arbeiterpartei“) zwei Wahlperioden hintereinander im Amt war, ist es angebracht, eine Bilanz zu ziehen und aufzuzeigen, was von der neuen Regierung Dilma (PT) zu erwarten ist.

Die brasilianische Arbeiterklasse wählte Lula, um die Politik der offen neo-liberalen PSDB zu beenden, die diese über 10 Jahre in Brasilien praktiziert hatte.

Die Regierung von Fernando Henrique Cardoso (FHC/PSDB) verschlankte den Staat mit ihrer Privatisierungspolitik. Die Arbeitslosigkeit stieg und die Rechte der Arbeiter wurden in verschiedenen Bereichen angegriffen. Der schlimmste Angriff war die Konter-Reform zur sozialen Versorgung, insbesondere für ArbeiterInnen im privaten Sektor.

Hoffnungen in Lula

Als Lula die Präsidentschaft übernahm, glaubte die Arbeiterklasse, dass er die Konter-Reform der FHC-Regierung nicht anerkennen würde und die Unternehmen, die privatisiert wurden, wieder verstaatlichen würde. Aber die Illusion zerplatzte schnell. Lula begann sogleich mit einer weiteren Konter-Reform im Bereich der sozialen Versorgung, -diesmal auch mit Betroffenheit des öffentlichen Dienstes.

Die Führung der CUT (Central Unida dos Trabalhadores, der PT nahestehender Gewerkschaftsdachverband) wurde zwar bei ihren Kongressen von großen Gegensätzen zerrissen und erwies sich als unfähig, einen Generalstreik auszurufen, um die Konter-Reform zu verhindern. Die Mehrheit glaubte an einen Dialog mit der Regierung. Die CUT bewegte nichts und trieb sich selbst in eine schwierige Lage, da sie seit dem als regierungstreu abgestempelt wurde und es zu Spaltungsprozessen innerhalb der CUT kam. So gründete die PSTU mit Conlutas einen kleinen Gegenverband und später die PSOL, eine weitere zentristische Organisation, eine weitere Klein-Gewerkschaft, die Intersindical.

Die Regierung Lula, die eine Koalitionsregierung von PT vor allem mit zentralen Parteien der Bourgeoisie darstellte, setzte ihren verräterischen Weg gegen die Arbeiterklasse fort, wenn auch mit  kleineren sozialen Verbesserungen für die ärmsten ArbeiterInnen, insbesondere in den armen Gebieten, wie z.B. im Norden und Nordosten Brasiliens. Als Gegenleistung garantierte Lulas Regierung für die privaten Banken und die multinationalen Unternehmen große Gewinne.

In ihrer zweiten Amtszeit wurde die Regierung Lula mit der Weltwirtschaftskrise konfrontiert, schwächte deren Wirkung aber durch Konjunkturprogramme, die ein hohes Bruttoinlandsprodukt (BIP) garantierten. Darüber hinaus nutzte Lula die guten Ergebnisse eines wachsenden Exportgeschäfts, vor allem mit Indien und China.

Wahlkampagne

In Folge ging die Regierung Lula gestärkt aus dem Höhepunkt der Krise heraus, da nur sehr wenige Sektoren der Wirtschaft unter der Krise litten. Die letzten beiden Jahre seiner Amtszeit nutzte er de facto, um eine Wahlkampagne zu machen. Sein Schwerpunkt war das „Programa de Aceleacao e Crescimento“ (PAC/Programm für Beschleunigung und Wachstum), welches insbesondere für Neueinstellungen im öffentlichen Dienst sorgte. Darüber hinaus wurden 13 staatliche Universitäten gegründet (ein Rekord in Brasilien), 214 technische Schulen, dazu ein Wohnbauprogramm mit dem Namen „Mein Haus, Mein Leben“ (Minha Case, Minha Vida) was zusammen mit dem PAC den Bausektor im ganzen Land förderte. Diese Initiativen schafften mehr Arbeitsplätze und mehr Wachstum des BIPs.

Trotz allen Wachstums beendete Lula seine Amtszeit ohne zwei zentralen Forderungen der Arbeiterklasse zu erfüllen: Zum Einen das Ende des „fator providenciario“ (Sozialvorsorge-Faktor), welcher eine Reduktion der Renten bzw. der automatischen Verlängerung des Renteneintrittsalters auf Grund angeblich steigenden Lebensalters der Brasilianer beinhaltet und im Zuge der Konter-Reformen von FHC eingeführt wurde und zum Anderen die Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit auf 40 Stunden bei vollem Lohnausgleich.

Der Werbefaktor, mehr als 20 Millionen Brasilianer aus dem völligen Elend heraus geholt zu haben nutzte der Lula-Regierung selbst mit ihrem politischen Programm voller Widersprüche

So beendete Lula seine achtjährige Amtszeit mit einer Zustimmung der Arbeiterklasse, die seine Amtszeit als die beste, die es für sie in Brasilien gegeben hat, eingestufte. Bei den Präsidentschaftswahlen 2010 sah die Arbeiterklasse daher die Notwendigkeit, der PSDB, als Vertreterin der brasilianischen Bourgeoisie, eine weitere Niederlage zuzufügen und wählten Dilma Rouseff, die Bewerberin der PT, welche als Ziehkind von Lula gilt.

Es war keine so sichere Wahl, wie Lula und die Führung der PT dachten. Beim zweiten Wahlgang mussten sich die Führungen der Gewerkschaften intensiv in der Wahlkampagne zugunsten von Dilma engagieren. Die PSDB erlitt so wieder eine bittere Niederlage durch die Stimmen der Arbeiterklasse.

Die Enttäuschung der Regierungswähler kam sogleich, als Dilma mit ihrem Amtsantritt im Januar die Kürzung von 50 Milliarden Reais im Staatshaushalt ankündigte, was sogar dem PAC übertraf, in dem nur 10 Milliarden Kürzungen geplant waren. Darüber hinaus kündigte sie gleich an, dass es im Jahr 2011 keine Neubesetzung von Stellen im öffentlichen Dienst geben werde.

Schließlich ist noch das Kapitel des Mindestlohns zu erwähnen. Die Gewerkschaften forderten 580 Reais entsprechend des Programms zur Bewertung des Mindestlohns, wie er zwischen Lula und den Gewerkschaften vereinbart war. Dilma dagegen zeigte Härte und entschied sich für nur 545 Reais. Die Gewerkschaften organisierten Kundgebungen auf den wichtigsten Straßen in den Hauptstädten und marschierten zum Parlament, um mit Parlamentariern zu diskutieren. Aber am Ende waren die Führungen zufrieden mit der Verabschiedung eines Gesetzes, das erst ab 2012 eine Lohnanpassung durch provisorische Maßnahmen erlaubt. Dazu waren sie auch einverstanden mit dem Versprechen einer Korrektur in der Steuerprogression.

Dilma und die Gewerkschaften

Gleich nach der Zustimmung der minimalen Erhöhung des Mindestlohns Ende Februar forderte der Senator Paulo Paim (PT) die Präsidentin Dilma auf, eine Diskussion über die Erweiterung der Rentenprogression sowie des Sozialvorsorgefaktors zu eröffnen. Dilma soll gesagt haben: „Wir sind im Zeitplan. Wir müssen das diskutieren und ich verspreche es“. D.h. Dilma übernahm keine Verantwortung im Interesse der Arbeiterklasse und zerredet dieses zentrale Anliegen.

Nachdem die Gewerkschaften viel Druck gemacht hatten, entschied sich Dilma mindestens mit ihnen zu verhandeln. Die 6 Führer der Hauptgewerkschaften wurden von der Präsidentin Dilma Rousseff für eine Sitzung am 11. März eingeladen und dort stellten sie drei gemeinsame Forderungen vor: die Regierung solle sich zugunsten der Reduzierung der Wochenarbeitszeit, Erhöhung der Rente für die Arbeiter (oberhalb des Mindestlohns) und eine Korrektur der Steuerprogression einsetzen.

An der Sitzung nahmen die wichtigsten Vertreter der großen Dachverbände  CUT, der CTB, der NCST, der UGT und der CGTB teil. Dilma eröffnete die Sitzung mit der Kritik an der Art und Weise, wie die Gewerkschaftszentralen die Arbeit der Regierung kritisierten. Die Gewerkschaften kritisierten, dass die Regierung Dilma nur auf die Interessen des Marktes höre. Aber nach vielem Gerede waren alle zufrieden. Paulinho von der Forca Sindical, ein Hauptkritiker der Regierung unter den Gewerkschaftsführern sagte: „Wir fanden die Sitzung sehr positiv. Die Präsidentin hat Geduld gehabt, um uns die Regierungspolitik in allen Gebieten zu erklären, einschließlich im Gebiet der Wirtschaftspolitik, die uns viele Zweifel bereitet hat“. Der Gewerkschaftssekretär der CTB, Jurma, war auch mit der Sitzung bei Dilma und ihren Ministern zufrieden: „Am Ende waren wir Optimisten. Die Präsidentin hat die Garantie einer Kontinuität der Entwicklungspolitik des Landes und die Schaffung von Arbeitsplätzen und Investitionen unterstrichen. Sie hat uns gezeigt, dass trotz des Inflationsrisikos keine Kürzung der Investitionen stattgefunden haben“.

Was war passiert? War es Dilma gelungen mit den Gewerkschaften Frieden zu schließen? Tatsache ist, dass vor dem Treffen das wirtschaftspolitische Team der Regierung - das vorher von allen Gewerkschaftsführungen kritisiert wurde - angekündigt hat, ein Gesetz umzusetzen, das bestimmt, dass die Gewerkschaften einen Sitz in den Räten der staatlichen Unternehmen bekommen. Das sind mindestens 59 gut bezahlte Posten, die, wenn alles gut geht, von „wohlverdienten“ Gewerkschaftsbürokraten besetzt werden.

Mit dem Beginn der Amtszeit der Regierung zeigt diese große Fähigkeit, harte Entscheidungen zu treffen und dabei, wenn notwendig, die Führung der Gewerkschaften und der „Linken“ im Parlament einzubinden. Die Bourgeoisie fühlt sich beruhigt - und beginnt entsprechend zum Angriff auf die Arbeiterklasse zu blasen.

Bürgerliche fordern mehr

Letzteres lässt sich insbesondere aus einem Artikel des „The Economist“ vom 11.März lesen, indem  die brasilianischen Arbeitsgesetze  als völlig veraltet erklärt werden. Dort heißt es:

„Die Arbeitsgesetze in Brasilien sind archaisch und belasten sowohl Unternehmer als auch die Arbeiter. Es sind außerordentlich rigide Gesetze, die Verhandlungen zwischen Unternehmer und Arbeiter unmöglich machen.“

Tatsache ist, dass in Brasilien Lohnverhandlungen derzeit von lokalen (höchstens einige Distrikte oder Städte vertretenden) Gewerkschaften mit den Unternehmen ausgehandelt werden. Die Vorschläge zur Reform des Arbeitsrechts, die von Politik und Unternehmerverbänden betrieben werden, geben vor, die „persönlichen Rechte“ zu stärken, in dem sie „freie Aushandlung“ von Löhnen zwischen (einzelnen!) Arbeitern und Unternehmern ermöglichen würden. Es ist klar, dass es sich um einen Versuch zur Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeitsbeziehungen handelt.

In dem Economist-Artikel wurde behauptet, die CUT und die PT selbst betrieben die Arbeitsreform. Artur, der Vorsitzende der CUT, behauptete öffentlich sofort, dass die CUT nicht die Arbeitsreform und die Flexibilisierung des Gesetzes betreibe. Und dass dieses Projekt, das gerade im Entwurf sei, die Regulierung der lokalen Arbeitsorganisation betreffe, was in Brasilien nicht zulässig sei. Der Abgeordnete Candido Vaccarezza (PT), der tatsächlich an diesem Gesetz arbeitet, wurde sofort in die Zentrale der CUT bestellt.

Derzeit befinden sich viele Bereiche des öffentlichen Sektors in Arbeitskämpfen, insbesondere im Bildungsbereich. Es gab gerade einen großen Streik der Lehrer im Bundesstaat Sao Paulo, gegen die lächerlich geringe Bezahlung. Das brutale Vorgehen der Polizei und die folgende Repression zeigen, was andere Sektoren demnächst zu erwarten haben.

Zuspitzung

Bis hierher ist die Situation klar. Die Bourgeoisie, unterstützt durch die Regierung Dilma, versucht Brüche zu schaffen, um die Rechte der Arbeiter anzugreifen und zwingt die CUT sofort gegen diese Angriffe zu handeln. Es scheint, dass die Auseinandersetzungen vorrausichtlich hart werden.

Zum Schluss können wir sagen, dass die Arbeiterklasse mit einer Regierung Dilma in Konfrontation geraten wird, die schon jetzt  weniger Spielraum für Zugeständnisse hat, wie damals die Regierung Lula. Wie schon die Regierung Lula zeigt sie auch von Anfang an ihre Fähigkeit, die Gewerkschaftsführungen zu integrieren. Die schon stattgefundenen Angriffe zeigen, dass noch größere kommen werden. Wir werden die Konsequenzen einer internationalen Krise, nach ihrem Wideraufflammen, auch in Brasilien in gewaltiger Weise zu spüren bekommen.

Unsere Aufgabe in diesem Moment ist es, zu versuchen durch unmittelbare Forderungen die Arbeiterklasse zu mobilisieren und die Führungen der Gewerkschaften dazu zu zwingen, auf Konfrontationskurs mit der Regierung zu gehen. Dabei müssen die Arbeiter ihre eigenen Strukturen des Kampfes herausbilden, die diese Führungen am neuerlichen Einknicken hindern .

Das muss mit umso größerer Intensität in dem Moment geschehen, in dem sich die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise verstärken, bzw. wenn die geschilderten Angriffe auf die Errungenschaften der brasilianischen Arbeiterklasse mit aller Härte drohen durchgeführt zu werden.

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Nr. 159, Mai 2011
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