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Ägypten

Tage des Zorns

Dave Stockton, Neue Internationale 156, Februar 2011

Millionen von ÄgypterInnen, darunter viele Arme aus den städtischen Elendsvierteln und angeführt durch die Jugend und militante FabrikarbeiterInnen, haben gezeigt, dass sie nicht länger eingeschüchtert und durch Zwang niedergehalten werden wollen. Die 330.000 Mann starken Polizeikräfte des Mubarak-Regimes, ihre Folter- und Spitzelnetze können sie nicht länger in einem Zustand der Angst halten können.

Fünf „Tage des Zorns“ lang haben ägyptische DemonstrantInnen zu Hunderttausenden den Schlagstöcken, Wasserwerfern und scharfen Geschossen getrotzt. Nach vorsichtigen Schätzungen sind in Alexandria 23 und in Suez 27 Menschen getötet worden, andere sprechen von über insgesamt 150 Toten.

In Alexandria und Suez waren über 100.000, in Port Said 80.000 auf den Straßen, die Zahl der DemonstrantInnen in Kairo ist unüberschaubar. Zwischen Mubarak und den Massen steht nur noch die Armee. „Nieder, nieder mit Mubarak!“ und „Mubarak, Saudi Arabien wartet auf Dich!“ hallt es in den Straßen und Plätzen.

Die Erhebung begann am 25. Januar, dem ersten „Tag des Zorns“, angefacht durch ägyptische Jugendoppositionsgruppen wie „6. April“, die mit Twitter und Facebook über das Internet mobilisiert hatten. „6. April“ wurde ursprünglich 2008 als Facebook-Gruppe gebildet, um einen Streik von ArbeiterInnen in der nordägyptischen Industriestadt Mahalla al Kubra zu unterstützen.

Durch die Bewegung in Tunesien, die auf ähnliche Art von Jugendlichen mit Hilfe der neuen Medien in Gang gesetzt worden ist und den dortigen Diktator Ben Ali zu Fall gebracht hat, wurden die ägyptischen Jugendlichen zur Nachahmung angeregt. Sie leiden unter denselben Problemen von Massenarbeitslosigkeit, steigender Inflation und haben ihren Unmut gebündelt, um einen ähnlichen Aufstand in Ägypten in Gang zu bringen, mit ähnlichen Losungen: „Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit!“

Nach 5 Tagen und 2 Nächten, in denen die Ausgangssperren missachtet wurden, haben die Demonstrationen nun wahrhaft Massenausmaße erreicht. Deren Unterdrückung mit Hilfe der Armee könnte einen verhängnisvollen Schritt für Mubarak bedeuten. Selbst das Oberkommando der Armee ist anscheinend nicht gewillt, die DemonstrantInnen abzuschlachten.

Sie müssen fürchten, dass, falls sie den Befehl dazu erteilen, die unteren Offizierränge und v.a. die Mannschaftsgrade den Gehorsam verweigern und sich mit der Bevölkerung verbrüdern. Der Truppeneinsatz in der Menge, die sie begrüßt und zum Nichteingreifen aufgerufen hat, würde die Durchführung solcher Befehle äußerst schwierig machen. Wenn die Generäle keine brutale Unterdrückung befehlen können, müssen sie früher oder später wie in Tunesien, Mubarak zum Rücktritt zwingen und hoffen, eine Art Übergangsregierung zustande zu bringen, um die Lage zu entspannen.

Ein entscheidender Schritt war wie in Tunesien das Erscheinen der Arbeiterklasse in der Arena. Kämpferische GewerkschafterInnen, ArbeiterInnen aus Mahalla al Kubra, einer Industriestadt im Nildelta mit über einer halben Million Einwohnern, und Suez sowie arbeitslose Jugendliche haben massenhaft an den Demonstrationen teilgenommen. Auch von Streiks wird berichtet.

Generalstreik

In den vergangenen vier Jahren hat die ägyptische Arbeiterklasse wachsende Militanz bewiesen. Im Dezember 2006 gingen 24.000 ArbeiterInnen in einer staatlichen Textilfabrik von Mahalla al Kubra in den Streik. Das öffnete die Schleusen für eine Widerstandsflut. Seither gab es jedes Jahr große Streikwellen in diesen Firmen.

Jetzt jedoch wäre ein Generalstreik notwendig. Dies würde zweifellos den Durchhaltewillen der Regierung brechen. Es würde Armee und Polizei daran hindern, weiter zu unterdrücken und Blut zu vergießen. Die Mubarak-Regierung ist sich dieser Gefahr bewusst. Sie hat ihre willfährigen Führer des ägyptischen Gewerkschaftsverbandes ETUF angewiesen, die ArbeiterInnen vom Demonstrieren fern zu halten, ebenso wie die vom Staat ernannten Imame der Moscheen die gläubigen Moslems - vergebens.

Die BBC berichtete von der Formierung von örtlichen Organisationen und Milizen, um die Wohnviertel zu schützen. Die Polizei ist nach viertägiger Unterdrückungspraxis aus dem Straßenbild verschwunden. Sie musste zurückgezogen werden, weil Angehörige in erheblicher Zahl zu desertieren begannen. Demokratische Selbstorganisation durch Arbeiterschaft und Jugend ist lebensnotwendig unter den Bedingungen eines Generalstreiks. Sie wären der sicherste Garant aller praktischen Freiheiten: zu demonstrieren, frei reden zu können und all dessen, was schon erkämpft worden ist.

Der Aufbau von Räten auf betrieblicher Basis, in Wohnvierteln, an Universitäten wäre für den Sieg des Generalstreiks unverzichtbar. Die Mannschaftsgrade und niederen Offiziersränge sollten ermuntert werden, eigene demokratische Ausschüsse zu bilden. Ein Generalstreik, der schließlich Mubarak und seine Marionettenregierung beseitigen würde, könnte die Bahn frei machen für eine revolutionäre Periode der Doppelmacht, in der die alten Kräfte des bürgerlichen Staats von frischen Massenorganisationen herausgefordert werden.

Solche Organisationen können schnell die Ordnung herstellen, die die Bevölkerung braucht. Sie können sich für die dringendsten Belange einsetzen, Preiskontrollen, Arbeitsbeschaffung für die Erwerbslosen usw. Eine Periode ungekannter demokratischer Freiheiten würde anbrechen, in der Arbeiterklasse und Jugend ihre Zukunft in die eigenen Hände nehmen könnte.

Solche Szenarien würden es auch Figuren wie dem Neoliberalen Mohamed ElBaradei und seiner „Nationalen Assoziation für den Wechsel“ oder der „Moslembruderschaft“ schwer machen, die Früchte einer Revolution zu ernten, die gegen ihren Willen stattgefunden hat. Bevor er sich in Ägypten blicken ließ, sagte ElBaradei, er hoffe, dass der Wechsel auf geregeltem Wege zustande käme und nicht nach tunesischem Vorbild. Die Moslembruderschaft hat ebenfalls nur geringen Anteil am der ganzen Erhebung, bis sie zur Massenerscheinung wurde.

Soziale Misere

Hunger als Folge steigender Lebensmittelpreise, Arbeitslosigkeit besonders für junge Leute, erschreckende Wohnverhältnisse in den Elendsvierteln von Kairo u.a. Großstädten waren der Zündstoff für die Revolution. Der radikale britische Journalist Robert Fisk meinte: „Der Dreck und die Elendsquartiere, die offene Kanalisation und die Korruptheit jedes Regierungsbeamten, die überquellenden Gefängnisse, die lächerlichen Wahlen, das ganze große verkalkte Machtgebäude haben die Ägypter schließlich auf die Straße gebracht.“

Der UN-Weltpreisindex für Nahrungsmittel hat sich im zweiten Halbjahr allein um 32% verteuert. Die amtlichen Arbeitslosenzahlen für Ägypten liegen bei 12%, in Wahrheit sind sie doppelt so hoch.

Etwa 40% der ägyptischen Bevölkerung von 80 Millionen lebt von ungefähr 2 US-Dollar am Tag, 20-30% der Bevölkerung ist unter die Armutsgrenze gerutscht, die von der UNO festgelegt worden ist. Der Lebensstandard hat seit den 90er Jahren ständig abgenommen.

In den letzten beiden Jahrzehnten hat Ägypten seine neoliberale „Revolution“ durchgemacht. Die staatskapitalistischen Institutionen, die aus der Nasser-Ära in 50er Jahren stammen und  zu unrecht „arabischer Sozialismus“ genannt werden, wurden Schritt für Schritt unter dem Druck von IWF und USA demontiert. Mitte der 1990er Jahre kürzte das Regime die Stützung und andere Schutzmaßnahmen für die Kleinbauern zugunsten der Großgrundbesitzer. Ende der 90er Jahre begann die Privatisierung der Industrie im großen Stil, nach der Jahrhundertwende folgten Bildungs- Gesundheitswesen.

Zahlreiche Fabriken wurden an ausländische Investoren, darunter viele aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten, verscherbelt, die ernorme Profite aufgrund der überausgebeuteten Arbeitskräfte erzielten, denen effektive Arbeitsschutzgesetze fehlen, deren Gewerkschaften vom Staat kontrolliert werden und die von der Polizei brutal unterdrückt wurden, wenn sie streiken wollten. So kommt es, dass z.B. die TextilarbeiterInnen in Ägpyten nur rund halb soviel verdienen wie jene in der Türkei.

Diese brennenden sozialen und politischen Probleme müssen Gegenstand eines Aktionsprogramms sein, das sich die kämpferische Avantgarde aus der Jugend und der Arbeiterklasse geben muss:

Die Preise des täglichen Bedarfs müssen gesenkt, die Löhne erhöht und durch eine gleitende Skala der Löhne an die Preissteigerung gekoppelt werden, um einen Ausgleich gegen die Inflation zu schaffen. Lebensmittel müssen konfisziert und sofort an die Arbeitslosen und die Armut verteilt werden, um deren Ernährung zu sichern.

Ein Programm öffentlicher Arbeiten ist notwendig, um die Arbeitslosen zu beschäftigten,  die Slums durch Neubauten zu ersetzen und die Infrastruktur, sanitäre Anlagen, Schulen, Krankenhäuser zu reparieren oder zu bauen.

Die Pfründe der Günstlinge des Mubarak-Regimes müssen konfisziert und unter öffentliche Nutzung gestellt werden.

Die privatisierten Industrien und Dienstleitungsunternehmen müssen unter Arbeiterkontrolle entschädigungslos verstaatlicht werden.

Die Revolution muss auf das Land getragen werden, wo die Hälfte der ÄgypterInnen lebt. Die Schulden der Kleinbauern müssen gestrichen werden, die Großfarmer und das Agrobusiness unter Arbeiter- und Bauernkontrolle enteignet werden. Gesundheitsversorgung, Bildung und Wohnraum für die Landbevölkerung müssen geschaffen und ausgebaut werden.

Die großen in- oder ausländischen Konzerne und Banken müssen verstaatlicht und unter Arbeiterkontrolle gestellt werden. Die Staatschulden müssen gestrichen werden, die Banken müssen zu einer Zentralbank zusammengefasst werden. Die Wirtschaft muss auf Grundlage eines Notplans unter Arbeiterkontrolle reorganisiert werden.

Die Freiheit und Würde, die sich die Massen in den Protesten gegen Mubarak erkämpft haben, müssen gegen das Regime und die Repression verteidigt werden.

Freilassung der politischen Gefangenen! Rückrecht für alle Exilierten!

Polizeioffiziere müssen festgesetzt, ihre Verbrechen untersucht und sie abgeurteilt werden!

Die herrschende Staatspartei muss aufgelöst, ihr Vermögen konfisziert und ihre Minister vor Gericht gestellt werden.

Dazu müssen Arbeiter- und Volkstribunale geschaffen werden.

Die Geheimpolizei und die paramilitärischen Einheiten des Regimes müssen aufgelöst werden; eine Miliz der ArbeiterInnen und Jugend muss geschaffen werden. Die Soldaten müssen ihre demokratischen Rechte durch die Schaffung von Soldatenkomitees und -räten durchsetzen und die Offiziere müssen wähl- und abwählbar sein, so dass die Armee nicht als willfähriges Werkzeug des Regimes verwendet werden kann.

Volle Betätigungsfreiheit für politische Parteien, volles Demonstrationsrecht, uneingeschränkte Pressefreiheit für Zeitungen, Internet etc.

Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung unter Kontrolle und Schutz von Räten und Milizen der ArbeiterInnen, Bauern und Jugendlichen!

Aktive Unterstützung aller Erhebungen und Aufstände der Völker Nordafrikas und des Nahen Ostens. Sofortige Aufhebung der Blockade Gazas als Akt der Solidarität mit den PalästinenserInnen.

Ein solches Aktionsprogramm wirft die Frage auf, welche Klasse herrschen soll, welche Regierung notwendig ist, um dieses Programm umzusetzen. Keine Regierung „volksnaher“ Generäle, von Vertretern aller Klassen, von Geschäftsleuten oder gar eines imperialistischen Büttels wie ElBardei kann das. Dazu ist eine Regierung der ArbeiterInnen und Kleinbauern notwendig. Nur eine solche Regierung kann die demokratischen Errungenschaften der Straße und etwaige Zugeständnisse sichern. Nur eine solche Regierung kann die Interessen der unterdrückten und ausgebeuteten Klassen durchsetzen.

Dazu ist es unerlässlich, die Institutionen des alten Regimes, den Staatsapparat, zu zerstören und die Macht in die Hände der demokratischen Organe der Massen zu legen: der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräten. Dann kann und wird der Prozess der Vergesellschaft der Ökonomie, der Fabriken, der Großunternehmen, der Banken und des großen Ländereien beginnen - nicht unter bürokratischer Kontrolle, sondern unter jener der ArbeiterInnen und Bauern.

Das ist die Strategie der permanenten Revolution - eine Strategie, die er ermöglicht, die ungelösten demokratischen Aufgaben des Landes zu lösen, indem sie sich die Arbeiterklasse an die Spitze der Bewegung stellt, im Bündnis mit der Bauernschaft ihre Macht errichtet, die Kapitalistenklasse und die Imperialisten enteignet und die sozialistische Transformation des Landes beginnt. Doch diese Strategie fällt nicht vom Himmel. Zur ihrer Umsetzung braucht es eine bewussten Kraft, eine revolutionäre Arbeiterpartei.

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Nr. 156, Februar 2011
*  Ägypten: Tage des Zorns
*  Nordafrika: Permanente Revolution
*  Tunesien: Ben Alis Ende ist der Anfang
*  Asien-Kongress der L5I: Ein voller Erfolg
*  SiKo-München: Mehr Sicherheit für Profit
*  Demobündnis: Keine Kniefall vor Opportunisten!
*  Bundeswehrreform: Beruf(en) zum Kriegen
*  Tarifrunde/Länder im Öffentlichen Dienst: Kein Selbstläufer
*  Ende der Krise in der Metallindustrie? Fachkräftemangel?
*  Frauen, Krise, Klassenkampf: Revolutionäre Frauenpolitik tut Not
*  Hamburger Bürgerschaftswahlen 2011: LINKE wählen, aber Widerstand organisieren
*  Heile Welt
*  Dresden: Anti-Nazi-Mobilisierung: Blockadetaktik und Klassenkampf