Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Bundeswehrreform

Beruf(en) zum Kriegen

Hannes Hohn, Neue Internationale 156, Februar 2011

Die Bundeswehr steht vor ihrer bisher weitestgehenden Reform. Von einer Wehrpflichtigenarmee  soll sie zu einem Berufsheer umgebaut und von 252.000 auf rund 165.000 Soldaten verkleinert werden. Nach dem Willen der Reform-Kommission soll die Wehrpflicht durch einen freiwilligen, bis zu 23monatigen Dienst ersetzt werden, der es allen ermöglicht, „sich für die Allgemeinheit zu engagieren“. Wer den freiwilligen Dienst bei der Bundeswehr ableisten will, soll sich demnach für mindestens 15 Monate verpflichten, um auch für Auslandseinsätze ausgebildet werden zu können.

Dieser tiefgehende Umbruch wird nicht nur nichts daran ändern, dass die Bundeswehr ein zentrales Instrument des deutschen Imperialismus bleibt - es geht vielmehr darum, die Armee den veränderten militärischen Erfordernissen zu Sicherung ökonomischer und geopolitischer Ziele der BRD anzupassen.

Die Konkurrenz zwischen den imperialistischen Mächten bzw. Blöcken und ihren Konzernen ist durch die Krise noch härter geworden. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum es auch für Deutschland unverzichtbar ist, in strategisch zentralen Regionen militärisch präsent zu sein, um Rohstoffquellen, Absatzmärkte und Investitionen zu sichern und vor Ort Druck auf lokale Regierungen auszuüben. Nachdem jahrzehntelang v.a. Uncle Sam den Weltpolizisten gespielt hat, meldet nun auch der deutsche Michel größere Ambitionen an, weltweit für „Ordnung“ zu sorgen.

Strategische Entwicklungen

Verglichen mit dem nach der Wiedervereinigung größeren internationalen Gewicht Deutschlands und seiner dominanten Rolle in der EU waren und sind die militärischen Potenzen Deutschlands relativ schwach. So verfügt die Bundeswehr nicht über Atomwaffen, zentrale Komponenten für globale Militäreinsätze sind mangelhaft entwickelt oder fehlen ganz (u.a. Lufttransport, Flugzeugträger). Die NATO wird immer noch von den USA dominiert. Nicht zuletzt kollidier(t)en Deutschlands größere militärische Ambitionen auch mit verfassungsrechtlichen und politisch/moralischen Vorbehalten aufgrund der Erfahrungen mit Faschismus und zwei Weltkriegen.

So ist die deutsche Politik seit der Wiedervereinigung auch davon geprägt, diesen militärischen Rückstand aufzuholen.

Die immer wichtigere Rolle Deutschlands in den Kommandostrukturen der internationalen Einsatzkräfte belegt, dass Deutschland sich einerseits mit der Rolle des Juniorpartners der USA immer weniger zufrieden gibt und die USA andererseits auch immer mehr auf militärische Hilfe anderer imperialistischer Mächte angewiesen sind.

Von Hilfs- und Unterstützungsmissionen ist die Bundeswehr inzwischen - wie Afghanistan zeigt - zu offenen Kampfeinsätzen übergegangen. Nur besonders Naive glauben, dass die Bundeswehr am Hindukusch oder anderswo für Demokratie, zur Sicherung des Wiederaufbaus oder gegen den „Terror“ kämpft. Statt um den Schutz von Schulen für afghanische Mädchen geht es um die Sicherung strategischer Positionen an den Flanken Russlands, Chinas, Irans, Pakistans und der kaukasischen Öl- und Gasfelder.

Funktionsänderung

Imperialistische Armeen waren und sind immer Instrumente zur Sicherung und Durchsetzung von Kapitalinteressen. Zugleich dienen sie auch dem Kampf gegen die eigene Arbeiterklasse, falls diese das System stürzen wollen, sowie als Mittel zur Zerschlagung von Arbeiterstaaten. Kaiserliche Armee, Reichswehr und Wehrmacht hatten in dieser Hinsicht dieselbe Grundfunktion wie heute die Bundeswehr.

Doch die Aufgabenstellung der Bundeswehr hat sich auch gewandelt. Diente sie im Rahmen der NATO bis 1990 v.a. als militärischer Gegenpart zum Ostblock und als Druckmittel, so ist ihr mit dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts der Hauptgegner abhanden gekommen. Statt um einen europäischen Großkrieg geht es nun v.a. um kleinere militärische Missionen am Rand oder außerhalb Europas. Dazu werden kaum große gepanzerte Truppenverbände benötigt, sondern kleinere, flexibel einsetzbare und schnell luft- oder seeverlegbare Spezialverbände.

Die bisherige Struktur einer relativ großen Wehrpflichtarmee ist dazu auch aus einem anderen Grund weniger geeignet bzw. nicht notwendig. Stärkere Technisierung und höhere Anforderungen bei Kampfeinsätzen im Ausland erfordern mehr Spezialisten, die besser für das aggressivere Agieren des deutschen Imperialismus vorbereitet und ideologisch gestählt sind.

Wehrpflicht vs. Berufsheer

Der Unterschied zwischen Berufssoldaten und Wehrpflichtigen besteht zunächst darin, dass erstere materiell direkt und ausschließlich an die Armee gebunden sind, während das bei Wehrpflichtigen weniger oder nicht der Fall ist. Beim Berufssoldaten ist der Militärdienst sein Leben, für den Wehrpflichtigen ist es nur eine kurze, meist ungeliebte, Episode. Wehrpflichtige bleiben ArbeiterInnen, Bauern oder Angehörige der Mittelschichten; BerufssoldatInnen gehören strukturell zum Staatsapparat, noch dazu zu dessen repressivstem Teil, und sind (wie auch PolizistInnen) sozial gesehen eben keine „ArbeiterInnen in Uniform“, wie z.B. die „trotzkistische“ SAV glaubt.

Ein Berufssoldat identifiziert sich stark mit dem Militär und dessen reaktionärer Doktrin, während das bei Wehrpflichtigen weniger der Fall ist. Berufssoldaten sind daher zuverlässiger - ob gegen „ausländische Feinde“ oder auch gegen die eigene Bevölkerung.

Die Position des Proletariats zur Armee, zu deren Strukturen und Veränderungen muss im Rahmen des Klassenkampfes und einer revolutionären Perspektive betrachtet werden.

Es ist schwieriger, Teile einer Berufsarmee für die Revolution zu gewinnen oder wenigstens zu neutralisieren. Bei einer Wehrpflichtigenarmee hingegen ist das leichter möglich. Hier kann sich der Widerspruch zwischen den Interessen der Soldaten und der Offiziers- und Kommandoebene u.U. zuspitzen und dafür genutzt werden, die Mannschaften auf die Seite des Proletariats zu ziehen, sie zur Befehlsverweigerung oder gar zur offenen Unterstützung des Proletariats im Klassenkampf und besonders im Bürgerkrieg zu bewegen.

So bewirkten 1917 die Dynamik der Revolution in Russland und die Propaganda der Bolschewiki, dass Hunderttausende aus der Zarenarmee den Befehl verweigerten oder desertierten. Sie bildeten Soldatenkomitees gegen die Offiziere und deren Repressalien und bald auch Soldatenräte, die zur Speerspitze der Revolution wurden und im Bürgerkrieg den Kern der Roten Armee stellten.

Für eine revolutionäre Strategie ist natürlich auch relevant, dass das Gros des Proletariats mit der Wehrpflicht auch das Waffenhandwerk erlernt - um es später einmal gegen den Klassenfeind anwenden zu können.

Illusionen

Die Grünen, PazifistInnen und auch Teile von SPD und Linkspartei sehen, wenn schon nicht in der Bundeswehrreform, so in der Abschaffung der Wehrpflicht einen Fortschritt. Sie führen dazu v.a. zwei Argumente an.

Erstens würde mit der Abschaffung der Wehrpflicht auch der Zwang verschwinden und der Militärdienst nur noch freiwillig sein. Das ist aber kurzsichtig, weil der bürgerliche Staat natürlich jederzeit bei Bedarf die Wehrpflicht wieder einführen kann - und bei geänderten imperialistischen Interessenlagen auch tun wird. Außerdem wird er sich die Option offenhalten, statt des Militärdienstes andere, zivile Formen von Zwangsdiensten einzurichten, wie das auch bisher schon beim Zivildienst der Fall war. Schon jetzt wird über ein Nachfolgemodell für den Zivildienst diskutiert - denn die „Zivis“ waren für den Staat willkommene Billigjobber, um Kosten- und Personallücken v.a. im sozialen Bereich zu schließen. Anstatt genügend Fachkräfte auszubilden und ordentlich zu bezahlen, würden dann wieder bzw. immer noch hundertausende Jugendliche für Dumpinglöhne arbeiten und den Sektor tariflich geregelter „Normal“-Arbeit permanent unterhöhlen.

DGB-Chef Sommer fürchtet, "dass die sozialen Einrichtungen nach der Abschaffung des Zivildienstes dazu übergehen, massiv Ein-Euro-Jobs einzusetzen und sich quasi gezwungen fühlen, das Hartz-IV-System zu missbrauchen".

Doch noch wichtiger als diese Kritik ist es, gegen diese neue Form von „Zwangsdiensten“ zu kämpfen. Dafür reicht es freilich nicht, ein paar „Befürchtungen“ über die Medien zu verbreiten - dagegen muss mobilisiert werden. Dazu müssen Gewerkschaften, aber auch die reformistischen Massenparteien SPD und LINKE aufgefordert werden!

Zweitens finden viele die geplante Verkleinerung der Bundeswehr gut. Doch eine hochmodern ausgerüstete Berufsarmee hat - trotz Verkleinerung - größeres militärisches und politisches Potential für den deutschen Imperialismus - gerade deshalb wird die Reform ja durchgeführt! Auch die Hoffnung auf Kosteneinsparungen oder Abrüstungseffekte erübrigen sich bei einem Blick auf die notwendig höheren Bezüge von Berufssoldaten und die mit der Reform verbundene technische Umrüstung und Modernisierung - von den Interessen der Rüstungsindustrie, deren Profite in den letzten Jahren massiv angewachsen sind - ganz abgesehen.

Selbst die aktuellen Einsparungen beim Militärhaushalt sind eher eine Folge der Finanzkrise und der Staatsverschuldung als ein bewusster Akt der „Abrüstung“. Im Gegenteil: Will Deutschland (im Rahmen der EU) die globale Dominanz der USA attackieren, sind perspektivisch deutliche Mehrausgaben für Rüstung und Militär unausweichlich.

Das kann nur durch Klassenkampf, durch Massenmobilisierungen der Arbeiterklasse verhindert werden. Daher: Nein zur geplanten Bundeswehrreform!

Antimilitaristischer Kampf

Die Ablehnung der Reform darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wehrpflicht auch Vorteile fürs Kapital hat. Das Gros der (männlichen) Bevölkerung wird militärisch gedrillt und ideologisch beeinflusst. Nicht zufällig, wird sie „Schule der Nation“ - und des Nationalismus - genannt. Zudem zählen Wehrpflichtige während ihrer Dienstzeit nicht als arbeitslos.

Auf diese Vorteile will man nicht ganz verzichten. Daher favorisiert Verteidigungsminister Guttenberg, dass die Wehrpflicht im Grundgesetz erhalten, ab Mitte 2011 aber ausgesetzt wird - bei Bedarf kann sie also jederzeit wieder eingeführt werden.

Angesichts der Massenarbeitslosigkeit und dem wachsenden prekären Beschäftigungssektor wird es nicht wenige Jugendliche geben, für die ein „Job“ bei der Bundeswehr eine Alternative ist.

Dazu wird die Werbung für die Bundeswehr z.B. an Schulen weiter verstärkt. Dagegen, dass Jugendliche für den imperialistischen Krieg geworben werden, müssen die Linke und die Arbeiterbewegung kämpfen! Wir fordern:

Bundeswehr raus aus Schulen, Unis und Jobcentern!

Mobilisierungen gegen alle öffentlichen Bundeswehrveranstaltungen, Zapfenstreiche und sonstige Zurschaustellungen von Nationalismus und Militarismus!

Auch DGB-Vorsitzender Sommer kritisiert die Bundeswehrreform: „Nach den Erfahrungen von zwei Weltkriegen brauchen wir eine Armee, die in der Gesellschaft verankert ist". Das „Leitbild des Staatsbürgers in Uniform und der Parlamentsarmee“ dürfe nicht aufgegeben werden.

Wer solchen Illusionen über die Bundeswehr anhängt, wird jedoch schwerlich in der Lage sein, etwas dagegen zu tun. Die „Verankerung“ der Bundeswehr ist eine beschönigende Umschreibung der Tatsache, dass sie politisch wie strukturell v.a. mit der deutschen Bourgeoisie, mit ihrem Staat und ihrer Regierung verbunden ist.

Antimilitarismus ist etwas anders. Es bedeutet Kampf gegen die bürgerliche Armee und alle ihre Einsätze, es bedeutet Kampf für die Unterminierung des Kadavergehorsams in der Truppe.

Sofortige Beendigung aller deutschen Auslandseinsätze,  ob unter NATO-, UN- oder EU-Schirmherrschaft!

Für die Niederlage des Imperialismus in Afghanistan!

Solidarität mit jedem antiimperialistischen Widerstand!

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 156, Februar 2011
*  Ägypten: Tage des Zorns
*  Nordafrika: Permanente Revolution
*  Tunesien: Ben Alis Ende ist der Anfang
*  Asien-Kongress der L5I: Ein voller Erfolg
*  SiKo-München: Mehr Sicherheit für Profit
*  Demobündnis: Keine Kniefall vor Opportunisten!
*  Bundeswehrreform: Beruf(en) zum Kriegen
*  Tarifrunde/Länder im Öffentlichen Dienst: Kein Selbstläufer
*  Ende der Krise in der Metallindustrie? Fachkräftemangel?
*  Frauen, Krise, Klassenkampf: Revolutionäre Frauenpolitik tut Not
*  Hamburger Bürgerschaftswahlen 2011: LINKE wählen, aber Widerstand organisieren
*  Heile Welt
*  Dresden: Anti-Nazi-Mobilisierung: Blockadetaktik und Klassenkampf