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Konjunktur und Krise

Massenstreiks statt Massenverarmung!

Hannes Hohn, Neue Internationale 153, Oktober 2010

Die Krise ist vorüber“, frohlocken derzeit gerade jene Experten, welche die Krise nicht einmal geahnt hatten. Sie gründen ihren Optimismus auf der wieder anspringenden Konjunktur. Doch die ca. 3% Wachstum in Deutschland sowie der immer noch ungebrochene Boom in China reichen bei weitem nicht aus, um davon zu reden, dass die tiefste Krise der Weltwirtschaft  nach 1945 schon ausgestanden wäre.

Dagegen spricht nicht nur das Dahindümpeln der Wirtschaft in den USA und Japan, den zwei größten Volkswirtschaften der Welt. Dagegen spricht auch die weltweit anhaltend hohe Arbeitslosigkeit. Vor allem aber sind die Ursachen der Krise noch längst nicht überwunden - im Gegenteil. Selbst viele bürgerliche Ökonomen wissen, dass die riesigen Überkapazitäten an Kapital - durch die sich ja der spekulative Sektor überhaupt erst so ausdehnen konnte - weiterhin bestehen. Sie drücken nicht nur die Profitraten, sie sind auch eine Hauptursache dafür, dass das Kapital in der produktiven Sphäre viel zu wenig lukrative Anlagemöglichkeiten findet.

Die riesigen Konjunkturpakete haben zwar den Zusammenbruch der Weltwirtschaft verhindern können, zugleich haben sie aber auch verhindert, dass die Überkapazitäten abgebaut wurden. Durch die Rettung der Banken wurde die Dominanz des Finanzkapitals sogar noch größer. Die „Rettung“ der kapitalistischen Wirtschaft könnte sich daher schon bald als Pyrrhussieg erweisen.

Die Weltwirtschaft ist nach wie vor ein sehr fragiles Gebilde mit etlichen Zeitzünderbomben. Jederzeit können eine Börsenschwankung, eine Spekulation, die Pleite einer Großbank oder der Kollaps eines einzelnen Staates dazu führen, dass das globale ökonomische Kartenhaus einstürzt. Kein Wunder, dass einige Beobachter einen erneuten Einbruch (dubble dip) befürchten, der noch weit schlimmer ausfallen könnte als 2007/08.

Jede seriöse Analyse zeigt, dass nicht die Finanzkrise die „gesunde“ Realwirtschaft in die Krise gestürzt hat, sondern dass umgekehrt die Verwertungsprobleme der Realwirtschaft zur Expansion der Finanzmärkte geführt haben.

Die faktischen oder drohenden Staatsbankrotte von Griechenland u.a. Ländern offenbaren nicht nur die enormen Risiken im Gefolge der Krise. Der Zusammenbruch der Staatsfinanzen selbst kleinerer Länder erschüttert zugleich auch die EU und den Euro. Griechenland ist ein Beispiel dafür, dass die „Sanierung“ des Finanzsystems - d.h. die Rückzahlung der Schulden an staatliche und private Gläubiger - das Land in eine dramatische Abhängigkeit von imperialistischen Institutionen (EU, EZB, IWF) zwingt und zu außerordentlich massiven Angriffen auf die Bevölkerung führt.

Die deutsche Bourgeoisie - obgleich oft uneins über Methoden und Tempo - will diese Situation nutzen, um ihre dominante Stellung in der EU weiter auszubauen und mit diesem imperialistischen Block den USA die globale Hegemonie streitig zu machen.

Angriffe

Die Dämpfung der Krise durch „Rettungspakete“ und Konjunkturprogramme führte zur Explosion der Staatsverschuldung. Nun versuchen die Regierungen weltweit, die Kosten dafür auf die Massen abzuwälzen: durch Sparprogramme, Kürzungen im Sozialbereich (Renten, Arbeitslosenleistungen, Bildung, Gesundheitswesen usw.). Die Arbeiterklasse - und besonders die Arbeitslosen - sollen für die Kosten der Krise aufkommen.

Dazu kommt, dass der Anstieg der Arbeitslosigkeit bzw. die Ausweitung von Kurzarbeit die soziale Lage der Lohnabhängigen verschlechtert hat. Doch Regierungen und Kapitalisten geht es nicht nur um Einsparungen, sie wollen das Klassenverhältnis grundlegend zu ihren Gunsten zu verschieben. Dazu vertiefen sie die Spaltung der Arbeiterklasse in Beschäftigte und Arbeitslose, in „Kernbelegschaften“ und LeiharbeiterInnen. Dem dient auch die Hetze gegen die „Unterschichten“, gegen Arbeitslose und ImmigrantInnen, wie die jüngsten rassistischen Eskapaden von Sarrazin. Dazu versucht der Staat auch, demokratische Rechte einzuschränken (Streikrecht, Demonstrationsrecht, Bespitzelung von Beschäftigten, Aushöhlung des Datenschutzes usw.).

Als ideologischer Vorwand dient dazu der Kampf gegen „Terror“ und „Extremismus“, nationalistische Kampagnen wie jene gegen die „Griechen, die über ihre Verhältnisse leben“ oder die Kampagnen gegen den „radikalen Islamismus“.

Periode

Das Ausmaß der Krise und ihre nach wie vor ungelösten strukturellen Ursachen markieren einen historischen  Einschnitt. Die Periode der „Globalisierung“ (die selbst auch eine Reaktion auf die Überakkumulation in den imperialistischen Metropolen war) ist mit der Krise von 2007/08 von einer neuen Periode einer vertieften allgemeinen Krise des Kapitalismus abgelöst worden. Sie ist ökonomisch gekennzeichnet von Kriseneinbrüchen, niedrigem Wachstum und einer stagnativen Grundtendenz. Obgleich kurzfristige Erholungen und Aufschwünge nicht ausgeschlossen sind, werden krisenhafte Eruptionen, welche die Weltwirtschaft insgesamt erschüttern, vorherrschen.

Was bedeutet das politisch? Die Bourgeosie ist zu heftigeren Angriffen auf die Massen gezwungen, sie will und muss die Ausbeutungsrate erhöhen, um die Profitraten wieder nach oben zu treiben. Damit sind die Massen gezwungen, sich zur Wehr zur setzen, um nicht komplett unter die Räder zu kommen. Diese Abwehrkämpfe werden unter dem Druck der Krise vermehrt zu vorrevolutionären und revolutionären Situationen führen, d.h. die Perspektive der Machteroberung durch das Proletariat und der Sturz des Kapitalismus kann sehr schnell auf die Tagesordnung kommen.

Der Kapitalismus erweist sich immer deutlicher als unfähig, die existenziellen Probleme der Menschheit - darunter die Klimaveränderung - zu lösen. Die Alternative Rosa Luxemburgs „Sozialismus oder Barbarei“ stellt sich immer schärfer. Die Einschätzung Lenins, dass der Imperialismus eine Epoche von Krisen, Kriegen und Revolution ist, ist kein alter Hut, sondern aktueller denn je.

Gegenwehr

Schon zu Beginn der Finanzkrise gab es in über 40 Ländern Hungerrevolten wegen der Explosion der Lebensmittelpreise aufgrund von Spekulation. In vielen Ländern gab es gegen Entlassungen und Kürzungen Proteste und Arbeitskämpfe bis hin zu Generalstreiks. In mehreren Ländern (u.a. Griechenland, Frankreich) entstanden (vor)revolutionäre Situationen.

Obwohl diese Klassenkämpfe durchaus Teilerfolge brachten, ist doch unübersehbar, dass dieser begrenzte, isolierte Widerstand, dass selbst militante Aktionen und mehrere eintägige Generalstreiks wie in Griechenland nicht ausreichen, um die massiven Angriffe und die Verschlechterungen zu verhindern. Trotzdem verweisen diese Klassenkämpfe auf das durchaus vorhandene Widerstandspotential - sie verweisen aber auch darauf, dass es keine konsequente Führung gibt, die bereit und der Lage ist, die Kämpfe zu verbinden und ihnen eine weiterführende Orientierung zu geben. Mit anderen Worten: es mangelt an einer revolutionären Partei, die aktuelle Tagesforderungen mit der Perspektive der Machtergreifung des Proletariats, der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates und der Enteignung der Konzerne und Banken verbindet.

Deutschland

Entgegen der Meinung, die Krise wäre in Deutschland „noch nicht im Bewusstsein angekommen“, waren und sind Hunderttausende von Kurzarbeit und Millionen von Arbeitslosigkeit, Hartz IV und prekären Arbeitsverhältnissen betroffen. Selbst denen, die momentan nicht direkt betroffen scheinen, dämmert, dass das dicke Ende noch kommt. Und tatsächlich beweist die Regierung Merkel tagtäglich, dass sie im Interesse des Kapitals handelt:

„Erhöhung“ der Hartz-Regelsätze um 5 Euro - d.h. faktisch Zementierung der Verelendung von Millionen;

Steuerreformen schanzen den Reichen neue Milliarden zu, während Reallöhne und soziale Leistungen schrumpfen;

die Gesundheitsreform nutzt den Pharma-Konzernen und etabliert eine Zwei-Klassen-Medizin;

während kriselnden Banken erneut Miliarden erhalten, werden die Leistungen für Arbeitslose weiter gekürzt; prekäre Beschäftigung und working poor wachsen;

die Verschuldung zwingt die Kommunen zu drastischen Einschnitten;

trotz aller Beteuerungen verbessert sich die Situation im Bildungswesen nicht, die Privatisierung von Bildung schreitet weiter voran;

der schwarz/gelbe „Atomkompromiss“ sichert den Energie-Konzernen Milliardengewinne;

trotz „leerer Kassen“ beteiligt sich Deutschland an verschiedenen Militäreinsätzen im Ausland.

Dieser Katalog der Grausamkeiten ließe sich noch fortsetzen. Wie die Kapitalisten und ihre politischen Interessenvertreter Milliarden verpulvern, die Bedürfnisse der Bevölkerung und Gefahren ignorieren, zeigt aktuell das Mega-Projekt „Stuttgart 21“.

Wenn es uns - den Beschäftigten, den Arbeitslosen, Jugendlichen und RentnerInnen, ImmigrantInnen und „Deutschen“ - nicht gelingt, den Generalangriff von Staat und Kapital zu stoppen, werden wir einzeln geschlagen, werden wir zusehen müssen, wie viele unserer Errungenschaften zerstört werden!

Es ist eine eitle, ja dumme Hoffnung, auf die „Einsicht“ der Herrschenden zu hoffen und auf Kompromisse zu setzen. Unser Klassengegner weiß sehr gut, dass es jetzt ans Eingemachte gehen muss, dass unter dem Druck der Krise der Spielraum für Kompromisse deutlich kleiner geworden ist. Doch wissen das auch die Organisationen der Arbeiterbewegung - doch handeln sie danach?

Widerstand

Bisher gab es in Deutschland nur wenig Widerstand gegen die Krise. Wenig betriebliche Aktionen, mehrere Anti-Krisen-Demos und einige gewerkschaftliche Proteste. Andererseits existiert eine breite Bewegung gegen Atom-Energie sowie eine bundesweite Bewegung im Bildungsbereich. Alle diese Spektren sind kaum miteinander verbunden.

Doch selbst eine koordinierte Massenbewegung gegen die Krise würde nur dann genug ökonomischen und politischen Druck ausüben können, wenn sie in politische Massen- oder Generalstreiks mündet. Nur solche Aktionen können Kapital und Regierung wirklich zwingen, ihre Angriffe einzustellen. Zugleich aber würde ein Generalstreik die Frage der Macht im Staate aufwerfen: Welche Klasse regiert, wer bestimmt die Geschicke der Gesellschaft - Bourgeoisie oder Proletariat?

Das Entstehen einer starken Bewegung gegen die Krise scheiterte bisher v.a. an der Inaktivität und Blockadehaltung jener großen Organisationen, die sich sozial auf die Arbeiterklasse stützen: der SPD, der Linkspartei und der Gewerkschaften. Sie hätten die Kraft, solchen Widerstand aufzubauen. Doch die Führungen und bürokratischen Apparate dieser Organisationen sowie ihre reformistische, sich im Rahmen des Kapitalismus bewegende Politik stehen dem grundsätzlich entgegen. Sie haben grundsätzlich den Milliarden-Rettungspaketen zugestimmt; sie haben nichts getan, um betriebliche Kämpfe auszuweiten und zu verbinden; sie haben für die Einführung der Kurzarbeit - und damit für die Spaltung der Klasse und massive Einkommensverluste - plädiert; sie haben wenig bis nichts getan, um die Anti-Krisen-Proteste voranzutreiben.

Alternative

Deshalb ist eine Alternative zu diesen unbrauchbaren Führungen und Konzepten notwendig! Wir brauchen eine Anti-Krisen-Bewegung, die alle Widerstandpotentiale zusammenfasst, die in Betrieben, Gewerkschaften, im Kiez, unter Jugendlichen, Frauen und MigrantInnen verankert ist. Wir brauchen dazu eine bundesweite Struktur: eine klassenkämpferische Basisbewegung, die gegen die reformistischen Ausverkäufer der Arbeiterklasse opponiert und alternative, kämpferische Führungen aufbaut, die direkt von der Basis kontrolliert werden! Solange SPD, Linkspartei, Gewerkschaftsbürokratie und viele standortbornierte Betriebsräte das Sagen haben, wird es bei symbolischen Protesten und Gesten bleiben!

Für Arbeitermacht!

Wenn wir verhindern wollen, dass wir die Kosten der Krise bezahlen müssen, wenn wir den zerstörerischen Wahnsinn des Kapitalismus beenden wollen, dann müssen wir jenen die politische und ökonomische Macht entreißen, welche die Krise verursacht haben und bald die nächste lostreten!

Marode Banken müssen unter Arbeiterkontrolle verstaatlicht und zu einer einheitlichen Staatsbank zusammengefasst werden! Statt Milliarden-Subventionen für Banken brauchen wir Investitionen für soziale und ökologische Zwecke!

Unternehmen, die vor dem Aus stehen, müssen unter Arbeiterkontrolle verstaatlicht werden, um Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern! Die Produktion muss auf gesellschaftlich nützliche Produktion umgestellt werden!

Das ist aber nur möglich, wenn den Kapitalisten, ihren korrupten Managern und willfährigen politischen Handlangern die Verfügungsgewalt bzw. die Kontrolle über die Produktion, über die „Rettungspakete“ und die Finanzen entzogen werden. Stattdessen ist Arbeiterkontrolle nötig!

Eine solche Perspektive kollidiert natürlich mit den derzeitigen Macht- und Eigentumsverhältnissen. Deshalb ist die Umsetzung eines solchen, proletarischen „Anti-Krisen-Programms“ nur möglich, wenn es eine Arbeiterregierung gibt, die sich auf Mobilisierungs- und Kampforgane stützt. Eine solche Perspektive ist letztlich auch nur realistisch, wenn der Widerstand international koordiniert wird.

Die globale und wahrhaft historische Dimension der Krisen und Klassenkämpfe, die jetzt und umso mehr in den nächsten Jahren vor uns stehen, eröffnen auch große Chancen für den Kampf gegen den Kapitalismus. Neue Schichten von KämpferInnen werden die Bühne betreten, alte Organisationen und Konzepte werden ihre Untauglichkeit erweisen. Die Globalität der Krise und des Widerstands werden eine alte, aber umso bedeutendere Aufgabe der Weltarbeiterklasse erneut und mit größerer Dringlichkeit auf die Tagesordnung rücken: die Überwindung der Führungskrise des Proletariats, die Überwindung der Dominanz der Reformisten a la SPD oder Linkspartei über die Arbeiterbewegung und den Aufbau einer neuen, der 5. Internationale.

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Nr. 153, Okt. 2010
*  Konjunktur und Krise: Massenstreiks statt Massenverarmung!
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*  "Der gesellschaftliche Streik": Postautonomer Opportunismus
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