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Buchbesprechung

Ich erhebe meine Stimme

Roman Riedl, Neue Internationale 153, Oktober 2010

Nicht erst mit ihrer 2009 veröffentlichten Autobiographie „Ich erhebe meine Stimme“ (Piper Verlag, München, 2009) ist Malalai Joya zu einem Symbol der Bewegung gegen den Krieg und die Besatzung Afghanistans geworden. Bereits 2003 hat sie in der Loya Jirga (Stammesversammlung) gegen die neu etablierte Herrschaft ehemaliger Warlords protestiert. „Sie wird von dieser Versammlung verbannt und darf nicht zurückkehren. Schickt sie hinaus! Wachen, werft sie hinaus!“ So reagierte Sibghatullah Mojaddedi, der 1992 als Präsident der Mujaheddin Regierung eingesetzt worden war und 2003 den Vorsitz der Loya Jirga führte.

Malalai Joya selbst wurde im April 1978, drei Tage vor der Machtergreifung der PDPA, in der Provinz Farah geboren. Vier Jahre später flüchtete ihre Familie in ein Flüchtlingslager im Iran, wenig später kam sie nach Pakistan. Der Name Joya ist ein Deckname, den sie dem oppositionellen afghanischen Schriftsteller Sarwar Joya entlehnt hat. Malalai ist ein beliebter afghanischer Vorname, mit dem die Geschichte der gegen die britische Kolonialherrschaft kämpfenden Malalai von Maiwand verbunden ist.

Aktivität unter Taliban-Regime

Bereits vor ihrer Ansprache in der Loya Jirga war Joya gegen das Taliban-Regime aktiv und engagierte sich v.a. gegen die Schließung von Mädchen-Schulen. Im Untergrund baute sie eigene Schulen für Mädchen auf, in denen sie auch selbst unterrichtete. Nach ihrer Rede 2003 gelangte sie zu nationaler und internationaler Berühmtheit und wurde 2005 als Repräsentantin der Provinz Farah in das afghanische Unterhaus, die „Wolesi Jirga“, gewählt. Nach einem Interview, in dem sie das Parlament einen „Stall oder Zoo“ mit „Kriegsverbrechern und Drogenhändlern“ genannt hatte, wurde sie endgültig aus dem Parlament verbannt.

In ihrer Autobiographie beschreibt Joya nicht nur ihren eigenen Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen in Afghanistan zu unterschiedlichen Zeiten, sondern gibt auch einen Einblick in die neuere Geschichte Afghanistans. Mit einer detailgetreuen Beschreibung des Lebens in den Flüchtlingslagern, ihrer Heimatprovinz Farah und der benachbarten Provinz Herat zeichnet sie ein Bild der Leiden Afghanistans abseits der medialen Berichterstattung.

Verschiedene Schilderungen biographischer Elemente erfolgen fast ausschließlich im politischen Kontext. So wird der Umzug der Familie nach Herat durch Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche begleitet, musste doch die illegal betriebene Schule von der Wohnung gut und unauffällig zu erreichen sein, die Nachbarn durften nicht zu neugierig sein - es sorgte für Aufmerksamkeit, wenn eine Frau täglich allein das Haus verließ.

Im Rahmen ihrer politischen Arbeit - als Lehrerin, Vertreterin zur Loya Jirga oder als Abgeordnete im afghanischen Parlament - hat sie es geschafft, eine ganze Reihe von Leuten mit Begeisterung und Hoffnung zu erfüllen. Malalai Joya schildert bewegende Zusammenkünfte mit UnterstützerInnen ihrer Anliegen, die - wie z.B. eine alte Frau in Farah - persönliche Gegenstände verpfändet haben, um ihren Wahlkampf finanziell zu unterstützen. Mehrere ihrer Kampagnenhelfer wurden angegriffen oder kamen aufgrund ihrer Tätigkeit sogar ums Leben. So war laut Joya der erst 18jährige Ibrahim während des Wahlkampfes entführt, brutal misshandelt und getötet worden.

In ihrer Behandlung der politischen Lage und den aktuellen Regierungsstrukturen Afghanistans legt sie ihren Finger auf für die Besatzung wunde Punkte. Sie nennt die Namen jener, deren Weste nach dem Sturz der Taliban von den USA wieder weiß gewaschen wurde: Abdul Rasul Sayyaf, Burhanuddin Rabbani, Rashid Dostum, Karim Khalili, Qasim Fahim u.a. Entgegen ihrer neu geschaffenen Identitäten als Protagonisten der „jungen Demokratie“ deckt Joya deren wahre Professionen auf: Warlords, Drogenbosse, Kriegsverbrecher.

Immer wieder betont Malalai Joya die Notwendigkeit des selbstständigen Kampfes gegen die Besatzung und für die Frauenbefreiung. Hin und wieder wirken ihre politischen Lösungsvorschläge dennoch etwas zu optimistisch, da sie zum Teil keine Vorschläge für eine Strategie des afghanischen Widerstandes sind, sondern an die internationale Staatengemeinschaft appellieren. So argumentiert sie an einer Stelle, dass „die internationale Gemeinschaft demokratische Politiker und Parteien unterstützen (muss), die dem Extremismus entgegenwirken und unserem Land wirkliche Demokratie bringen.“ (S. 287).

Unabhängig davon liegt ihr unbestreitbarer Verdienst aber darin, die Scheinheiligkeit der US- und NATO- Besatzung aufzuzeigen und anzuklagen. Frauen wie Malalai Joya spielen nicht nur eine wichtige Rolle im afghanischen Widerstand. Sie sind auch ein Symbol für die westliche Antikriegsbewegung, die Dank des Buches von Joya ein wichtiges Mittel hat, um mit den vorgeschobenen Argumenten für den „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan aufräumen zu können.

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Nr. 153, Okt. 2010
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*  Unsere Forderungen im Kampf gegen die Krise
*  Europäischer Aktionstag: Wo bleiben die DGB-Gewerkschaften?
*  Esslingen: Schluss mit Agenda 2010
*  "Der gesellschaftliche Streik": Postautonomer Opportunismus
*  100.000 demonstrieren gegen Regierung und Atomlobby: Schwarz/Gelb abschalten!
*  § 219 und Zwangsabtreibung: Mein Bauch gehört mir!
*  Abschiebung der Roma in Frankreich: Alltäglicher Rassismus in der EU
*  Alice Schwarzer: Alles verschleiert
*  Indien: Generalstreik gegen die Krise
*  Buchbesprechung: Ich erhebe meine Stimme
*  20 Jahre deutsche Einheit: Kein Grund zum Feiern
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*  Gewerkschaften und S 21: Der große Eiertanz
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