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Volksbegehren in Thüringen

Gegen Kitaabbau und Herdprämie!

Alice Berg, Neue Internationale 148, April 2010

Als Ministerpräsident Dieter Althaus 2004 seine „Familienoffensive“ startete, wurde gewarnt, dass dies eine Offensive gegen die Familien sein werde. Mütter sollten nicht unbedingt arbeiten gehen, der Freistaat versprach jedem, der zu Hause bleibt und auf einen Kitaplatz verzichtet, ein „Landeserziehungsgeld“. Dieses Almosen wurde noch dazu aus dem Topf für die Kitaförderung abgezweigt.

2010 ist es nun offensichtlich, dass die „Familienoffensive“ tatsächlich nur ein einziges Sparprogramm ist und nichts mit Familienförderung zu tun hat. So wurden in den vergangenen Jahren allein 600 Vollzeitstellen in Kitas abgebaut, 60% der ErzieherInnen werden unter Tarif bezahlt und der Verteilerschlüssel (Anzahl der Kinder pro ErzieherIn) ist schlechter als im Bundesdurchschnitt. Oft wird die gesetzliche Obergrenze überschritten - ohne rechtliche Konsequenzen.

Nach dem Abgang von Althaus soll nun ein Kitagesetz verabschiedet werden, das die bestehenden Verhältnisse entscheidend verbessern soll. Aber was heißt entscheidend? Darüber gibt der Gesetzentwurf nicht wirklich Auskunft. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass am Schluss genau das Gegenteil dabei heraus kommen kann.

Volksbegehren

Um die Landesregierung unter Druck zu setzen, haben seit Februar 2010 Familienverbände, Gewerkschaften, die Linkspartei und VertreterInnen der Grünen zur Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren aufgerufen. Auch VertreterInnen der SPD sind mit im Boot, obwohl sie damals das Sparprogramm von Althaus mitgetragen hatten.

Die Forderungen des Volksbegehrens sind klar: 2.000 zusätzliche Vollzeitstellen (doch eigentlich fehlen 7.000 Stellen lt. Berechnung der Bertelsmann-Stiftung), gesetzliche Standards für Fortbildung, Kitaanspruch ab dem 1. Lebensjahr, gesetzliche Hortregelungen für Schulen (sobald 10 Eltern auf einen Hort angewiesen sind, ist dieser per Gesetz von der Schule einzurichten) und für den Anspruch von Eltern mit behinderten Kindern, in jeder Regeleinrichtung aufgenommen zu werden.

Das sind klare Forderungen, um wenigstens die gröbsten Missstände zu beseitigen. Allerdings wurde die Forderung nach einer einheitlichen tariflichen Bezahlung „vergessen“. Ein Grund dafür könnte die hohe Anzahl der freien Träger sein, die sich oft „Lohndrücker-Gewerkschaften“ und nicht ver.di für ihre Tarifabschlüsse suchen. Die freien Träger sind relativ unabhängig und können ohne große Kontrollen agieren. Da ist die Forderung des Volksbegehrens nach mehr Elternmitbestimmung umso wichtiger, denn oft sind es nur Lippenbekenntnisse, wenn sich die freien Träger an Protestaktionen beteiligen.

Erfahrungen haben gezeigt, dass die MitarbeiterInnen dieser Einrichtungen bei anstehenden Demonstrationen ohne Angabe von Gründen einfach zurückgerufen werden. Schließlich will es sich der private Betreuungssektor dann doch nicht ganz mit der Landespolitik verscherzen. Was die Umsetzung von Bildungsstandards dort anbelangt, ist dies für die Eltern oft schwer nachvollziehbar. Man schirmt sich ab, die Kommunikation wird auf das Notwendigste beschränkt. Dass das Volksbegehren in vielen Kitas aber gar nicht thematisiert, geschweige denn unterstützt wird, ist auch ein Ausdruck vom Sumpf aus privater Trägerschaft und öffentlicher Hand. Viele MitarbeiterInnen stehen unter dem Druck der privaten Träger und haben Angst um ihren Arbeitsplatz.

Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, das unsinnige Nebeneinander der vielen verschiedenen Träger zu beenden. Notwendig ist stattdessen ein einheitliches Kitasystem unter Kontrolle von Eltern, MitarbeiterInnen und Gewerkschaften. Einheitliche tarifliche Standards, ein demokratisch erarbeitetes und kontrolliertes Betreuungskonzept sowie eine ausreichende Finanzierung durch den Staat wären wichtige Eckpunkte eines solchen Systems.

Derzeit kracht es in der CDU/SPD Koalition, der Haushalt ist noch immer nicht verabschiedet, das Land muss sparen. Auch die Kita-Reform ist gefährdet, es geht immerhin um 90 Millionen, die das Land zugesichert hat. Trotz der Versprechen der SPD, dass die Forderungen des Volksbegehrens übernommen und durchgeboxt würden, trauen die InitiatorInnen des Volksbegehrens der SPD nicht wirklich über den Weg. Solange nichts verabschiedet ist, läuft daher das Volksbegehren weiter.

Bisher wurden 30.000 Stimmen gesammelt, bis Juni müssen es 200.000 sein. Sollte sich das Volksbegehren durchsetzen, werden die Forderungen aber auch nur stufenweise umgesetzt werden. So könnte es noch Jahre dauern, bis wenigstens bundesdeutscher Durchschnitt auch in Thüringen Einzug hält.

Frauenunterdrückung

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird auch in Thüringen eine reine Behauptung bleiben, denn was vor allem den Müttern und Alleinerziehenden fehlt, sind kindgerechte Arbeitsplätze und entsprechende Arbeitszeiten. Die Öffnungszeiten der Kindertagesstätten sind noch immer nicht an die reale Arbeitswelt angepasst. So sind es vor allem die Mütter, die sich in dieser Gesellschaft entscheiden müssen, sich entweder aus dem Berufsleben zurück zu ziehen oder - wenn sie trotz Kindern arbeiten gehen -, sich von den Verhältnissen zerreiben lassen.

Daran wird auch erfolgreicher Volksentscheid nichts Grundsätzliches ändern. Doch er ist immerhin ein Ansatz von Widerstand. Letztlich kann aber nur genug Druck aufgebaut werden, um in absehbarer Zeit reale Verbesserungen zu erreichen, wenn es gelingt, die Gewerkschaften dafür zu gewinnen, notfalls auch mittels Streik den Forderungen Nachdruck zu verleihen. Diese Perspektive in die Bewegung zu tragen und für den Aufbau von Basiskomitees einzutreten, sind deshalb zentrale Aufgaben.

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Nr. 148, April 2010
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