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Interview zu Südasien, Teil 1

Klassenkampf und revolutionäre Perspektiven

Interview mit Robert Teller, Neue Internationale 148, April 2010

Zwei Genossen der Gruppe Arbeitermacht besuchten während einer Rundreise Indien, Nepal und Sri Lanka. Wir veröffentlichen den ersten Teil des Interviews mit Robert, der zweite zu Indien, Kaschmir und Sri Lanka folgt in NI 149.

NI: Ihr wart fast ein halbes Jahr in Südasien unterwegs. Was waren Eure wichtigsten und markantesten Eindrücke?

R: Im Kontakt mit den Menschen in den Halbkolonien, mit den Arbeitern, Bauern, der Jugend, haben wir die Lebensumstände der Unterdrückten in diesen Ländern erfahren. Wir haben Erfahrungen gemacht, die nicht mit dem Studium von Berichten, mit theoretischer Auseinandersetzung, nicht mit abstrakter Betrachtung der Verhältnisse dort ersetzt werden können. Wir haben eindrucksvoll erfahren, wie die Unterdrückten der Welt, ob individuell oder kollektiv, unabhängig von politischer Organisierung und Anleitung, aus einem dem Menschen innewohnenden Trieb eine unendliche Kraft schöpfen, gegen diese Verhältnisse selbst im Zustande der absoluten militärischen Unterjochung den permanenten Kampf gegen ihre Sklavenhalter, ihre Henker und Ausbeuter mit aller Hingabe und Ausdauer zu führen.

Wir haben erfahren, dass der Wille des Menschen, Herr über sich selbst und die Natur zu sein, niemals durch die ideologische Hegemonie der herrschenden Klassen, irgendeine noch so grausame Folter, durch Korruption oder andere Waffen vollständig besiegt werden kann, sondern nur temporär, durch Täuschung, Betrug und Erpressung in die falsche Richtung getrieben wird, um dann zu einem späteren Zeitpunkt mit umso heftigerer Wucht zurückzuschnellen gegen die Festung der Klassenherrschaft. Kurz gesagt: wir haben erfahren, dass gerade in den Halbkolonien, wo die Mehrheit unter Bedingungen lebt, die uns irrwitzig makaber erscheinen, das Gebäude der Klassenherrschaft auf Sand gebaut ist.

In Kaschmir, im Punjab, in den Gebieten des ehemaligen Ostpakistan und in Sri Lanka kämpfen unterdrückte Völker seit Jahrzenten für die Unabhängigkeit, für ihr Recht auf einen eigenen Staat. Zehntausende haben in diesen Kämpfen ihr Leben verloren, doch der Kampf wird andauern, solange die Unterdrückung andauert.

Überall auf dem indischen Subkontinent kämpfen die Arbeiter gegen bittere Armut und teils schreckliche Arbeitsbedingungen. Viele dieser Arbeiter haben ein Klassenbewusstsein, das in Europa nur selten zu finden ist. Es gibt dort keine korrumpierte Schicht von Bürokraten, die das Bewusstsein der Massen mit Konzepten wie der „Sozialpartnerschaft“ vergiftet; es gibt nur Arbeiter und Ausbeuter.

NI: Nepal gilt als ein Land, in dem eine revolutionäre Umwälzung stattgefunden hat. Ihr wart für einige Wochen in Nepal, wo ihr auch geholfen habt, eine Sektion von REVOLUTION zu bilden. Wie würdet ihr die aktuelle Situation im Land beschreiben? Was sind die Hauptprobleme der Revolution in Nepal?

R: Nepal ist ein Land, in dem seit vielen Jahren eine weltweit einzigartige Situation vorliegt. Ich kenne kein anderes Land, in dem eine Massenbewegung existiert, deren Führung die vollständige und uneingeschränkte Unterstützung der gesamten unterdrückten Bevölkerung hat. Nur durch diese Unterstützung gelang es der maoistischen Volksbefreiungsarmee 2006, nach einem jahrelangen und verlustreichen Bürgerkrieg die Armee des Königs Guyanendra in die Knie zu zwingen und vollständig zu besiegen. Hierdurch wurde die absolutistische Herrschaft des Königs gestürzt und der Bevölkerung weitgehende Rechte erkämpft, wie das Wahlrecht und das Recht zu auf freie Rede und Presse. Nach wie vor gibt es in Nepal eine revolutionäre Situation, die herrschende Klasse und ihr Staat befinden sich in der Defensive. Doch seit 3 Jahren hat sich diese Situation kaum verändert, und das politische System ist eine „bürgerliche Demokratie“. Die Mehrheit der Bevölkerung, die Kleinbauern, leben immer noch in quasi-feudalen Zuständen; der kleine Industrie-Sektor wird durch die nepalesische Kapitalistenklasse, den Agenten des Imperialismus, kontrolliert. Nepal gehört nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Welt, die soziale und ökonomische Lage hat sich mit dem Sturz der Monarchie kaum verändert.

Wenn man diesen Fakten die Stärke der Arbeiter- und Bauernbewegung gegenüberstellt, lässt sich nur der folgende Schluss ziehen: Die maoistische Führung der Bewegung hat nicht den Willen, dem revolutionären Weg zum Sozialismus zu folgen. Sie kollaboriert mit der Kapitalistenklasse, um die jetzige Lage zu festigen. Doch dies ist unmöglich. Diese Situation, in der eine ungeheure Masse von Armen - entschlossen, alles zu geben für den Kampf gegen die Sklavenhalter - einer geschwächten, doch von der Führung der Bewegung gestützten Kapitalistenklasse gegenübersteht, ist sehr instabil. Sie kann nicht auf Dauer bestehen. Letztlich gibt es nur zwei Richtungen, in die diese Situation kippen kann: Entweder, die maoistische Führung schafft es, sich in eine offen bürgerliche Partei zu transformieren und ihre Basis zu verraten, oder die Massen werden ihre Macht nutzen, um diese Führung hinwegzufegen und durch eine revolutionäre, den Massen verantwortliche Führung zu ersetzen.

NI: Wie bewertet ihr die Politik der Maoisten? Welche Rolle spielen sie?

Die Maoisten führen eine Bewegung, die objektiv die absolute Macht hat, den bürgerlichen Staat zu zerschlagen, die Kapitalisten zu enteignen und eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. In der Tat ruft die Führung regelmäßig politische Generalstreiks aus, die von der gesamten Bevölkerung unterstützt werden und das gesamte Land zum Stillstand bringen.

Doch die Führung verfolgt nicht das Ziel des revolutionären Umsturzes des Kapitalismus. Im Jahr 2006, als die Armee des Königs geschlagen war, war das gesamte Land unter Kontrolle der Volksbefreiungsarmee. Dies war der Zeitpunkt, die Arbeiter zu bewaffnen, die Fabriken sowie den Landbesitz zu enteignen und durch Schaffung von Arbeiter- und Bauernräten eine sozialistische Republik aufzubauen.

Doch was taten die Maoisten? Sie traten in Verhandlungen mit den bürgerlichen Parteien! Sie handelten mit ihnen aus, den bürgerlichen Staat zu übernehmen und in einer Koalitionsregierung mit den Bürgerlichen von nun an die Ausbeuterrolle zu übernehmen! Das Blut, das die tausenden Kämpfer der Volksbefreiungsarmee vergossen hatten - für das Ziel des Sozialismus -, war nun der Fraß der Sklavenhalter! Sie hatten erneut offenbart, was die Rolle der Stalinisten weltweit war: Den heroischen Kampfgeist der Unterdrückten, die Aufopferung Tausender für das Ziel der Befreiung, an sich zu binden, um sie schließlich gegen die Unterdrückten selbst zu wenden. Sie hatten ihr revolutionäres Kostüm abgelegt, in das sie zuvor als Agenten der Ausbeuter geschlüpft waren.

Diese Verräter zu entblößen, ihren wahren Charakter den Massen zu erklären und zu veranschaulichen, ist nun die Aufgabe aller revolutionären Kräfte in Nepal.

NI: Was ist das Programm von REVOLUTION?

R: REVOLUTION in Nepal hat die Strategie, in der Bewegung zu arbeiten, unser revolutionäres Programm dort einzubringen und mit all jenen, die den Charakter der maoistischen Führung durchschauen, für eine neue Führung zu kämpfen. Wir wollen mit den Maoisten zusammenarbeiten, sie bei allen fortschrittlichen Schritten unterstützen, sie aber für alle Fehler, für jeden Verrat kritisieren, um sie loszubrechen von den Massen, die für den Sozialismus kämpfen wollen. Aufgrund der tiefen Verankerung der Maoisten in den Massen ist dies eine schwierige Aufgabe, für die wir Verbündete brauchen.

Es reicht nicht aus, durch Propaganda den Menschen den richtigen Weg zu weisen, wir müssen in der Praxis, in der Aktion, zeigen, dass wir für den konsequenten Kampf gegen die herrsschende Klasse stehen, jede Möglichkeit des Kampfes annehmen, immer vorwärts gehen und keinen Schritt rückwärts. Die momentane Lage bietet noch immer die Möglichkeit, in wenigen Tagen den bürgerlichen Staat vollständig zu zerschlagen, denn seine bewaffneten Kräfte sind schwach, die Massen haben genug Wut und Kampfgeist, und die herrschende Klasse hat seit langem nicht mehr die ideologische Hegemonie. Das einzige Hindernis ist die konterrevolutionäre Führung der Maoisten. Diese von den Massen loszutrennen ist die dringlichste Aufgabe in der heutigen Situation.

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Nr. 148, April 2010
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*  Gegengipfel zum Treffen der EU-Bildungsminister: Bildung statt Bologna!
*  Bundeswehr an Schulen: Militarismus bekämpfen!
*  Honduras: Protestiert gegen den feigen Mord an Gewerkschaftsaktivist!
*  Volksbegehren in Thüringen: Gegen Kitaabbau und Herdprämie
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*  Linksradikale in Antikrisenbewegung: Keine Forderung ist keine Lösung
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