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Tarifrunde öffentlicher Dienst

Drohende Verschlichterung

Helga Müller / Hannes Hohn, Neue Internationale 147, März 2010

Die Zeichen deuteten auf Kampf. An den ersten Warnstreiks waren 120.000 Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen beteiligt. Die Arbeit“geber“ von Bund und Kommunen hatten daraufhin erklärt, dass sie nicht auf die Forderung von ver.di, ja noch nicht einmal auf den Kompromissvorschlag der Bundestarifkommission von 3,5 statt 5% im Gesamtvolumen eingehen wollten.

Trotzdem rief die ver.di-Führung zur Schlichtung auf - anstatt den unbefristeten Vollstreik zur Durchsetzung der 5% vorzubereiten! Um ihren Deal ungestört durchziehen zu können, „vergaß“ sie auch, eine Urabstimmung darüber durchzuführen, ob überhaupt eine Schlichtung durchgeführt werden soll. Ohne Not hat ver.di also die Mobilisierung abgeblasen.

Die Welt der Bürokratie

Das wirft die Frage auf, in welcher Welt die Herren und Damen GewerkschaftsführerInnen eigentlich leben? Sogar der Blödeste in der Bundestarifkommission muss doch erkannt haben, dass auch die öffentlichen Arbeit”geber” - ob Kommunen oder der Bund - die Beschäftigten und die Bevölkerung für die Krise zahlen lassen wollen.

Die öffentlichen Arbeit”geber” jammern über den schlechten Zustand der Haushalte, den sie jedoch z.B. durch Steuergeschenke an das Kapital oder Privatisierungen mitverschuldet haben. Der Appell von ver.di an die Kommunalvertreter, einen “Schulterschluss” mit ver.di gegen die Bundesregierung einzugehen, blieb wie erwartet unfruchtbar. Stattdessen forderte De Maizière, der Verhandlungsführer der Arbeit”geber”-Seite, weitere Zugeständnisse.

Dagegen hätte die volle Kampfkraft der Beschäftigten in die Waagschale geworfen werden müssen! Dagegen hätte die Organisierung der Urabstimmung über einen unbefristeten Vollstreik beginnen und auch andere Lohnabhängige, Arbeitslose und die Bevölkerung mit in den Kampf gezogen werden müssen. Spätestens nach den Landtagswahlen in NRW werden sie ja mit Schließungen von Schwimmbädern, Bibliotheken, Jugendeinrichtungen, Gebührenerhöhungen etc. die Zeche zahlen müssen.

Begründet wird diese Politik von ver.di damit, dass man “alle Möglichkeiten ausschöpfen (wolle), doch noch durch Verhandlungen zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu kommen.” Die Beschäftigten werden mittlerweile mit allen Mitteln darauf eingestellt, doch auf das Verhandlungsgeschick der Bundestarifkommission in der Schlichtungskommission zu vertrauen.

Anstatt die Beschäftigten zu mobilisieren, werden sie zu Zuschauern degradiert, die brav abzuwarten haben, was das Schlichtungs-Orakel zu sagen hat. Für die Bürokratie hat das aber immerhin den Vorteil, dass sie für das Ergebnis dann nicht direkt verantwortlich erscheinen. Sie sind aus dem Schneider - die Beschäftigten nicht; ihre Arbeits- und Lebensbedingungen werden weiter erodieren.

Die Sache hat noch einen anderen Haken. Es wird von der ver.di-Bürokratie bewusst offengelassen, ob die Empfehlung, die bis zum 25. Februar durch die Schlichtungskommission vorliegen soll, “unseren (der Verhandlungsführung, Anm. der Red.) Erwartungen entspricht” oder nur die Bundestarifkommission entscheiden wird. Die Erwartungen werden nicht näher definiert. Damit ist schon der nächste faule Deal in Vorbereitung.

Das alles zeigt, dass die Verhandlungsführung nach wie vor darauf setzt, die kommunalen Arbeit”geber” von der volkswirtschaftlichen Vernunft, doch die Binnennachfrage durch Stärkung der Kaufkraft anzukurbeln. Sie verschweigt, dass sie damit den Ausverkauf der Interessen der Belegschaft nach einer realen Lohnerhöhung, nach besseren Arbeitsbedingungen und dem Erhalt der Stellen in Kauf nimmt.

Was noch schlimmer ist: Sie trägt mit dieser Vorgehensweise dazu bei, dass sich das gesamtgesellschaftliche Kräfteverhältnis - wer setzt sich durch, wer zahlt die Lasten der Krise - zuungunsten der gesamten Arbeiterklasse verändert.

Wenn man so vorgeht, muss man natürlich auch keine politischen Forderungen aufstellen, um aufzuzeigen, woher das Geld denn kommen soll bzw. warum die Finanznot der Kommunen und des Bundes so hoch ist, um damit den Beschäftigten und der gesamten Arbeiterschaft zu verdeutlichen, dass es sich um einen Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiterklasse und die Massen handelt!

Ergebnis?

Inzwischen ist das Schlichtungsergebnis bekannt, und die Bundestarifkommission hat mit klarer Mehrheit die Annahme des Schlichtungsergebnisses empfohlen. "Das ist kein Ergebnis, das Jubelstürme auslöst", sagte ver.di-Chef Bsirske dazu.

Die Gehälter der Beschäftigten steigen demnach ab 1. März um einen Sockelbetrag von 40 Euro plus zusätzlich 3%. Für die ersten zwei Monate des Jahres gibt es einmalig je 20 Euro. Im Gegenzug wird das Leistungsentgelt abgeschafft. 2010 werden die Gehälter im März nochmals um 1,2 % erhöht, die Laufzeit beträgt 24 Monate. Auszubildende erhalten ab 1. März 2009 60 Euro mehr, 2010 ebenfalls 1,2 %.

Insgesamt liegt das Ergebnis weit unter der ursprünglichen 5%-Forderung von ver.di. Angesichts der zu erwartenden Preissteigerung, die für die Beschäftigten noch einmal deutlich über der Inflationsrate liegen werden, und der mit Sicherheit drohenden sozialen Einschnitte und Kürzungen bedeutet dieser Abschluss aber letztlich Reallohnverlust. Auch den arbeitslosen und prekär Beschäftigten im öffentlichen Bereich nützt der Abschluss wenig; zählt man sie als Teil der Arbeiterklasse hinzu, so stimmt selbst der Gehaltsanstieg im „Gesamtvolumen von 3,5%“ nicht mehr.

"Die endgültige Entscheidung über das Tarifergebnis haben jetzt die Beschäftigten selbst", so Bsirske. ver.di wird dazu in den nächsten Wochen eine Mitgliederbefragung durchführen.

Die Gewerkschaftsmitglieder sollten das einklagen, um so das katastrophale Ergebnis zu verhindern! Die Belegschaften müssen den Vorschlag der Tarifkommission diskutieren und entsprechende Protestresolutionen an die Tarifkommission für die sofortige Einleitung der Urabstimmung über einen unbefristeten Vollstreik zur vollen Durchsetzung der 5% richten!

Dafür ist es auch notwendig, dass sich die Belegschaften eigene Strukturen für den Kampf und dessen Kontrolle durch die Basis aufbauen.

l Nein zum Schlichterspruch! Keine Geheimverhandlungen und faulen Deals hinter dem Rücken der Belegschaften! Statt dessen: Vorbereitung und Durchführung eines unbefristeten Vollstreiks für die 5 Prozent!

l Aufbau von lokalen Streik- und Aktionskomitees, die bundesweit koordiniert werden! Sie müssen den Belegschaften gegenüber rechenschaftspflichtig sein und über einen etwaigen Arbeitskampf entscheiden!

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Nr. 147, März 2010
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