Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Linkspartei

Bürokraten im Clinch

Hannes Hohn, Neue Internationale 146, Februar 2010

Seit Wochen schwelt in der Linkspartei ein Konflikt, der auch von den bürgerlichen Medien genüsslich verbreitet, ja angefacht wird. Auslöser des Streits waren (angebliche) Äußerungen von Bundesgeschäftsführer Bartsch, der die krankheitsbedingte Auszeit des Vorsitzenden Lafontaine nutzte, um an dessen Stuhl zu sägen. Das erboste die linkeren Teile der Linkspartei, darunter die Landesverbände Nordrhein-Westfahlen und Baden-Württemberg, die Lafontaine stützen und die Absetzung von Bartsch fordern. Daraufhin versicherten die Spitzen der ostdeutschen Landesverbände Bartsch ihre Unterstützung. Inzwischen jagt ein Statement das andere, fast täglich gibt es „Richtigstellungen“ und Dementis von allen Seiten.

Der aktuelle Stand der Dinge ist nun, dass Bartsch seinen Posten als Bundesgeschäftsführer zur Verfügung gestellt hat. Als „Ausgleich“ bekam er nun das Amt des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. Auch Lafontaine hat sich inzwischen geäußert. Aufgrund seiner Krankheit werde er nur noch bis zum Parteitag im Mai Vorsitzender bleiben und nicht erneut kandidieren. Damit steht der Linkspartei demnächst die Neubesetzung ihrer Führung bevor.

Das sollen nun Gesine Lötsch und Klaus Ernst machen. Als Bundesgeschäftsführer wurde der farblose Intrigant Bartsch durch zwei noch farblosere Figuren, Caren Lay und Werner Dreibus, ersetzt. Ob damit „Einigkeit“ erzielt werden wird, mag bezweifelt werden. Allerdings hat die LINKE neben den designierten Vorsitzenden einen De-Facto-Chef und  Wortführer, Greger Gysi, der scheinbar über allen Fraktionen und Strömungen der Partei thront.

Manöver statt politischer Diskussion

Schon die Art der Debatte in der Linkspartei war und ist bemerkenswert. Es gab keine sachliche und offene politische Diskussion in der Partei, d.h. in allen Gliederungen und unter der gesamten Mitgliedschaft. Stattdessen wurde die ganze Sache über die Medien verbreitet. Statt Argumente vorzulegen und Positionen klar zu machen, wird Meinungsmache betrieben. Es wird akzeptiert, ja z.T. bewusst forciert, dass bürgerliche Medien ihre „Sicht“ der Dinge verbreiten und somit die Debatte prägen. Die eigene Mitgliedschaft erfährt von den Problemen in der eigenen Organisation so oft zuerst über die Medien. Das ist allerdings von der Bürokratie an der Spitze der Linkspartei durchaus beabsichtigt. Wie in jeder reformistischen Partei will sich die Spitze von der Basis nicht gern in die Karten gucken und schon gar nicht in die Suppe spucken lassen.

Die derzeitigen Auseinandersetzungen in der Linkspartei zeigen wieder einmal sehr deutlich, dass eine offene und demokratische Debatte in der Linkspartei - in der gesamten Organisation und nicht nur im Apparat - kaum stattfindet und durch Statements, Manöver und Intrigen der Spitzen ersetzt wird. Anstatt die substanziellen politischen Fragen klarzumachen und zu diskutieren, geht es um (scheinbar) Persönliches.

Diese faktische politische Degradation der Mitglieder zu „Statisten“ fällt der LINKEN-Führung allerdings auch leicht. Das gesamte Konzept der Linkspartei, ihre Orientierung auf Wahlen und die Mitarbeit in Gremien der bürgerlichen Gesellschaft bedeutet von vornherein, dass die Mitgliedschaft insgesamt keine aktive Rolle spielt und spielen soll. So sind die Mitglieder auch insgesamt - gemessen an der Größe der Partei v.a. im Osten - sehr passiv. Beredter Ausdruck dieser Situation ist z.B., dass selbst in Berlin - der Hochburg der Linkspartei - die Wahlplakate von Firmen geklebt werden, statt von den Mitgliedern.

Diese Inaktivität ist nicht nur dem hohen Altersdurchschnitt der Partei (v.a. im Osten) geschuldet. Sie rührt auch daher, dass die Mitgliedschaft kaum eine Vorstellung - aber auch keine Erfahrung - mit innerparteilichen Diskussionen und Auseinandersetzungen hat. Da mischt sich die alte stalinistische Phobie vor Fraktionskämpfen mit einer falsch verstandenen Einheit der Organisation auf Kosten politischer Klarheit und mit jüngeren Erfahrungen mit diversen Plattformen und „Oppositionen“, die allesamt keinen konsequenten politischen Kampf  geführt haben bzw. führen.

Die Linkspartei - v.a. im Osten, weniger im Westen - ist im Grunde eine „gespaltene“ Partei: hier ein inzwischen recht großer, tausende FunktionärInnen umfassender Apparatteil (Hauptamtliche, Abgeordnete, kommunale Funktionsträger, deren MitarbeiterInnen), dort die inaktive Masse der (meist älteren) Mitglieder.

Politischer Hintergrund

Obzwar die Spitzen der Partei so tun, als handele es sich bei den Differenzen eher um persönliche Fragen, um mangelnde Loyalität, Missverständnisse, Übertreibungen usw., verbergen sich dahinter handfeste politische Kontroversen. Diese werden auch mit dem besten „Personaltableau“ - so nennt der Vorstand der LINKEN neuerdings den Postenschacher - nicht aus der Welt geräumt werden.

Im Grunde gibt es zwei Lager: den Flügel um Lafontaine, hinter dem die westdeutschen Landesverbände, die linkeren und die gewerkschaftlichen Teile stehen; und den rechten Flügel, der v.a. die ostdeutschen Landesverbände und das Gros des Apparats repräsentiert und dem Bartsch angehört.

Lafontaine will der Linkspartei ein etwas linkeres Image verpassen. Deshalb kritisiert er auch bisweilen die Mitregierungspraxis der Partei - wohlgemerkt nicht das Mitregieren an sich, sondern nur die Art und Weise. So übte er Kritik am Koalitionsvertrag in Brandenburg. Er weiß, dass eine zu angepasste Politik viele AnhängerInnen und WählerInnen wieder vergraulen wird. V.a. geht es ihm darum, sich als Koalitionspartner nicht zu billig zu verkaufen. Auch in der Außenpolitik steht Lafontaine (derzeit) etwas links von dem, was die PDS in den letzten Jahren offiziell verkündet hat.

Lafontaines Trumpf ist natürlich, dass er maßgeblich die Fusion mit der WASG vorangetrieben hat. Erst dadurch wurde DIE LINKE zu einer wirklich gesamtdeutschen Partei mit einer gewissen Verankerung in den Gewerkschaften, d.h. im Apparat und unter Betriebsräten und Vertrauensleuten.

Bartsch steht für den rechteren „Mitregierer-Flügel“. Doch die Differenz zwischen den Lagern ist nicht nur eine ideologische. Die Phalanx der - v.a. ostdeutschen - FunktionsträgerInnen hat ein handfestes materielles Interesse daran, dass DIE LINKE in Parlamenten, in Landes-Regierungen, in Kommunen präsent ist - sonst sind die Posten weg.

Die Linkspartei hat nicht nur eine soziale Verankerung in der Arbeiterklasse und bei Arbeitslosen; gerade im Osten ist sie auch in der lohnabhängigen Mittelschicht (Beamte, staatliche Angestellte) und auch bei ostdeutschen Unternehmern vertreten. Von daher wundert es nicht, wenn die FunktionärInnen der Linkspartei eine Politik betreiben, die deren Interessen entspricht -  z.B. wenn man tarifliche Ausnahmeregelungen für ostdeutsche Unternehmen fordert.

Der Bartsch-Flügel sieht in Lafontaine eine Gefährdung oder wenigstens Einschränkung ihres offenen Anpassungs-Kurses. Sie wollen durch noch mehr Anpassung beweisen, dass sie perspektivisch auch auf Bundesebene als Junior-Partner der SPD regierungsfähig sind.

Lafontaine als Protagonist des gewerkschaftlich-keynesianischen Flügels weiß hingegen, dass eine allzu offene und schnelle Anpassung die Linkspartei unterminiert. Er weiß, dass eine weitere Stärkung der Linkspartei nur gelingen kann, wenn sie noch direkter in den Gewerkschaften und bei Betriebsräten Fuß fasst. Dazu bedarf es auch eines Kurses, der etwas linker ist als jener der SPD und besser den Interessen des reformistischen Apparates in den Gewerkschaften entspricht.

„Natürlich“ werden jetzt die Posten im mehr oder weniger offenen Proporz besetzt. Der Flügel, der der Gewerkschaftsbürokratie nahe ist, hat Klaus Ernst und Werner Dreibus in Front gebracht. Lay hingegen kommt aus dem sächsischen Landesverband, der schon lange die Speerspitze der Realos in der LINKEN stellt, die nur mangels einer sächsischen SPD nicht schon längst mitregierten. Die designierte stellvertretende Vorsitzende Wawzyniak ist nicht nur eine überzeugte Anhängerin des Berliner Senats, sondern hat auch schon ein gemeinsames Strategiepapier mit SPD- und Grünen-ParlamentarierInnen veröffentlicht.

Ungleiche Zwillinge

Es wirft aber ein bezeichnendes Licht auf die derzeitige Debatte in der Linkspartei, dass diese grundsätzlichen Fragen nicht offen aufgeworfen werden. Sicher gibt es aktuell keine Gefahr der Spaltung der Linkspartei. Aber eine Zuspitzung des Klassenkampfes und zunehmende Enttäuschung über die Realpolitik der Linkspartei v.a. in den Landesregierungen könnten die inneren Spannungen bald verschärfen - zumal schon jetzt von den westdeutschen Landesverbänden offen und mit Recht beklagt wird, dass die Politik in Berlin und Brandenburg zu einer Stagnation der Mitgliederentwicklung der Partei führt.

Auch wenn Gysi/Bisky den rechten Flügel brüskiert haben, indem sie Bartsch Illoyalität vorwarfen und seinen Rücktritt vom Amt des Bundesgeschäftsführers nahe legten, so darf das nicht mit einem „Linksschwenk“ der beiden verwechselt werden.

In ihren Reden haben sie schließlich nicht nur Bartsch angegriffen, der daraufhin auch alsbald „freiwillig“ erklärte, am nächsten Parteitag nicht mehr für sein Amt zur Verfügung zu stehen. Gysi/Bisky haben das vielmehr geschickt mit dem Appell verbunden, „das Streiten“ doch bleiben zu lassen, und gebetsmühlenartig die „Einheit der Partei“ beschworen. Das kommt nicht nur im Osten gut an (selbst wenn der Rücktritt Bartschs für Verstimmung sorgt). Damit ist auch schon die Linie für die nächsten Parteitage, für die kommenden Wahlkämpfe und die „Programmdebatte“ vorgegeben.

Damit kann sich Oskar Lafontaine auch einverstanden erklären, zumal er dafür sorgt, dass die Parteispitze linke Kritik nicht ernsthaft zu fürchten braucht. Die linken Landesverbände NRW und Baden-Württemberg haben sich mit ihrem Offenen Brief und mit ihrer ganzen Praxis nämlich auch politisch voll und ganz hinter den Links-Keynesianer Lafontaine gestellt.

Programmatisch und konzeptionell ist der linke Flügel wie die „Anti-kapitalistische Linke“ (AKL) oder die „Kommunistische Plattform“ (KPF) überhaupt keine Alternative zum links-sozialdemokratischen Reformismus von Lafontaine. Dass Sarah Wagenknecht von Gregor Gysi als stellvertretende Parteivorsitzende ins Gespräch gebracht wurde, hat nur damit zu tun, die Integrationskraft des Vorstandes zu erhöhen, sollen diesem doch schließlich keine „StrömungsvertreterInnen“ mehr angehören. Wagenknecht würde, so Gysi, ihre Funktion als Sprecherin der KPF bleiben lassen und nur noch für „die Partei“ sprechen - schließlich geht deren „Einheit“ in alt bekannter SED-Tradition „über alles“.

Natürlich streiten wir nicht ab, dass AKL und KPF etwas anderes „wollen“ als Lafontaine oder Gysi, doch so lange sie nicht den Kampf um ein eigenes, von beiden reformistischen Flügeln der Partei unterschiedenes Programm aufnehmen; so lange ihre Hauptaktivität nur darin besteht, Lafontaine gegen die Berliner und Brandenburger Mitregierer zu verteidigen, macht sich die „Linke“ in der Linkspartei zu einem Anhängsel Lafontaines.

Die Affaire Lafontaine/Bartsch zeigt also nicht nur die Differenzen in der Partei auf. Sie hat nicht nur einen Teilerfolg der Rechten gebracht, sondern auch die politische Schwäche und Angepasstheit von AKL/KPF deutlich gemacht.

Die bizarren Scharmützel auf dem reformistischen Olymp der Linkspartei zeigen aber auch ganz klar: Wir brauchen eine gänzlich andere, eine wirklich antikapitalistische, revolutionäre Arbeiterpartei - nicht einen Neuaufguss der alten Sozialdemokratie!

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 146, Februar 2010
*  Tarifrunden 2010: Gewerkschaftsbürokratie bereitet Katastrophe vor - wir müssen sie stoppen!
*  IG Metall: Kampf statt Co-Management!
*  Beschäftigte fordern anderen Kurs
*  Schwarzbuch Bahn: Wem die Kritik zu weit geht ...
*  Tarifrunde Öffentlicher Dienst: Kampfkraft oder Kaufkraft?
*  Nazi-Aufmarsch in Dresden: Anti heißt Klassenkampf
*  Linkspartei: Bürokraten im Clinch
*  Frankreich: Wohin treibt die NPA?
*  L5I: Französisches Bulletin erscheint
*  Trotzkismus in Nepal: REVOLUTION-Sektion gegründet
*  Gründungserklärung von REVOLUTION-Nepal
*  Haiti: Teufel als Helfer
*  Afghanistan-Konferenz in London: Imperialismus in der Zwickmühle
*  München: Nein zur NATO-Sicherheitstagung