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Nach dem verdi-Abschluss

Verhinderter Kampf

Frederick Haber, Arbeitermacht 129, Mai 2008

Die Umfrage in der ver.di-Mitgliedschaft zum Tarifergebnis im Öffentlichen Dienst ergab 76% Zustimmung. Für Bsirske signalisiert dieses Ergebnis Zufriedenheit der Mitglieder und eine Legitimation seines Kurses. Da ist natürlich auch Selbsttäuschung dabei. Die Ablehnung dürfte vor allem von BasisaktivistInnen kommen, also von denjenigen, mit denen man Kämpfe führen kann. Selbst wenn nur 10% der Mitglieder unzufrieden wären, könnte das entscheidend sein, wenn diese die Hälfte der aktiven Basis umfassen würden und sie wirklich sehr unzufrieden wäre.

Wir behaupten nicht, dass es so ist, aber es gibt einzelne Bereiche, z.B. im Nahverkehr, die wirklich wegzubrechen drohen. Auf der anderen Seite gibt es im Bereich des Öffentlichen Dienstes ganze Städte, in den ver.di nicht vorkommt, wo es noch nicht einmal im Streik funktionierende Strukturen gibt. Die Zufriedenheit von Bsirske sollte sich also in Grenzen halten.

Umgekehrt wäre es Selbsttäuschung, einfach zu leugnen, dass viele Beschäftigte mit dem Abschluß auch zufrieden sind, weil nach drei Jahren ohne Erhöhung der Gehaltstabellen die Lohnerhöhungen von 3,1% (2008) und 2,8% (2009), aufgesetzt auf einer Vorweganhebung von 50 Euro, tatsächlich einmal eine sichtbare Verbesserung darstellen. Umgelegt auf alle fünf Jahre, einschließlich der drei Jahre ohne Tabellenerhöhung, sieht das Ergebnis aber eher bescheiden aus und ist letztlich nur ein Reallohnverlust.

Die Kritik am Abschluß konzentriert sich vor allem auf die Arbeitszeitverlängerung, die im Vorfeld abgelehnt worden war, dann jedoch akzeptiert wurde und die Tariflandschaft weiter nach Sparten zersplittert.

Über Zahlen hinaus

Eine kritische Betrachtung einer Tarifauseinandersetzung darf aber nicht nur beim reinen Zahlenergebnis stehen bleiben. Sie muss das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen betrachten und bewerten.

Einerseits muss die Entwicklung der Arbeiterklasse gesehen werden: ihre Organisationskraft, ihre Kampffähigkeit, ihr Bewusstsein. Andererseits muss man den Blick auf die Gegner werfen. Aber Klassenverhältnisse sind nicht statisch, die Beziehungen verändern sich dauernd an verschiedenen Konfliktpunkten und in diesen Kontext muss auch ein Tarifkampf gestellt werden.

Die Organisation konnte durch die Warnstreikwellen im Öffentlichen Dienst nicht wirklich aufgebaut werden. Andere Beispiele zeigen, was da heute drin wäre: In der Tarifrunde Einzelhandel, die sich durch die Blockade-Strategie der Unternehmer seit über einem Jahr hinzieht, haben sich etliche aktive Gruppen in den Belegschaften und Betriebsräte gebildet. Auch die Kampffähigkeit hat sich deutlich erhöht.

Auch im Kfz-Handwerk gibt es in einigen Regionen Masseneintritte in die IG Metall als Antwort auf die Kündigung aller Tarifverträge. Ver.di selbst konnte Ähnliches vor zwei Jahren in den Kommunen erleben.

Eine Steigerung der Kampfkraft und des Selbstbewußtseins - mit Ausstrahlung auf die gesamte Arbeiterklasse - hat der GDL-Streik gebracht. Die Lokführer haben vorgemacht, wie effektive Streiks organisiert werden, selbst wenn die GDL-Führung davor zurückschreckte, den Güterverkehr flächendeckend und nachhaltig zu bestreiken. Ein Streik im Öffentlichen Dienst hätte darauf aufbauen können, zum Zugpferd für alle laufenden Tarifkonflikte werden und die Kampfkraft der gesamten Klasse erneut stärken können.

Auch vergebene Chancen sind Niederlagen

Das Kapital verpasst keine Chance zum Angriff. Die Kapitalvertreter sind heftig erbost über die lächerliche Rentenerhöhung von 1,1 %, weil das ihrem „Reformkurs“ widerspricht. Mit Reformkurs bezeichnen die Kapitalisten den Generalangriff auf alle Errungenschaften, den sie seit Beginn der Agenda 2010 mit Unterstützung der Bundesregierung führen. Sie gehen zum Gegenangriff über, der derzeit in der Forderung nach einem Rentenalter von 68,5 Jahren gipfelt. Genauso nutzen sie jede Tarifrunde zu Gegenforderungen, z.B. Arbeitszeitverlängerung.

Sie haben eine Strategie, die sie in ihren Verbänden, der Regierung, den bürgerlichen Parteien und den Medien mit Energie durchsetzen.

Bsirske, wie auch andere Gewerkschaftsführer, machen dies grundsätzlich nicht. Jeder Fußballtrainer tut mehr dafür, den Spielern taktisches Verhalten in einzelnen Situationen beizubringen und Strategien zu erklären, um ein Spiel zu gewinnen.

Die politische Orientierung eines Huber erschöpft sich seit dem letzten Gewerkschaftstag darin zu erklären, dass zur Durchsetzung der Interessen der IG Metall Mehrheiten im Bundestag nötig seien und dass deshalb mit allen Parteien gesprochen werden müsse. Er stellt nicht die Frage, was wo mit welchen Mittel durchgesetzt werden kann. Auch nicht, was denn die Ziele der IG Metall sind und mit welchen Verbündeten sie umzusetzen wären.

Im Unterschied zu jedem Trainer will Huber ja auch keinen Kampf mit dem Gegner, weder mit dem Kapital noch mit der Regierung. Und wenn es zum Kampf kommt - will er nicht  gewinnen. Wozu also eine Strategie für einen Sieg? Was bei ihm als „Strategie“ daherkommt, ist gezielte Desorientierung.

Die Linken in Ver.di

Auf dem linken Flügel von ver.di findet eine andere, auf den ersten Blick eigentümliche Diskussion statt. Mittlere FunktionärInnen im ver.di-Apparat wie aus den Betrieben verteidigen mehr oder weniger linientreu den Tarifabschluss. Dazu gehören natürlich kritische Anmerkungen zu einzelnen Punkten. Intern kommt ihre Kritik aber deutlich härter. Aber, so ihre Schlussfolgerung, es wäre ja objektiv nicht mehr drin gewesen, da die Kommunen wirklich durch die neoliberale Politik ausgeblutet seien. Nötig sei hier eine andere Politik. Nicht schwer zu erraten: diejenige der Linkspartei.

Debatte

Wenn diese Debatte offen in ver.di geführt würde, hätte dies zumindest eine gewisse Politisierung der Gewerkschaft zur Folge. Den linken FunktionärInnen geht die Disziplin des Apparates aber erst mal über alles. Dann ergeben sie sich den politischen Illusionen, die sie selbst erzeugt haben: „Geld sei genug da“ und „Veränderung über die Parlamente“, dazu der Glaube an die „Neutralität des Staates“, der dazu benutzt werden könnte, „umzuverteilen“.

Plötzlich ergibt sich eine Ähnlichkeit der Linien: Sowohl Ver.di-Linke als auch Huber wollen nicht, dass Tarifkämpfe die politische Stabilität gefährden. Sie orientieren auf die Anerkennung der Machtverhältnisse und des parlamentarischen Systems. Sie beschränken die Debatte in der Gewerkschaft auf rein ökonomische Fragen, sie soll unpolitisch bleiben. Politik überlassen Huber und die Linken in ver.di anderen - entweder der SPD oder der LINKEN.

Anders als Huber werden die linken Ver.di-FührerInnen demnächst für die Perspektive der Umverteilung durch eine andere Steuerpolitik werben. Mit der Fahne der LINKEN statt der Ver.di-Fahne in der Hand. Vor allem werden sie um Wählerstimmen werben. Wenn die Arbeiterklasse aber wirklich gegen die ständige Umverteilung zu ihren Lasten vorgehen will, werden mehr Abgeordnete der LINKEN in den Parlamenten dafür nicht entscheidend sein.

Sie wird auch weiter überall dort, wo sie mit in der Regierung sitzt, in vielen Kommunen im Osten und im Berliner Senat, die unsoziale Sparpolitik umsetzen, Tarifverträge brechen, Entlassungen und Privatisierungen durchführen und Hartz IV-EmpfängerInnen zwangsräumen.

Die ehrlichen KommunalpolitikerInnen verweisen dann darauf, dass die ökonomischen Rahmenbedingungen eben so sind und man weiter für eine „andere“ Politik kämpfen müsse - v.a. bei der nächsten Bundestagswahl.

Das ist die reformistische Strategie, wie wir sie auch von Sozialdemokraten kennen. Bürgerliche Politik umsetzen - anfangs vielleicht mit Gewissensbissen, später mit Zynismus. Natürlich kommen die nötigen Mehrheiten nie, weil die WählerInnen enttäuscht sind und die Politik der Reformisten bestrafen, wie jüngst in Italien besonders drastisch.

Neben Enttäuschungen produziert diese Strategie das Bild eines unüberwindlichen Gegners, der mit neoliberalem Gift alle Hirne verseucht und der tun und lassen kann, was er will. Ja, letztlich sind die WählerInnen schuld, die sich manipulieren lassen.

Krise

MarxistInnen analysieren das Kräfteverhältnis anders. Natürlich drücken Wahlen Stimmungen aus. Aber sowenig wir auf die nächste Wahl warten, um das Kräfteverhältnis zu ändern, sowenig reicht uns auch dieses zur Analyse.

In der Tat dreht sich die Meinung gegen die Kapitalisten und ihre Regierung. Eine Mehrheit in der Bevölkerung steht gegen die Rentenpolitik, die Gesundheitsreform, die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Es gibt immer weniger Vertrauen in „den Markt“ und die Privatisierung, wie die Umfragen zur Bahn zeigen.

Das kann sich verstärken, denn die „freie Marktwirtschaft“ droht mit neuen Zumutungen. Die US-Hypotheken-Krise hat zu einer Kreditkrise für die Industrie geführt und gleichzeitig zu einer wilden Spekulation bei Rohstoffen und Lebensmitteln. Die Energiepreise explodieren und die Inflation erreicht Rekordhöhen.

Es geht also einerseits darum, die Arbeiterklasse zu befähigen, sich gegen die Angriffe zu wehren, die unweigerlich auf sie zukommen, die Stimmungen in allen ausgebeuteten Schichten gegen die Herrschenden zu stärken und Bewusstsein zu bilden. Dazu ist eine organisierte Kraft nötig, die einen Plan, ein Programm hat.

Andererseits sind dazu aktive Kämpfe der Klasse wichtige Schritte. Gerade aus diesem Blickwinkel besteht der große Verrat beim Tarifkampf des Öffentlichen Dienstes darin, einem großen und wichtigen Teil der Klasse verweigert zu haben, sich in Aktion und Streik zu üben, Klarheit über die eigene Stärke zu bekommen und politische Erfahrungen zu sammeln.

Es ist eine andere Perspektive nötig als jene, die sich auf 3 % mehr bei der nächsten Bundestagswahl beschränkt.

Aktive Opposition

Den kämpferischen, oppositionellen Kräften in den Gewerkschaften und Betrieben, auch der bundesweiten Gewerkschaftslinken kommt hier eine Schlüsselrolle zu. Gerade die Bindung vieler „Gewerkschaftlinker“ an den linken Flügel der Bürokratie und DIE LINKE hat mit dazu beigetragen, dass die Gewerkschaftslinke vor allem - schweigt. Das beste Beispiel dafür ist die „Ver.di-Linke“, die kein einziges bundesweites Flugblatt, keinen einzigen Aufruf zum Streik im Öffentlichen Dienst, ihrem ureigensten Aktionsfeld, herausbrachte! Sie hat auch keine Stellungnahme zum Ausgang der Streiks verfasst.

Die Gewerkschaftslinke muss bundesweit und lokal aus dieser Paralyse heraus! D.h. sie muss diskutieren, wie in den laufenden Tarifrunden mit praktischer Solidarität und mit Vorschlägen, wie der Kampf gewonnen und ein Ausverkauf durch die Bürokratie verhindert werden kann, auftreten!

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Nr. 129, Mai 2008
*  Erster Mai 2008: Gegen kapitalistische Krise, imperialistische Besatzung und Krieg!
*  Nach dem ver.di-Abschluss: Verhinderter Kampf
*  Post: Streik ist nötig!
*  KurdInnen in der BRD: Weg mit dem PKK-Verbot!
*  Bildung im Kapitalismus: Wa(h)re Bildung
*  Weltwirtschaft: Von der Immobilienblase zur Bankenkrise
*  Heile Welt
*  US-Wahlen: Das Obama-Phänomen
*  Frankreich: Die LCR und die neue antikapitalistische Partei
*  Frankreich, Mai 68: Alles war möglich