Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Tarifrunden 2007

Prozente reichen nicht

Helga Müller, Neue Internationale 119, April 2007

Gleich mehrere Branchen stehen im Frühjahr in Gehalts- und Lohntarifverhandlungen - angefangen bei der Metall- und Elektroindustrie über die chemische Industrie, Bauindustrie bis hin zur Druckindustrie, zum Einzelhandel und dem Buchhandel/-verlage.

Alle einen - bei allen Unterschieden - Gehalts- und Lohnforderungen, die zwischen 5,0 und 6,5 Prozent liegen. Ebenso geht die Argumentation der Verantwortlichen in den Gewerkschaften in eine ähnliche Richtung: die ArbeiterInnen sollen von der konjunkturell besseren Lage profitieren können, nachdem sie in den letzten Jahren - auch aufgrund der herrschenden Tarifpolitik (das gilt insbesondere für die kampfstarken Bereiche der IG-Metall) Reallohnverluste hinnehmen mussten und die Unternehmer gleichzeitig ihre größten Gewinne machten.

Zugleich argumentieren sie, dass diese Gehalts- und Lohnforderung auch dazu führen soll, dass damit die Binnennachfrage gesteigert wird, was dann zu mehr Stabilität des Wirtschaftswachstums führen und damit zur Sicherung von Arbeitsplätzen beitragen soll.

Allen voran argumentiert Jürgen Peters, Erster Vorsitzende der IG-Metall, dass die Metall- und Elektroindustrie “eine Erhöhung in der Größenordnung von 6,5 Prozent locker verkraften und finanzieren” kann. Errechnet wird diese Gehalts- und Lohnsteigerung von den wirtschaftspolitischen Experten der IG Metall aus dem „verteilungsneutralen Spielraum,“ der sich aus der Produktivität und der Preissteigerung zusammensetzt. Die IG Metall geht davon aus, dass 2007 die Produktivität um 1,8 Prozent und die Preise um 2,3 Prozent steigen, das macht zusammen 4,1 Prozent.

Die Metall-Unternehmen seien nach Angaben der IG Metall sogar in der Lage, ein höheres Plus zu bezahlen. Die Produktivität in der Metallindustrie wird 2007 um 4,5 Prozent steigen, die Erzeugerpreise voraussichtlich um 2,0 Prozent. Das macht zusammen 6,5 Prozent. (nach: Argumente zur Tarifrunde der IG Metall; Metallwirtschaft: Spielraum höher als Gesamtwirtschaft auf www.igmetall.de).

Und voilà: Da haben wir dann die Forderung der IG Metall - so einfach ist das. Jetzt geht es nur noch darum, an die Vernunft der Unternehmer und ihrer Verbände zu appellieren, doch auch einzusehen, dass diese Forderung gesamtwirtschaftlich nützlich und finanzierbar sei.

Aber schon seit Monaten laufen die Unternehmerverbände - allen voran der Metall-Arbeitgeberverband - gegen zu hohe Forderungen Sturm. VDMA-Präsident Dieter Brucklacher machte bereits im Februar Druck: “Die Lohnsteigerung 2007 muss in der Basis niedriger als beim letzten Mal ausfallen, sonst kostet es Arbeitsplätze.” (Handelsblatt, 6. Februar). Zur 6,5 Prozent-Forderung der IG Metall sagt Brucklacher am 14. Februar laut dpa, sie laufe “auf ein systematisches Programm zur Vernichtung von Arbeitsplätzen hinaus.”

Wie nutzlos die Appelle der Gewerkschaftsverantwortlichen an die Vernunft der Unternehmer und ihrer Verbände ist, zeigt sich prompt bei den ersten Verhandlungen. Der Unternehmerverband bot eine 2,5prozentige Erhöhung an, die tabellenwirksam ist und 0,5 % sollen als Einmalzahlung (also nicht tabellenwirksam) bezahlt werden. Nach dem Willen des Verbandes sei dies auch ein Modell für die Folgejahre.

Ein noch dreisteres Angebot legten die Druckunternehmer bei der ersten Verhandlungsrunde Ende März vor. Auch hier fordert die Gewerkschaft ver.di 6,5 Prozent Gehalts- und Lohnerhöhung: Mit Wirkung zum 1. April 2007 soll es eine Erhöhung um 1,8 Prozent und zum 1. April 2008 eine Erhöhung um weitere 2,0 Prozent geben. Bei guter Ertragslage erhalten die gewerblichen Arbeit“nehmer“ spätestens mit der Lohnabrechnung für Oktober 2007 bzw. Oktober 2008 eine Einmalzahlung (nicht tabellenwirksam!) in Höhe von jeweils 180 Euro. Andernfalls kann die Einmalzahlung ganz oder teilweise entfallen.

Diese Reaktionen zeigen, mit einem Appell an die wirtschaftliche Vernunft der Unternehmer wird in dieser Tarifrunde wieder für die KollegInnen nichts herauskommen. Die Unternehmer sind nach wie vor - trotz konjunkturell besserer Lage - fest entschlossen, weitere Einschnitte in die tariflichen Leistungen durchzusetzen, darüber sollte sich jeder verantwortliche Gewerkschafter im Klaren sein.

Auch der aktuelle Abschluss der IG BAU mit 3,5 Prozent Lohnzuwachs ist kein Anlass für Euphorie, wie sie deren Chef Wiesehügel (SPD) verbreitet. Im Gegenteil: Angesichts der letzten Belastungen (Mehrwertsteuer, Rentenreform usw.) sind sie kaum ein Ausgleich für die Verluste.

Notwendig ist ein entschlossener Kampf: Die KollegInnen müssen möglichst frühzeitig und koordiniert - am besten über die Branchen hinweg - zunächst in Warnstreiks geführt werden. Wenn die Unternehmer nicht nachgeben, muss als zweiter und entscheidender Schritt - die sofortige Urabstimmung zu unbefristeten Streiks - eingeleitet werden.

Klar ist aber auch, dass es diesen entschlossenen Kampf für die Durchsetzung der 6,5 Prozent ohne Wenn und Aber, von Seiten der Gewerkschaftsführung nicht geben wird. So appellierte IGM-Chef Peters bereits an die Arbeit“geber“, auf lange Tarifrituale wie im vergangenen Jahr zu verzichten.

Um den Kampf erfolgreich führen zu können, sind folgende Bedingungen notwendig:

Als erster Schritt müssen Tarifkonferenzen regional und überregional einberufen werden, auf denen gewerkschaftliche Vertrauensleute und andere aktive Gewerkschafter aus den Betrieben, über die Streik- und Verhandlungsstrategie diskutieren und diese bestimmen. Sie müssen einfordern, dass die Beschäftigten über jedes Angebot informiert sind, dass es keine Abschlüsse und keine „Aussetzung“ von Streiks geben darf ohne vorherige Diskussion und Beschlussfassung der Betroffenen.

Während des Kampfes müssen regelmäßige Streikversammlungen aller Streikenden lokal stattfinden, auf denen über die nächsten Kampfschritte diskutiert und entschieden wird.

In den Betrieben muss es gewählte Streikkomitees geben, die für die Durchführung der Kampfmaßnahmen verantwortlich sind.

Aus diesen Streikkomitees müssen lokale, regionale und bundesweite Streikkoordinierungen gewählt werden, die die Tarifkommission kontrollieren und die Kampfstrategie koordinieren.

Den Basisorganen und aktiven, kämpferischen Mitgliedern der IG Metall in den Betrieben, den gewerkschaftlichen Vertrauenskörpern, kommt hier eine große Verantwortung zu: Diese müssen lokal und regional auf diese Tarifkonferenzen und Streikkomitees innerhalb der Gewerkschaften drängen und wo möglich selbst diese Kampforgane initiieren.

Doch es geht beileibe nicht nur um Lohnprozente! Was nützen 6 Prozent mehr, wenn sie durch die nächste Reform der Regierung gleich wieder aufgefressen werden? Und: Was haben z.B. die Arbeitslosen davon?

Regierung und Kapital führen seit Jahren einen Generalsangriff auf die gesamte Klase durch, der fast alle Bereiche des Lebens betrifft. Das weiß eigentlich jeder - nur die Bürokratie in den Gewerkschaften und viele Betriebsratsspitzen glauben, sich wie eh und je auf Tarifrundenrituale beschränken zu können. Warum sie das tun?

Vor allem deshalb, weil sie recht gut wissen, was ein wirklicher Kampf dagegen erfordern würde: politische Massenstreiks! Diese würden naturgemäß weit über eine rein ökonomisch orientierte Tarifrunde hinausgehen, über das betrieblich-gewerkschaftliche Milieu hinausgehen, die Regierung direkt attackieren und damit auch die Frage der Macht im Staat offen aufwerfen. Kann sich jemand Peters, Bsirske oder Wiesehügel dabei als Spitzen der Bewegung vorstellen?!

Diese Leute sind nicht einmal bereit, die laufenden Tarifrunden mit einigen allgemeinen Fragen des Klassenkampfes wie z.B. der Rentenreform oder mit dem Kampf gegen Massenentlassungen wie z.B. bei Airbus zu verbinden.

Die gegenwärtigen Tarifrunden erfolgreich zu führen, bedeutet auch, auf diese Fragen und auf das Versagen der Spitzend des DGB hinzuweisen. Es bedeutet, die Tarifrunde dafür zu nutzen, die aktivsten und bewusstesten KollegInnen und Belegschaften dafür zu gewinnen, sich zu einer kämpferischen und überbetrieblichen Basisstruktur zusammenzuschließen: einer klassenkämpferischen Basisbewegung, um eine von der Abwartepolitik der Bürokraten unabhängige Kampfführung aufzubauen.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 119, April 2007
*  Imperialistische Kriegsdrohung: Hände weg vom Iran!
*  Heiligendamm: Gute Nacht G8!
*  Netzwerk Linke Opposition: What next?
*  Thesen zum Netzwerk Linke Opposition
*  Tarifrunden 2007: Prozente reichen nicht
*  Heile Welt
*  Tarifrunden 2007: Prozente reichen nicht
*  Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz: Ende der Diskriminierung?
*  Kinderbetreuung: Kitas und Reservearmee
*  Räte: Gegenmacht oder Kampforgane?
*  Rifondazione Comunista: Italienische Lehren
*  Wahlen in Frankreich: Kritische Unterstützung für Besancenot!