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Deutsche Eu-Präsidentschaft

Der Hindukusch ist nicht genug

Peter Lenz/Theo Tiger, Neue Internationale 116, Dezember 2006/Januar 2007

Seit dem „Nein“ Frankreichs und Hollands zur EU-Verfassung ist die Entwicklung des imperialistischen EU-Blocks ins Stocken geraten. Mit der Verfassung sollten die Ziele der Lissabon-Agenda - die EU als konkurrenzstärksten Binnenmarkt zu etablieren und eine gemeinsame imperialistische Militärpolitik umzusetzen - forcieren werden. Die Verfassung war ein wichtiges Etappenziel des EU-Kapitals, um einen europäischen „Superstaat“ mit Bürokratie und Armee zu schaffen. Nur auf dieser Grundlage können die Interessen der europäischen Bourgeoisie umgesetzt werden.

In der Planung der deutschen Regierung für ihre EU-Ratspräsidentschaft 2007 wird das Ziel klar benannt: „den Verfassungsprozess wieder zu beleben“ und Voraussetzungen für die Annahme speziell in Frankreich zu schaffen. Die deutsche Präsidentschaft will sich als „Motor“ beweisen, die Interessen des Kapitals in der EU-Verfassung durchsetzen. Dabei sind auch „abgespeckte“ Versionen der Verfassung im Gespräch, garniert mit einigen Formulierungen zur Sozialpolitik unter gleichzeitiger Weiterverfolgung der imperialen Hauptinteressen: Stärkung des europäischen Kapitals unter deutsch-französischer Vorherrschaft und Herausbildung eines europäischen militärisch-industriellen Komplexes.

Dabei hofft man auf die französischen Präsidentschaftswahlen. Eine „sozialistische“ Präsidentin Royal hätte die eigenen Reihen wohl geschlossen für ein „Ja“ zur Verfassung geführt; mit ihr ist die Zustimmung einfacher zu erlangen und ein erneutes Debakel wie 2003 soll so verhindert werden.

Deutschland wird versuchen, eine Verfassung durchzupeitschen. Vor allem soll auch das Mehrheitsprinzip innerhalb den EU-Strukturen durchgesetzt werden - die Blockademöglichkeit einzelner Länder, wie aktuell Polen bei den Verträgen mit Russland - behindert die Formierung der imperialistischen EU. Die „starken“ Länder müssen per Bevölkerungsmehrheit ihre Interessen durchsetzen, nur so ist die Konkurrenzfähigkeit gegenüber den USA in Sichtweite.

Imperialismus im Inneren …

Besonders die gemeinsame Außen -und Sicherheitspolitik ist im Fokus des europäischen Kapitals. Der Aufbau einer eigenen, von den USA unabhängigen Militärindustrie wird durch „gesamteuropäische“ Konzerne wie EADS u.a. voran getrieben, genau wie der Aufbau eigener Streitkräfte.

Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes konkretisierten diese Ziele bei einer Tagung im Mai 2006, wo auch über die Einsatzmöglichkeiten der EU-Armee diskutiert wurde. Als Beispiel für einen Einsatz im Inland wurde von deutscher Seite die Situation in Frankreich im Frühjahr 2006 genannt. Damals waren SchülerInnen, StudentInnen, ArbeiterInnen und große Teile der Mittelschichten gegen die Arbeitsrechtsreformen (CPE) auf den Strassen. Die militanten Kämpfe gegen dieses zentrale Projekt der französischen Regierung hatten das Potential, das bürgerliche System ins Wanken zu bringen.

Diese Situation war für die deutschen Diplomaten ein Paradebeispiel für den Einsatz europäischer Truppen im Inneren. Sobald in einem Staat der EU die allgemeinen Ziele des europäischen Großkapitals nicht durchgesetzt werden können, droht dem dortigen Widerstand also nicht nur der Einsatz der „einheimischen“ Streitkräfte, sondern auch der Einsatz von EU-Truppen.

Das Manöver "European Endeavour 2006" weist etliche Parallelen zu der Anfang November abgeschlossenen Kriegsübung "Schneller Adler" auf. Hier trainierten 2.500 Angehörige der Bundeswehr-Eliteeinheit "Division Spezielle Operationen" (DSO) die Niederschlagung von Aufstandsbewegungen ("irreguläre Kräfte") - in einem fiktiven mitteleuropäischen Staat. Die Aufgabe der Soldaten bestand darin, ein "konspirative(s) Führertreffen" und ein Ausbildungslager der Guerilla mit dem Ziel anzugreifen, die dort befindlichen Menschen entweder zu töten oder gefangen zu nehmen. Zur DSO zählen auch die für ihre Brutalität und die Bezugnahme auf NS-Traditionen berüchtigten Fallschirmjäger der "Saarlandbrigade" und das "Kommando Spezialkräfte" (KSK). Ihr Motto lautet: "Einsatzbereit - jederzeit - weltweit". Soldaten der DSO sind gegenwärtig in Afghanistan und im Kongo im Einsatz. EU-Länder, die bislang nicht an Militäraktionen teilnehmen wollten und sich eher an den USA orientiert hatten, sollen künftig stärker auf Linie gebracht werden.

Ökonomisch bedeutet die Formierung einer imperialistischen EU, die Vorherrschaft des deutschen und französischen Kapitals abzusichern. Ihre Richtlinien, ihr Marktzugang, ihre Investitions- und Profitmöglichkeiten sind das Primat der europäischen Wirtschaftspolitik. Dafür sollen speziell die osteuropäischen Beitrittsländer auf Trab gebracht werden. Was bislang noch nicht privatisiert werden durfte, wird jetzt privatisiert. Das betrifft v.a. auch das Finanzwesen.

… und nach außen

Besonders dem deutschen Verteidigungsminister Jung (CDU) ist es zu verdanken, dass wir heute immer mehr militärische Aktionsfelder der EU bestaunen können. Sei es die aufgezwungene Wahlkontrolle im Kongo, sei es die EU-Intervention gegen die Souveränität des Libanon. Speziell Minister Jung hat die vormalige deutsche Zurückhaltung bei Militäreinsätzen beendet. Nun wird über einen Einsatz deutscher Soldaten im Sudan diskutiert. Auch der angedachte schrittweise Rückzug aus Bosnien ist keine pazifistische Geste, sondern soll v.a. Truppen für den Einsatz in strategisch wichtigeren Regionen freimachen.

In den Positionspapieren erscheint besonders der Mittelmeerraum als Ziel des europäischen Imperialismus, das bedeutet mehr Einfluss der EU im Nahen und Mittleren Osten und Kontrolle über Afrika. Gerade in Afrika findet aktuell ein Wettlauf zwischen USA und EU um Ressourcen und deren Verwertungsmöglichkeiten statt. Jedes Öl- und Gasfeld, alle Ressourcen von Uran, Kupfer bis zum Holz werden neu aufgeteilt.

Die Sicherung einer europäischer Vorherrschaft in diesen Gebieten lässt sich nicht länger nur durch Bestechung und Stellvertreterkriege bewerkstelligen; als Konkurrent der USA muss die EU auch militärisch ihre Interessen unabhängig vom atlantischen Bruder durchsetzen können. Neben dem Aufbau europäischer Präventivstreitkräfte gehört dazu auch die Integration der französischen Atomwaffen in die EU-Armee.

Im „Weißbuch“ der Bundeswehr finden wir konkretere Beschreibungen dieser militärischen Einsätze. Als Exportnation (das gilt auch für Europa) müssen die Seewege zur EU geschützt werden, die Möglichkeiten der europäischen Konzerne im Ausland abgesichert werden und „Terroristen“ bekämpft werden. So bekommt der „Mittelmeerraum“ eine etwas andere Bedeutung - schließlich müssen auch die angrenzenden Gebiete gesichert werden: Atlantik, Rotes Meer, Indischer und Pazifischer Ozean. Dies verweist auf die globale Ausrichtung des werdenden EU- Imperialismus als globalem Gegenspieler der USA.

Auswirkungen

Die militärische Offensive des EU-Imperialismus stellt die Arbeiterklasse vor neue Herausforderungen. Schon die Analysen von Marx und Engels zur Pariser Kommune zeigten, dass sich das ganze reaktionäre Pack Europas über nationale Widersprüche hinaus gegen das revolutionäre Proletariat zusammenrottet. Die vereinte Reaktion gegen die siegreiche Revolution in Russland ließen die Revolutionäre um Lenin und Trotzki zum Schluss kommen, dass eine siegreiche Revolution nur international und nur durch eine revolutionäre Internationale errungen, verteidigt und zum Kommunismus weiterentwickelt werden kann.

Neu im heutigen Europa ist der offizielle Charakter eines gesamteuropäischen Staatsgebildes, sozusagen ein konzentrischer Ring von nationalem und übernationalem Staatsapparat.

Darauf muss sich jede Bewegung einstellen, die gegen die imperialistische Politik der EU ernsthaft kämpfen will. Wird z.B. ein Kampf wie der von Automobil-ArbeiterInnen im europäischem Maßstab auch mit einem Generalstreik, mit Betriebsbesetzungen und militanter Selbstverteidigung verschärft oder drohen Kämpfe, der Kontrolle des Reformismus zu entgleiten, dann wird das sehr schnell von einer theoretisch-programmatischen zu einer äußerst praktischen Frage für die Arbeiterbewegung.

Während die internationale Bourgeoisie diese Fragestellungen schon längst in ein politisches Programm, in konkrete Maßnahmen umgesetzt hat, hinken die (links)reformistischen Führungen dem hinterher. Die Führungen von SPD, PDS oder auch der WASG stellen nicht einmal die richtigen Fragen, ganz zu schweigen davon, dass sie Antworten darauf haben. Auch von den zentristischen Gruppierungen ist kaum Besseres zu hören und zu lesen. Ihre sozialreformerischen Konzepte haben die Gefahr, dass das Kapital zum Mittel militärischer Gewalt greift, einfach nicht auf dem Zettel und vertrauen nahezu blind den vermeintlichen „friedlichen“ Qualitäten der „Zivilgesellschaft.“

Genau deshalb ist es die Pflicht von MarxistInnen, beim Aufbau einer neuen Arbeiterpartei und umso mehr beim Aufbau einer neuen Internationale genau diese Fragen der Aggressivität des Imperialismus und der Selbstverteidigung der Arbeiterklasse aufzuwerfen und um programmatische Antworten zu ringen. Das ist kein Sektierertum, sondern notwendig, um die Arbeiterbewegung vor neuen Niederlagen zu bewahren.

Vor Anarchismus oder individuellem Terrorismus haben die Kapitalisten keine Angst, damit werden sie fertig. Aber vor einer entschlossenen, international koordinierten und organisierten Klasse sehr wohl; vor allem, weil sie ihnen die Lebensadern abklemmen kann - durch Unterbrechung und Störung der international verzahnten Produktion, durch Stilllegung der Handels- und Kommunikationswege.

An diesen Anforderungen müssen sich auch Organisationen, die vorgeben, für „Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ einzutreten, messen lassen - auch jede Form von Standortpatriotismus in den Gewerkschaften und den reformistischen Parteien muss überwunden werden. Mit alten keynesianischen Erklärungen und Hoffnungen kann die Arbeiterbewegung dem globalisierten Kapital nicht entgegentreten. Der erfolgreiche Kampf der HafenarbeiterInnen gegen „Port Package“ oder auch die Solidarität der deutschen VW-Beschäftigten mit ihren Brüsseler Kollegen sind Beispiele, wie ein koordinierter Kampf der ArbeiterInnen in Europa aussehen kann. Gemeinsame europaweite Aktionen der Arbeiterbewegung bis hin zum europaweiten Generalstreik müssen die Antwort auf den sich formierenden EU-Imperialismus sein!

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Nr. 116, Dez. 2006/Jan. 2007

*  2007: Neue Jahr - neue Kämpfe
*  Rente mit 67: Massenstreiks gegen Renten-Demontage!
*  Stuttgart: Erfolgreiche Aktionen gegen Rentenreform
*  WASG-Parteitag: Point of no return
*  Perspektive: Netzwerk Linke Opposition aufbauen!
*  Deutsche EU-Präsidentschaft: Der Hindukusch ist nicht genug
*  Anti-G8-Mobilisierung: Klüngelei oder Kampf?
*  Landwirtschaft: Grüne Gentechnik - kapitaler Blindflug
*  Heile Welt
*  Erfolg der niederländischen SP: Rote Tomaten wachsen
*  USA nach den Wahlen: Bushs letzte Tage?