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WASG Berlin

Spreu und Weizen

Gerald Waidhofer, Neue Internationale 110, Mai 2006

Der 5. Landesparteitag der Berliner WASG war vor allem zur Diskussion des Programms zur Abgeordnetenhauswahl im September 2006 geplant.

Indem nach vergeblichen Einigungsversuchen der WASG mit der Linkspartei.PDS bereits mehrmals in verschiedenen Abstimmungen ein eigenständiger Wahlantritt beschlossen wurde, nahm der in der Rixdorfer Initiative organisierte PDS-freundliche WASG-Flügel erneut die Gelegenheit wahr, um einen Vorstoß gegen die Eigenständigkeit zu unternehmen.

Vorstoß der Initiative Rixdorf

Als Anlass dazu diente ein Anfang April veröffentlichtes Papier mit dem Titel „Inhaltliche Positionen für einen gemeinsamen Wahlkampf von Linkspartei.PDS und WASG in Berlin.“ Dieses Papier wurde als neue Qualität und tragfähige Grundlage für einen gemeinsamen Wahlantritt präsentiert. Um eine „unbelastete“ politische Diskussion führen zu können, sollten die Wahlbeteiligungsanzeigen zurückgezogen werden.

Verfasst und gezeichnet wurde das Papier von einigen Prominenten aus Linkspartei.PDS, WASG und VertreterInnen der Rixdorfer Initiative wie Ulrich Maurer (WASG, PDS und MdB) Bodo Ramelow (PDS-Vorstand und MdB), Carsten Schatz und Halina Wawzyniak (beide PDS-Vorstand Berlin), Werner Halbauer (Initiative Rixdorfer Kreis und Linksruck), Klaus-Dieter Heiser (Rixdorfer) und Joachim Kreimer de Freis (Lipa-Net). Auf dem PDS-Parteitag in Berlin ließ Landeschef Lederer das Papier per Akklamation bestätigten, ohne dass es die Delegierten zuvor zu Gesicht bekommen hätten.

Wichtiger als das Verfahren, mit dem das Papier zustande kam, sind jedoch Inhalt und Zweck der Übung.

Statt einer Änderung der PDS-Politik im Senat, gibt es nur Ausreden. Statt klarer Aussagen wie z.B. die sofortige Rückkehr zum alten Tarifvertrag im Öffentlichen Dienst wird die „mittelfristig Ankoppelung des Berliner Anwendungs-Tarifvertrages an die bundesweiten Flächentarifverträge des Öffentlichen Dienstes“ in Aussicht gestellt.

Kein Wunder, denn die PDS sieht den Zweck der ganzen Übung nur darin, ihre Bereitschaft zur „sozialen Politik“ zu signalisieren und derweil die Koalition mit der SPD und die neoliberale Senatspolitik fortzusetzen. Vom Standpunkt der PDS-Sitze und ihrer Senatoren ist das auch verständlich, preisen sie doch die Kürzungsorgie des Landes als „erfolgreich“ und „sozial“ an.

Für die Parlamentsfraktion der Linkspartei und die WASG-Spitze ist die Fortsetzung der Senatspolitik kein zentrales Ziel, ja die Lafontaines, Maurers usw. sehen wohl die offen neoliberale Politik der PDS in der Hauptstadt oder die Zustimmung der Dresdener PDS-Abgeordneten zur Privatisierung der dortigen Wohnbaugesellschaft mit Sorge. Für sie unterminiert das die Glaubwürdigkeit einer neuen Partei, die sich künftig als Partner von SPD und Grünen für einen „wirklichen Politikwechsel“ im Bund fit machen soll.

Allzu große opportunistische Böcke gefährden eine solche Politik. Zugleich können und wollen sie aber auch jede Positionierung, die WASG, PDS oder einer zukünftigen gemeinsamen linken Partei Hindernisse für den Eintritt in eine Regierung in den Weg legt, verhindern.

Daher ist es für sie auch untragbar, dass in Berlin ein Exempel statuiert wird - sprich, dass ein Landesverband der WASG wegen einer solchen „Kleinigkeit“ wie der Politik des Berliner Senats ausschert.

Die oberschlauen „Linken“ vom Rixdorfer Kreis (insbesondere Linksruck) wiederum glauben allen Ernstes, dass ein Zurückweichen vor der PDS in Berlin und der Verzicht auf die Forderung nach Beendigung der Regierungspolitik die Linken in der PDS stärken würde. Mit dieser Taktik hat sich schon die Kommunistische Plattform zu Tode angepasst. Vor allem aber fragt man sich, wie eine Partei für jene Lohnabhängigen attraktiv werden soll, die im Abwehrkampf gegen die Senatspolitik aktiv sind (z.B. in der Charité in Berlin)?!

Damit das Papier „Inhaltliche Positionen für einen gemeinsamen Wahlkampf“ die Interessen von PDS-Berlin, Parlamentsfraktion, WASG-Vorstand und Ini Rixdorf bedienen kann, muss es natürlich vage und unverbindlich sein.

Politisch sollen damit ein Linksschwenk der PDS-Berlin und eine neue Offenheit vorgetäuscht werden und Landesverband und -parteitag der WASG Berlin unter Druck gesetzt werden, um dann den Bundesvorstand der WASG über den Bundesparteitag zu ermächtigen, die Fusion mit der PDS ohne weitere wirkliche Debatte über ihren Inhalt von oben durchzuziehen.

Dazu dienten davor schon die pseudo-demokratische Urabstimmung in der WASG und die gleichzeitige Weigerung des Vorstandes, die Parteitagsdelegierten neu zu wählen.

Nach diesem vorläufig letzten Show down verließ die Initiative Rixdorf mehrheitlich den Landesparteitag der WASG Berlin. Anschließend wurde über die Medien lanciert, dass ihr Sprecher Heiser das als eine Spaltung verstehe. In jedem Fall will man damit weiter die Legitimität des Landesparteitags unterminieren und es ist klar, dass ein Teil für die PDS in den Wahlkampf ziehen wird.

Kritische Unterstützung der WASG-Berlin

Unserer Auffassung nach ist der eigenständige Antritt der WASG-Berlin vollkommen gerechtfertig und wird von uns kritisch unterstützt.

Er ist gerechtfertigt, weil er wirklich Ausdruck einer Opposition nicht nur gegen die Politik der Bundesregierung und die Angriffe des Kapitals, sondern auch deren Verlängerung durch den Senat und damit auch durch die PDS ist.

Es ist kein Zufall, dass in der WASG Berlin viele Aktive Erwerbslose, BetriebsrätInnen oder Vertrauensleute sind - also Menschen, die ganz direkt von den Angriffen betroffen sind und oft auch in der vordersten Linie derer stehen, die Gegenwehr aufbauen.

Die Erfahrung der letzten Monate zeigt außerdem, dass der eigenständige Antritt der WASG Berlin auch zur (wenigstens verbalen) Polarisierung in der PDS führt (bzw. führen kann); ein Ausdruck davon ist die „anti-kapitalistische Plattform“.

Aber unsere Unterstützung ist auch eine kritische. Das auf dem Parteitag beschlossene Programm zur Berliner Abgeordnetenhauswahl ist keineswegs ausgesprochen weit links. Es wirkt vielmehr wie eine etwas holprige Aneinanderreihung von politischen Rezepturen, die nach dem Trend von SPD und PDS nach rechts „übrig“ geblieben sind.

Positiv am Programm wie auch an der Auswahl der KandidatInnen zum Abgeordnetenhaus ist sicherlich das Bekenntnis zur Solidarität mit laufenden Abwehrkämpfen in Berlin. Es ist auch zu begrüßen, dass z.B. VertreterInnen der Streikenden bei der Charité oder der Berliner Mietervereinigung für eine Kandidatur gewonnen werden konnten.

Auch viele Einzelforderungen - z.B. nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, nach Streichung der Hartz-Gesetze, nach Einführung des Sozialtickets, die Ablehnung weiterer Privatisierungen und die Forderung nach Enteignung von Betrieben, die mit Schließung oder Entlassungen drohen oder nach Schließung des Abschiebknastes in Grünau - sind unterstützenswert.

Aber trotz allem Bekenntnis zur sozialen Bewegung und zu den Kämpfen der Lohnabhängigen, bleibt die strategische Orientierung, im Rahmen der bestehenden kapitalistischen Verhältnisse Berlin und die BRD sozialer zu gestalten. Das verlangt freilich nach einem gestärkten - bürgerlichen - Staat. Die Konsequenzen einer solchen Ausrichtung treten gerade dann zutage, wenn die Berliner WASG beschließt, in Berlin, der Stadt mit der bundesweit größten Polizeidichte, sich für einen zusätzliche Neueinstellungen für die Polizei einzusetzen.

Um solche staatstragenden und reaktionären Passagen gegen linke Kritik möglichst gut abzusichern, wurde ausgerechnet der Sprecher der Antifaschischen Linken Berlin mit der Motivation dieser Passage betraut. Auch er habe zwar „Bauchschmerzen“ wegen des schlecht verdaulichen Programms, aber er stehe zum „Kompromiss“, weil zugleich auch andere langjährige Forderungen der Berliner Linken - Kennzeichnungspflicht, Verbot des Schlagstocks Tofa - mit aufgenommen wurden.

Das Problem dabei ist, dass so einer durch und durch opportunistische Haltung gegenüber dem bürgerlichen Staat das Wort geredet wird, wenn z.B. die Neueinstellung von Bullen als Beitrag zur „Daseinsvorsorge“ bezeichnet wird.

Abwege

Anders als im Wahlprogramm der WASG Berlin dargestellt, sind „unverhältnismäßige“ Polizeieinsätze eben nicht „Auswüchse“ eines ansonsten guten Systems, sondern nur der extremste Ausdruck der realen Repressionsfunktion des Staatsapparates gegenüber jedem Protest - seien es Stadtbesuche diverser Kriegstreiber wie Bush und Blair, seines es streikende ArbeiterInnen, Arbeitslose, die sich gegen Zwangsräumungen wehren oder Jugendliche und Linke, die am Revolutionären Ersten Mai durch Kreuzberg demonstrieren wollen.

Auch die SAV stimmte diesen Passagen zu. Sie hält sich zwar wacker gegen die Angriffe seitens des Bundesvorstands, aber ihre Politik bewegt sich auch in reformistischer Richtung, wenn auch in einer linkeren Spur.

Die Erstellung und Verabschiedung des Programms war auch für sich genommen bereits ein Lehrstück für sich. „ExpertInnen“ begannen, einzelne Kapitel zu verfassen und zu diskutieren. Zeitweise wurden auch weitere „ausgewählte“ Mitglieder in die Gespräche einbezogen. Das vorläufige Endergebnis dieses Verfahrens wurde dann Ende März 2006 präsentiert und der 5. Landesparteitag sollte darüber beschließen, ob es als Diskussionsgrundlage angenommen wird.

Plötzlich wurde dann kurz vor dem Parteitag klar gemacht, dass das Programm als solches schon verabschiedet werden soll. Einigen gelangen auch noch einige wenige Abänderungsanträge, aber andere Mitglieder, die in bezirklichen Strukturen gerade erst mit einer Diskussion dazu begonnen hatten, blieben mit ihren Änderungswünschen zwangsläufig völlig unberücksichtigt.

Als Begründung war vor allem zu hören, dass die unmittelbar danach zu wählenden KandidatInnen für die Landesliste eine programmatische Grundlage brauchen und dass ein weiterer Programmparteitag einfach zu teuer sei. Der Kritik an diesem Verfahren wurde entgegengehalten, sie solle doch die viele Arbeit der ExpertInnen würdigen, bzw., soll sich damit trösten, dass ein praktischer Schritt ohnehin mehr Wert ist, als ein programmatischer Fortschritt.

Nur die GenossInnen von Arbeitermacht sprachen sich offen gegen das reformistische Programm aus. Insgesamt stimmten 10 von 80 gegen den Entwurf. Mitglieder der SAV fanden den Text zwar auch „schlecht“ und hätten sich eine antikapitalistische Stoßrichtung gewünscht - aber er wäre immerhin ein Schritt in die „richtige Richtung“.

Falsch gedacht! Das Programm der WASG Berlin weist in die verkehrte Richtung.

Zurecht wird von AktivistInnen immer wieder betont, dass im Mittelpunkt des Wahlkampfes die Verbindung mit den sozialen und politischen Kämpfen und Abwehraktionen in der Stadt und darüber hinaus stehen müsse; dass die WASG Berlin als eine Pressure Group für eine neue, zukünftige größere Partei, die die Interessen der ArbeiterInnen vertritt, eine vorwärts treibende Perspektive einbringen müsse.

Genau das ist das Programm jedoch nicht. Es stellt nicht die Verbindung der Kämpfe (oder der Ansätze von Kämpfen) in den Mittelpunkt, sondern einen Wust parlamentarischer Maßnahmen und Flickschusterei.

Wenn die Berliner WASG jedoch eine Chance haben will, eine wichtige Rolle bei der Formierung einer bundesweiten politischen Alternative zur reformistischen Politik der Vorstände der WASG und der PDS zu spielen, muss der Wahlkampf genutzt werden, um zu zeigen, was es heißt, in einem Wahlkampf für Widerstand zu agitieren und diesen auch voranzutreiben.

Ansätze dazu sind vorhanden:

die Unterstützung der Kämpfe bei der Charité, bei CNH oder bei anderen von Schleißung oder Kürzungen bedrohten Betrieben;

der Kampf gegen die Privatisierungen durch den Senat, z.B. den Verkauf weiterer Wohnungen;

der Kampf gegen die rassistische, anti-islamische Hetze an den Schulen und in der Öffentlichkeit, gegen rassistische Übergriffe durch Polizei und Rechte sowie die Verbindung dieser Kämpfe mit denen gegen die soziale Verelendung, um finanzielle Ausstattung der Schulen, Sicherung von Ausbildungsplätzen zu tariflichen Bedingungen, freien Zugang zu den Unis und ein Programm gesellschaftlich nützlicher, öffentlicher Arbeiten, bezahlt nach Tariflohn und unter Kontrolle der Beschäftigten und NutzerInnen der Öffentlichen Einrichtungen.

der Kampf gegen die Hartz-Gesetze, gegen Zwangsräumungen usw.

Um die Bewegung gegen die Angriffe in diesen und anderen Bereichen voranzubringen, müsste die WASG für Soli-Komitees, für Mieterkomitees usw. eintreten, für den Aufbau einer Gewerkschaftsopposition und für die landesweite Koordinierung und Verbindung dieser Kämpfe (z.B. durch die Organisierung einer Konferenz von Vertrauensleuten und aktiven GewerkschafterInnen und Beschäftigten).

Das würde eine solche Kandidatur, eine solche Partei als Partei des Kampfes sichtbar machen - als eine Partei, die eine Perspektive weist. Damit hätte sie eine bessere Chance, ihre Vorstellung einer neuen Partei in die bundesweite Auseinandersetzung zu bringen, weil es,  unabhängig vom eigentlichen Wahlergebnis, ein wirklicher Schritt vorwärts wäre.

Das würde aber bedeuten, dass die WASG Berlin in ihrem Programm, in ihrer Politik die Ursache der Misere nennen müsste - den Kapitalismus - und den Kampf gegen die aktuellen Angriffe mit dem Kampf gegen dieses Gesellschaftssystem und für eine sozialistische Gesellschaftsordnung verbinden müsste.

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Nr. 110, Mai 2006

*  Weltlage: Krise und Klassenkampf
*  Streik im Öffentlichen Dienst: Eine weitere Teilniederlage
*  WASG Berlin: Spreu und Weizen
*  Parteitage WASG/PDS: Neue Arbeiterpartei statt Top Down Projekt
*  Heile Welt
*  Iran: Vor einem neuen Krieg?
*  Kongo und der deutsche Imperialismus: Ein Platz an der Sonne?
*  20 Jahre Tschernobyl: Globaler Störfall
*  70 Jahre Revolution in Spanien, Teil II: Volksfront gegen die Revolution
*  Frankreich: Da war mehr drin!
*  Italien: Prodi hat gesiegt - fürs Kapital