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Programmatische Eckpunkte von WASG/Linkspartei

Ein reformistischer Wunschkatalog

Martin Suchanek, Neue Internationale 109, April 2006

Während sich in der WASG an der Regierungsfrage Widerspruch zur „Top down“-Vereinigung mit der PDS formiert, versuchen die Vorstände von WASG und PDS, Tatsachen zu schaffen.

Einerseits auf politischer Ebene in der WASG durch ein Plebiszit - die Urabstimmung über den Vereinigungsprozess. Andererseits über programmatische Festlegungen im engsten Kreis von Vorständen, Parlamentsfraktion, Steuerungsgruppe und Programmkommission.

Im Februar 2006 hat eine Gruppe von sieben VertreterInnen der Linkspartei und fünf der WASG „programmatische Eckepunkte“ als Diskussionsgrundlage vorgelegt.

Wer solche Diskussionen in den bürokratischen Mühlen von PDS und WASG kennt, weiß, dass solche „Grundlagen“ der Vorstände und der über allen thronenden Parlamentsfraktion die strategische Richtung vorgeben, von der unter keinen Umständen mehr abgewichen werden soll.

Wenig Neues

Inhaltlich-programmatisch bringen die Eckpunkte wenig Neues gegenüber dem Gründungsprogramm der WASG und auch dem Programm der PDS.

Kein Wunder, sitzen doch auch die Vordenker beider Parteien wie Brie und andere Ideologen aus der Luxemburg-Stiftung für die PDS, Bischoff, Trost (Sozialismus) oder Krämer (Ver.di-Grundsatzabteilung) für die WASG mit im Boot. Auch Linksruck hat mit Janine Wissler (WASG) ein Stimmchen, das der trauten reformerischen Einheit keinen Abbruch tut.

Ziel der Partei sei - wie schon bei PDS und WASG - eine „solidarische, gerechte Gesellschaft,“ worunter „viele von uns (...) demokratischen Sozialismus“ verstehen. Auf solche Ziele könnte sich sogar die Programmkommission der SPD „verständigen“ - zumal „Sozialismus“ nirgendwo als Gesellschaftsformation verstanden wird, die nur durch eine soziale Revolution, durch den Sturz der Herrschaft der Kapitalistenklasse erreicht werden kann.

Um dieses bewusst vage Ziel erreichen zu können, schlagen die Eckpunkte „Grundorientierungen“ für ein gemeinsames Handeln vor:

 - „Unterordnung der Wirtschaft unter soziale und ökologische Zielsetzungen  einer gerechten Politik, die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit und auf die Demokratisierung der Eigentumsverhältnisse;

- auf die Demokratisierung der Gesellschaft, die allen hier lebenden Menschen gleiche  Teilhabemöglichkeiten garantiert. Dazu gehört der Kampf gegen jede Form gesellschaftlicher Unterdrückung, gegen patriarchale und kapitalistische Machtstrukturen,  gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus;

-  auf die Erneuerung und den Ausbau öffentlicher Dienstleistungen und solidarischer  Sicherungssysteme und

-  auf die Schaffung einer internationalen Ordnung des Friedens, der kollektiven Sicherheit und einer solidarischen Entwicklung, für die die Europäische Union ein Vorbild werden soll.“

Bevor wir auf einige dieser Punkte eingehen, wollen wir kurz die von der Programmgruppe ausgemachten Ursachen für die gegenwärtige Misere betrachten.

Ursachen?

„Zunehmende Unsicherheit, Ungleichheit  und Aggressivität sind wesentliche Merkmale der neoliberalen Entwicklung des Kapitalismus geworden. Diese Verhältnisse sind veränderbar. Sie sind das Ergebnis kapitalistischer Krisenprozesse, wirtschaftlicher und politischer Herrschaftsstrategien des großen Kapitals  und der Politik der es stützenden Regierungen. Es sind Herausforderungen entstanden, die  neue Antworten verlangen.“

Und weiter:

„Der Neoliberalismus führt die Wachstumsschwäche und die Notwendigkeit einer einseitigen Verteilung auf die langjährige Einschränkung der privaten Eigentumsrechte und der Marktkräfte durch Staat und Gewerkschaften zurück. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der wohlfahrtsstaatliche Kompromiss ist von den ökonomisch und politisch Herrschenden aufgekündigt worden. (...)

Mit unseren Vorstellungen für eine grundsätzlich andere Entwicklungsrichtung der Gesellschaft wollen wir dazu beitragen, dass diese Bewegung die Vorherrschaft des  Neoliberalismus überwindet und eine Transformation einleitet, die zu einer sozial gerechten und demokratischen Gesellschaft führt.“

Der „neoliberale Kapitalismus“ wird hier nicht als notwendige Ausprägung des globalen Kapitalismus in einer Periode verschärfter Konkurrenz und Krise begriffen, in der die herrschenden Klassen und ihr Staat zu immer schärferen Angriffen gezwungen werden.

Vielmehr wird hier wie im ganzen Text unterstellt, dass eine grundsätzlich andere Politik, eine „Transformation zu einer sozial gerechten und demokratischen Gesellschaft“ auf Grundlage der bestehenden kapitalistischen Produktionsweise und mithilfe der bestehenden Institution, insbesondere des bürgerlichen Staates, möglich wäre.

Beispiel Sozialstaat

Das wird auch daran deutlich, dass der „Sozialstaat“ nicht als eine bestimmte, geschichtliche Ausprägung des imperialistischen Staates begriffen wird, sondern als eine „zivilisatorische Errungenschaft.“

Dabei wird nicht nur verkannt, dass der „Sozialstaat“ immer der Staat des Kapitals war. Dessen Grundlage war eine dynamische Erweiterung des Kapitalstocks im „langen Boom“ und die imperialistische Beherrschung der „Dritten Welt“.

Durch die massive Steigerung des relativen Mehrwerts und durch Extraprofite aus der „Dritten Welt“ konnten so relativ privilegierte Sektoren der Arbeiterklasse integriert werden. D.h. die Leistungen des Sozialstaates flossen erstens natürlich aus massiver Ausbeutung. Zweitens waren sie keineswegs so „universell“, wie seine heutigen Schönredner behaupten, sondern notwendigerweise auf bestimmte Teile der Lohnabhängigen in den imperialistischen Zentren beschränkt.

Staat und Ökonomie

Am Sozialstaat wie an der Transformationsvorstellung der „Eckpunkte“ zeigt sich jedoch auch folgendes: Der Staatsapparat wird nicht als militärisch-bürokratisches Herrschaftsinstrument der Kapitalistenklasse begriffen, die bürgerliche Demokratie selbstredend auch nicht als Herrschaftsform, als verhüllte Form der Diktatur des Bürgertums - sondern als ein über den Klassen stehendes Instrument, das nur „richtig“ in Besitz genommen werden müsste.

„Die Grundrichtungen der wirtschaftlichen Entwicklung dürfen nicht dem Markt überlassen werden, sondern  es ist notwendig, sie demokratisch zu steuern. Wir wollen eine Erneuerung der Demokratie,  die es ermöglicht, die Verfügung über sämtliche Formen des Eigentums sozialen Kriterien zu unterwerfen.“

Das Problem an dieser wahrlich nicht neuen Zielsetzung liegt darin, dass es unterstellt, dass Staat und Demokratie nicht auf Basis bestimmter Eigentumsverhältnisse und Klassenverhältnisse existieren. Es wird negiert, dass Staat und Demokratie letztlich nur deren Erscheinungsformen und „Auswüchse“ reproduzieren.

Es wird vielmehr unterstellt, dass dieselben Herrschaftsinstrumente, die die imperialistische Bourgeoisie über Jahrzehnte entwickelt hat, durch gesellschaftlichen Druck einer anti-neoliberalen Mehrheit zu Instrumenten der Reformierung des Kapitalismus werden könnten.

Diese naive Hoffnung zeigt sich natürlich umso stärker, je „neuer“ das Staatsgebilde, um das es geht. So soll ausgerechnet die EU zur „Schaffung einer internationalen Ordnung des Friedens, der kollektiven Sicherheit und einer solidarischen Entwicklung“ taugen.

Bei solchen Phrasen landet man jedoch unwillkürlich, wenn die EU nicht als das, was sie ist, betrachtet wird: als ein imperialistisches Projekt zur Formierung eines Blocks unter deutsch-französischer Führung, der den USA die Vorherrschaft auf dem Globus streitig machen soll.

Statt sich klar gegen dieses Projekt und gegen den deutschen Imperialismus und Kapitalismus zu stellen, konzentrieren sich die „Eckpunkte“ darauf, eine endlose Reihe „alternativer“ Ziele, im Grunde eine endlose Reihe von Wunschvorstellungen zu formulieren.

Nachdem nun die Autoren die herrschenden Verhältnisse trotz mancher Lippenbekenntnisse nicht auf die einzig mögliche Weise - nämlich durch die sozialistische Revolution, die Machtergreifung der Arbeiterklasse und die Internationalisierung diese Umwälzung - ändern wollen, müssen sie mit utopischen, illusorischen Phrasen enden.

Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie nicht einmal die Enteignung der großen Kapitale fordern, was selbst in den Programmen der Nachkriegs-SPD oder der IG Metall steht.

Weder von theoretischen Erkenntnissen noch von aktuellen Entwicklungen wie Massenentlassungen, Schließungen oder Privatisierungen lassen sich hart gesottene Reformisten an dieser Stelle irritieren. Munter wird von der „Erneuerung der Demokratie“ geschrieben, „die es ermöglicht, die Verfügung über sämtliche Formen des Eigentums sozialen Kriterien zu  unterwerfen.“

Dass sich die deutsche Kapitalistenklasse oder irgendeine andere ihre Herrschaft durch eine „Erneuerung der Demokratie“ einschränken und „wegtransformieren“ ließe, glauben in Wirklichkeit nicht einmal die Autoren der „Eckpunkte“.

Ihr Problem besteht aber darin, dass sie an die Möglichkeit, die herrschende Klasse zu enteignen und ihre Klassenherrschaft zu beseitigen, noch viel weniger glauben, ja dass sie jede Zuspitzung der Verhältnisse, die eine solche Frage auf die Tagesordnung stellt, vermeiden wollen.

Daher werden auch alle Forderungen so formuliert, dass sie mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln vereinbar sind und deshalb auch den Mittelschichten sowie Teilen der Kapitalistenklasse als annehmbar oder vernünftig erscheinen können.

So wird der „öffentlich geförderte Beschäftigungssektor“ als zentrales Projekt in den Mittelpunkt des Wirtschaftsprogramms gestellt, neben einer anderen „Wirtschafts- und Finanzpolitik“ sowie einem „Zukunftsinvestitionsprogramm.“

Was bedeuten diese Vorhaben konkret? Öffentlich geförderter Beschäftigungssektor und Investitionsprogramm bedeuten nichts anderes als staatliche Förderung für bestimmte Unternehmensgruppen. In etlichen Fällen bedeutet es schlichtweg Subventionen für bestimmte Kapitalgruppen oder Teile des Kleinbürgertums (z.B. staatliche Lohnzuschüsse etc.).

Eine solche Forderung unterscheidet sich von der Forderung nach Enteignung des Kapitals oder bestimmter Unternehmensgruppen, da letztere einem Eingriff in das Eigentumsrecht gleichkommt.

Die Forderung nach einem “öffentlich geförderten Beschäftigungssektor“ unterscheidet sich von der Forderung nach einem staatlichen Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten. Im ersten Fall dient der Unternehmensgewinn immer der Akkumulation, da unabhängig von den „politischen Intentionen“ letztlich beim „öffentlichen geförderten Beschäftigungssektor“ der Gewinn des Einzelunternehmens der zentrale Zweck der Tätigkeit ist und auch nur sein kann.

Unserer Meinung nach wären gerade solche Forderungen nach Enteignung, nach gesellschaftlich nützlichen Arbeiten und deren Verbindung mit der Forderung nach Kontrolle durch die Beschäftigten und Nutzer (und nicht einfach nach der „Mitbestimmung“) wichtig, um einen wirklichen Weg des Übergangs zu beschreiten vom Kampf gegen die Angriff des Kapitals zur einer Umgestaltung und revolutionären „Transformation“ der Gesellschaft.

Eine solche Perspektive muss natürlich damit rechnen, dass jede Maßnahme auf den erbitterten Widerstand der herrschenden Klasse treffen wird, die alle verfügbaren Mittel zur Sicherung ihrer Macht einsetzen wird.

Daher muss eine revolutionäre Perspektive immer mit dem Kampf um den Aufbau betrieblicher, gesellschaftlicher, politischer Gegenmacht verbunden sein, welche die Unterdrückten befähigt, den Angriffen der herrschenden Klasse erfolgreich entgegenzutreten - von der Frage der Verteidigung von Streiks und Demos gegen die Staatsmacht bis zur Frage der Schaffung von Räten, Selbstverteidigungs- und Machtorganen und einer Arbeiterregierung, die sich auf die Organe der Gegenmacht stützt, und die gegen die unvermeidlichen konterrevolutionären Vorstöße der Herrschenden vorgeht, bis zum Sieg: der Errichtung der Räteherrschaft.

Regierungsfrage

Genau das will das Eckpunktepapier nicht. Das Mittel zur „Transformation“ ist klar dort klar benannt.

„Als linke politische Partei sehen wir die Beteiligung in Regierungen als Mittel gesellschaftlicher Umgestaltung an, wenn die dafür notwendigen Bedingungen gegeben sind. Dazu bedarf es breiter gesellschaftlicher Unterstützung und stabiler parlamentarischer Bündnisse  mit anderen politischen Kräften. Linke Politik braucht die Unterstützung und auch die weiter  treibende Kritik durch öffentlichen Druck und außerparlamentarische Mobilisierung. In einem  offenen und transparenten Prozess wollen wir die Maßstäbe von Regierungsbeteiligung diskutieren und unter den konkreten Bedingungen abwägen, um Entscheidungen zu treffen. Maßstäbe sind die Verbesserung der Lage von Benachteiligten, die Durchsetzung wichtiger Reformvorhaben der Linken, der Stopp der neoliberalen Offensive, die Veränderung der  Kräfteverhältnisse und die Einleitung eines Politikwechsels. Entscheidend für die Durchsetzung eines Politikwechsels ist die bundespolitische Ebene. Hier liegen die meisten Kompetenzen, die dafür notwendig sind, hier erfolgen die wesentlichen Weichenstellungen.“

Kurz: das Eckpunkte-Papier spricht sich für die Bildung einer „Reformkoalition“ aus SPD, Linkspartei und - falls die notwendigen Bedingungen gegeben sind - den Grünen aus.

Das ist auch der Grund, warum in der WASG und der PDS/Linkspartei der Auseinandersetzung um die Berliner Eigenkandidatur der WASG solche Bedeutung zukommt. Sie ist ein reales Hindernis auf dem Weg zu einer Regierungsbeteiligung im Jahr 2009. Sie ist eine reales Hindernis, die Regierungsbeteiligungen in Berlin und Schwerin fortzusetzen oder neue zu installieren.

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Nr. 109, April 2006

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