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SPD, DGB, Linkspartei und der Mindestlohn

Wer bietet weniger?

Frederik Haber, Neue Internationale 103, August/September 2005

1400 Euro Mindestlohn fordert die Linkspartei im Entwurf ihres Wahlprogramms, außerdem 750 Euro Grundsicherung für Erwerbslose. Dann tritt Lafontaine auf und findet das zu hoch. 1250 reichen doch als Mindestlohn. "Wird gemacht", erklären Bisky und Ramelow, die Spitzen der PDS. Sie sagen auch, warum: Frank Bsirske hatte den Betrag von 1400 als "politisch kaum durchsetzbar" bezeichnet.

Position der Bürokratie

Es gibt verschiedene Gründe, warum die Gewerkschaftsspitzen so starkes Interesse an der Mindestlohnfrage entwickeln. Zum einen sind sie in dieser Frage gespalten und zweitens liegen ihre Tariflöhne darunter.

Bislang war die herrschende DGB-Philosophie: "In einem demokratischen Staat sollte nicht der Staat die Lohnpolitik machen, sondern diejenigen, die es in erster Linie angeht: Die Arbeitnehmer und Arbeitgeber einer Branche. Sie sind am ehesten in der Lage, passgenaue Löhne und Gehälter auszuhandeln. ....Weitere Bedenken gegen einen gesetzlichen Mindestlohn sind: Der gesetzliche Mindestlohn könnte dazu führen, dass die Arbeitseinkommen sich tendenziell den Mindestlöhnen annähern." (www.dgb.de)

Abgesehen davon, dass sich der DGB auch verbal der herrschenden Ideologie soweit angepasst hat, dass er nicht mehr von "möglichst hohen", sondern "passgenauen" Löhnen spricht, ist festzuhalten, dass diese schönen Worte mit der Realität nichts zu tun haben. Über weite Strecken sind die deutschen Gewerkschaften unfähig, Tarifverträge abzuschließen und dort, wo sie abgeschlossen wurden, werden sie teilweise unterlaufen.

So hält vor allem die IG Metall noch daran fest, dass "Tariflöhne gleich Mindestlöhnen" sein sollten, obwohl auch in vielen Metallbranchen Tariflöhne keine Wirkung mehr haben. Es geht vielmehr darum, als Bürokratie nicht die Existenzberechtigung zu verlieren. So haben IGM und verdi Tarifverträge für Zeitarbeitsfirmen abgeschlossen, die Hungerlöhne regeln. Da diese Firmen seit Jahren von den Gewerkschaften ignoriert werden, gibt es kaum Mitglieder und wenig Chancen, dort Druck zu machen. Aber die Bürokraten waren dabei.

Ver.di, NGG und andere Gewerkschaften sehen ihre Lage realistischer. In vielen ihrer Branchen sind die Löhne durch Massenarbeitslosigkeit, Scheinselbständige, Ich-AGs, 1-Euro-Jobs usw. so unter Druck, dass sie einen gesetzlichen Mindestlohn brauchen, um überhaupt wieder Boden unter den Füssen zu spüren. So hat ver.di selbst die Forderung nach einem Mindestlohn aufgestellt. Allerdings wurde schon Wochen später für den Öffentlichen Dienst eine neue Niedriglohngruppe eingeführt, die darunter liegt. Das ist kein Einzelfall. 670 Tarifverträge sahen im Jahr 2003 Stundenlöhne von weniger als 6 Euro vor. Ver.di und die anderen haben also kein Interesse an einer Mindestlohnforderung von 1400 Euro, die deutlich macht, wie erbärmlich viele Tarifverträge sind.

Bezeichnend ist jedoch folgendes: Beim Schacher um die Höhe der Mindestlohnforderung spielt gar keine Rolle, wie sie eigentlich zustande kommt. Für uns ergibt sie sich aus den Reproduktionskosten der Lohnabhängigen, an einem Mindeststandard für ein Leben unter den gegebenen Bedingungen. Dass dieser sicher über 1250 Euro liegt, gesteht sogar der DGB zu, der Einkommen unter 1442 Euro als "Armutseinkommen" bezeichnet.

Die "lockere Art", mit der Großverdiener wie Lafontaine oder Bsirske über den Mindestlohn fabulieren, verdeutlicht aber auch etwas anderes. Als Mittel zur Umsetzung wird nicht der politische und gewerkschaftlicher Kampf, sondern letztlich Lobbyismus und "Überzeugung" von Parlament und Regierung betrachtet – daran, und nicht nach den Bedürfnissen Beschäftigten richtet sich die Höhe der Forderung.

Die Gewerkschaftsbürokraten haben also ihre eigenen Probleme mit dem Mindestlohn. Die Spitze der Linkspartei ordnet sich geflissentlich den Gewerkschaftsbürokraten unter. Das belegt vor allem eines: Beide kommen aus dem gleichen Stall. Sie haben beide die gleiche politische Konzeption und Aufgabe: Die Interessen der Arbeiterklasse soweit zu vertreten, wie es in diesem System möglich ist. Wenn es kritisch wird, geht immer das Interesse der Kapitalisten vor. Natürlich gibt es linkere Reformisten, wie Lafontaine, Ernst und Bsirske, und rechte wie Schmoldt, Huber und Schröder. Aber am Ende geht es allen darum, die Kontrolle über die Klasse zu behalten, über die Gewerkschaften oder mittels der entsprechenden Parteien.

Im Moment gibt es durchaus Konflikte, gerade in der Parteifrage. Dem Chef der Chemie-Gewerkschaft Schmoldt ebenso wie DGB-Vize Engelen-Käfer geht das Abenteuer mit der Linkspartei zu weit. Sie plädieren für die Nibelungentreue zur SPD. Andere, wie Bsirske, schauen weiter und sehen, dass mit dieser SPD eine aufkeimende Protestbewegung nicht zu kontrollieren ist und umgekehrt nur durch einen gewissen Druck die SPD wieder auf die Gewerkschaftsbosse hört.

RevolutionärInnen wären bescheuert, wenn sie diese Krise innerhalb der Reformisten nicht ausnutzen würden. Die Debatte um eine neue Partei ist so verbreitet wie lange nicht. Umso mehr müssen wir uns gegen alle Versuche wenden, diese Partei zu einem reformistischen Neuaufguß der alten SPD zu machen und unter der Kontrolle ihrer Spitzen zu halten. Dazu brauchen wir eine antibürokratische Basisbewegung in den Gewerkschaften. Dazu brauchen wir den Bruch nicht nur mit der SPD, sondern mit dem Reformismus insgesamt.

Der Kampf um einen Mindestlohn macht noch keine Revolution. Aber er zeigt den politischen Charakter gewisser Leute auf - und dass wir schauen sollten, dass sie ihren Lohn erhalten. Mindestens.

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Nr. 103, Aug./Sept. 2005


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