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Revolutionäre Taktik

Arbeiterpartei heute

Jürgen Roth, Neue Internationale 123, September 2007

Eine revolutionäre Partei ist unabdingbar, um die Arbeiterklasse zur Übernahme der Staatsmacht und zur Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates zu führen. Dabei stießen revolutionäre MarxistIn-nen schon in der ersten Phase der imperialistischen Epoche auf mächtige Hindernisse in Gestalt einer gewerkschaftlichen Massenbewegung, deren Führer mit einer bürgerlichen Partei verbunden waren.

Klassische Taktik der Labor Party

In Britannien war die Gewerkschaftsführung eine Unterabteilung der Liberalen Partei. In den 1930ern waren die Führer des US-Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO auf ähnliche Art Bestandteil der Demokratischen Partei. In Halbkolonien wie Argentinien bleibt die Gewerkschaftsbürokratie an den bürgerlichen Nationalismus gebunden (Peronismus). Für solche Situationen haben KommunistInnen eine Variante der Einheitsfronttaktik entwickelt, die zum Bruch der Gewerkschaften oder anderer proletarischer Massenorganisationen mit ihrer politischen Anbindung ans Bürgertum führen und die Notwendigkeit einer revolutionären Arbeiterpartei aufzeigen soll. Diese Taktik nennen wir Arbeiterpartei- oder Labo(u)r Party-Taktik. Sie versucht, die Bildung einer verschleierten bürgerlichen Partei, einer reformistischen Arbeiterpartei, zu verhindern und geht von der Losung des Bruchs mit der Bourgeoisie aus.

In ihrer entwickeltsten Form hatte Trotzki diese Taktik 1938 ausgearbeitet, die sich in 6 Schwerpunkten zusammenfassen lässt:

a) RevolutionärInnen lehnen es ab, die Forderung nach einer auf die Gewerkschaften gestützten Partei und die Aufforderung an die Bürokratie, mit der Bourgeoisie zu brechen, mit der Schaffung einer reformistischen Labo(u)r Party zu verwechseln.

b) Sie kämpfen von Anfang an für eine revolutionäre Ausrichtung in der Partei und schlagen dazu ihr eigenes Programm vor.

c) Sie halten ihre revolutionäre Organisation als Fraktion innerhalb der Labo(u)r Party aufrecht für den unvermeidlichen Kampf gegen die Bürokratie.

d) Perioden verschärften Klassenkampfes und zugespitzter Krisen sind für die Aufstellung der Losung am günstigsten. Aber selbst in Phasen der Flaute behält sie ihren propagandistischen Wert, kann aber z.B. anlässlich on Wahlen auch agitatorisch angewandt werden.

e) Natürlich ist eine solche Arbeiterpartei weniger als eine revolutionäre Massenorganisation und keinesfalls zwangsläufiges Durchgangsstadium für die Arbeiterklasse in Ländern ohne Arbeiterparteien.

f) Entscheidend ist das Programm. Der Kampf darum hat unbedingt Vorrang!

Als allgemeine Regel würden wir aufstellen, dass diese Taktik in Ländern angewendet werden kann, wo die Lohnarbeiterklasse Gewerkschaften, aber keine Form von politischer Organisation entwickelt hat. Trotzdem haben wir sie auch bei unserem Kampf in der WASG sowie im NLO benutzt. Unsere britische Schwesterorganisation stellt sie ebenfalls auf mit Bezug auf die „linken“ GewerkschaftsführerInnen, die bereits mit Labour gebrochen haben, und auf die proletarischen Elemente innerhalb von RESPECT.

Reformismus in der Patsche

In einigen europäischen Ländern hat die Bindekraft der sozialdemokratischen und Labour Parteien sowie der (links-)sozialdemokratisch gewendeten ex-stalinistischen Parteien dramatisch abgenommen. Natürlich bedeutet das nicht, dass sie schon aufgehört hätten, bürgerliche Arbeiterparteien zu sein, oder nach und nach ohne innere Kämpfe und Brüche einfach von der Bildfläche verschwinden würden. Aber ihre vertiefte Krise ist durchaus ein Tribut für ihre Vergangenheit. Nach dem 2. Weltkrieg machte z.B. die SPD einen deutlichen Wandel durch. Die sozialen und kulturellen Massenorganisationen des Proletariats (in Sport, Bildung, Kultur) wurden entweder nicht wieder gebildet oder bluteten aus. Aus dem Genossenschafts- und Pressewesen wurden "normale" kapitalistische Unternehmen. Seit Ende der 1950er zieht sich die Arbeitermitgliedschaft immer mehr aus dem aktiven Parteileben zurück. Noch dramatischer ist das fast völlige Verschwinden der sozialdemokratischen Arbeiterjugend von der politischen Bildfläche. Heute dominieren Repräsentanten der lohnabhängigen Mittelschichten den Parteialltag. Funktionäre kommen nicht mehr nur aus der Arbeiteraristokratie, sondern sind Seiteneinsteiger von der Uni.

Die organischen Bindeglieder der SPD zur Klasse sind also viel dünner geworden. Im Wesentlichen reduzieren sie sich auf ihre Monopolstellung in den Gewerkschaften. Heute gehören die DGB-Bürokraten zum linken Parteiflügel. Anfang des letzten Jahrhunderts sah das genau andersherum aus. Aus dieser Analyse heraus können wir für den Überlebenskampf der Sozialdemokratie schlussfolgern, dass sich erst ein linker Arbeiterflügel herausbilden wird, wenn in den Gewerkschaften eine starke antibürokratische Opposition die Administration bekämpft.

Seit den 1980ern lässt sich eine ähnliche Entwicklung in Britannien verfolgen. Der linke Flügel um Tony Benn war das letzte Aufbäumen einer aktiven Mitgliedschaft. Kurz darauf wurden die Jungsozialisten aufgelöst. Die Basisbewegung der shop stewards in den Gewerkschaften steckte schon zum damaligen Zeitpunkt in einer Krise. Thatchers Regierungsantritt und das Scheitern des Bergarbeiterstreiks summierten sich zu einer strategischen Niederlage für das britische Proletariat, von der es sich lange nicht erholte.

Reformismus und Konterreform

Entscheidend für den Mitgliederschwund, die miesen Umfragewerte, ja für die immer geringere Massenidentifizierung mit dem Parlamentarismus überhaupt ist jedoch die aktuelle Periode der Globalisierung, die auch in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs keine Reformen erlaubt, sondern das Kapital zu weiteren Angriffen treibt. Sozialdemokratische Regierungen machten sich zum Vorreiter der schlimmsten Gegenreformen seit dem 2. Weltkrieg (Hartz-Gesetze, Privatisierungen usw.)!

Das gleiche Schicksal ereilte auch die vormals stalinistischen Parteien, denen auch im Westen (PCF, PCI) der Sturz der stalinistischen Regime im Ostblock erheblichen Mitgliederschwund bescherte. Dieser Periodenbruch war der entscheidende Beitrag für ihre Hinwendung zum offenen Neoliberalismus. Wie Sozialdemokratie und Labour spürten sie auch als Regierungsparteien den Vertrauensverlust ihrer Basis und Stammwählerschaft (PCF, PDS/Berlin…).

Es kam zu regelrechten Massendemonstrationen gegen die Regierungen, insbesondere gegen die Kriegseinsätze in Afghanistan und Irak, gegen die G8, in Deutschland gegen Hartz IV, in Frankreich und Holland gegen den neoliberalen und militaristischen EU-Verfassungsentwurf mit einem überwältigenden Sieg für „Nein“ in den Referenden.

Aus diesen und ähnlichen Konflikten heraus entwickelten sich z.B. in Britannien Absetzbewegungen von Labour (einige Gewerkschaften und Abgeordnete) wie auch die Bildung von RESPECT, einem populistischen Bündnis mit hohem Einwandereranteil und bedeutendem Einfluss der SWP (Schwesterorganisation von Linksruck). In Deutschland entstand die WASG.

Aufbruchstimmung

Träger der WASG waren hauptsächlich Arbeitslose, Altlinke und untere bis mittlere Gewerkschaftsfunktionäre. Deren Bruch mit der SPD bestätigt zum einen die Richtigkeit einer kritischen Wahlunterstützung, denn in der Tat waren es die Schandtaten einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung, die großen Massen die Augen öffneten. Zum anderen verdeutlichte sich am Fall der Hartz IV-Empfänger, wie dünn die integrativen Bande der SPD außerhalb ihrer Kernschichten unter Belegschaften in Großbetrieben schon geworden waren.

Der Aufbau einer „alternativen“ Partei links von der SPD und in Abgrenzung zur PDS war ein Schritt nach vorn. Den Teil der Arbeitervorhut, der diesen Schritt unternahm, mussten RevolutionärInnen darin bestärken. Von Anfang an traten wir dafür ein, dass die WASG zu einer neuen Arbeitermassenpartei aufgebaut wird und schlugen unser Aktionsprogramm als Grundlage dafür vor. Diese Orientierung war u.a. deshalb wichtig, weil der überwältigende Teil der Arbeitervorhut und selbstverständlich der rückständigeren Massen einstweilen noch der SPD zähneknirschend die Stange hielt.

Das traf auch für eine Minderheit in der PDS zu. Das Konzept, eine neue Arbeiterpartei aufzubauen, die alle mit den traditionellen Klassenführungen unzufriedenen GenossInnen mit offenen Armen aufnahm, war einerseits auch ein Brückenschlag zu diesen Schichten, andererseits ein Signal für einen ehrlichen Neustart einschließlich einer demokratisch zu bestimmenden, neuen Programmgrundlage. Wenn dieses Projekt momentan auch gescheitert ist und nur das NLO an dieser Methode ausgerichtet ist, so ist das kein Urteil gegen die weit über Deutschland hinausgehende Bedeutung der Parole für eine neue Arbeiterpartei.

Die Mitverantwortung der Parteilinken am Untergang der WASG lag genau darin, sich mit Formeln wie Sammelbewegung, in der alle Strömungen gleichberechtigt ihren politischen Ausdruck finden, zufrieden gegeben zu haben. Gleichzeitig stimmte sie dem Programm des rechten Flügels zu oder kritisierte es halbherzig und gab ihm damit das Heft des Handelns in die Hand.

Neue Internationale

Halten wir fest, was für Länder wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die Niederlande gilt: der Einfluss des sozialdemokratischen und neusozialdemokratischen Reformismus' verbraucht sich immer schneller, bedingt durch das enger werdende Manövrierfeld, das nur noch die Frage nach dem Umfang von Antireformen gestattet.

Breite Massen wenden sich ab, gehen nicht mehr zur Wahl. Eine Minderheit, die allerdings nach Zehn- und Hunderttausenden zählt, begibt sich indes auf die Suche nach einer politischen Alternative, einem wirklichen Neuanfang.

Anfang des letzten Jahrhunderts, als nach dem 1. Weltkrieg die Komintern noch nicht degeneriert und der revolutionäre Kommunismus eine Massenkraft war, wären diese unzufriedenen Schichten unmittelbar für die Revolution gewonnen worden.

Doch heute ist die revolutionäre Kontinuität abgerissen, sind die revolutionären Kräfte eine winzige Minderheit in der Arbeiter- und Antiglobalisierungsbewegung. Auch hinter dem Etikett „IV. Internationale“ verbergen sich diverse zentristische Kleingruppen des degenerierten Nachkriegstrotzkismus, die mit ihrer zumeist opportunistischen Politik vor allem den Begriff "Internationale" beschädigen.

Dass unter diesen Umständen die nach einer neuen Partei strebenden Avantgardeschichten von einem diffusen und verworrenen Bewusstsein ausgehen, ist natürlich kein Wunder. Darum meinen wir, dass unter diesen Umständen die Benutzung des algebraischen Slogans für neue Arbeiterparteien und eine neue, Fünfte Internationale die richtige Methode ist, um mit diesen Elementen in einen offenen Dialog, ein ehrliches Ringen um kommunistische Programmatik und Praxis einzutreten.

Vorausgesetzt, die neuen Organisationen ziehen die Militanten aus der antikapitalistischen Bewegung, MigrantInnen, streikende Belegschaften, demonstrierende Hartz IV-EmpfängerInnen, Betriebsopposi-tion gegen Co-Management-Betriebsräte, Jugendliche und Hunderttausende GegnerInnen der EU-Verfassung und der imperialistischen Kriege in Mittelost an und die innerparteiliche Diskussion ist wirklich offen, kann daraus wirklich eine neue revolutionäre Masseninternationale entstehen.

Die Arbeiterparteitaktik erhält nicht nur als Propagandalosung und agitatorisch bei Wahlen Bedeutung. Darüber hinaus kann man in Deutschland, Frankreich und Italien die führenden Kräfte in den Kämpfen der letzten Zeit benennen. Noch wichtiger: wir müssen sie auffordern, sich energisch für den Aufbau neuer Arbeiterparteien einzusetzen.

In Frankreich schlug sich auch die Vorreiterrolle der LCR in beachtlichen Stimmenzahlen für deren Kandidat Besançenot nieder. In Italien hat die RC nach ihrem Regierungseintritt schwer Federn lassen müssen. Die Massendemonstrationen gegen die US-Militärbasis belegten anschaulich das Ausmaß der Unzufriedenheit mit dem Bündnis um Prodi. Führend hierbei ist die Basisgewerkschaft COBAS.

In Britannien sind die Gewerkschaften, die mit Labour gebrochen haben oder ausgeschlossen wurden, neben den proletarischen Elementen von RESPECT, insbesondere die SWP, in der Verantwortung, den Aufbau einer neuen Partei anzugehen.

In Deutschland ist eine große Chance vertan worden. Es liegt an den im NLO vereinten Kräften, die in den Auseinandersetzungen in der WASG radikalisiert wurden, diese Aufgabe in Angriff zu nehmen. Doch nur, wenn der Kampf der Linken im NLO die Form des Kampfes für eine revolutionäre politische Grundlage einer zukünftigen Partei annimmt, macht er angesichts der reformistischen "Neugründung" DIE LINKE Sinn.

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Nr. 123, September 2007
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*  Zwei Jahre große Koalition: Halbzeit ohne Pause
*  Einschränkung demokratischer Rechte: Solidarität gegen die Repression!
*  Bahn: Sieg für Mehdorn
*  2. Ratstagung des NLO: Eine Zwischenbilanz
*  Revolutionäre Taktik: Arbeiterpartei heute
*  100 Jahre Jugendinternationale: Hoch die internationale Solidarität
*  Finanzkrise: Kreditklemme und kapitalistische Krise
*  Heile Welt
*  Frankreich: Stoppt Sarkozys Angriffe!