Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Indien

Generalstreik erschüttert BJP-Regierung

Georg Ismael, Infomail 903, 16. September 2016

Der Generalstreik vom 2. September war mit bis zu 180 Millionen ArbeiterInnen der Größte in der Geschichte des Landes. Die rund eine halbe Milliarde Menschen große ArbeiterInnenklasse Indiens ist zu einem wichtigen, aktiven Faktor des internationalen Klassenkampfes geworden ist.

Vor einem Jahre

Schon am 2. September 2015 brachte ein Generalstreik, der von 150 Millionen ArbeiterInnen durchgeführt wurde, Indien zum Stillstand. Zehn Gewerkschaften riefen zum Streik auf und forderten die Einsetzung eines 12-Punkte-Programms, worin Forderungen nach bedeutenden Lohnanhebungen, einem Monatsmindestlohn von 15000 Rupien, einer Rente von 3000 Rupien für alle ArbeiterInnen sowie nach dem Ende von Privatisierungen und gewerkschaftsfeindlicher Gesetzgebung enthalten waren.

Der Streik war ein klares und mächtiges Zeichen des Widerstands gegen die hindu-chauvinistische Bharatiya Janata Partei (BJP), die die indische Zentralregierung unter Narendra Modi seit 2014 bildet. Der Streik erzwang auch die Bildung eines Komitees von Kabinettministern, darunter der Finanzminister Arun Jaitley und der Arbeitsminister Bandaru Dattatreya, und deren Verhandlung mit Gewerkschaftsführern.

Das Komitee trat gerade einmal mit hochrangigen Gewerkschaftern des Generalstreiks 2015 zusammen. Obgleich der Streik auch die indische herrschende Klasse und deren politische Parteien erschütterte und ihnen einige Zugeständnisse abrang oder zumindest Angriffe auf mehrere Sektoren hinausschieben konnte, reichte es nicht aus, um die Regierung zur Zustimmung zu den zentralen Forderungen der Charta zu zwingen.

Provokante Haltung der Regierung

Im Gegenteil: die Regierung nahm eine provokante Haltung ein, indem sie sich mehrfach mit Gewerkschaftsspitzen traf, die jedoch nicht am Generalstreik beteiligt waren und nur von der Gewerkschaft Bharatiya Mazdoor Sangh (BMS) kamen. Diese ist der gewerkschaftliche Arm der paramilitärischen rechten Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), die eng mit der BJP-Regierung zusammenarbeitet.

Preiserhöhungen und ständige weitere Provokationen und Attacken seitens der Regierung führten schließlich zum umfassenden Generalstreik am 2. September 2016, ausgerufen und organisiert von der gemeinsamen Plattform der Zentralen Gewerkschaften CTU in Zusammenarbeit mit der Unabhängigen Nationalen Föderation der Beschäftigten in verschiedenen Industrien und Dienstleistungsbereichen, darunter auch der Konföderation der Angestellten und ArbeiterInnen der Zentralregierung.

In einer Verlautbarung vom 31. August versuchte der Finanzminister Jaitley die Gewerkschaften zu beschwichtigen und sie zu überreden, den Generalstreik abzublasen. Er versprach, den Mindestlohn auf 350 Rupien am Tag anzuheben und die Gewerkschaftsgesetze zu reformieren. Doch an dem Lohnanstieg würden etliche ArbeiterInnen nicht teilhaben, und das würde einen Keil zwischen Streikende und Nichtstreikende treiben. Letztlich läge die Erhöhung nur bei 9000 Rupien im Monat, also gerade einmal der Hälfte von dem, was die Gewerkschaften gefordert haben.

Ferner haben Kabinettsmitglieder erklärt, dass mehrere Forderungen seitens der Gewerkschaften nicht ihre Angelegenheit wären, da sie politischer Natur seien. Dahinter steht sicher die Furcht, dass nicht nur die Kongress-Partei, die mehrere der streikenden Gewerkschaften hinter sich hat, davon profitieren könnte, sondern dass die Reihen der streikenden ArbeiterInnen an Selbstvertrauen gewinnen und allgemein sich stärker in politische Angelegenheiten einmischen könnten.

Es überrascht nicht, dass die BMS die Regierungsvorschläge unterstützte und erklärte, dass sie nicht streiken wolle, was sie jedoch sowieso nie vorhatte. Während die Äußerungen der BMS-Führung offenbar der Regierung den Rücken stärken und den Medien die Reihen der Streikenden spalten helfen wollen, zeigt ihr Manöver auch noch etwas anderes.  Sie fürchten, dass ihre eigene Basis mitstreiken will wie im letzten Jahr auf lokaler Ebene.

Streikvorbereitungen

Glücklicherweise haben der Allindische Gewerkschaftskongress AITUC und die Zentrale der Indischen Gewerkschaften CITU den Streik nicht abgesagt, sondern ihre Versuche bekräftigt, den Streik noch größer als im letzten Jahr zu machen. Ziel war es, 180 Millionen ArbeiterInnen in den Streik zu bringen. Allein diese Größenordnung zeigt klar, dass die indische ArbeiterInnenklasse in den vergangenen Jahren die Bühne des internationalen Klassenkampfs als bedeutender Akteur betreten und die gewerkschaftliche Organisierung in Indien wichtige Fortschritte gemacht hat.

Zugleich muss man aber auch feststellen, dass es ein ganzes Jahr gedauert hat, ehe die Gewerkschaften die ArbeiterInnen wieder auf die Beine gebracht haben, um für ihre dringenden, aber noch unerfüllten Forderungen einzutreten. Politisch ist also noch eine gehörige Strecke vorwärts zurückzulegen. Das wird erhellt durch den Umstand, dass mehr als die Hälfte der GewerkschaftsführerInnen am Gängelband der Kongress-Partei hängt, die Indien seit mehr als einem halben Jahrhundert beherrscht hat. Andere, linkere FührerInnen sind mit der reformistischen Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten) CPI(M) verbunden.

Die herrschende Klasse und die BJP fürchten sich zu Recht vor dem Generalstreik in der Woche des 2. September, aber noch mehr fürchten sie sich davor, die Forderungen der Gewerkschaften zu erfüllen, weil dies die ArbeiterInnen stärken und ermutigen könnte, weitere Forderungen zu stellen, die dann ausländische Investoren „entfremden“ könnten. Andererseits scheinen auch einige Gewerkschaftsspitzen unglücklicherweise Angst vor wirklich einschneidenden Kampfmaßnahmen zu haben. Ihre Furcht liegt darin, dass es sie in eine Lage manövrieren würde, in der die normale Strategie der Kompromisse mit den Regierungsvertretern nicht mehr wirken könnte, wenn ArbeiterInnen von demokratischen Streikausschüssen auf lokaler, regionaler oder sogar landesweiter Ebene sich vernetzen und ihre Maßnahmen durchführen.

Es erstaunt, dass im letzten Jahr einige Gewerkschaftsführer immer noch „überrascht“ waren, dass die Regierung sich nicht mit ihnen, sondern nur mit den BMS-Spitzen  getroffen hat. Eine der dringendsten Aufgaben ist deshalb, klar zu machen, dass sie nicht wieder überrascht sein dürfen, wenn die Regierung die Forderungen erneut nicht erfüllt. SozialistInnen in Indien sollten fordern, dass diese Führer die nächsten Kampfschritte nicht bis zum 2. September 2017 hinausschieben, sondern stattdessen die Verbindungen zwischen den Gewerkschaften stärken und die Basisorganisation ermutigen, die entscheidend sein wird, wenn mehr als ein eintägiger Generalstreik notwendig ist, um die Regierung auf die Knie zu zwingen.

Nichtsdestotrotz ist der diesjährige Generalstreik ein ermunternder Schritt nach vorn für die ArbeiterInnenbewegung auf dem indischen Subkontinent wie auch international. Er ist auch ein Schlag ins Gesicht der bürgerlichen IdeologInnen, die den Unterdrückten weltweit einreden wollen, dass es keine ArbeiterInnenklasse gäbe oder dass sie, sollte sie doch existieren, nicht mehr das handelnde Subjekt gesellschaftlicher Veränderungen wäre. Die mutigen indischen ArbeiterInnen zeigen heute, dass dies eine himmelschreiende Lüge ist. SozialistInnen auf dem indischen Subkontinent sollten sicherstellen, dass jene ArbeiterInnen ihre eigene Rolle als Triebkräfte des Wandels verstehen und ihren Kampf für unmittelbare wirtschaftliche Forderungen mit dem Kampf um Sozialismus und Freiheit unter dem Banner einer neuen revolutionären Partei in Indien verbinden.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 213, Oktober 2016

*  Antirassistischer Widerstand in Deutschland: Elend oder Erfolg?
*  Afghanistische Flüchtlinge: Zurück in den Krieg?
*  Demonstrationen in München und Nürnberg: Nein zu den sog. "Integrationsgesetzen"!
*  Landtagswahlen im September: AfD weiter auf dem Vormarsch
*  Politische Aussichten: Die Lage ist ernst
*  Verhandlungen um Rot-Rot-Grün: Was nun, Linkspartei?
*  Interventionistische Linke (IL): Septemberwirbel oder laues Lüftchen
*  Erneuerung der Gewerkschaften? Bruch mit der Klassenzusammenarbeit!
*  Prekarisierung: Leiharbeit bekämpfen!
*  Frankreich: Nein zum Staatsrassismus!
*  Philippinen: Ein Polizeistaat im Aufbau
*  Indien: Generalstreik erschüttert BJP-Regierung
*  Syrien: Kampf um die Neuaufteilung der Einflusssphären







Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::

Nr. 212, September 2016

*  TTIP und CETA stoppen - international
*  Autoindustrie - Sand im VW-Getriebe
*  Landtags- und Kommunalwahlen: Kritische Unterstützung der Linkspartei!
*  Neues Prostitutionsgesetz: Alte Stigmatisierungen, neue Zumutungen
*  Gina-Lisa Lohfink: Ein Beweis ist kein Beweis
*  Türkei: Erdogans Regime auf dem Weg zum Bonapartismus
*  Syrien: Die Konterrevolution droht alles zu ersticken
*  Sommerschulung/REVO-Camp: Politischer Erfolg
*  US-Präsidentschaftswahlen: Zwei Übel treten an
*  Antimuslimischer Rassismus: Nein zum Burkaverbot!
*  Rassistische Gesetze des Bundes und Bayerns: Weg mit den sog. "Integrationsgesetzen"