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Philippinen

Ein Polizeistaat im Aufbau

Tobi Hansen, Neue Internationale 207, Oktober 2016

Zuletzt hatte sich der neue philippinische Präsident Rodrigo Duterte in der westlichen Öffentlichkeit bekannter gemacht. Nicht alle Tage werden US-Präsident Obama und enge Verbündete im Pazifik als „Hurensöhne“ bezeichnet. Zuvor wurde schon Papst Franziskus so betitelt. Danach wurden nach und nach die Medien aufmerksamer auf den neuen Präsidenten, der noch im Mai recht deutlich gegen den Kandidaten der früheren Regierung gewonnen und sich vor allem als Bürgermeister der Millionenstadt Davao einen Namen gemacht hatte.

Duterte stammt aus einer erfolgreichen Politiker-Familie, welche sich nach dem Ende der Marcos-Diktatur in die Riege der neuen bürgerlichen Parteien einfand. Schon seine Mutter war für die „Demokratische Partei der Philippinen“ Bürgermeisterin in Davao; später wurde es auch ihr Sohn. Während der Marcos-Diktatur, die von den USA protegiert und finanziert wurde, war ein Onkel des aktuellen Präsidenten Senator.

Etwas überraschend konnte Duterte die Präsidentschaftswahlen als Kandidat der Demokratischen Partei - Macht des Volkes (PDP-Laban) gegen die UNA (United Nationalist Alliance - Vereinigte Allianz der Nationalisten) und deren Kandidaten Binay gewinnen, die von der Familie Arroyo politisch dominiert wird.

Das populistische Aushängeschild der Politik Dutertes ist die „Verbrechensbekämpfung“, inklusive der Wiedereinführung der Todesstrafe, welche für den Präsidenten das Hauptmittel der Verbrechensbekämpfung, insbesondere der Drogenkriminalität, darstellt.

Massenerschießungen als Verbrechensbekämpfung

Damit hat er bei den Wahlen vor allem die „Mittelschichten“ und große kleinbürgerliche Schichten mobilisieren können. Während seiner Amtszeit als Bürgermeister von Davao „profilierte“ er sich als „harter/verrückter Hund“ (Spitzname Mad Dog), der auch selbst Hand anlegte, Erschießungen beaufsichtigte und in Auftrag gab. Schon in Davao, welche lange Zeit als „Drogenhochburg“ der Insel Mindanao galt, halfen Duterte dabei Freiwillige aus paramilitärischen Gruppierungen einschließlich Gefolgsleuten der maoistischen CCP (Kommunistische Partei der Philippinen). Mit der ehemaligen Guerilla hat Duterte „Friedensgespräche“ aufgenommen; drei ihrer Minister stehen der CCP nahe.

Paramilitärische Kräfte aus dieser Gruppierung übernehmen auch weiterhin Tötungen für den Präsidenten. Vor allem aber wird der Sicherheitsapparat von der Leine gelassen. Ende August kündigte Duterte eine dreiwöchige „Säuberungswelle“ an, bei der Polizei, Militär und Paramilitärs freie Hand bekamen. Alle bewaffneten Organe wurden ermächtigt, jeden zu töten, der etwas mit Drogen zu tun haben soll - oder vielleicht nur diesen Organen im Wege stand. Dabei sollen nach unterschiedlichen Schätzungen mehrere Tausend ermordet worden sein. Als es leise Proteste im Parlament dagegen gab, wies Duterte darauf hin, dass er auch ein Parlament auflösen könnte und es unklug wäre, sich dieser „Welle“ entgegenzustellen. Schließlich hat er angekündigt, rund 100.000 Kriminelle hinrichten zu lassen - und die aktuelle Welle ist dabei nur der Anfang.

In diesem „Krieg gegen Drogen“ trifft es vor allem die Masse der verarmten Süchtigen wie kleine Straßenhändler, also nicht die ProfiteurInnen oben, sondern die armen Schweine unten. Die Täter rühmen sich damit, die „Kriminellen“ auf offener Straße, in ihrem Wohnviertel hinzurichten und zur Schau zu stellen. So soll der barbarische Mord als Mittel der Einschüchterung und gleichzeitigen populistischen Volksverhetzung dienen. All das passiert in einem Land, in dem mehr als ein Viertel der Bevölkerung von 100 Millionen über ein Jahreseinkommen von weniger als 225 Dollar verfügt und viele Familien nur durch die Überweisungen der Millionen philippinischer ArbeitsmigrantInnen im Ausland überhaupt überleben können.

Die Präsidentschaft Dutertes hat Ähnlichkeiten mit dem sich entwickelnden bonapartistischen Regime Erdogans in der Türkei, welches sich abkoppelt von der bisherigen politischen Ordnung, mit dem Vorteil für Duterte, dass dieser schon ein Präsidialsystem hat. Durch die Kooperation mit den maoistischen Milizen, die Einbeziehung der CCP in die aktuelle Regierung (drei Ministerposten) und die beginnenden Friedensgespräche sowohl mit maoistischen wie auch islamistischen Milizen inkorporiert Duterte auch bisherige offizielle Staatsfeinde, um seine eigene Machtbasis auszubauen und neben dem Staatsapparat auch paramilitärische Einheiten unter seinem Kommando zu haben. Die „Demokratische Partei“ war stets als populistische, nationalistische Kraft bekannt, welche vor allem kleinbürgerliche Schichten vertrat, aber auch einen starken philippinischen Nationalismus verkörperte und dies auch vor allem gegenüber den Großmächten darstellen wollte.

Regime Duterte

Dies ändert zwar nichts an der grundsätzlichen Hörigkeit auch dieser Administration gegenüber den USA. Aber der Präsident spricht vom Verbündeten auch mal als Kolonialmacht, die nie Entschädigungen für die 600.000 Toten während der direkten US-amerikanischen Besatzungszeit bezahlt hat. Auch gegenüber China und Japan, die neben den USA die wichtigsten Handelspartner der Philippinen sind, tritt er als Nationalist auf und verspricht, dass die Zeit der „Entmündigung“ der Philippinen vorbei wäre. Damit repräsentiert er jene Teile der Bourgeoise wie auch des Kleinbürgertums, die hoffen, bei der aktuellen Neuaufteilung Asiens wie auch des breiten ökonomischen Aufschwungs in dieser Weltregion eine bedeutendere Rolle als bisher zu spielen.

Dutertes Regime reiht sich ein in die zunehmende Zahl rechts-populistischer Regierungen auf der Welt. Autoritarismus wird mit Populismus (in diesem Fall gegen die Kriminalität) und Nationalismus kombiniert. Anders als ein faschistisches Regime repräsentiert es aber keine an die Regierungsgewalt gekommene kleinbürgerliche Massenbewegung zur Zerschlagung der ArbeiterInnenklasse. Es handelt sich vielmehr um ein überaus autoritäres, bonapartistisches Präsidialregime, das demokratische Rechte aufhebt und paramilitärische Kräfte als Hilfsmittel inkorporiert. Der Präsident verfolgt dabei eine neo-liberale Linie, die mit einer gewissen „Flexibilität“ kombiniert wird, indem er alle möglichen Kräfte in seine Herrschaft einbindet. Während er den Gewerkschaften droht, sich ja nicht in den Freihandelszonen zu gründen, macht er Gewerkschaftsführer der CCP zu Ministern. Während er alle Drogenabhängigen und Händler am besten eigenhändig töten möchte, gibt er sich tolerant gegenüber der LGBTQ-Gemeinde der Philippinen und gegenüber dem Islam - auch dies keine Selbstverständlichkeit in dem streng katholischen Inselstaat.

Der Grund für die Wahl Dutertes liegt nicht nur in seinem Populismus - er ist auch eine Antwort auf das Unvermögen der philippinischen Bourgeoisie, das Land mit „normalen Mitteln“ zu befrieden. Daher soll es jetzt ein „Mad Dog“ richten.

Die Spratly-Inseln und die Philippinen als Frontstaat

In den aktuellen Auseinandersetzungen im südchinesischen Meer nehmen die Spratly-Inseln eine wichtige Rolle ein. Diese Atolle, wovon die größte Insel 0,5 Quadratkilometer misst, sind Zankäpfel, um die China, Taiwan, Vietnam, die Philippinen, Malaysia, Brunei und natürlich die USA rangeln. Während Vietnam, Taiwan und China die gesamte Inselgruppe für sich beanspruchen, erheben die anderen Akteure nur einen Anspruch auf Teile davon, wollen „ihre“ Inseln behalten, sich diesen Anspruch von der UNO bestätigen lassen und bauen dort ihre Militärstützpunkte auf. Im Aufbau von Militärgarnisonen besteht auch die einzige „zivilisatorische“ Leistung der Okkupanten.

So unterstützten die USA auch die letzte Klage vorm UN-Gerichtshof (Seerechtsabkommen der Vereinten Nationen - SRÜ/UNCLOS), um die philippinischen Ansprüche gegenüber China zu legitimieren. Natürlich hat die USA selbst dieses Abkommen nie unterschrieben, sondern sich unabhängig davon schon eigene Stützpunkte gesichert. Der Konflikt um die Spratly-Inseln ist ein Beispiel für die wachsende pazifische Konkurrenz der imperialistischen Mächte USA, China, Japan inklusive ihrer verbündeten Staaten. Dies wurde auch beim letzten ASEAN-Gipfel in Laos sichtbar. Die USA versuchen innerhalb ihrer „Pivot to Asia“-Agenda eine Koalition gegen China aufzubauen, vor allem die Annäherung an Vietnam steht aktuell im Vordergrund. Da müssen die Philippinen, eine der wenigen ehemaligen Kolonien der USA, spuren. Schließlich gelten sie als sicherer Stützpunkt des US-Militärs. Auf der anderen Seite unterhält China sehr gute wirtschaftliche Beziehungen zu den Philippinen und ist derzeit deren größter Handelspartner. Folgerichtig tolerieren die USA derzeit die Massenerschießungen und den ausgerufenen Anti-Drogen-Krieg - schließlich will man doch die Philippinen als Stützpunkt im Pazifik „behalten“.

Der „starke Mann“ auf den Philippen wiederum braucht auch die USA, um seinen Ansprüchen auf die Spartly-Inseln Gewicht zu verleihen. So hat Duterte zwar einerseits die USA zum Abzug von Truppen von Mindanao aufgefordert, weil sonst die Insel nicht zu befrieden sei. Andererseits werden vom 4.-12. Oktober gemeinsame Kampfübungen der US-Marine mit der philippinischen stattfinden.

Diese Zuspitzungen in Asien sind Folge der ökonomischen und politischen Krise des imperialistischen Systems, deren Auswirkungen am direktesten in dieser Region zu sehen sind. Dazu gehören dann auch bonapartistische Regime und/oder offene Militärregierungen wie in Thailand. In dieser Region werden alle Facetten der Krise deutlich - Duterte ist eine weitere. Würde Trump im November Präsident der USA, wäre dies ein Populist ähnlichen Formats.

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Nr. 213, Oktober 2016

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*  Erneuerung der Gewerkschaften? Bruch mit der Klassenzusammenarbeit!
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