Arbeitermacht
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Brief der Gruppe Arbeitermacht an die Sozialistische Liga

Liebe Genossinnen und Genossen!

Nach rund dreimonatiger regelmäßiger Diskussion ist es Zeit, eine Bilanz der bisherigen Debatten zu perspektivischen und programmatischen Fragen zu ziehen. Auch wenn wir bei weitem nicht alle der ursprünglich ins Auge gefaßten Themen durchgegangen sind, so sind die Gespräche doch so weit gediehen, daß wir einen recht klaren Blick auf die Übereinstimmungen und Differenzen zwischen unseren Strömungen haben.

Nicht von ungefähr sind in den letzten Diskussionsrunden (Bosnien, nationale Frage), die sich stärker mit aktuellen taktischen und strategischen Fragen beschäftigt haben, klare methodische Differenzen in für alle Beteiligten erkennbarer Form zu Tage getreten. Zweifellos sind dies nicht die einzigen, die zwischen unseren Gruppen existieren, sondern es handelt sich nach Durchsicht etlicher Eurer Publikationen um Erscheinungsformen einer grundlegend unterschiedlichen Herangehensweise. Zweifellos würden alle diese Bereiche ausführliche Entgegnungen verdienen. Da der Zweck dieses Schreibens jedoch in erster Linie darin besteht, diese Felder knapp zu umreißen, eine zusammenfassende Charakterisierung und sich daraus ergebende Schlußfolgerungen zu geben, wollen wir uns hier kurz halten.

Das erste Feld von Differenzen besteht in der Charakterisierung der gegenwärten Periode und der Einschätzung der vergangenen Jahre.

Auch wenn unsere Strömungen darin übereinstimmen, daß die gegenwärtige Periode einen revolutionären Charakter besitzt, so verstecken sich dahinter doch gewaltige Unterschiede. Wir leiten den revolutionären Charakter der Periode vom Zusammenbruch einer internationalen imperialistischen Weltordnung 1989/90 ab, in der nicht nur das stalinistische System zusammengebrochen ist, sondern auch das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen und den imperialistischen Mächten in Bewegung geraten ist und gerade ersteres entschieden verschoben werden muß, um die strukturellen Probleme der kapitalistischen Weltwirtschaft zumindest für eine Periode (d.h. länger als nur einen Konjunkturzyklus) zu überwinden.

Für uns ist eine Charakterisierung der Periode als revolutionär nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Kämpfe der Arbeiter in den letzten Jahren einen mehr oder weniger geradlinigen Aufschwung genommen hätten, - das haben sie zu Beginn der 90er Jahre gerade nicht getan! - sondern weil die Bourgeoisie nicht in der Lage war, die politische und ideologische Offensive, in der sie sich Anfang der 90er Jahre befand, zu solchen Siegen umzuwandeln, daß die ökonomische Basis für eine neue relative stabile imperialistische Weltordnung gelegt worden wäre.

Das darf uns jedoch nicht über den konterrevolutionären Charakter der ersten Jahre der revolutionären Periode blind machen. Die Restauration des Kapitalismus in der ehemaligen DDR, der Fortschritt des Restaurationsprozesses in Osteuropa wie auch der Konterrevolution an wichtigen "Krisenherden" wie in Südafrika und Palästina sind nicht nur ideologische, sondern handfeste materielle Erfolge, die den Ausgangspunkt für die nächsten Konfrontationen zwischen den Klassen zuungunsten der Arbeiterklasse verschieben bzw. in vielen Ländern verschoben haben.

Diese an sich banale Tatsache wird bei Euch jedoch beständig verniedlicht und abgeschwächt. Dahinter steckt für uns nicht die Gegenüberstellung "optimistisch-pessimistisch" (so als ob die wissenschaftliche Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen durch Einstellungen geleistet werden könnte) oder nur die unterschiedliche Betonung bestimmter Aspekte der Entwicklung.

Eure Analyse ist unserer Auffassung nach schlichtweg einseitig und damit falsch. Wir wollen das an einem Beispiel zeigen. Im Programm der UIT steht z.B. auf Seite 5:

"Der Sturz der totalitären stalinistischen Diktatur war ein erster Triumph der politischen Revolution, einer Arbeiterrevolution gegen die Bürokratie."

Wäre dieser Satz Ende 1989 geschrieben und mit der Notwendigkeit eines Programms der politischen Revolution, des Sturzes gegen die Bürokratie und des Kampfes gegen die kapitalistische Konterrvolution verbunden worden, wäre das in Ordnung. Allein der Sturz der "totalitären stalinistischen Diktatur", das Zerbrechen der stalinistischen Kaste hat nicht zur Errichtung der Arbeitermacht, sondern zur Inthronisierung konterrevolutionärer restaurationistischer Regime (seien es offen bürgerliche, volksfrontartige oder pro-kapitalistische restaurationistische Arbeiterregierungen) geführt. In der DDR führte die halbe Revolution in wenigen Monaten zur ganzen Konterrevolution.

Hinter obiger Formulierung steckt offenkundig eine Analogie, zu einer "Entdeckung, die auf Nahuel Moreno selbst zurückgeht, daß nämlich jedem "Oktober" einer Revolution ein Februarstadium vorausgehen müsse; daher auch Eure Suggestion, daß wir in all den Ländern Osteuropas (ev. sogar in der DDR oder im Weltmaßstab) die Februarrevolution durchgemacht hätten und uns nun irgendwo auf dem Weg zum Oktober befänden.

Diese Analogie war schon bei Moreno falsch und könnte heute falscher gar nicht sein. Es wird nämlich die einfache Tatsache übersehen, daß die Entwicklung vom Februar bis zum Oktober in der russischen Revolution durch die Existenz einer Doppelmacht gekennzeichnet war, daß es in der Tat ein Bindeglied gegeben hat, das den revolutionären Charakter der Entwicklung zwischen Februar und Oktober deutlich machte.

Wo, so fragen wir, haben sich in Osteuropa in den letzten fünf Jahren auch nur Ansätze von Doppelmacht zwischen Arbeiterklasse und Restaurationisten oder Bürokratie gehalten? Wo es Doppelmachtsituationen gab, bestanden sie in der Konfrontation zwischen "reformerischen", restaurationistischen und "konservativen", d.h. in letzter Instanz an den bürokratischen Eigentumsverhältnissen festhaltenden Teilen der Bürokratie. Das kann man für Rußland noch bis zum zweiten Jelzinputsch gegen das Parlament zeigen; das zeigt sich noch in manchen Ländern des Balkans bis in die 90er Jahre hinein.

Es sind dies jedoch noch keineswegs Zeichen eines besonders starken Hervortretens einer (neuformierten) Arbeiterbewegung - und sei es auch unter reformistischem Vorzeichen. Dieser Prozeß vermehrter Aktivität der Arbeiterklasse ist empirisch vielmehr gerade in den Ländern Osteuropas zu sehen, wo der Restaurationsprozeß recht weit fortgeschritten und zumindest kurz vor seinem Abschluß steht. Besonders gilt das für Polen. Dabei ist zu beobachten, - und auch das spricht für den Vormarsch kapitalistischer Verhältnisse - daß der Klassenkampf immer mehr Formen annimmt, die für das Lohnarbeitsverhältnis charakteristisch sind.

Gegenüber den Folgen des Sturzes der Bürokratie, der konkreten politischen und ökonomischen Verlaufsform und der Etablierung nachfolgender reaktionärer Regime verbleibt Euch nur ein Argument, mit dem ihr den "Fortschritt" der politischen Revolution belegen zu können glaubt:

"Jedoch ist das Kräfteverhältnis für die ArbeiterInnen, die einen historischen Triumph errungen haben, weit günstiger. Deshalb treffen die Bürokratie und ihre neuen Regierungen auf enorme Schwierigkeiten, die ´Ordnung´ herzustellen und ihrer Träume der kapitalistischen Restauration Wirklichkeit werden zu lassen. Auf diesem Weg stoßen sie auf immer heftigeren Widerstand. Darin liegt die Erklärung für die Vertiefung der wirtschaftlichen und politischen Krise in Rußland." (Seite 5/6)

Hier schlägt Eure Einschätzung in Ignoranz um. Wo ist der immer "heftigere Widerstand" beispielsweise in Rußland zu sehen? Natürlich haben die dortigen Restaurationisten aller Lager Angst vor der "unberechenbaren" Reaktion der Arbeiterklasse. Doch das bedeutet nicht, daß sie bisher das Haupthindernis auf dem Weg zur Restauration gewesen wäre. Vor allem aber ignoriert dieser Satz wie Euer gesamter Text die Tatsache, daß das russische Proletariat in den letzten Jahren vor allem eine tragische politische Apathie bei entscheidenden Wendepunkten der politischen Entwicklung an den Tag gelegt hat (1991, 1993).

In Ländern wie Polen, Ungarn, Litauen kam das Wiederaufleben der Arbeiterklasse vor allem den sozialdemokratisch gewendeten ehemaligen Stalinisten zugute. Zweifellos stellt das eine Linksentwicklung dar, jedoch keine offen gegen die Restauration gerichtete und eine, die von den dortigen Arbeiterbürokratien kontrolliert wird.(1)

In Serbien ist die Kontrolle der Bürokratie über die Arbeiterklasse seit dem Ende der 80er Jahre durch den Nationalismus eindeutig gestärkt worden. Dasselbe gilt für Kroatien. Auch in Bosnien zeigt sich die Dominaz der reaktionären bürgerlichen Führungen von Izetbegovic, Silajdic wie der gesamten SDA über die Arbeiterklasse darin, daß sie zumindest im Moment in der Lage sind, den imperialistischen Friedensplan zu verkaufen, ohne auf bedeutende politische Opposition zu treffen.

Der methodische Fehler, den Ihr hier macht, liegt darin, aus verstärkten Konflikten und Gegensätzen innerhalb der Bürokratie oder der Kapitalistenklasse eine direkte Verbindung zur gesellschaftlichen und politischen Stärkung der Arbeiterklasse und der Unterdrückten zu konstruieren.(2)

An diese Stelle sei vorerst nur angemerkt, daß damit auch eine Aufgabe zentraler Elemente des trotzkistischen Programms einhergeht: die Vernachläßigung aller Elemente der Verteidigung der nach-kapitalistischen Eigentumsverhältnisse gegen die kapitalistische Konterrevolution im demokratischen Kittel und die Ersetzung eines Programms der politischen Revolution durch ein im Grunde bürgerliches Programm.(3)

Wir wollen nun zu einem zweiten, mit obiger Einschätzung verbundenen Differenzpunkt übergehen: der Einschätzung diverser Bewegungen in diesem Prozeß des "immer entschiedeneren und energischeren Aufschwungs".

Hier zeigt sich nämlich nicht nur, ja nicht einmal in erster Linie die "optimistische" Schlagseite Eurer Analyse, sondern ein durchgehender opportunistischer Zug in der Einschätzung und Darstellung existierender "Führungen des Kampfes", von "fortgeschrittenen Teilen der Arbeiterklasse", mit denen es zu "verschmelzen" gelte.

Beispiel 1: Palästina

In Aufbruch Nr. 11, Oktober 1993 schreibt Ihr im Artikel "Arafats Kapitulation" (S. 13/14) nicht nur, daß "das plästinensische Volk (...) am Vorabend des Arafat-Rabin Abkommens das günstigste Kräfteverhältnis seiner ganzen Nachkriegsgeschichte" erleben würde, sondern der Kritik am Verrat Arafats wird auch gleich eine "Alternative" entgegengestellt:

"Kein Wunder, daß verschiedene Anführer der PLO, wie Habasch, Hawatmeh und Dschibril sich gegen das Abkommen unmißverständlich gestellt haben. Auch kein Wunder, daß der Aufruf der Hamas zum Generalstreik gegen das Abkommen im Westjordanland einstimmig befolgt wurde.

Die Intifada ist jetzt vor eine schwierige Probe gestellt worden. Wer aber rücksichtslose Besatzungstruppen nicht scheute, wird auch in der Lage sein, die eigenen trojanischen Pferde durch neue kämpferische Führungen zu ersetzen." (Aufbruch Nr. 11, S. 14)

That´s it. Wer ist nun die uminöse "kämpferische Führung"? Habasch und Konsorten, die sich "gegen das Abkommen" - und zwar "unmißverständlich" - gestellt haben? Oder gar die reaktionäre Hamas, deren Aufruf zum Generalstreik "einstimmig befolgt wurde"?

Optimismus in allen Ehren, doch ihr bleibt bewußt vage, unkonkret, unbestimmt, was die Aufgaben von Revolutionären angeht.

Und wo es konkreter wird, wird es nicht besser! In Aufbruch Nr. I/1 vom März 1991 faßt Ihr Eure zentralen Ziele für den Kampf in Palästina zusammen:

"Die Lösung kann nur in der alten Losung der PLO liegen: Für ein demokratisches, laizistisches und nichtrassistisches Palästina!" (Aufbruch I/1, S. 14)

Keine Kritik am utopischen, illusionären Charakter dieses Programms, im Gegenteil, die Lösung - so schreibt Ihr selbst - kann nur in der "alten Losung der PLO" liegen. Nicht einmal eine Erwähnung der Notwendigkeit, die palästinensische Revolution zur Machtergreifung der Arbeiterklasse weiterzuführen und zu internationalisieren, um die demokratischen Aufgaben überhaupt lösen zu können.

Die Krux liegt doch gerade darin, daß das bürgerlich-demokratische Programm der PLO nicht nur den Klassencharakter ihrer Führung widerspiegelte, sondern, gerade weil es in der imperialistischen Epoche durch und durch utopisch ist, zum Verrat führen mußte. Das wußten Trotzkisten aber auch schon 1991. Daher reicht es eben nicht, bloß von einer "kämpferischen Führung" zu reden, sondern man muß aufzeigen, auf welchem Programm sie stehen muß, man muß die Reaktionäre der Hamas wie auch die stalinistischen Etappisten der PLO-Linken kritisieren und ihren im Rahmen der bürgerlichen Ordnung verbleibenden (bzw. im Falle der Hamas sogar reaktionär-antibürgerlichen) Zielen unser Ziel eines sozialistischen Rätepalästina als Teil Vereinigter Sozialistischer Staaten des Nahen Ostens gegenüberstellen.

Nicht so bei Euch. Eure Perspektive für Palästina ist - Optimismus hin oder her - die der bürgerlich-demokratischen Revolution, nicht der permanenten Revolution.

In der Tradition des Trotzkismus gibt es für Eure Politik in diesem Fall eine klare und unzweideutige Bezeichnung: politische Unterstützung nicht-proletarischer Kräfte.

Beispiel 2: Kurdistan

"Der Befreiungskampf Kurdistans muß unterstützt werden, dessen Einheit und Unabhängigkeit gefordert werden. Nur die Zerschlagung aller unterdrückenden Staaten im Nahosten kann die Freiheit des kurdischen Volkes mit sich bringen. Nur durch das Bündnis der kurdischen Bevölkerung mit allen Unterdrückten, allem voran mit dem palästinensischen Volk, vermag eine solche Aufgabe bewältigt werden." (Aufbruch, Nr. 11., S. 12)

Eine Wiederholung derselben politischen Fehler wie oben. Statt klarer Losungen nach der proletarischen Revolution, statt der Betonung eines Programms von Übergangsforderungen - die Forderung nach "Zerschlagung aller unterdrückenden Staaten", nach "Freiheit des kurdischen Volkes", d.h. bestenfalls klassenneutraler strategischer Ziele.

Auch hier keine Kritik an der Führung des kurdischen Befreiungskampfes, keine Kritik an der stalinistischen PKK; die trotz ihres Heroismus der permanenten Revolution entgegensteht. Was bedeutet in diesem Zusammenhang, daß die "Einheit und Unabhängigkeit" des Kampfes gefordert werden muß? Einheit mit der PKK? Im Kampf oder politisch?

Beispiel 3: Bosnien

Die letzte Ausgabe der Barrikade, die fast ausschließlich Bosnien gewidmet ist, setzt diese unrühmliche Tradition fort. Auch dort kaum eine Kritik an Izetbegovic, gar keine an den links-bürgerlichen Elementen der bosnischen Regierung wie Silajdzic.

Noch viel deutlicher kommt diese Anpassung und ein dahinter steckendes Bild eines Automatismus der Revolution in der neuesten Nummer Eurer internationalen Zeitschrift zum Ausdruck. So schreibt Alfons Bech in "Down with Clinton´s Plan for Partition of Bosnia!":

"Es ist eine Tatsache, daß die Arbeiter der soziale Sektor sind, der die Masse der Gesellschaft führt (Hervorhebung im Original). Im besonderen sind sie in die Armija integriert. Es gibt Bataillone, die als ´proletarisch´ betrachtet werden. Es waren die Arbeiter, die den Widerstand in Städten wie Tuzla organisieren, die die jugoslawische Armee hinauswarfen, die die Unabhängigkeit Bosniens nicht anerkannten, die die Führung über die eigene bosnische Regierung übernommen haben. Ihre Organisationen, ihre Entschlossenheit, die Tatsache, daß viele Kommandanten selbst aus proletarischen Verhältnissen stammen, zeigen, daß die Armija einer Volksarmee sehr ähnlich ist. Es sind die Arbeiter selbst, die sagen, daß die ´Armija das bewaffente Volk´ ist, daß ´wir mit wachsamen Auge jene betrachten müssen, die sich bereichern´, daß die Bereicherung nicht ihr Ziel ist, sondern daß sie ´den Krieg gewinnen wollen, sodaß die gesamte Bevölkerung in Würde leben kann´. Es ist keine Wunder, daß sie die ´gegenwärtigen politischen Führer als Übergangserscheinungen´ betrachten, und meinen, daß andere die Gesellschaft führen müßten." (Kopien der letzten Ausgabe, S. 29, unsere Übersetzung)

Nach dieser euphorischen Darstellung muß freilich auch der Autor des Artikels zur Kenntnis nehmen, daß die Arbeiterklasse keine eigene Partei hat und "noch immer politisch zersplittert ist." Das sei aber nicht so tragisch, denn die Durchsetzung des Teilungsplans hänge weitgehend vom "Kampfgeist" der Arbeiter ab.

In Wirklichkeit ist das eine Phrase, mit der über den großen Mangel an proletarisch-revolutionärem Bewußtsein und Organisation hinweggewischt wird. In Wirklichkeit straft die Feststellung, daß es keine revolutionäre, ja überhaupt keine größere Arbeiterpartei gibt und das Proletariat "politisch zersplittert" ist, die Behauptung Lüge, daß die Arbeiter der soziale Sektor sind, der die Masse der Gesellschaft führt.

Sie stimmt nur im soziologischen, keinesfalls im politischen Sinn. Doch genau die Frage des politischen Bewußtseins, nicht einfach der "Kampfgeist", wird die Zukunft des bosnischen Proletariats entscheiden. Revolutionäres, kommunistisches Klassenbewußtsein entwickelt sich nicht spontan aus der "Erfahrung", aus dem "Kampfeswillen", sondern muß, in Lenins Worten, in die Arbeiterklasse hineingetragen werden. Marxisten müssen gerade durch ihre Intervention dieses Bewußtsein im Proletariat verbreitern. Das ist jedoch unmöglich, ohne a) gegen alle Formen (klein)bürgerlichen Bewußtseins in der Arbeiterklasse (sei es jetzt reformistisches, trade-unionistisches, anarchistisches usw.) entschieden anzukämpfen. Es ist unmöglich, ohne das vollständige Programm der Kommunisten der proletarischen Avantgrade zu erklären usw.

Wie auch in den anderen von uns behandelten Artikeln wird die Zuspitzung des revolutionären Programms auf die Machtfrage bei Euch aber garade nicht vorgenommen. Erbauliche Phrasen ersetzen klare und konkrete (wenn auch unter der Masse der vom "Kampfgeist" erfüllten nicht so populäre) Kampfziele und ihre Verbindung zu den strategischen Zielen revolutionärer Kommunisten und Kommunistinnen.

Diese Beispiele (und wir können, wenn Ihr wollt, noch Dutzende andere beibringen), verweisen auf die dritte Differenz, die Frage des Programms.

Der Ausgangspunkt unserer Tendenz war immer, daß die Partei auf der Basis eines klar umrissenen Programms aufgebaut werden muß.(4) Natürlich wird es anhand der Erfahrung, der Intervention weiterentwickelt, konkretisiert, ja mitunter auch revidiert werden. Doch das heißt nicht, daß wir das Programm erst dann schaffen können, wenn wir schon mit den Massen oder Teilen davon verbunden sind.

Unser Dialog mit anderen Militanten, unsere Auseinandersetzung mit anderen Strömungen in der Arbeiterbewegung findet, auch wenn wir eine sehr kleine Tendenz darstellen, nicht nur auf Basis des "individuellen" Wissens unserer Mitglieder statt, sondern auf der Basis einer Entwicklung revolutionärer Theorie und Programmatik, Strategie und Taktik, auf der Basis einer geschichtlichen Erfahrung, die wir mit Hilfe des wissenschaftlichen Sozialismus analysieren und verallgemeinern können und müssen. Wir haben etwas "spezifisches" in diesen Dialog einzubringen: ein revolutionäres Programm und eine Konzeption, einen Plan, dieses zum materiellen Faktor, zur revolutionären Avantgardepartei zu machen.(5)

Nachdem auch die Methode und Ausarbeitung revolutionärer Programme eine Entwicklung durchlaufen hat, so müssen wir heute auch am höchsten Stand der Entwicklung - bei der Methode des Übergangsprogramms - beginnen. Eine solches Programm muß, wie schon Trotzki herausarbeitete, eine Brücke zwischen den momentanen Kämpfen und dem gegenwärtigen Bewußtsein des Proletariats und der sozialistischen Revolution bilden.

In dieser Hinsicht muß ein Programm klar sein. Eure Programme haben jedoch ein enormes methodisches Manko. Es fehlt praktisch immer die Zuspitzung zur Machtfrage, besonders zur Form der Machtergreifung, d.h. zur Notwendigkeit von Sowjets - für Trotzki noch die "Krönung" jedes Programms - und der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparats. Dazu einige Passagen aus dem UIT-Programm (Seite 23/24):

"Bereiteste demokratische Freiheiten für die ArbeiterInnen und das Volk!

Maximale Demokratie für die ArbeiterInnen und das Volk!

Gegen die Monarchien, Militärdiktaturen und den Präsidentialismus besitzt die Losung der freien und souveränene verfassungsgebenden Versammlung große Wichtigkeit; dies gilt auch für die Losung der demokratischen Republik dort, wo die historische Entwicklung dieser Losung weiterhin einen programmatischen Wert zukommen läßt."

Hierzu ist einiges zu sagen. Erstens ist die Losung der "verfassungsvergebenden Versammlung" von der der "demokratischen Republik" zu unterscheiden. Die verfassungsvergebende Versammlung bietet ein Terrain, auf dessen Boden der Kampf um die politische und ökonomische Zukunft einer Landes weiter zugespitzt werden kann, ein Terrain, auf dem sich die Programme der bürgerlichen Klassen und des Proletariats gegenüberstehen. Die verfassungsgebende Versammlung kann nicht nur ein wichtiges Vehikel zur Politisierung der Arbeiter sein, sondern dient ebenso der Zerstörung demokratischer Illusionen der Arbeiterklasse. Deshalb müssen Kommunisten immer auch auf die Unzuläglichkeit selbst der demokratischsten verfassungsgebenden Versammlung hinweisen, darauf, daß sie den Sozialismus nicht einführen kann, darauf, daß die Arbeiter Organe der Doppelmacht brauchen und sich bewaffnen müssen, um notfalls gegen den Verrat der Konstituante, der in 99% aller Fälle eintreten wird, vorzugehen.

Anders die Losung der demokratischen Republik. Während die Konstituante noch kein Parlament ist, noch keine volle stabile bürgerliche Herrschaftsform, so ist die demokratische Republik nichts anderes als die Forderung nach einer Form bürgerlicher Herrschaft. Die Losung der Konstituante läßt sich mit der der Arbeitermacht kombinieren (auch wenn man sie nicht verwechseln darf), die nach der demokratischen Republik jedoch nicht. Sie führt unweigerlich in den Opportunismus, wie sich konkret an Euren Losungen "für eine laizistisches, demokratisches und nichtrassistisches Palästina", für "die schwarze Republik Südafrika" zeigt. Diese Forderungen bereichern das revolutionäre Programm nicht, sondern nehmen ihm die Spitze.

Weiter im Programm der UIT:

"Für die Bewaffnung der arbeitenden Bevölkerung! Politische und gewerkschaftliche Rechte für die Soldaten! Auflösung der Polizei und der repressiven Sondereinheiten!"

Gut und schön. Doch nirgendwo wird die Notwendigkeit der Zerschlagung der bewaffneten Einheiten des bürgerlichen Staates auch nur erwähnt. Für Marxisten hat z.B. der Kampf für politische und gewerkschaftliche Rechte der Soldaten ja nicht sein Ziel in einer noch so weit gehenden Demokratisierung der Streitkräfte, sondern im Brechen der Kommandostrukturen der bürgerlichen Armee, um die Rekruten und unteren Ränge der Soldaten an die Seite der Revolution zu ziehen oder zumindest zu neutralisieren.

Jede genuine proletarische Revolution wird den bürgerlichen Staatsapparat - und das heißt neben einer ungewählten und unkontrollierten Beamtenschaft und Richterkaste - vor allem die bewaffneten Kräfte - die Armee, die Polizei, die Geheimdienste - zerschlagen und eine qualitativ neuen Staatsform schafffen müssen.

Diese Punkte sind in Eurem Programm wieder entweder gänzlich "vergessen" oder bewußt vage gehalten, auch wenn schon wissenschaftlich exakte Begriffe dafür existieren.(6)

Diese Methode stetzt sich auch im Abschnitt über die Arbeiterregierung fort:

"In allen Ländern ist eine Agitation und permanente Kampagne notwendig, um für eine Arbeiterregierung zu kämpfen! Diese Aufgaben nehmen in dem Maß zu, in dem sich Massenkämpfe, politische Krisen, Streiks und Wahlauseinandersetzungen verschärfen. Den Kampf der arbeitenden Massen voranbringend und sich auf ihre eigenen Organisationen stützend muß man sie zunehmend darauf orientieren, die Regierungen der ausbeutenden Klassen und der Bürokratie zu stürzen und ihnen einen Weg auf die Machteroberung durch die Arbeiterklasse öffnen." (S. 23)

Die Komintern Lenins hatte eine etwas andere Sicht auf eine Arbeiterregierung, die von Kommunisten unterstützt oder mitgebildet werden kann:

"Die elementaren Aufgaben einer Arbeiterregierung müssen darin bestehen, das Proletariat zu bewaffnen, die bürgerlichen, konterrevolutionären Organisationen zu entwaffnen, die Kontrolle über die Produktion einzuführen, die Hauptlast der Steuern auf die Schultern der Reichen abzuwälzen und den Widerstand der konterrevolutionären Bourgeoisie zu brechen.

(...)

Die Kommunisten müssen sich unter Umständen bereit erklären, zusammen mit nichtkommunistischen Arbeiterparteien und Arbeiterorganisationen eine Arbeiterregierung zu bilden. Sie können das aber nur dann tun, wenn Garantien dafür vorhanden sind, daß die Arbeiterregierung wirklich einen Kampf gegen das Bürgertum im oben angegebenen Sinne führen wird. Dabei bestehen selbstverständlichen Bedingungen der Teilnahme der Kommunisten an einer solchen Regierung darin, daß

1. die Teilnahme an einer Arbeiterregierung nur mit Zustimmung der Komintern erfolgen kann;

2. die kommunistischen Teilnehmer an einer solchen Regierung unter der strengen Kontrolle ihrer Partei stehen;

3. die betreffenden kommunistischen Teilnehmer an dieser Arbeiterregierung in engster Führung mit den revolutionären Organisationen der Massen stehen;

4. die Kommunistische Partei ihr eigenes Gesicht und die volle Selbständigkeit der Agitation unbedingt behält." (IV. Weltkongreß der KI, Thesen über die Taktik des Komintern, S. 15/16)

Aus sehr konkreten Aufgaben und Bedingungen der KI - Bewaffnung der Arbeiter, Entwaffnung der Konterrevolution, Arbeiterkontrolle über die Produktion - wird in Eurem Programm ein verschwommens "zunehmend darauf orientieren". Statt klarer Kriterien wird hier der politischen Unterstützung nicht-revolutionärer Arbeiterregierungen Tür und Tor geöffnet.(7) Schließlich können sich auch diese "zunehmend" auf allerlei gute Sachen "orientieren". Daß es sich dabei nicht einfach um eine unzulängliche Formulierung handelt, zeigt nicht zuletzt Eure Losung "Solidarnosc an die Macht" 1980/81, die Ihr für die Losung nach einer revolutionären Arbeiterregierung haltet.

Das alles ist keinesfalls nur eine Frage der Pädagogik. Es ist die Frage, ob wir der Avantgarde - natürlich möglichst verständlich formuliert - sagen, was ist, oder ob wir sie mit Zweitklassigem und Halbherzigem abfertigen.

Unserer Auffassung nach ist die Antwort für Trotzkisten klar - und leider auch, daß Ihr genau das - Sagen was ist, programmatische Schritte angeben, die notwendig sind, unabhängig davon, ob das heute die Arbeiter so sehen - nicht tut.

Im Grunde ist das eine politische Anpassung an klassenfremde Elemente. Es ist keine Grundlage für den Aufbau einer revolutionären Organisation, die diesen Namen auch verdient. Es ist ein zentristisches Konzept.

Dagegen helfen auch Ausreden nichts. Wenn Ihr z.B. sagt, daß Eure Zeitungen nicht an die Linke gerichtet sind, sondern an "Elemente der Avantgarde", so rechtfertigt das einen anderen Stil, keineswegs aber einen anderen Inhalt.

Oder haben etwa die "kämpfenden Sektoren der Massen" kein Recht darauf, über den verräterischen Charakter Izetbegovics im Voraus aufgeklärt zu werden? Haben sie kein Recht darauf, zu erfahren, daß die Perspektive der PKK in die Niederlage oder "bestenfalls" in die stalinistische Diktatur führt? Haben sie nicht das Recht, das vollständige Programm der Revolutionäre erklärt, dargelegt zu bekommen? Oder ist das nur für Studenten, Intellektuelle, Zentristen, Sektierer usw.?

Wir denken, daß das Gegenteil der Fall ist. Die Arbeiter - insbesondere ihre Avantgarde - hat das Recht auf die Wahrheit. Revolutionäre haben die Pflicht, zu sagen, was ist.

Diese Verpflichtung gilt selbstredend für alle Stadien und jede Taktik im Parteiaufbau - womit wir zum vierten Punkt unserer Differenzen kommen.

Das zeigt sich nicht zuletzt in der von Euch anscheinend fast immer und überall angewandten Taktik der Arbeiterpartei. Diese Taktik lehnen wir keineswegs prinzipiell ab, auch wenn wir deren nahezu inflationäre Anwendung auch in Ländern wo es bereits große, wenn auch nicht-revolutionäre Massenparteien der Arbeiterklasse gibt, für falsch halten. In Osteuropa z.B. existieren in den meisten Ländern bereits bürgerliche Arbeiterparteien (in der Tschechischen Republik sogar zwei, eine stalinistische und eine sozialdemokratische). Noch mehr trifft das auf Westeuropa zu (aber z.B. auch Brasilien), wo es vielfach wie in Deutschland, Frankreich, Italien ... sogar zwei, wenn auch unterschiedlich große und einflußreiche bürgerliche Arbeiterparteien gibt. Hier gilt es v.a. die Losung einer revolutionären Partei zu propagieren. Man muß klar und deutlich sagen, daß wir nicht eine weitere Partei auf einem reformistischen oder zentristischen oder sonstwie konfusen Programm brauchen, sondern eine Partei auf klarer revolutionär-kommunistischer Basis.

Doch selbst, wo wir die Losung einer Arbeiterpartei aufstellen, kämpfen wir von Beginn an dafür, daß sei auf einem revolutionären Aktionsprogramm steht. Ihr hingegen verfolgt eine gänzlich andere Methode:

"Unter diesen Umständen sind wir Revolutionäre Befürworter der Bildung von Arbeiterparteien auf/mit einem Teilprogramm (kein ausgefeiltes, vollständiges Programm), das vor allem die unmittelbarsten Interessen der arbeitenden Bevölkerung ausdrückt, ihre Verbindung mit deren Mobilisierungen und Organisationen und ihre Unabhängigkeit gegenüber den Parteien und Regierungen der feindlichen Klassen." (UIT-Programm, S. 18)

So macht ihr´s auch in Weißrußland und anderen Ländern.(8) Das Problem ist nur, daß ein solches Programm notwendigerweise kein Programm ist, das den Standpunkt des Proletariats zum Ausdruck bringt. Ein Programm, das anscheinend auf die "unmittelbaren Interessen" und eventuell ein paar Übergangsforderungen begrenzt sein soll, läßt eben die entscheidenden politischen Fragen offen - und nimmt damit "bestenfalls" eine neutrale Haltung zu ihrer Lösung im Sinne der proletarischen Revolution oder der bürgerlichen Konterrevolution ein. Eine solche Politik ist jedoch nicht "unabhängig von den feindlichen Klassen", sondern im Grunde bürgerlich.

Damit wird - ganz anders als ihr meint - eben nicht das Bewußtsein der Avantgarde vorangebracht, sondern verwirrt und geschwächt, indem ihr für eine untaugliche und ungenügende Antwort für die anstehenden Probleme werbt, indem Ihr selbst für ein nicht-revolutionäres Programm als Grundlage einer Arbeiterpartei eintretet. Kurzum, die notwendige Folge, Konfusion der Arbeiter, wäre durch Euch selbst mitverursacht. Ein solches Versteckspiel mit dem revolutionären Programm mag zwar zur zeitweiligen Aufblähung einer Partei führen - freilich um den Preis ihres proletarisch-revolutionären Charakters. Ihr würdet selbst ein zentristisches oder reformistisches Hindernis auf dem Weg zur Revolution aufbauen.

Diese ganze Taktik steht auch, jedenfalls auf den ersten Blick, in einem schreienden Widerspruch zu Eurer Einschätzung der Weltlage. Einerseits wird der Übergang vom Februar zum Oktober, ein immer stärkerer Ansturm der Arbeiterschaft proklamiert. Andererseits wird mit Programmen hantiert, die der proletarischen Avantgarde gerade kein Mittel zur Machtergreifung in die Hand geben. Die von Euch oft betonte Notwendigkeit einer "offensiven" Politik in allen Ehren: Eure Politik ist das gerade nicht.

Freilich sagten wir mit Grund, daß das nur ein Widerspruch in Eurer Position zu sein scheint. Er wird jedoch erklärlich und gekittet dadurch, daß es bei Euch auch eine starke Tendenz zu spontaneistischen und ökonomistischen Vorstellungen gibt.

Das zeigt sich im Programm, wo die "unvermeidliche" Entwicklung auch des auf bürgerliche (Freies Kurdistan etc.) oder zentristische Plattformen beschränkten Programms zur Machtergreifung über die prinzipielle Unmöglichkeit der Realisierung bestimmter Teilforderungen im imperialistischen System argumentiert wird. Abgesehen davon, daß die "prinzipielle Unmöglichkeit" nur relativ und in letzter Konsequenz gilt, so ergibt sich daraus vor allem noch lange keine Unvermeidlichkeit ihrer Realisierung. Ohne revolutionäres Programm, ohne revolutionäre Führung keine genuine proletarische Revolution, sondern über kurz oder lang eine ganze bürgerliche Konterrevolution.

Welche Taktik man auch immer anwenden mag (Entrismus, kritische Wahlunterstützung, Fraktionsarbeit, Einheitsfront), das revolutionäre Programm, die Erziehung der Kader um die Progaganda und Agitation für dieses Programm darf in keiner Phase vernachlässigt werden.

Wir lehnen es daher auch ab, mit "unabhängigen Arbeitervorhutströmungen und den sicherlich auftauchenden revolutionären Organisationen Abkommen zu schließen und Fronten zu programmatischen Punkten zu bilden." (S. 18) Das ist nichts anderes als das Konzept der Bildung von sogenannten Propagandablöcken, von Miniaturparteien, die über eine unklares, verwaschenes Programm zusammengehalten werden. In Deutschland trägt ein solches Projekt einen Namen: VSP.

Es führt eben kein Weg daran vorbei, eine revolutionäre Organisation geduldig und auf solider Grundlage aufzubauen. Kleine Propagandagruppen wie die unseren müssen sich notwendigerweise an eine kleine Minderheit wenden, sie müssen sich notwendigerweise die Aufgabe stellen, überhaupt erst erste Kader, Propagandisten und Propagandistinnen, zu gewinnen und zu erziehen.

Eine solche Organisation bedarf eines regelmäßigen Publikationsorgans, das zu wichtigen Fragen des nationalen und internationalen Klassenkampfes Stellung bezieht, die Politik aller Klassen, aller wichtigen Kräfte analysiert und das volle programmatische und taktische Arsenal der Kommunisten darlegt. Eine solche Organisation muß auch dem Kampf gegen kleine zentristische Organisationen, wie auch gegen die vorherrschenden bürgerlichen Ideologien (d.h. also der politischen wie auch der ideologischen Form des Klassenkampfes) besondere Aufmerksamkeit widmen. Nicht unbedingt, weil diese Gruppierungen oder geistigen Strömungen an sich so interessant wären, sondern weil sie zum einen wichtige Hindernisse sind, um überhaupt breitere Schichten der Arbeiterschaft erreichen zu können, zum anderen vielfach, wenn auch in einer falschen politischen Methode geschulte, wertvolle Kader haben.

Das schließt in keinster Weise exemplarische Aktivität im Betrieb, in der Gewerkschaft, an der Schule, der Uni, in einer reformistischen Massenpartei oder in einer Kampagne aus. In der Regel jedoch wird diese Tätigkeit nur exemplarischen Charakter und, gerade in den Frühstandien des Aufbaus einer kämpfenden Propagandagruppe, untergeordneten Stellenwert haben (der natürlich auch von der allgemeinen politischen Situation abhängt).

Bedeutet das, daß sprunghafte Entwicklungen im Parteiaufbau, d.h. für uns heute in der Regel die Entwicklung zu einer großen kämpfenden Progandagruppe oder einer kleinen Kaderpartei, nicht stattfinden könnten? Nein. Aber, abgesehen davon, daß sie bei sehr kleinen Gruppen höchst selten vorkommen, so werden solche Sprünge immer nur dann von dauerhaftem Erfolg gekrönt sein, wenn sie a) auf prinzipienfester programmatischer Basis erfolgen und b) nicht mit dem "Überspringen" der Aufgaben früherer Perioden (Kaderschulung, Entwicklung einer politische gefestigten Leitung) einhergehen, sondern diese sozusagen auf höherer Stufe gezielt und planmäßig angegangen werden.

Aus zuletzt Gesagtem ergibt sich auch, daß unsere Organisationen heute von einer Fusion sehr weit entfernt sind. Es wäre in unseren Augen politisch unseriös, weiter eine Diskussion mit dem Ziel der Auslotung von Differenzen und Gemeinsamkeiten in Hinblick auf einen Zusammenschluß zu verfolgen. Nicht nur, daß die Unterschiede im methodischen Herangehen enorm sind - sie sind wohl auch im gegegebenen Stadium unüberwindlich. Eure Internationale steht im wesentlichen auf denselben zentristischen methodischen Grundlagen, auf denen auch die LIT stand und wir sehen eigentlich keine bedeutenden Anzeichen für den Wandel Eurer Methode. Zwischen diese und der unseren kann es jedoch keinen Mittelweg geben, sondern nur die Anerkennung der einen oder anderen Herangehensweise.

Auch wenn wir in diesem Brief viele grundlegende methodische Unterschiede zu Euch festgestellt haben, so ist es doch andererseits kein bloßer Zufall, daß wir in einigen konkreten Fragen gut zusammenarbeiten konnten. Einerseits unterscheidet Euch von vielen anderen deutschen Linken ein nicht-sektiererisches Verhältnis zur Arbeiterklasse, die Bereitschaft zur Intervention in die Klasse auch bei gering entwickeltem Klassenbewußtsein und eine im allgemeinen nicht-katastrophistische Einschätzung der Lage der Klasse. Daneben ist auch Eure Bereitschaft zu aktiver Einheitsfrontarbeit zu erwähnen. Wir haben Euch in den Monaten unserer Zusammenarbeit als ehrliche Aktivist/inn/en kennen - und schätzen gelernt.

Wir können uns daher eine weitere enge Zusammenarbeit in konkreten Kampagnen und Kämpfen vorstellen (AfB, Siemens), auch wenn wir derzeit nicht fusionieren können. Dies heißt nicht, daß wir eine Annäherung für alle Zeiten für unmöglich halten. Neben der praktischen Zusammenarbeit hoffen wir daher auf weitere politische Diskussionen, je nach Gelegenheit. Auf jeden Fall hoffen wir, daß wir so bald wie möglich eine abschließende Debatte führen können, bei der wir diesen Brief, bzw. eine schriftliche Antwort von Euch zur Grundlage nehmen sollten.

Mit sozialistischen Grüßen
Gruppe Arbeitermacht,
Berlin, den 20.12.1995

 

Fußnoten

(1) Interessanterweise werden diese Tendenzen von Euch vielfach ignoriert, wie auch die Notwendigkeit des Einsatzes taktischer Mittel (Einheitsfront, Wahltaktik), um den Einfluß dieser Reformisten auf die politische und gewerkschaftliche Arbeiterbewegung zu brechen. Daher auch Eure sektiererische Haltung zur Kandidatur Kwasniewskis, der einen glänzenden Sieg gegen den Erzreaktionär Walesa errungen hat.

(2) "Die Weltlage ist von einem immer entschiedeneren und energischeren Aufschwung der Kämpfe der ArbeiterInnen in immer mehr Ländern charakterisiert. Das Gleichgewicht zwischen den Aktionen der Arbeiterbewegung und anderen Bevölkerungsteilen auf der einen Seite und den konterrevolutionären Plänen des imperialistischen Kapitalismus und seiner Agenten auf der anderen verschiebt sich zu Gunsten ersterer." (UIT-Programm, S. 4)

Wie verträgt sich diese Einschätzung mit dem Niedergang der Streikzahlen in praktisch allen imperialistischen Ländern von 1990-1995, wie mit dem Niedergang der Gewerkschaften und sozialdemokratischen bzw. stalinistischen bürgerlichen Arbeiterparteien, ohne daß höhere oder fortschrittlichere Formen der Organisation an ihre Stelle getreten wären? Zweifellos muß man diese Sache "differenziert betrachten", zweifellos wäre es falsch, daraus schon historische Niederlagen usw. zu konstruieren. Das hat unsere Tendenz auch nie getan. Doch nicht minder falsch als die zahlreichen fatalistischen Einschätzungen der Linken war es, die erste Hälfte der 90er Jahre als "immer entschiedeneren und energischeren Aufschwung der Kämpfe der ArbeiterInnen in immer mehr Ländern" zu betrachten. Das hat schon nichts mehr mit "einseitiger" Wahrnehmung, sondern vielmehr mit der Leugnung der Realität zu tun.

Was wir heute erleben, ist ein Ende der konterrevolutionären ersten Phase der revolutionären Periode. Daher findet heute zweifellos ein Wiedererwachen der Arbeiterbewegung, sei es in Steiks (z.B. Frankreich) oder auf elektoraler Ebene (Ungarn, Polen, Österreich, Rußland) statt. Doch zeigt sich zugleich dabei auch der Einfluß konterrevolutionärer Apparate auf ebendiese Arbeiterbewegung, deren Aufschwung oft auch die Form einer zeitweiligen Stärkung reformistischer Parteien bzw. Ideologien annimmt.

(3) Als Beispiel dafür verweisen wir auf die Rückseite des Mauerspecht Nr. 1 vom Juni 1990, einer Zeitschrift also, die kurz vor der Restauration des Kapitalismus in der DDR erschien. Dieses Programm fand seine ultima ratio in der Losung der Verfassungsgebenden Versammlung, die das Ziel eines Sowjetdeutschland ersetzt, indem dem "Staatsvertrag" ein rein ökonomistisch bestimmter "Arbeitervertrag" (gleiche Löhne Ost und West, Plan für Wohnungsbau, DDR-Abtreibungsrecht, jeweils höchste Errungenschaft in beiden Teilen verwirklichen) gegenübergestellt wird. Es findet sich keine Losung zur Verteidigung der Planwirtschaft im Osten, keine Losung gegen die Restauration des Kapitalismus! Und natürlich auch keine Erwähnung, daß die Zerstörung dieser Planwirtschaft trotz ihres bürokratischen Charakters eine strategische Niederlage für das gesamte Proletariat bedeutet. Die Frage, die jeder Trotzkist in diesen Tagen in den Vordergrund hätte stellen müssen - den Kampf gegen die kapitalistische Wiedervereinigung, die Verteidigung der sozialen Errungschaften der DDR, insbesondere der Planwirtschaft gegen die Restauration - wird nicht einmal erwähnt!

(4) Nebenbei bemerkt, zeigt sich dann auch, daß die "Krise des Trotzkismus" nicht einfach auf eine mangelnde "Verankerung", sondern vor allem auf zentrale programmatische Revisionen in der Phase von 1948 bis 1951 und deren Ratifizierung auf dem dritten Weltkongreß der VI zurückzuführen ist. Schließlich hat die Verankerung weder den POR (Lora), die sri-lankesische LSSP, noch die MAS vor opportunistischen Anpassungen an die nationale Bourgeoisie bewahrt. Zur genaueren Darstellung seien unsere Broschüren "The death agony of the fourth international" oder "Der Letzte macht das Licht aus" erwähnt, die sich besonders mit dem Zentrismus des VS beschäftigt, deren erste Kapitel jedoch auch detailliert auf die zentristische Degeneration der Vierten Internationale nach 1945 und die Entwicklung der Analyse des sogenannten "Doppelcharakters" des Stalinismus eingeht.

(5) Das meint auch Trotzki, als er in den Diskussionen zum Übergangsprogramm auf die Frage, was die Partei sei, worin ihr Zusammenhalt bestehe, kurz zusammenfaßt: "Dieser Zusammenhalt ist ein gemeinsames Verständnis für die Ereignisse, für die Aufgaben, und dieses gemeinsame Verständnis - das ist das Programm der Partei." (Weitere Diskussionen über das Übergangsprogramm, in: Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale, herausgeben vom Spartacusbund, S. 62)

An anderer Stelle betont er, daß das Programm von der "objektiven Lage", nicht vom gegenwärtigen Bewußtsein der Arbeiter auszugehen hat. (Ebenda, Diskussionen zum Progamm, S. 57 ff.)

(6) Namentlich die Notwendigkeit des Zerbrechens der bürgerlichen Staatsmaschinerie wird von Marx schon im 18. Brumaire aufgezeigt, die konkrete Form des proletarischen Halbstaats anhand der Pariser Commune gefunden. Diese Sache - die Lenin in "Staat und Revolution" nicht von ungefähr als eine der zentralen Scheidelinien von Revolutionären und Reformisten nennt - wird bei Euch verwaschen. Euer Programm ähnelt hier ganz und gar der Tradition von VORAN/Militant, die offen von der Möglichkeit eines parlamentarischen Weges zum Sozialismus sprechen.

(7) Gerade in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung hat eine opportunistische Haltung zur Frage der Arbeiterregierung schon einmal, 1923 durch die Brandler/Thalheimer-Führung der KPD, zu einer entscheidenden Niederlage mitbeigetragen.

(8) Eine Variante davon stellt wohl auch Euer Heft "Welcher Weg aus der Krise?" vom April 1993 dar, das wir zusammengefaßt als Weg in eine rechts-zentristische Sackgasse, aber niemals als revolutionären Ausweg charakterisieren würden. Es inkludiert die meisten im Brief behandelten methodischen und politischen Schwächen und Fehler Eurer Gruppierung.