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Arbeiterklasse und Revolution

Thesen zum Marxistischen Klassenbegriff

Markus Lehner, Revolutionärer Marxismus 28, wiederveröffentlicht Revolutionärer Marxismus 42, Oktober 2010

VI. Veränderung der Klassenstruktur und revolutionäre Perspektive

Die Kategorie "Mittelklasse" ist ein wesentliches Element der bürgerlichen Soziologie und Ideologie. In ihr drückt sich die - interessensbedingte - Unfähigkeit aus, die Bedeutung der ökonomischen Grundwidersprüche des Kapitalismus in ihrer Auswirkung auf die sozialen Gegensätze dieser Gesellschaft zu erfassen. Statt dessen wird eine Vielheit von Kriterien (Einkommenskategorien, Berufsgruppen, Qualifikationsniveaus, Lebensstile, Milieus etc.) angeführt, um eine immer "differenziertere" und "unüberschaubarer" werdende gesellschaftliche Struktur zu behaupten.

Alles, was dann nicht in die Kategorien "Industriearbeiter" und "Großkapitalisten" fällt, wird damit in der einen oder anderen Form zur "Mittelklasse". Es ist dann kein Wunder, daß diese den Großteil der Gesellschaft umfaßt, und daß mit dem "Fahrstuhleffekt" (die Hebung des gesellschaftlichen Reichtums in der Nachkriegsperiode habe zu einem entsprechenden sozialen Aufstieg aller Schichten in der Gesellschaft geführt) ein Verschwinden der Arbeiterklasse bzw. der Bedeutung der Klassenlage für Bewußtsein und Handeln der Angehörigen dieser Klasse prognostiziert wurde.

Nachdem seit einigen Jahrzehnten eine Stagnation der Einkommen und des Lebensstandards weiter Teile der Bevölkerung eingetreten ist, ja sogar eine direkte Verelendung ihres unteren Teils, kann von einem Fortschreiten dieser "Vermittelklassung" auch in der bürgerlichen Soziologie eigentlich nicht mehr gesprochen werden. Es ist daher nur logisch, daß stattdessen von einer Auflösung von "Klassenverhältnissen" an sich, von einer Auflösung "traditioneller Milieus" in unüberschaubar werdende "soziale Lagen" und Lebensstile (z.B. post-materialistische, hedonistische, alternative, aufstiegsorientierte etc.) die Rede ist. Hiermit erscheinen dann endgültig nur noch "vereinzelte Einzelne" als gesellschaftliche und politische Akteure, die Soziologie löst sich auf in Psychologie und Medienkunde.

Das gegenteilige Extrem bildet die "scholastische" marxistische Soziologie, wie sie besonders durch den Stalinismus hervorgebracht wurde. Bedeutsame soziologische Schulen (z.B. das IMSF und seine Lehrmeister in der offiziellen DDR-Soziologie) vertraten die Ansicht, daß die marxistische Antwort auf die Kriterienvielfalt der bürgerlichen Soziologie die Vereinfachung auf eigentlich ein einziges Kriterium ist: Eigentum oder Nicht-Eigentum an Produktionsmitteln. Die reine Form der "Lohnabhängigkeit" reichte somit aus, um 90% der Bevölkerung westlicher Länder zu Mitgliedern der Arbeiterklasse zu erklären - der Sieg des Sozialismus schien unausweichlich. Die Bedeutung der Marxschen Analysen zu produktiver/unproduktiver Arbeit für die Klassenanalyse wurde beharrlich geleugnet und die entsprechenden Marxwerke (Theorien über den Mehrwert, Rohentwurf des Kapitals) auf rein scholastische Diskussionen um Theoriengeschichte reduziert.

Andere Strömungen wiederum, die diese beharrliche Ignoranz der Analyse des Mittelschichtenphänomens aus marxistischer Sicht überwinden wollten, verabsolutierten wiederum die Bedeutung des Marxschen imaginären produktiven Gesamtarbeiters zu einer konkreten Klassendefinition (z.B. Projekt Klassenanalyse, Strukturalismus, analytischer Marxismus). Sie endeten damit wie die bürgerliche Soziologie bei einer Form von "Mittelklasse", die den Großteil westlicher Gesellschaften ausmachen solle.

Für eine dialektisch entfaltete Klassentheorie!

In diesen Thesen wurde versucht zu zeigen, daß eine marxistische Gesellschaftsanalyse nur auf der Grundlage einer dialektischen Entwicklung soziologischer Kategorien beruhen kann. Daß also die gesellschaftliche Wirklichkeit und ihre Veränderung als Totalität ökonomischer, politischer, ideologischer, kultureller etc. Widersprüche verstanden werden muß, die sich alle aus dem grundlegenden Klassenwiderspruch von besitzender und ausgebeuteter Klasse begründen. Gesellschaftliche Erscheinungen lassen sich nur im konkreten Zusammenhang der genannten Faktoren verstehen, die sich  in einer Folge dialektischer Ableitungen aus dem Verhältnis der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu den Produktionsmitteln herleiten lassen.

Die Eigentumsverhältnisse begründen zwar die sozialen Klassenlagen und ihre subjektiven Äußerungen, aber sie sind nicht mit ihnen identisch. Die beständige Reproduktion und gleichzeitige Negation der bestehenden ökonomischen Verhältnisse ist es, die ein Verhältnis zwischen handelnden Subjekten hervorbringt, das auf gesamtgesellschaftlicher Ebene als Klassenverhältnis erscheint. Die Grundstruktur der Gesellschaft ist daher nicht durch die statische Festlegung bestimmter sozialer Grundtypen erkennbar, die in Interaktion treten. Umgekehrt, die grundlegende Veränderungsdynamik der Gesellschaft, die in Richtung Aufhebung der bestehenden Eigentumsordnung geht, ist es, die die gesellschaftlich handelnden Subjekte erst hervorbringt.

In kapitalistischen Gesellschaften leiten sich aus der ökonomischen Struktur nur noch zwei für die gesellschaftliche Produktion notwendige Klassen ab: Kapital und Lohnarbeit. In ihrer revolutionären Epoche bekämpft die Bourgeoisie die Privilegien und den Parasitismus nicht-produktiver Klassen. Je mehr das Kapitalverhältnis durch den Klassenkampf mit dem Proletariat bedroht ist und selbst zu einer Schranke der Produktivkraftentwicklung wird - also selbst immer parasitäreren Charakter annimmt -, um so mehr schließt sie Kompromisse mit reaktionären, konservativen und parasitären Klassen bzw. integriert sie in ihr Herrschaftssystem.

Insbesondere die imperialistische Epoche wird zu einer Blütezeit dieser gesellschaftlichen Degeneration der bürgerlichen Revolution: Während das traditionelle städtische und ländliche Kleinbürgertum sich in einem langsamen Auflösungsprozeß befindet, werden die Kapitalfunktionen in den monopolkapitalistischen Apparaten in Großindustrie und staatlichen Verwaltungen genauso zur Quelle unproduktiver Mittelschichten, wie die Bestechung gewisser Teile der Arbeiterklasse in Form der Arbeiterbürokratie und die generelle Tendenz zur Zunahme unproduktiver Wirtschaftssektoren.

Diese Mittelschichten sind wesentliches Element der Bestandssicherung bürgerlicher Herrschaft im Sinne ökonomischer Aufsichtsfunktionen genauso wie politischer Legitimations- und Exekutivfunktionen. Veränderungen in der Sozialstruktur dieser Schichten gehen daher einher mit Erschütterungen der konkret-historischen Herrschaftsform der Bourgeoisie. Diese Herangehensweise kann erklären, warum breite Teile der Arbeiterklasse auch noch in Zeiten erhöhter Krisenhaftigkeit des Gesamtsystems weiterhin die "Mittelklasse"-Erscheinungsform annehmen (in soziologischer, politischer, ideologischer Weise).

Im Unterschied jedoch zu ökonomistischen - sich auf Marx beziehenden - Klassentheorien, die die produktive Arbeiterklasse im Schrumpfen sehen und daraus die Schlußfolgerung ziehen, daß "neue strukturelle Widersprüche" den alten Klassenwiderspruch ersetzen würden, beinhaltet unsere Herangehensweise die Notwendigkeit einer Neuformation einer heterogener, differenzierter und von einer politischen Führungskrise betroffenen, größer gewordenen Arbeiterklasse. Die objektiven Widersprüche, der sich verschärfende Klassenwiderspruch bietet dafür nur die Möglichkeit, die sich erst im konkreten, letztlich revolutionären Klassenkampf verwirklichen kann.

Kampf gegen politischen Einfluß der Mittelschichten

Der Kampf gegen die verschiedenartigen Einflüsse der Mittelschichten auf die Arbeiterklasse bildet dabei ein wesentliches Moment dieses Herausbildungsprozesses, wie die Erkenntnis der Klassenposition von Mittelschichten auch die Grundlage für die Entscheidung ist, wer für den konsequenten Klassenkampf gewonnen werden kann, und wer systematisch mit dem bestehenden System verbunden ist, und daher letztlich auf der anderen Seite der Barrikade steht.

Theorien, die die Klassenposition rein an der Form der Lohnabhängigkeit festmachen, für die also die Klassenwirklichkeit im wesentlichen nur noch auf Kapital und Lohnarbeit und ein immer kleiner werdendes Kleinbürgertum beschränkt ist, müssen bei einer idealistischen Auffassung vom Charakter der bestehenden bürgerlichen Herrschaftsordnung und ihrer Überwindung enden. Die systematische Konstanz der Mittelklasse-Erscheinungsform kann hier nur durch politisch-ideologische Phänomene erklärt werden: z.B. die verräterische Politik des Reformismus, die Bestechung bestimmter Teile der Arbeiterschaft, die Wirkung der "Hegemonie" der staatsmonopolistischen Apparate, die Wirkung verschiedener ideologischer Agenturen, z.B. Massenmedien, die enorm gesteigerten militärischen Gewaltapparate etc. Sobald also diese politisch-ideologischen Hindernisse beseitigt wurden (z.B. durch Verschärfung anti-monopolistischer Widersprüche, bestärkt durch anti-monopolistische Bündnisse) steht die ungeheure Masse der Bevölkerung geeint gegen das bestehende System und ist zu seiner Überwindung in der Lage.

Die genannten politisch-ideologischen Momente sind zwar wesentlich, sie sind jedoch nur im Zusammenhang mit einer Analyse der zugrundeliegenden sozialen Umstrukturierungen in Arbeiterklasse und Mittelschichten verstehbar. Es sind nicht nur ein paar Führungspersonen der Arbeiterbewegung auszuwechseln, ihre Organisationen "umzupolen", der Einfluß kleinbürgerlicher Ideologien in der Arbeiterklasse zurückzudrängen oder der Klassenkampf "nur konsequenter" zu führen: Die Arbeiterklasse, die sich heute in ihrer sozialen, ideologischen und politischen Gestalt wesentlich gegenüber den 20er Jahren geändert hat, muß auch völlig neu zur Klasse für sich formiert werden.

Dabei werden es keineswegs die angesprochenen 90% der Bevölkerung sein, die in einen konsequenten Klassenkampfprozeß eintreten werden, sondern nur jene Schichten, die von einer systematischen Ausbeutung und Entfremdung ihrer Arbeitsbedingungen betroffen sind und von ihrer Stellung im Arbeitsprozeß die Perspektive einer selbstverwalteten Ökonomie unter Arbeiterkontrolle entwickeln können. Dieser Prozeß erst wird die Masse der Lohnabhängigen in Proletarier und offene Funktionäre der Bourgeoisieherrschaft polarisieren.

Die Verwischung der Unterscheidung von Arbeiterklasse und lohnabhängigen Mittelschichten führt daher zu einer Verharmlosung der Probleme des revolutionären Klassenkampfes: D.h. entweder zu einer Anpassung des Programms der Systemüberwindung an die Gewinnbarkeit der lohnabhängigen Mittelschichten für dieses Programm - und damit auf dem geraden Weg zum Reformismus - oder zu einer gefährlichen Blindheit gegenüber den Schwierigkeiten sowohl des völligen Umbaus der Arbeiterbewegung gegenüber, wie des notwendigen Ausmaßes des revolutionären Bürgerkrieges gegen die Klassenkräfte des Bestehenden.

Arbeiterklasse und Arbeiterbewegung, Partei und Klasse

Wir haben gesehen, daß die abstrakt allgemein bestimmte Klasse des produktiven Gesamtarbeiters und die tatsächliche, konkret historisch gegebene Klasse in keinem unmittelbaren, unvermittelten Verhältnis stehen. Wesen und Erscheinung fallen auseinander: Die produktive Industriearbeiterschaft zergliedert sich in verschiedene Schichten, von denen einige sogar Kapitalfunktionen ausführen; die Arbeiterklasse umfaßt weit mehr Schichten, als nur die Fabrikarbeiterschaft, und dies in immer größeren Umfang; darunter fallen auch verschiedene Schichten, die im ökonomischen Sinn gar keine produktiven Arbeiter umfassen (Handelsangestellte, Personal in gewissen Staatsbetrieben etc.). Das Bewußtsein der Arbeiterklasse wird vom herrschenden Bewußtsein geprägt; die Wirkung der Mittelschichten auf weite Teile der Arbeiterklasse, sowohl ideologisch, als auch durch Aufstiegshoffnungen und Vorbildwirkungen, führt ebenso zu einer Verbürgerlichung breiter Teile der Arbeiterklasse, wie Phänomene wie Arbeiteraristokratie und Integration der Arbeiterbürokratie in das bürgerliche System. Einhergehend mit den Niederlagen der Arbeiterbewegung in diesem Jahrhundert und der Bürokratisierung und Verbürgerlichung aller hegemonialen politischen Strömungen in ihr (Sozialdemokratie wie Stalinismus) ist es daher kein Wunder, daß das Bewußtsein von der eigenen Klassenlage bei einem großen Teil der Arbeiterklassen kaum entwickelt ist und viele Teile der Klasse sich nicht einmal mehr als "Arbeiter" sehen, sondern sich lieber der "Mittelklasse" zuordnen.

Natürlich ist das Bewußtsein von der eigenen Klassenlage kein wesentliches Kriterium für die Klassenzugehörigkeit, die sich aus den objektiven Zwängen der Produktionsweise ergeben (die also den einzelnen Proletarier, ob er es will oder nicht, immer wieder ins Verhältnis der Negation zum Gesamtkapital bringen): "Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat, als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird". (101)

Doch ist dies reine Abstraktion, bloße Darstellung objektiv herleitbarer, widersprüchlicher sozialer Phänomene, solange aus dieser Grundlage nicht ein wirklich handelndes gesellschaftliches Subjekt, eine tatsächlich als solche handelnde Klasse entsteht. Doch zum handelnden Subjekt wird die Klasse nicht, wenn dieser oder jener gesellschaftliche Konflikt als "subjektiver Ausdruck" eines "gesellschaftlichen Widerspruchs" interpretiert werden, gar radikal als "Klassenkampf" bezeichnet werden könnte.

Lenin hat das Problem in scharfer Weise so formuliert: "Was aber ist Klassenkampf? Wenn die Arbeiter einer einzelnen Fabrik, eines einzelnen Berufs den Kampf gegen ihren Unternehmer oder ihre Unternehmer aufnehmen? Nein, das sind erst schwache Ansätze dazu. Der Kampf der Arbeiter wird erst zum Klassenkampf, wenn alle fortschrittlichen Vertreter der gesamten Arbeiterklasse des ganzen Landes sich bewußt werden, eine einheitliche Arbeiterklasse zu sein, und den Kampf nicht gegen einzelne Unternehmer, sondern gegen die ganze Klasse der Kapitalisten und gegen die diese Klasse unterstützende Regierung aufnehmen. Erst dann, wenn der einzelne Arbeiter sich bewußt ist, ein Teil der ganzen Arbeiterklasse zu sein, wenn er in seinem tagtäglichen Kleinkampf gegen einzelne Unternehmer und einzelne Beamte den Kampf gegen die ganze Bourgeoisie und die ganze Regierung sieht, erst dann wird sein Kampf zum Klassenkampf. 'Jeder Klassenkampf ist ein politischer Kampf' - diese berühmten Worte von Marx dürfen nicht in dem Sinne verstanden werden, jeder Kampf der Arbeiter gegen die Unternehmer wäre stets ein politischer Kampf. Sie müssen so verstanden werden, daß der Kampf der Arbeiter gegen die Kapitalisten notwendigerweise in dem Maße ein politischer Kampf wird, als er zum Klassenkampf wird". (102)

Der frühe Lukacs, der das hier angesprochene Verhältnis von Klassenbewußtsein und an sich bestehender Klasse theoretisch zu erfassen suchte (103), bemerkt zurecht, daß wer das "konkret gegebene Arbeiterbewußtsein" zum Ausgangspunkt nimmt, einer Abstraktion aufsitzt: "Ihr [der bürgerlichen Wissenschaft] Irrtum besteht darin, daß sie im empirischen historischen Individuum ... und in seinem empirisch gegebenen ... Bewußtsein jenes Konkrete zu finden meint. Wo sie jedoch das allerkonkreteste gefunden zu haben glaubt, hat sie es gerade am weitesten verfehlt: die Gesellschaft als konkrete Totalität; die Produktionsordnung auf einer bestimmten Höhe der gesellschaftlichen Entwicklung und die durch sie bewirkte Gliederung der Gesellschaft in Klassen". (104)

Es ist Lukacs Verdienst, die Bedeutung der Totalitätskategorie in dieser Diskussion wieder in den Marxismus eingeführt zu haben (Marx verwendete sie, wie oben gezeigt, in den Grundrissen). Die gesellschaftliche Totalität von ökonomischen, wesentlichen Kategorien und ihren konkreten Erscheinungsformen bedeutet, daß das Einzelne, Konkrete nur aus seiner Beziehung auf das Ganze zu verstehen ist, aus den Vermittlungsschritten vom ökonomischen Grund zur konkreten Klassenwirklichkeit. Doch Lukacs geht einen Schritt weiter (den er allerdings in seinem Spätwerk richtig hinterfragt hat): Indem er Hegels Methode übernimmt, von der "erscheinenden Wirklichkeit-an-sich" zu ihrem Wesen fortzuschreiten, aus diesem als ihren Grund die Wirklichkeit wiederum herzuleiten, um in beider Einheit dann die selbst-reflektierte "Wirklichkeit-an-und-für sich" zu finden, definiert er ebenso das Klassenbewußtsein als reflektiertes Bewußtsein der "Klasse-an-und-für-sich":

"Indem das Bewußtsein auf das Ganze der Gesellschaft bezogen wird, werden jene Gedanken, Empfindungen usw. erkannt, die die Menschen in einer bestimmten Lebenslage haben würden, wenn sie diese Lage, die sich aus ihr heraus ergebenden Interessen sowohl in Bezug auf das unmittelbare Handeln wie auf den - diesen Interessen gemäßen - Aufbau der ganzen Gesellschaft vollkommen zu erfassen fähig wären; ... Die rationell angemessene Reaktion nun, die auf diese Weise einer bestimmten typischen Lage im Produktionsprozeß zugerechnet wird, ist das Klassenbewußtsein". (105)

Die Gefährlichkeit dieser hegelianisch- idealistischen Auffassung von Klassenbewußtsein, die im linken Stalinismus und Voluntarismus eine bedeutende Rolle gespielt hat, ist, daß Klassenbewußtsein hiermit zu einem Erkenntnisproblem wird: Klassenbewußtsein existiert als abstrakt richtige Auffassung von der objektiven Klassenlage, kann von der Partei, die die richtige Methode anwendet, vollständig erfaßt werden und muß der Arbeiterklasse nur noch verkündet werden, um wirksam zu werden. In dem erwähnten Artikel von Lukacs wird die Verbreitung von Klassenbewußtsein so tatsächlich zum Erziehungsproblem, etwas was sich hauptsächlich "innerhalb des Bewußtseins des Proletariats" abspielt. Dagegen wird der praktisch, aktive, ökonomische Klassenkampf zwar als unvermeidlich dargestellt, aber vor allem zur Quelle von Opportunismus. In diesen Konflikten zeige sich zumeist nur, daß die Bourgeoisie besser organisiert ist (106).

Das einzig positive Resultat ist, wenn diese Erfahrung eine weitere Erziehung zum proletarischen Klassenbewußtsein ermöglicht, damit das Proletariat erkennt, daß nur "sein Bewußtsein" (von dem es bisher noch keine Ahnung hatte) einen Ausweg aus der Krise des Kapitalismus zeigt. Der frühe Lukacs wurde hier exemplarisch angeführt, da er der theoretisch durchdachteste Ausdruck stalinistischer Klassentheorie ist. Der Stalinismus bekümmert sich wenig um die Differenz von konkreter Klasse und objektiv-ökonomisch bestimmter Klasse. Was irgendwelche konkreten Proletarier zu denken oder zu tun haben, ergibt sich aus den objektiven Bedingungen, diese werden von der Partei erkannt, die dann den Proletariern erklärt, was sie denken und daher tun müssen (meistens eher nicht tun dürfen).

Lukacs idealistischer Arbeiterklassenbegriff entspricht nicht der dialektisch-materialistischen Methode: Auch wenn es richtig ist, daß die konkrete Klassenwirklichkeit nur aus den zugrundeliegenden allgemeinen ökonomischen Bestimmungen ableitbar ist, heißt dies nicht, daß die "allgemeinen Kategorien" die eigentlich konkret Handelnden der gesellschaftlichen Wirklichkeit seien: Wie oben aus den Grundrissen zitiert, führt die theoretische Analyse von den "abstrakten Bestimmungen zur Reproduktion des Konkreten im Weg des Denkens. Hegel geriet daher auf die Illusion, das Reale als Resultat des in sich zusammenfassenden, in sich vertiefenden und aus sich selbst sich bewegenden Denkens zu fassen, während die Methode, vom Abstrakten zum Konkreten aufzusteigen, nur die Art für das Denken ist, sich das Konkrete anzueignen. (...) Keineswegs aber der Entstehungsprozeß des Konkreten selbst. (...) Das reale Subjekt bleibt nach wie vor außerhalb des Kopfes in seiner Selbständigkeit bestehen; solange sich der Kopf nämlich nur spekulativ verhält, nur theoretisch". (107)

Hiermit wird klar, daß sich auch Klassenbewußtsein nur in konkreten Kämpfen der wirklich bestehenden Klasse entwickeln kann. Daß das Bewußtsein von den gemeinsamen Interessen in den verschiedenen Teilkämpfen, aus dem Zusammenwachsen verschiedenster, schicht-, regional-spezifischer und ihnen entsprechender politischer Strömungen ergeben kann. Daß diese Vereinheitlichung ein wesentlich politischer Prozeß ist, in dem aus den Tageskämpfen heraus strategische Ziele entwickelt werden, in dem die verschiedenen Strategien und Taktiken diskutiert und geklärt werden müssen. Erst in diesem Vereinigungs- und Vereinheitlichungsprozeß entsteht die ihrer Aufgaben bewußte Klasse-an-und-für-sich, entwickelt sich Klassenbewußtsein, als ein Bewußtsein vom politischen Gesamtcharakter des Klassenkampfes, also der konkreten Form, in der der Kampf zur Abschaffung des Lohnarbeitssystems geführt werden muß.

Andererseits geht dieser Vereinheitlichungsprozeß, dieser Prozeß der Entstehung von Klassenbewußtsein auch nicht automatisch vor sich, in dem er einfach aus "Konflikten" zwischen Kapital und Lohnarbeit herauswachsen würde. Wie Lenin oben andeutete, sind einfache, einzelne Konflikte zwischen Kapital und Lohnarbeit nur "bescheidenen Ansätze" des Klassenkampfes. Das politische Bewußtsein muß erst in sie hineingetragen werden. Dies ergibt sich aus der Natur des Klassenwider-spruchs konkreter kapitalistischer Gesellschaftsformationen selbst:

Lohnarbeit und Kapital befinden sich nicht nur im Verhältnis der Negation, sondern sind auch wesentlich identisch: Die Reproduktion des Kapitals ist gleichzeitig Reproduktion der Lohnarbeit und umgekehrt; daher wird jeder Kampf, der sich auf die Verteidigung der Reproduktionsbedingungen der Arbeiterklasse beschränkt zugleich zu einem Kampf der bloß die Reproduktionsbedingungen des Kapitals modifiziert; der Kampf um den "gerechten Lohn" befestigt zugleich das illusionäre Bewußtsein in der Arbeiterklasse, daß ihre Probleme über eine "gerechtere Verteilung" der produzierten Waren zu lösen seien, und nicht durch eine radikal andere Verteilung der Kontrolle über die Produktionsmittel. Die identische Seite des dialektischen Verhältnisses von Kapital und Lohnarbeit ist daher die materielle Grundlage für reformistisches Bewußtsein in der Arbeiterklasse.

Diese allgemeine Tendenz verkörpert sich in realen Verbürgerlichungs-erscheinungen in der Arbeiterklasse (Arbeiteraristokratie etc.) und im Einfluß, den verschiedene Mittelschichten ideologisch und politisch auf sie ausüben. Dies ist insbesondere verfestigt, sobald sich in der Führung der Arbeiterbewegung eine mit dem bürgerlichen Staat verbundene, opportunistische Arbeiterbürokratie herausgebildet hat, die nach einer gewissen historischen Entwicklung durch systematische Privilegierung und Integration in das bürgerliche Herrschaftssystem zu einer von der Arbeiterklasse getrennten, eigenständigen Kaste in den Mittelschichten wird. Die von ihnen dominierten reformistischen Arbeiterorganisationen sind genauso Instrumente der Befestigung bürgerlichen Bewußtseins in der Klasse, wie der ganze, ausgefeilte ideologische Apparat der Bourgeoisie.

Andererseits bedingt die Natur des kapitalistischen Akkumulationsprozesses gleichzeitig eine immer wiederkehrende Zuspitzung des Widerspruchs von Kapital und Lohnarbeit. Insofern müssen die verfestigten Formen des Klassenkompromisses beständig in Konflikt geraten mit der Dynamik des zugrundeliegenden Klassenverhältnisses. Damit entwickelt sich auch die Tendenz, über die bestehenden reformistischen Führungen hinauszugehen, insbesondere durch die fortlaufende Erfahrung ihres Verrats. Dies ist die Grundlage für die Entwicklung einer eigenen Schicht in der Arbeiterklasse, die aufgrund von Klassenkampferfahrungen und Opposition zur Arbeiterbürokratie sporadisch zur Führung von (Teil-)Kämpfen aufsteigen kann. Diese "Arbeiteravantgarde" zeichnet sich durch ein Bewußtsein aus, das die Konflikte mit dem Kapital zumindest als "Klassenkampf" sieht, der gegen den Willen der reformistischen Bürokraten geführt werden muß.

Allerdings ist die Arbeiteravantgarde für sich genommen nicht in der Lage, von der Negation zur Negation der Negation fortzuschreiten, also ein systematisches Bewußtsein von der Überwindung des Lohnarbeitssystems selbst zu entwickeln. Einerseits entwickelt sie sich nur sporadisch und spontan, um wieder in der reformistischen oder bloß negierenden Masse zu versinken, manchmal auch selbst in die Arbeiterbürokratie aufzusteigen. Andererseits mangelt es ihr an Vereinheitlichung, geistigen und materiellen Möglichkeiten, den Kampf auf allen gesellschaftlichen Ebenen, d.h. vor allem der staatlich/politischen aufzunehmen und dabei insbesondere die reformistischen Massen von ihren opportunistischen Führern wegzubrechen bzw. ihre Isolierung von den reformistischen Massen zu überwinden. Eine solche Aufgabe kann nur eine Partei leninschen Typs erfüllen. D.h. eine Partei, die sich in der Arbeiteravantgarde zu verankern sucht, die die fortwährende Gefahr des Abgleitens in reformistische Handwerkelei und Opportunismus durch die beständige Entwicklung des Programms in seiner Beziehung zur Praxis vermeidet, Taktiken gegenüber Reformismus und Staat entwickelt, die die Kluft zwischen Arbeitermassen und Avantgarde vermindert und sie von den reformistischen Führern wegbricht, und die Vereinheitlichung aller Teilkämpfe um strategische, politische Ziele anstrebt. Es ist also kurz gesagt das Programm - die Totalität dieser Aufgaben, die auf den Begriff gebrachte Negation der Negation - die den Existenzgrund der leninistischen Partei bildet, das in die Klassenkämpfe getragen werden muß, so wie es auch aus ihnen heraus konkrete Gestalt annimmt.

Wenn die Partei ihre programmatische Orientierung in die Klasse trägt, so bringt sie etwas dorthin, das im Keim immer schon vorhanden ist. Das sich einerseits spontan immer wieder zeigt, andererseits durch die Natur des Klassenwiderspruchs stets wieder von Zurückfallen in falsches Bewußtsein bedroht ist und von sich aus keine langfristigen Handlungsperspektive entwickelt. Andererseits bleibt die beste programmatische Orientierung abstrakt und leer, wenn sie sich nicht in realen Klassenkämpfen verwirklicht und verankert. Radikale Klassenkampfaufschwünge, in denen sich die Selbstorganisierung des kämpfenden Proletariats in Wechselwirkung mit der bewußten, programmatisch fundierten Führung der revolutionären Partei entwickelt, sind die besten Bedingungen für das Hineintragen des Klassenbewußtseins ins Proletariat:

"Die Aufgabe der Sozialdemokraten besteht eben darin, durch Organisierung der Arbeiter, durch Propaganda und Agitation unter ihnen ihren spontanen Kampf gegen die Unterdrücker in einen Kampf der ganzen Klasse, in den Kampf einer bestimmten politischen Partei für bestimmte politische und sozialistische Ideale zu VERWANDELN". (108)

Die Arbeiterklasse um die kommunistische Partei zu einem handelnden gesellschaftlichen Subjekt zu vereinheitlichen - das ist eigentlich auch schon die Perspektive des kommunistischen Manifests: Dort wird einerseits zum Verhältnis von Partei und Klasse betont: "Sie [die Kommunisten] haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen. Sie stellen keine sektiererischen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen... Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, auf Prinzipien, die von diesem oder jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt sind. Sie sind nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unseren Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung" (109).

Die revolutionäre Arbeiterpartei ist daher (wie auch die Parteithesen der Komintern wiederholen) ein Bestandteil der Arbeiterklasse und ihrer Kämpfe - kein von außen sie bestimmendes, "über den Klassen stehendes" Geisteswesen (die Mitgliedschaft in einer revolutionären Arbeiterpartei ist daher auch eine bewußte Entscheidung, sich in die Arbeiterklasse einzufügen).

Doch andererseits:

"Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andererseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets die Interessen der Gesamtbewegung vertreten. Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus. Der nächste Zweck der Kommunisten ist...: Bildung des Proletariats zur Klasse, Sturz der Bourgeoisieherrschaft, Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat" (110).

Die revolutionäre Partei geht also nicht einfach auf in der Klasse, ist nicht bloß eine einfache "Vernetzung" aktiver Proletariergruppen. Sie ist der fortgeschrittenste und vorantreibende Teil der Klasse, der es ihr erst ermöglicht sich zur "Klasse für sich" zu formen, d.h. zum bewußten geschichtlichen Subjekt zu werden, das seinen historische Zweck, Sturz des Kapitalverhältnisses und damit der Klassenherrschaft an sich, erkennt und vollendet.

Diese dialektisch-materialistische Entwicklung des Verhältnisses von objektiven Widersprüchen, Klassenkampf und Klassenbewußtsein wurde nicht nur im stalinistischen Objektivismus (für den Lukacs hier nur als theoretisches Paradepferd angeführt wurde) verkannt, sondern auch in verschiedenen Formen des spontaneistischen Subjektivismus. Hier sei nur stellvertretend der "Operaismus" angeführt, der vor allem in Italien (Alquanti, Panzieri, Negri etc.) und Deutschland einen beträchtlichen Einfluß auf linke Strömungen in der Arbeiter- bzw. Jugendbewegung seit den späten 60er Jahren gewonnen hat. Kurz charakterisiert kann man unter seinen vielen Strömungen folgende Gemeinsamkeiten finden:

Die "inneren Widersprüche" des Kapitalismus, die sich in Arbeitskämpfen um Löhne und Arbeitsbedingungen äußern, führen letztlich nur zur Verfeinerung des kapitalistischen Ausbeutungssystems und stellen seine Reproduktion nicht in Frage. Die marxistische Hegemonie über die Arbeiterbewegung, die die Konzentration auf diese inneren Widersprüche gelegt habe, führe daher zur langfristigen Integration der Kernarbeiterschichten in das Kapitalsystem.

Neben den Kernarbeiterschichten entwickeln sich bestimmte "Randschichten" der Arbeiterklasse, die in Fundamentalopposition zur ganzen Lohnsklaverei an sich stehen. Diese fanden sich in den 60/70er Jahren in den "Massenarbeitern" (Immigranten aus ärmeren Regionen, die vor allem unqualifizierte Arbeit mit Massencharakter zu leisten haben), heute in sogenannten "Marginalisierten", "Pauperisierten" (Arbeiter, die aus den regulierten Arbeitsbedingungen herausfallen, schlecht bezahlt sind und keine Bindung an ihren Arbeitsplatz entwickeln). Diese Schichten würden spontan zur Revolte neigen und die wirkliche revolutionäre Avantgarde bilden.

Die bestehenden Organisationen der Arbeiterbewegung sind durchgängig Instrumente der Herrschenden (z.B. wurden schon in den Auseinandersetzungen bei FIAT in den 60er Jahren die PCI Gewerkschaft CGIL als "gelbe Gewerkschaft" bekämpft) und das einzige Verhältnis zu ihnen müsse Denunziation, Bekämpfung und Gegengewalt sein.

Klassenbewußtsein ist nicht aus ökonomischen Bedingungen oder Kämpfen ableitbar. Auch wenn deren Einfluß gesehen wird, so sei doch das Entscheidende, daß sich revolutionäres Bewußtsein als lange Kette von subjektiven Erfahrungen in Fundamentalopposition zum herrschenden System ergibt, wofür "objektive Widersprüche" unerheblich seien. Aufgabe der revolutionären Organisierung sei daher die Sammlung und Vernetzung wirklicher Klassenkämpfer, denen keine Perspektive gegeben werden muß, die sich aus irgendeiner Theorie herleitet, sondern die nur ihre praktisch immer schon vorhandene Rebellion koordinieren müssen. Die Organisationsform der Operaisten ist daher die lose Vernetzung kleiner, "autonomer" Aktivistengruppen.

Auch wenn der radikale Impuls der Operaisten gegen die reformistische Erstarrung der Arbeiterbewegung ein anfänglich gesundes Element, besonders in der italienischen Arbeiterbewegung, ausdrückte, genauso wie der Wunsch nach tatsächlichem, aktiven Klassenkampf gegenüber der Gängelung durch angeblich "objektive Gesetzmäßigkeiten" und Vertröstung auf "objektive Zukunftsperspek-tiven", so haben sie den Kern der Mythisierung und Objektivierung der "Arbeiterklasse", wie sie die Stalinisten betrieben, nicht verstanden. Stattdessen entwickelten sie, wie gesehen, einen neuen Arbeiterklassenmythos, einen Teil der Klasse, der angeblich (wiederum objektiv) an sich "fundamentaloppositionell" sei. Doch auch die Massenarbeiter oder Marginalisierten entkommen nicht der Wirkungsweise der Kapitalgesetze auf die Klassenbildung. Einerseits ist ihre Reproduktion im Klassengefüge ebenfalls mit der Stabilisierung bestimmter bürgerlicher Ideologiemomente unter ihnen verbunden (z.B. besonders hohe Anfälligkeit für Rassismus, Elemente kleinbürgerlichen Individualismus etc.).

Andererseits sind sie schwerer zu organisieren, da sie eine schwächere Position am Arbeitsmarkt und im Arbeitsprozeß besitzen. Es ist daher nicht verwunderlich, daß in einem Großteil der Arbeitskämpfe doch wieder Arbeiter aus den Kernschichten des Proletariats auch in oppositionellen Führungen die Hauptkräfte darstellen. Wenn sich bei den Operaisten dann die Lösung von dem objektiv bestimmten revolutionären Subjekt ergibt, wechseln sie zum "revolutionären Klassenkämpfer an sich". Aus irgendwelchen Gründen gibt es in dieser Gesellschaft moralisch hochstehende Individuen, die an sich gegen die herrschende Klasse aufstehen. Hiermit enden die Operaisten oder Autonomisten dann bei einer besonderen, allerdings sehr verbreiteten idealistischen Klassentheorie: es gibt gute und schlechte Menschen.

Schließlich muß erkannt werden, daß der Reformismus nichts “künstlich” in die Arbeiterklasse Hineingetragenes ist, sondern wesentliche Wurzeln in ihr hat wenn auch in anderer Weise wie revolutionäres Bewußtsein. Daß der "Marxismus" in seiner degenerierten (z.B. stalinistischen) Form zum Element der Verbreitung reformistischer Organisierung und Bewußtseinsbildung geworden ist, ist ein tragisches Ergebnis der Geschichte dieses Jahrhunderts, das ein wesentliches Hindernis natürlich auch für den notwendigen Kampf um wirkliches revolutionäres Bewußtsein in der Arbeiterklasse geworden ist.

Doch wesentlich ist es zu erkennen, daß dieses revolutionäre Bewußtsein nicht spontan in der Klasse (oder in irgendeiner Schicht in ihr) entsteht, oder durch bloße Vernetzung von Aktivisten aufrecht erhalten werden kann. Daß es also einer Organisation bedarf, die um dieses revolutionäre Bewußtsein in der Klasse kämpft. Und hierbei ist bisher in der Arbeiterbewegung noch nichts besseres gefunden worden als eine Partei leninschen Typs, die sich auf den authentischen revolutionären Marxismus, befreit von seinen reformistischen Degenerationen, begründet.

Fußnoten und Anmerkungen

(101) K. Marx / F. Engels, Die heilige Familie, MEW Bd. 2, S.38

(102) W.I. Lenin, Unsere nächste Aufgabe, LW Bd.4, S.209f.

(103) G. Lukacs, Geschichte und Klassenbewußtsein, Darmstadt 1968, S.119f.

(104) ebd., S.119f.

(105) ebd., S.126

(106) ebd., S.161

(107) MEW42,S.35f.

(108) LW4, S.210

(109) MEW4, S.474

(110) Ebenda, Kritik der kritischen Kritik"

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  Arbeiterklasse und Revolution. Thesen zum marxistischen Klassenbegriff
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  Kapitel 2: Kritik der bürgerlichen Klassentheorien
  Kapitel 3: Produktionsverhältnisse, Klassenbindungen und die Bildung sozialer Klassen
  Kapitel 4: Lohnarbeit und Kapital
  Kapitel 5: Nicht für den kapitalistischen Produktionsprozeß funktionelle Klassen
  Kapitel 6: Veränderungen der Klassenstruktur und revolutionäre Perspektive
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