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Libanon

Nein zur imperialistischen Intervention!

Dave Stockton, Neue Internationale 99, April 2005

Dem Rückzug der syrischen Truppen aus dem Libanon ging, den hiesigen Medien zufolge, eine massive Bewegung der "Massen" gegen die "Besatzung" voraus. Ein genauer Blick auf die Ereignisse zeigt jedoch vor allem eins - wie weit die Entwicklung im Libanon von einer "Volksbewegung" entfernt sind.

Die libanesische Opposition verteidigte mit ihren Forderungen nach Rückzug aller syrischen Truppen und einer Übergangsregierung vor den Wahlen im Mai nicht die libanesische Unabhängigkeit und Demokratie, sondern eigene Machtansprüche und Privilegien. Die Zusammensetzung ihrer Führung zeigt dies.

Die Opposition

Ihr bekanntester Führer ist Amin Gemayel von der Phalange Partei, der die libanesische Präsidentschaft 1982 während der israelischen Besetzung nach der Ermordung seines Bruders Baschir übernahm. Heute verurteilt er die "syrische Besetzung" des Libanon, aber damals hatte er kein Problem mit der Kollaboration mit Israel. Er ging sogar so weit, 1983 ein Friedensabkommen mit der Begin-Regierung zu unterzeichnen, ehe er sich durch einen moslemisch geführten Aufstand zum Widerruf genötigt sah.

Ihm zur Seite steht Walid Dschumblat, der Anführer der traditionellen Sektenpartei der Glaubensgemeinschaft der Drusen. Er hat seit Israels demütigendem Abzug aus dem Libanon im Frühjahr 2000 einen allmählichen syrischen Rückzug gefordert. Sein Schulterschluss mit der Phalange, den Feinden aus den 70er und 80er Jahren, zeigt den schwindenden Einfluss der Drusen. Wie die Maroniten fühlen sich die Drusen bevölkerungsanteilmäßig von den schiitischen Moslems bedroht, die heute die größte konfessionelle Gruppe stellen.

Dass unter den oppositionellen Gruppen sich auch die hauptsächlich sunnitisch-moslemischen Anhänger Hariris befinden, macht die Opposition noch lange nicht zu einer nicht konfessionsgebundenen Bewegung, genauso wenig wie die Anwesenheit eines christlichen Maroniten, Präsident Emile Lahoud, in der "prosyrischen" Regierung repräsentativ für die libanesischen Christen ist.

Die sog. " Revolution"

Welche Kräfte vertritt diese Opposition? Das Begräbnis des ehemaligen Präsidenten Hariri zog 10.000 Leute an, während an der Demonstration am 28. Februar, die den Rücktritt von Premierminister Omar Karami zur Folge hatte, etwa 70.000 zusammenströmten. Im folgenden ebbten die antisyrischen Kundgebungen auf wenige tausend, ja hundert Teilnehmer ab. Im Gegensatz dazu brachte der Marsch, zu dem die Hisbollah am 8. März zur Unterstützung Syriens aufgerufen hatten, nahezu 500.000 Menschen auf die Straße.

In ihrer Anfangsphase hatten die Aufmärsche der Opposition wenig mit einer Zuschaustellung von "Volksmacht" zu tun, obgleich die Demonstration am 14. März mit ungefähr 800.000 Leuten mehr plebejische Elemente unter den sunnitischen Moslems mobilisierte. Das auslösende Moment dafür war die Zurschaustellung der schiitischen Stärke eine Woche zuvor.

Dessen ungeachtet bleibt sie eine christlich geführte Bewegung der privilegierten Bevölkerungsschichten. Hinter der Verachtung für Syrien und seine Anhänger steckt mehr als eine Spur von Klassenhass.

Der Gedanke, dass diese Kräfte die "libanesische Demokratie" vertreten, ist ein Scherz. Wenn es ihnen wirklich darum zu tun wäre, würden sie die Abschaffung des konfessionellen Proporzsystems fordern. Sie tun dies nicht, weil das den überproportionalen Einfluss ihrer Glaubensgemeinschaften schmälern würde, der nach dem Bürgerkrieg durch das Taif-Abkommen von 1989 gesichert wird.

Die "prosyrische" Regierung und ihre Verbündeten

Präsident Lahoud und sein sunnitisch-moslemischer Premierminister Omar Karami vertreten kaum mehr als die Interessen der konfessionellen Eliten, die den Libanon seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges 1975 in einer instabilen Koalition regierten.

Die Korruption, mit der sie den "Wiederaufbau" des Libanon in den 90er Jahren betrieben, ist wohlbekannt, obwohl Hariri damals noch mitgemischt hat, dessen Hände auch alles andere als sauber waren. Bedeutsamer noch ist ihre Missachtung demokratischer Regeln. Das reichte von der "Nachbesserung" parlamentarischer Normen, um die Repräsentanz "antisyrischer" Kandidaten zu vermindern bis hin zu physischer Bedrohung politischer Gegner und wirtschaftlicher Konkurrenten. Das letzte Manöver war ihr Versuch, die libanesische Verfassung abzuändern, um Lahoud eine weitere Amtszeit als Präsident zu ermöglichen, was Hariri im Oktober 2004 zum Rücktritt als Ministerpräsident und Dschumblat zum offenen Übertritt ins "antisyrische" Lager veranlasste.  

Scheich Nasrallah von der Hisbollah verfügt zwar über Massenanhang bei den schiitischen Moslems und genießt darüber hinaus ein Maß von Anerkennung wegen der Rolle seiner Bewegung bei der Bekämpfung der israelischen Besatzung, aber er kann keine nennenswerten Teile der Massen über die Grenzen seiner eigenen Glaubensgemeinde hinaus vereinigen.

Die Rolle des Imperialismus

Wie in der Ukraine haben die Demonstranten beträchtliche moralische, wenn nicht materielle Unterstützung von Seiten des Imperialismus erhalten. Die USA haben ihren Botschafter aus Protest am Tag nach der Ermordung Hariris am 14. Februar aus Damaskus abberufen - ohne Beweis für Syriens Verstrickung.

Frankreichs Ministerpräsident Chirac hat seine öffentliche Beileidsbezeugung für Hariris Witwe mit der Aufforderung an Syrien verbunden, die Resolution 1559 der Vereinten Nationen zu beachten, wonach alle syrischen Streitkräfte aus dem Libanon abziehen und die Hisbollah entwaffnet werden soll. Auch der britische Außenminister Straw mischte sich ein und drückte sein Bedauern über Karamis Wiederernennung zum Premierminister aus.

Der Hintergrund ist die zunehmende Isolierung Syriens nach der Besetzung des Irak und der Wiederaufnahme des israelisch-palästinensischen "Friedensprozesses" nach der Wahl von Mahmoud Abbas zum Palästinenserpräsidenten. Libanon und Syrien sind die einzigen arabischen Staaten, die sich formal noch im Kriegszustand mit Israel befinden. Neben dem Iran wird auch Syrien durch offene Drohungen seitens der US-Administration angegriffen. Dieser internationale Druck, verbunden mit der offenkundigen militärischen Bedrohung durch die USA und Israel hat die antisyrischen Demonstranten zu ihrem Einsatz ermutigt.

Die Heuchelei der Imperialisten und ihrer Verbündeten in diesem Konflikt ist ekelhaft. Israel hat jahrzehntelang UN-Resolutionen in den Wind geschlagen, ohne je diesem Druck oder Isolation ausgesetzt gewesen zu sein. Dass die USA und Britannien den Abzug der syrischen Truppen als Voraussetzung für freie und faire Wahlen fordern, nachdem sie gerade ihr Wahltheater unter dem Ausnahmezustand im besetzten Irak inszeniert haben, spottet vollends jeder Beschreibung.

Syriens Rolle im Libanon

Das heißt natürlich nicht, Syriens Rolle im Libanon zu verniedlichen oder mit "anti-imperialistischen" Farben zu übertünchen. Die Rolle des syrischen Regimes ist zur Hauptsache geprägt von eigenen politischen und strategischen Interessen und durch seine eigenen früheren Machenschaften mit dem Imperialismus. Dass syrische Streitkräfte im Libanon bis jetzt geblieben sind, obgleich die Taif-Vereinbarung ihren Rückzug bis 1992 vorsah, ist das Ergebnis von Syriens Rückendeckung für die US-Koalition gegen Saddam Hussein 1991.

Syrien behauptet heute, dass seine Rolle im Libanon darin besteht, die Einhaltung der Taif-Vereinbarung nach dem Bürgerkrieg zu überwachen und den Libanon vor Israel und seinen Handlangern zu beschützen.

Aber was ist an dieser Vereinbarung verteidigenswert? Sie zementiert die institutionalisierte, konfessionelle Machtteilung, die die Grundlage für den nationalen Pakt der Konfessionen 1943 bildete, dessen Instabilität den Ausbruch des Bürgerkriegs 1975 anbahnte. Sie fügt sich nur in das Schicksal eines künftigen religiös verbrämten Konflikts, zumal diese Vereinbarung nicht mehr die reale demographische Gewichtung widerspiegelt. Insbesondere beschränkt sie die schiitischen Moslems auf eine Rolle, die weder ihrer Bevölkerungszahl noch ihrer Bedeutung im libanesischen Widerstand gegen die israelische Besetzung oder ihrer militärische Stärke entspricht, zumal die Hisbollah als einzige Miliz nach der Taif-Vereinbarung nicht entwaffnet wurde.

Bestenfalls verschiebt sie die Kräfte zwischen den verschiedenen Konfessionsgruppen ein wenig, indem den Christen nunmehr 5 anstelle der bisherigen 6 Parlamentssitze zustehen gegenüber den 5 für die Moslems reservierten Sitze. Der Präsident bleibt ein christlicher Maronit, der Premierminister ein sunnitischer Moslem und der Parlamentssprecher ein schiitischer Moslem. Libanons politische Parteien sind nach wie vor Vertretungen der einen oder anderen Glaubensgemeinschaft.

Was die Behauptung anbelangt, Syriens Anwesenheit sei wesentlich für die Verteidigung des Libanon gegen Israel, so ist festzustellen, dass das baathistische Regime kaum jemals diese Rolle gespielt hat, wenn es Gelegenheit dazu hatte, sondern dies in jedem Fall den Guerrillas der Hisbollah überlassen hat. Dass Syrien sich den Rückzug der bereits stark verminderten militärischen Präsenz im Libanon ohne eigene Sicherheitsbedenken leisten kann, ist Ergebnis der unstrittigen Heldenhaftigkeit des libanesischen Widerstands und spricht Bände über die Nützlichkeit und Zuverlässigkeit des baathistischen Regimes als Bundesgenosse gegen Imperialismus und Zionismus.

Die syrisch-libanesische Frage
und die gegenwärtige Krise

Syriens strategischer Hauptaugenmerk im Libanon gilt der Verhinderung einer libanesischen Regierung, die einen Separatfrieden mit Israel schließen könnte. Als Anti-Imperialisten und Antizionisten teilen wir diese Sorge. Wahrscheinlich war dies der Beweggrund für die halbe Million Menschen, sich am 8. März an der Kundgebung zur Unterstützung Syriens zu beteiligen. Eine "Normalisierung" der Beziehungen zu Israel gehört zu den unausgesprochenen Wünschen einiger Vertreter der Opposition.

Aber wir sollten keinen Augenblick annehmen, dass der Errichtung einer Kampffront gegen Imperialismus und Zionismus am besten durch ein strategisches Bündnis mit dem baathistischen Regime in Damaskus oder durch Unterstützung für ihre undemokratischen Verbündeten in der Beiruter Regierung gedient wäre. Die Rolle des syrischen Regimes ist doppelschneidig. Wenn die syrische Bourgeoisie sich mit dem zionistischen Staat arrangieren wird, will sie den Libanon mit einbeziehen. Dann wird diejenigen, die falsches Vertrauen in Syriens selbsternannte Stellung als Hüter des arabischen Nationalismus im Libanon setzen, wie im Juni 1976 dieser Verrat unvorbereitet treffen.

In dieser Hinsicht können wir einiges an der Haltung teilen, die auf der von den Hisbollah geführten Kundgebung eingenommen worden ist. Dort wurde der Abzug Syriens unterstützt, aber die Aufrechterhaltung von "brüderlichen Verbindungen" zwischen Syrien und dem Libanon gefordert. Diese Verbindungen werden die militärische Präsenz Syriens überdauern, weil sie entgegen den Behauptungen der Imperialisten nicht ausschließlich oder vornehmlich auf dem Zwang Syriens beruhen.

Sie sind teils das Ergebnis der konfessionellen Spaltungen des Libanon, teils auch die Folge spontaner Verbrüderungsbestrebungen von großen Teilen der syrischen und libanesischen Massen gegen Imperialismus und Zionismus. Das Übel des Imperialismus und Zionismus wollen wir überwinden, die Verbrüderungsbestrebungen wollen wir zu ihrer logischen Konsequenz weiter entwickeln: zu einem gemeinsamen revolutionären Kampf gegen alle Agenten des Kapitalismus und Imperialismus in der Region, womit auch das baathistische Regime in Damaskus gemeint ist.

Unsere Losungen in der gegenwärtige Lage lauten:

Nein zu einer imperialistischen Intervention im Libanon

Nein zur imperialistischen und zionistischen Offensive gegen Syrien und den Iran

Nein zur Entwaffnung der Hisbollah im Interesse des Imperialismus

Gegen einen Separatfrieden mit dem zionistischen Staat

Nein zur konfessionellen Tteilung - ja zu den demokratischen Rechten aller libanesischer Minderheiten

Für eine verfassungsgebende Versammlung, gewählt auf Grundlage "eine Person - eine Stimme"

Für volle politische, soziale und ökonomische Rechte für die palästinensische Flüchtlinge im Libanon

Kein Vertrauen in das Damaskuser Regime - ja zum gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus

Keine Unterstützung für Lahoud und Karami - für die politische Unabhängigkeit der Massen

Für eine Partei der libanesischen Arbeiterklasse, die mit der weltweiten antikapitalistischen Bewegung verbunden ist

Für die nationale Selbstbestimmung aller unterdrückten Völker

Für eine sozialistische Föderation im Nahen Osten

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Nr. 99, April 2005

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