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Irak

Imperialistische Wahlfarce

Jürgen Roth, Neue Internationale 97, Februar 2005

Ende Januar fanden die Wahlen im Irak statt. Zu wählen gab es nichts - außer KandidatInnen, die die Besatzung akzeptieren und mehr oder weniger willfährig als Marionetten des US-Imperialismus und seiner Alliierten agieren.

Die imperialistischen Pläne für die irakischen Wahlen am 30. Januar erhielten im Vorfeld einen ernsten Dämpfer, als die Irakische Islamische Partei aus Protest gegen die anhaltende Gewalt der Okkupation ihre Kandidatur zurückzog.

Sie lehnte zurecht die amerikanische Vorschläge ab, ein flächendeckender Abstimmungsboykott in den arabisch-sunnitischen Regionen könne durch die Ernennung sunnitischer RepräsentantInnen "ausgebügelt" werden.

Tatsächlich ist allein die Vorstellung, eine Nation könne freie und faire Wahlen abhalten, während Städte bombardiert, BürgerInnen willkürlich unter Arrest gestellt und Gefangene gefoltert werden, absurd. Ganz gleich, welches Ergebnis herauskommt: der Urnengang kann und wird das Land nicht befrieden.

Bushs Taktik

Nichtsdestotrotz haben die Imperialisten und ihre Verbündeten in Iyad Allawis Regierung aus mehreren Gründen dafür Druck gemacht. Erstens, weil sie keine Alternative haben; zweitens, weil ihr Hauptziel darin besteht, die irakische Bevölkerung und vor allem den Widerstand gegen die Besatzung entlang religiöser und ethnischer Linien zu spalten; drittens, weil sie hoffen, so ihrer "provisorischen Regierung" wenigstens ein Stück demokratischer "Legitimität" vor der "Weltgemeinschaft", sprich vor den bürgerlichen Regierungen der Welt, zu geben.

Die USA und ihre Verbündeten sind sich durchaus bewusst, dass es kein wirkliches soziales Fundament für eine willfährige Regierungskoalition in der irakischen Gesellschaft gibt. Sie hoffen wenigstens, den Ausgang der Wahlen auszunutzen, um die schiitische Mehrheitsbevölkerung, genauer deren Eliten, für die Unterstützung der Kolonialbesatzung zu kooptieren und im gleichen Atemzug die sunnitische Minderheit des Landes zu isolieren und damit den Widerstand zu schwächen und zu spalten.

Auch wenn der Ausgang dieses Manöver ungewiss ist, so hoffen die USA darauf, wichtige Führer des Klerus auf ihre Seite zu ziehen.

Großayatollah Ali Sistani, der einflussreichste irakisch-schiitische religiöse Führer, hat die Schiiten vor der Stimmabgabe zu mobilisieren versucht und darin die beste Gelegenheit für die lange unterdrückte religiöse Gemeinschaft gesehen, die Macht zu erlangen, die ihrer Bevölkerungsmehrheit "entspricht".

Sistani hat die Stimmabgabe zur Pflicht erklärt, und ein unter seiner Schirmherrschaft formiertes Komitee hat die Vereinte Irakische Allianz gebildet, die man an der Spitze der 100 Gruppen und Individuen erwartet, die zur Wahl stehen.

Die schiitischen Imame führen die Erfahrung mit der britischen Besatzungsmacht von 1919 an, um ihre Beteiligung zu rechtfertigen. Eine schiitische Rebellion gegen die Kolonialisten und ein Boykott der anschließenden Wahlen führte zum Kooptieren der SunnitInnen, die auch nach dem britischen Abzug bis zum Sturz Saddams an der Macht blieben. Dieses Geschichtsbeispiel sollte als Warnung, nicht als Vorbild dienen: der Eratz der herrschenden Schicht einer Bevölkerungsgruppe durch eine andere wird nur Iraks Status als eines vom Imperialismus abhängigen Staates festigen.

Anders als der überwältigende Teil des Klerus blieb Moqtada al-Sadr, der Führer der Mahdi-Armee, die an der Spitze einer Erhebung gegen die USA Anfang letzten Jahres stand, hinsichtlich der Wahl zweideutig. Moqtada al-Sadr, Sohn des Großayatollah Mohammed Sadiq Sadr, der 1999 ermordet wurde, kontrolliert Sadr City, einen bedeutenden Vorort von Bagdad, durch ein Geflecht aus Vetternwirtschaft, nicht-amtlicher Wohlfahrtsfürsorge und eine eigene bewaffnete Miliz.

Seine Stellung an der Spitze einer sich auf Bagdads Stadtarmut stützenden Bewegung stellt für ihn sowohl ein Risiko wie eine Gelegenheit dar, diese Stellung für seine eigenen politischen Ambitionen zu nutzen.

Gefahr der Spaltung

Aus Furcht vor der Entfremdung von seiner Gefolgschaft kann er die Wahlen nicht offen unterstützen; zugleich lehnt er sie nicht offen ab, um sich so die Möglichkeit offen zu halten, später über die Bedingungen für einen etwaigen Regierungseintritt zu verhandeln.

Sadr boykottierte die letzten Treffen des Vorwahlausschusses, der von den USA ins Leben gerufen wurde, nachdem er die Mechanismen, mittels derer die Versammlung einberufen wurde, beklagt hatte. Aber sein Schwanken verdeutlicht, dass selbst die "radikalsten" Imame für die irakische Arbeiterklasse, die städtische und ländliche Armut keine Alternative bieten. Auch Sadr wird den Kampf gegen die USA nicht bis zum Ende durchfechten.

Im Unterschied zu den SchiitInnen haben die AnführerInnen der SunnitInnen, die nun durch die USA von der Macht ausgeschlossen sind und die Herrschaft des Imperialismus und einer vom Iran unterstützen schiitischen Bevölkerungsmehrheit fürchten, einen Wahlboykott gefordert. Sie haben damit gedroht, Wahllokale, KandidatInnen und WählerInnen anzugreifen.

In dieser Situation besteht die Gefahr, dass sich der irakische Widerstand, der den Besatzern bisher viel Mühe gemacht hat und sicher nicht nur auf einige zufällige Akte der Rebellion reduziert werden kann, noch stärker entlang religiöser Linien spaltet. Zweifellos spielen hier auch gezielte Provokationen eine Rolle.

Einige Attacken gegen schiitische Ziele werden richtigerweise schmutzigen Tricks der CIA zugerechnet. In der arabischen Presse glaubt man weithin, dass Entführung und Tötung Margret Hassans das Werk von Allawis Sicherheitskräften waren, ebenso wie vorherige Anschläge auf schiitische Moscheen, auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass einige das Werk von Fanatikern waren, die auf einen religiös verbrämten Bürgerkrieg aus sind.

Das Problem ist aber viel grundlegender. Der Widerstand im Irak wird von islamistischen und nationalistischen Kräften bestimmt, die natürlich nicht nur die Vertreibung der Besatzer zum Ziel haben. Im Falle ihres Erfolges geht es ihnen vor allem um die Sicherung ihrer eigenen Interessen als herrschender Elite, was notwendigerweise die Sicherung ihrer eigenen Klassenstellung als Unternehmer, Grundbesitzer und des mit ihnen verbundenen oberen Klerus. Das bedeutet fortgesetzte Unterdrückung der ArbeiterInnen, der Frauen, anderer Nationen oder religiöser Gemeinschaften.

Die Haltung des schiitischen Klerus zu den Wahlen zeigt auch, wie hohl und opportunistisch der "Anti-Imperialismus" der Islamisten ist. Gleichzeitig erweisen sich die sunnistischen Gruppierungen oder die irakischen Nationalisten aufgrund der jahrzehntelangen Unterdrückung der KurdInnen und SchiitInnen durch das Baath-Regime als gänzlich unfähig, eine Perspektive für alle irakischen ArbeiterInnen und das Kleinbürgertum zu weisen.

Arbeiterbewegung und Linke

In dieser Situation könnte die Arbeiterbewegung unter schwierigen Bedingungen eine wichtige Rolle spielen und eine Alternative zur Islamisten und Nationalisten sein.

Aber davon ist sie aufgrund ihrer Politik weit entfernt. Die Irakische Kommunistische Partei (IKP) liefert hier das abscheulichste Beispiel. Sie sitzt in der Übergangsregierung und nimmt an den Wahlen teil! Sie ist nicht Teil des Widerstandes, sondern ein Flügel der Besatzungsmacht.

Diese Rolle zeigt sich nicht nur darin, dass sie gegen den bewaffneten Widerstand arbeitet. Die von ihre kontrollierte Gewerkschaft weigert sich auch, den Kampf gegen Privatisierungen zu führen. Kein Wunder, schließlich sollen die irakischen Ölfelder ja an die Kapitalisten verkauft werden, in deren Interesse die Schutzmacht der IKP, der US-Imperialismus, agiert.

Einige in der irakischen Linken wie die Arbeiterkommunistische Partei Iraks bleiben dem Unabhängigkeitskampf stur fern und verurteilen beide Seiten als "gleich" - in einer Situation, in der steigende Arbeitslosigkeit, anarchisches Chaos und Verzweiflung ganze Städte in den bewaffneten Kampf gegen die US/UK-OkkupantInnen treiben!

Eine sozialistische Alternative wird nicht spontan entstehen; für sie muss in jeder Kampfarena gefochten werden - auch mit Waffen. Tatsächlich ist die Existenz jeder friedlichen Aktivität komplett abhängig von Willen und Fähigkeit der Linken, ihre eigene Selbstverteidigung zu organisieren. Innerhalb eines Landes im Kriegszustand werden friedliche Akte nur geduldet, solange sie keine Bedrohung darstellen. Wenn die irakische Linke etwas erreichen will, kann sie die Organisierung einer Arbeitermiliz nicht der Zukunft überlassen, wenn die Dinge sich - vielleicht - beruhigt haben. Dann ist es zu spät.

Es ist notwendig, dass die Arbeiterklasse sich an die Spitze des nationalen Befreiungskampfs für die Säuberung von der kolonialistischen Besatzung stellt. Dazu gehört auch ein Boykott der von den USA gesteuerten Wahlen. Die Linke darf sich nicht auf friedliche Demonstrationen und Proteste gegen Arbeitslosigkeit und Privatisierungen sowie die Arbeit in den Gewerkschaften beschränken, so bedeutend das alles ist. Sie muss die Hohlheit der islamischen Phrasen entlarven: der Weg des Gesetzes der Sharia führt nicht zur Befreiung des irakischen Volks, sondern zu einer Anpassung an die US-"Befreier" und ihre Agenten wie Sistani.

Sie muss dafür wirken, den Widerstand und seine Strukturen mit den Gewerkschaften und Erwerbslosenorganisationen zu verbinden, und eine neue revolutionäre Partei der Arbeiterklasse aufzubauen.

Die heldenhafte Arbeit der Gewerkschaft bei der Southern Oil Company (Socu) kann dafür ein Ausgangspunkt sein. Die Socu hat jetzt mit dem IKP-dominierten Dachverband gebrochen und fusionierte mit acht anderen Gewerkschaften, um die Ölgewerkschaft von Basra zu formieren, die größte Einzelgewerkschaft im Irak. Die Socu hat die Löhne erfolgreich von 69.000 auf 102.000 Dinar angehoben; im August boykottierte sie die Versorgung der Besatzungsstreitmacht aus Solidarität mit dem belagerten Nadshaf; sie hat ba'athistische und ausländische Konzessionäre in Vorbereitung auf den in der Luft schwebenden Kampf gegen die Privatisierung vertrieben.

Aber die Socu-Führung läuft Gefahr, die falschen Lehren aus dem negativen Einfluss der IKP zu ziehen, indem sie eine unpolitische, parteifreie Rolle für die Gewerkschaften anpeilt. Eine solche syndikalistische Auffassung wäre eine Katastrophe für die Arbeiterklasse, da sie das Terrain des politischen Machtkampfs verschiedenen bürgerlichen und Mittelschichtkräften überließe, von denen keine einzige demokratische und wirtschaftliche Rechte für Arbeiter, Frauen und Jugendliche garantieren würde.

Wenn die Arbeiterschaft sich nicht einer schlecht verhüllten US-hörigen Diktatur unterordnen oder sich in einem endlosen Bürgerkrieg aufreiben will, braucht sie eine eigene Partei, um für eine sozialistische Lösung der brennenden demokratischen, ökonomischen und Sicherheitsfragen, vor denen Irak heute steht, zu kämpfen.

25. Januar 2005

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Nr. 97, Februar 2005

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