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14.-17. Oktober: Europäisches Sozialforum

London Calling!

Frederik Haber, Neue Internationale 93, September 2004

Das 3. Europäische Sozialforum findet vom 14. bis 17. Oktober in London statt. Zehntausende werden erwartet - ein historisches Ereignis. Aber die Geschichte bleibt nicht stehen. Bewegungen müssen sich weiterentwickeln oder sie gehen so schnell ein, wie sie entstanden sind.

Die Sozialforen sind das Produkt der antikapitalistischen Bewegung und diese ist - auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen - von einer historischen Bürde geprägt: Der Krise der Führung der Arbeiterklasse und der Unterdrückten.

Diese Krise besteht seit Jahrzehnten, viele halten sie für unabänderlich. Sie hat verheerende Folgen. Wenn Schröder mit den Stimmen der ArbeiterInnen und Arbeitslosen Kanzler wird, um diese dann anzugreifen; wenn GewerkschaftsführerInnen und Betriebsräte die Belegschaften ausverkaufen; wenn Lula mit Hilfe der Gewerkschaften und der Landlosenbewegung Präsident wird, um dann das schmutzige Geschäft des IWF zu betreiben - dann ist all das Ausdruck dieser Krise.

Gegen diesen Verrat haben sich alternative Organisationen aufgebaut und neue Ideen entwickelt. Die Zapatisten, People´s Global Action, Reclaim the Streets, Ya Basta und andere haben angestoßen, was letztlich als Antiglobalisierungsbewegung oder antikapitalistische Bewegung bezeichnet wird. Der Kapitalismus und seine Institutionen wurden in Frage gestellt, seine Vertreter direkt daran gehindert, sich zu treffen und neue schmutzige Pläne auszuhecken.

Die Treffen des internationalen Kapitals wurden zugleich zu Meetings, zu Zentren des internationalen Widerstands. Genua 2001 war der Höhepunkt dieser Bewegung.

Die Bewegung zog bald auch andere Kräfte an, beispielsweise Attac, das sich als legitimer Sprecher dieser Bewegung ausgibt, sie salonfähig und telegen gemacht hat. Attacs "gute Ideen" zeichnet vor allem aus, dass sie den Kapitalismus verbessern, aber nicht abschaffen wollen. Eine andere Welt ist möglich - aber bitte nicht zu anders.

Bei dem Bestreben, aus der Schmuddelecke heraus zukommen, haben attac und andere sich auch schnell von der Militanz der Bewegung distanziert und stattdessen versucht, zu Beratern von Regierenden und staatstragenden Parteien zu werden. Der Reformismus, gegen den sich die Bewegung einst gebildet hatte, war wieder auferstanden.

Der radikale Flügel der Bewegung stand dieser Übernahme hilflos gegenüber. Ihre anarchistischen, radikalökologischen und organisationsfeindlichen Glaubenssätze erwiesen sich als untauglich. Auch wenn der Reformismus in SPD und Gewerkschaften bürokratische Strukturen und Stellvertretertum produziert hat, ist die Vermeidung jeder Abstimmung durch Konsensmodelle oder der Ausschluss von Parteien kein Schutz vor reformistischer Politik, Gekungel im Hintergrund und Ernennung von Autoritäten.

Heute dominieren die Vertreter von Rifundazione Communista aus Italien, die Vertreter der französischen Sozialisten und "Kommunisten" unter dem Mantel von attac und Gewerkschaftsfunktionäre das Geschehen. Die neuen Reformisten haben sich mit den traditionellen Reformisten vereint. Vermutlich wird das ESF in London hierbei noch weitergehen als in Paris. Die Anarchisten haben sich weitgehend verabschiedet, was komplett sektiererisch ist.

Diese Massenorganisationen organisieren die Arbeiterklasse, ihre Funktionäre kontrollieren die Klasse mit deren Apparat. Wenn wir den Kapitalismus wirklich abschaffen wollen, muss die Klasse von der Kontrolle dieser Funktionäre befreit werden. Dazu muss man ran an die Klasse, muss sie, vor allem ihre Avantgarde, in die Bewegung hineinziehen und die Politik dieser Bürokraten bekämpfen. Wie kann das besser geschehen, als wenn diese Organisationen Teil der Bewegung werden? Wer sich verzieht, überlässt den Bürokraten das Feld. So wird die Krise der Führung der Arbeiterklasse nicht gelöst.

Die Zeit ist nicht schlecht dafür, die Reformisten zu bekämpfen. Wo sie in Europa in der Regierung sitzen, organisieren sie den Sozialabbau. In den Institutionen der EU legen sie gemeinsame Programme fest, die Sozialversicherungen zu privatisieren, die Kapitalisten zu entlasten und die Arbeitslosen zu entrechten. Sie arbeiten federführend mit am Aufbau eines wirtschaftlichen, militärischen und politischen imperialistischen Blocks in Europa. Als Gewerkschaftsführer versuchen sie, die Wut in die Bahnen eines folgenlosen Protestes zu lenken und eine wirksame Bündelung der Widerstandspotentiale zu verhindern. Aber nicht nur in Deutschland verlieren diese reformistischen "Helden" an Einfluss.

Bei Fiat-Melfi/Sizilien streikten die ArbeiterInnen gegen den Willen ihrer betrieblichen Vertretung. Bei Daimler in Stuttgart fragten sie nicht ihren Betriebsratsvorsitzenden, ob sie die vierspurige Schnellstrasse blockieren dürfen oder nicht; viele streikten länger als geplant. Wenn sie die antikapitalistische Bewegung und die Sozialforen Strukturen aufgebaut hätte, die helfen würden, die Solidarität mit diesen schweren Bataillonen des Klassenkampfes zu organisieren - nicht nur national, sondern auch international -, könnte die Politik der bürokratischen Apparate effektiv bekämpft und mehr und mehr durchbrochen werden.

Zugleich könnte die antikapitalistische Bewegung die Verbündeten gewinnen, die sie braucht, um die Bastionen des Kapitals und des bürgerlichen Staates zu schleifen, gegen die sie heute nur anrennen.

Wie weiter?

Der gemeinsame Widerstand gegen die Institutionen des globalen Kapitalismus war eine gute Plattform, um die Bewegung zu vereinen. „Viele Jas und ein Nein“ zum Prinzip zu erheben, heißt heute aber, die Bewegung zu lähmen, nicht für eine Vereinheitlichung zu kämpfen und nicht zu klären, wie für welche Ziele gekämpft werden soll.

Während viele anarchistische Kräfte sich verabschiedet haben, haben andere sich den Reformisten angepasst. Die Ligue Communiste Revolucionäre (LCR) in Frankreich oder die Socialist Workers Party (SWP) in Britannien fürchten nichts mehr, als dass sozial-liberale Aushängeschilder wie Susan Georges, Bernhard Cassen oder Georges Monbiot die Bewegung verlassen könnten, wenn diese zu radikal wird. Aber kann die Bewegung mit solchen linksliberalen Literaten die Kapitalisten schlagen? LCR wie SWP bezeichnen sich als Revolutionäre, aber anstatt die Reformisten zu bekämpfen, schließen sie einen politischen Nichtangriffspakt. Anstatt gegen die verlogene parteipolitische Neutralität vorzugehen, spielen sie das Spiel der Sozialdemokraten, der brasilianischen PT oder von Rifundazione mit und verkleiden sich als attac oder „Globalize Resistance“.

Eine ihrer Entschuldigungen ist, dass sie niemand verschrecken wollen. Aber wozu sollten sich ArbeiterInnen aufmachen, nach den vielen Enttäuschungen mit den Bürokraten in ihren Organisationen, nach einer neuen Bewegung zu suchen, um dann erneut bei der alten Leier von der schrittweisen Verbesserung, den Vertröstungen und den undemokratischen Strukturen zu landen?

Die Anpassung an die rechten Aushängeschilder und ihre Befindlichkeiten eint die Bewegung nicht - sie spaltet und sie bringt uns keinen Schritt vorwärts. So verfestigen die zentristischen Organisationen, die zwischen Reform und Revolution pendeln, auf ihre Weise die Krise der Führung der Arbeiterklasse durch ihren Opportunismus.

Vor fast 70 Jahren schrieb Leo Trotzki, dass die Krise der Menschheit in der Krise der Führung der Arbeiterklasse kulminiert. Nur die Arbeiterklasse kann verhindern, dass der Kapitalismus mit seiner unglaublichen Verschwendung, mit seiner Planlosigkeit, mit seiner Unfähigkeit, trotz allem technischen Fortschritt die Menschheit zu versorgen, mit seinen unausweichlichen Krisen und Kriegen die Welt in den Abgrund reißt.

Große Organisationen hat die Klasse geschaffen, aber alle, die sozialistischen Parteien wie die kommunistischen und die Gewerkschaften haben zuletzt den Weg der Versöhnung mit diesem System beschritten. Diese Krise der Führung kann nur gelöst werden, wenn RevolutionärInnen für ein Programm für Arbeitermacht kämpfen:

Die Gewerkschaften sind von großer Bedeutung bei der Organisierung des Abwehrkampfes gegen die Angriffe von Regierungen und Kapitalisten. Wir brauchen Arbeiterkontrolle über die vergesellschaftete Produktion nach den Bedürfnissen der Gesellschaft! Wir brauchen eine klassenkämpferische Basisbewegung, welche die Gewerkschaften aus dem Schwitzkasten der Bürokraten befreit.

Noch sind die großen gewerkschaftlichen Gliederungen getrennt von den Strukturen, die die Bewegung aufgebaut haben. Wir müssen diese zusammenbringen und aus den Sozialforen und Aktionsbündnissen, die sich in unterschiedlichen Formen in ganz Europa bilden, für die aufflammenden Kämpfe Aktionsausschüsse und Streikräte zu bilden.

Zugleich leiden die meisten Gewerkschaften an den Fesseln, die sie an die sozialdemokratischen Parteien binden, die Sozialkahlschlag, Aufrüstung und Krieg organisieren. Wir brauchen neue Arbeiterparteien, gestützt auf die Gewerkschaften und die Bewegungen der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Statt Werkzeugen in der Hand der Kapitalisten brauchen wir Instrumente, um Maßnahmen gegen das Kapital durchzusetzen und den Weg für eine sozialistische Gesellschaft frei zu machen.

Während sich die Proteste gegen die soziale Zerstörung in ganz Europa entwickeln, breiten sich zunehmend - teils gefördert vom Kapital - Nazis und Faschisten aus, um die Einwanderer und Minderheiten zu Sündenböcken abzustempeln. Gegen diese Hetzer brauchen wir militante antifaschistische und antirassistische Organisationen, die die braune Pest im Keim ersticken!

Die revolutionäre Jugend, ohne die wir keine antikapitalistische Bewegung hätten, braucht ihre eigene unabhängige internationale Organisation!

Kurz: wir müssen die antikapitalistische Bewegung, die Arbeiterbewegung, die rassisch oder national Unterdrückten, die Jugend und die unterdrückten Frauen zusammenbringen, um eine Neue Internationale zu gründen, als Weltpartei der sozialistischen Revolution. Wir meinen, sie muss als Fünfte Internationale auf dem revolutionären kommunistischen Erbe der ersten vier Internationalen gegründet werden und zugleich die Lehren aus ihrem Scheitern, ihrer Degeneration bzw. ihrem Verrat ziehen.

Das Anwachsen der Bewegung weltweit, das Wiedererwachen der Arbeiterklasse, die immer hässlichere Fratze des globalen Kapitalismus und die immer offensichtlichere Sackgasse des Reformismus bedeuten, dass eine neue Internationale von Anfang an als eine Massenorganisation entstehen kann, die aus dem Kampf gegen Privatisierung und Arbeitslosigkeit, gegen Sozialabbau und imperialistischen Kriege erwächst. Zugleich muss sie über eine revolutionäre Strategie demokratisch debattieren und entscheiden.

Das schlagen wir allen vor, die heute im Kampf stehen; und das schlagen wir auch in London allen TeilnehmerInnen vor. Das Europäische Sozialforum kann zu einem Fanal werden, das die Kämpfe in Europa beflügelt und vereint; es kann aber auch als ein internationalen Markt der Möglichkeiten versacken und sich in folgenlosen Podiumsdebatten vergeuden. Kann jemand im Ernst glauben, dass sich 50.000 oder 60.000 Leute nur dafür aufraffen und quer durch Europa fahren?

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Nr. 93, September 2004

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