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Venezuela

Chavez siegt - für wen?

Martin Suchanek, Neue Internationale 93, September 2004

Mitte August gewann Venezuelas Präsident Hugo Chavez das Referendum über seine Amtführung. Er schlug damit einen neuen Versuch der pro-imperialistischen Opposition zurück, ihn zu stürzen und durch einen Präsidenten von US-Gnaden zu ersetzen.

Chavez erhielt 59% aller Stimmen - bei einer Wahlbeteiligung von 70%, der höchsten in der Geschichte des Landes.

Das Referendum war der dritte Versuch der Opposition, Chavez seit seiner Wahl zum Präsidenten und dem Beginn der sog. "bolivarischen Revolution" 1999 aus dem Amt zu jagen. Er konnte die Unterstützung der städtischen und ländlichen Armut Venezuelas gewinnen, die von der bis dahin vorherrschenden korrupten "Oligarchie" - Großgrundbesitzern, städtischen Unternehmern, hohen Staatsbeamten, Managern und Militärs, die eng mit dem US-Imperialismus verbunden sind - brutal unterdrückt wurde. Rund 80% der Bevölkerung lebten Ende der 1990er unter der Armutsgrenze - in einem Land mit riesigen Exportüberschüssen aus dem Ölgeschäft.

Vom Putsch...

Schon im April 2002 versuchte die Opposition, Chavez zu stürzen. Als Mittel wählte sie den Militärputsch. Aber Massendemonstrationen der Armen aus den barrios (Slums) führten zu einer Spaltung innerhalb der putschenden Streitkräfte und Chavez wurde wieder als Präsident eingesetzt.

Ende 2002 folgte der nächste Versuch. Diesmal sollte Chavez durch die Schließung der Geschäfte, also einen Boykott des Wirtschaftslebens durch die Unternehmer, und durch einen "Generalstreik", der von den Managern der lebenswichtigen Ölindustrie und Teilen der Arbeiteraristokratie (relativ privilegierten Ölarbeitern) organisiert wurde, in die Knie gezwungen werden.

Venezuela ist der fünfgrößte Ölproduzent der Erde. Die Einnahmen daraus machen rund 80% des Staatshaushaltes aus. Die Auseinandersetzung, in deren Zentrum die staatliche Ölgesellschaft "Petroleos de Venezuala" (PDVSA) stand, dauerte zwei Monate. Auch sie endete in einer Niederlage der Opposition. Verantwortlich dafür waren der Einsatz des Militärs und die Tatsache, dass fortschrittliche Ölarbeiter gegen den reaktionären Streik mobilisiert werden konnten.

... zum Referendum

Nachdem die beiden ersten Angriffe der Opposition fehlgeschlagen waren, versuchte sie es jetzt, mit legalen, "verfassungsmäßigen" Mitteln. Sie machte sich dabei eine Verfassungsreform zunutze, die Chavez im Jahr 2000 eingeführt hatte. Sie erlaubt, dass sich jeder Gewählte einem Referendum über seine Amtsenthebung stellen muss, wenn 20% der Wahlberechtigten eine diesbezügliche Petition einreichen. Hätte die Opposition am 15. August gewonnen, hätten innerhalb von 30 Tagen Präsidentschaftswahlen stattfinden müssen. Durch die Niederlage der Opposition amtiert Chavez weiter bis Februar 2007.

Zweifellos zeigt der Ausgang des Referendums, dass sowohl Chavez wie auch die Massen aus dem Putschversuch und dem reaktionären Streik gelernt haben. Eine massive politische Kampagne gegen die Opposition wurde gestartet, um Millionen für das NEIN zur Abwahl von Chavez zu gewinnen. Auf den Dörfern und in den Armenvierteln wurden Kampagnen zu Wählerregistrierung gestartet. "ImmigrantInnen" aus der Arbeiter- und Bauernschaft, deren Familien zum Teil seit Generationen im Land lebten und die über kein Wahlrecht verfügten, wurden zu Tausenden die Staatsbürgerschaft und Bürgerrechte zuerkannt.

Vor allem aber wußten gerade die ärmsten Schichten der venezuelanischen Gesellschaft sehr genau, welchen Rückschlag ein Sieg der Opposition für sie bedeutet hätte. Die Reformen zugunsten der Armen, die Gesundheitsprogramme in den Armenvierteln, die Alphabetisierungskampagne und die Landreform, die bislang rund 100.000 Familien eigenes Land überantwortet hat, wären zurückgenommen worden.

Nach dem Streik in der Ölindustrie waren außerdem rund 18.000 Spitzenmanager, mittlere Angestellte und auch Arbeiter entlassen worden, die sich geweigert hatten, die Arbeit wieder aufzunehmen. Sie wurden entweder durch fortschrittlichere Arbeiter oder durch Manager ersetzt, die aus dem Ruhstand zurückgeholt wurden.

Diese Veränderung der Zusammensetzung der ArbeiterInnen in der Ölindustrie spiegelt sich auch im der politischen Auseinandersetzung vor dem Referendum wider. So drohte die Ölarbeitergewerkschaft diesmal mit einem Streik gegen die Opposition, sollte Chavez gestürzt werden.

Schließlich hat die Regierung einen erheblichen Teil der Einnahmen aus dem Ölexport zur Finanzierung von Programmen zur Unterstützung der Armen verwendet. Seit Anfang 2004 sind rund 30% der Exporterlöse in solche Programme geflossen, d.h. rund 2 Mrd. Dollar.

Überall wurden Erziehungs- und Gesundheitsprogramme gestartet. Die Bildungsprogramme konzentrieren sich auf die Schaffung neuer Schulen und die flächendeckende Gewährleistung einer Sekundarstufe. Rund 1,5 Millionen sollen so in den nächsten Jahren den Abschluss der Sekundarstufe nachholen können.

Das internationale Kapital in Rage

Damit einher gehen die Gesundheitsprogramme. Rund 11.000 Klinika und Arztpraxen wurden in den Armenvierteln und auf dem Land in den letzten Jahren neu eröffnet. Diese Arbeit wird von 10.000 kubanischen ÄrztInnen unterstützt, wofür Kuba im Gegenzug Öl verbilligt erhält.

Angesichts dieser Reformen war es nicht verwunderlich, dass die Armen für Chavez und seine Regierung stimmten, die die Fortführung und Ausweitung dieser Maßnahmen versprochen hatte.

Bürgerliche Presse und Regierungen trommeln seit Jahren gegen Chavez. Eine ganze Heerschar von "Wahlbeobachtern" aus den USA und der EU waren in Venezuela, um etwaigen Wahlbetrug durch die Regierung aufzuspüren. Die überwältigende Mehrheit an Stimmen für Chavez machte es aber praktisch unmöglich, den Sieg des Präsidenten und die Niederlage der Opposition "wegzubeobachten".

Aber Venezuela ist v.a. für den US-Imperialismus viel zu wichtig, um nach dem dritten misslungenen Versuch aufzugeben, stellt doch der Sieg von Chavez einen Rückschlag für die US-Pläne in Lateinamerika dar. Die Regierung Chavez ist bei all ihren Schwächen ein Hindernis für die weitere neo-liberale imperiale Ausbeutung des Landes und des Kontinents dar.

Seit seinem Amtsantritt hat Chavez die Pläne zunichte gemacht, die venezualanische Ölindustrie zu privatisieren und damit die Kontrolle US-amerikanischer oder europäischer Konzerne zu verstärken. Im Gegenteil: die Gesundheits- und Bildungsprogramme haben gezeigt, dass die Einnahmen aus dem Ölexport nicht automatisch auf den Konten der Reichen landen müssen, sondern auch den Armen zugute kommen können.

US-Interessen im Wege

Die Regierung Chavez gehört außerdem zu den Kritikern der geplanten "Freihandelszone der Amerikas" (FTAA), welche die US-Kontrolle über Lateinamerika verstärken und den US-Multis privilegierten Zugang zu den Märkten gewährleisten soll. Hinzu kommt, dass Chavez mit Kuba kooperiert, ihm politische und wirtschaftliche Hilfe gewährt und somit den US-Boykott schwächt.

Ausserdem versucht Chavez, einen gegen die USA gerichteten Handelblock mit anderen lateinamerikanischen Ländern aufzubauen, der enge Beziehungen mit Mercosur (Freihandelsorganisation mehrer lateinamerikanischer Staaten) haben soll.

Daher steht Chavez in Washington ganz oben auf der Liste der "Staatsfeinde". Ein venezuelianischer Ex-Präsident, der jetzt im Exil in Miami lebt, hat daher den USA auch empfohlen, Chavez zu liquidieren und durch ein autoritäres Regime zu ersetzen.

Die US-Regierung muss hier - zumindest in der Öffentlichkeit - aber vorsichtiger sein. Chavez wurde durch eine überwältigende demokratische Mehrheit erneut als Präsident bestätigt. Außerdem stammen 13% aller US-amerikanischen Ölimporte aus Venezuela.

Ein Anschlag auf Chavez könnte in der gegenwärtigen Situation u.a. sogar zu einer weiteren sozialen und politischen Explosion in Venezuela und anderen lateinamerikanischen Ländern führen und so das Problem für den US-Imperialismus gar noch verschärfen.

Die unmittelbare Zukunft wird daher eher davon geprägt sein, Chavez zu ökonomischen Zugeständnissen zu zwingen. Dabei können sich die Imperialisten auf ein großes Plus verlassen: Chavez politisches Programm und die Klassenbasis seiner Politik.

Wofür steht Chavez?

U.a. wird das in einem Chavez-Interview mit Tariq Ali (veröffentlicht in: www. counterpunch.org; unsere Übersetzung) deutlich: "Ich glaube nicht an die dogmatischen Postulate der marxistischen Revolution. Ich akzeptiere es nicht, dass wir in einer Periode proletarischer Revolutionen leben. All das muss zurückgewiesen werden. Die Wirklichkeit sagt uns das jeden Tag. Versuchen wir, in Venezuela heute das Privateigentum abzuschaffen und eine klassenlosen Gesellschaft aufzubauen? Ich denke nicht."

Vielmehr ginge es darum, "den Armen zu helfen", den Reichtum umzuverteilen und die "Oberklassen" zu zwingen, ihre Steuern zu zahlen.

Zweifellos stellen die Reformen im Bildungs- und Gesundheitssektor wirkliche Fortschritte dar, die von der Arbeiterklasse, den Bauern und der Armut in den Städten verteidigt werden müssen. Aber das Programm von Chavez hat einen Haken. Es versucht, einen Ausgleich zwischen den Interessen der Herrschenden und der Unterdrückten Klasse zu schaffen - ohne die Wurzeln diese Ungleichheit, das Eigentumsmonopol der Kapitalisten und großen Grundbesitzer anzugreifen.

Das ist kein Zufall, sondern spiegelt die Stellung und das Ziel der von Chavez geführten Sektoren der Kapitalistenklasse und des Staatsapparates wider, die einerseits mehr Spielraum für "ihr" Land wollen, die Vormachtstellung des traditionell führenden, pro-imperialistischen Sektors der "Oligarchen" brechen und daher vor allem mit dem US-Imperialismus in Konflikt geraten müssen.

Chavez verkörpert dieses Bündnis, weil er vorgibt, scheinbar über allen Klassen zu stehen, nur für die "nationale Einheit" der "bolivarischen Revolution" da zu sein. Der Staatsapparat und die Armee sind sein verlängerter Arm - und über ihn als "charismatischen Führer" nach wie vor Apparat der venezuelanischen Kapitalistenklasse.

Das ist übrigens auch der rationale Kern von Chavez Polemik gegen die "proletarische Revolution": das Privateigentum an Produktionsmittel und damit der kapitalistische Charakter Venezuales sollen gewahrt bleiben.

Die scheinbare "Einheit" zwischen Chavez, dem "linken" Flügel der herrschenden Klasse und den unterdrückten Klassen wird früher oder später notwendigerweise an ihre Grenze kommen und zerbrechen müssen.

Entweder, indem sie von den Oligarchen und Imperialisten platt gemacht und durch ein anderes, autoritäres Regime ersetzt werden. Dass die Regierung Chavez drei solcher Versuche bisher überstanden hat, zeigt zwar ihren großen Rückhalt unter den Massen.

Allein, sie hat es aus gutem Grund nicht gewagt, die ökonomischen Machtmittel der venezualanischen Bourgeoisie anzutasten und z.B. die reaktionären Medienunternehmen zu enteignen. Ebenso wenig ging sie daran, die ArbeiterInnen, Bauern und städtischen Armen zu bewaffnen. Bei allem Pathos der bloviarischen Revolution liegt die bewaffnete Macht auch unter Chavez bei der bürgerlichen Armee!

Der andere Weg besteht darin, dass Chavez (oder seine Regierung) mehr und mehr Zugeständnisse an die Imperialisten oder die Oligarchen machen und selbst gegen die ArbeiterInnen und Bauern vorgehen muss, wenn sie die einmal begonnenen Reformen weiter treiben wollen. Das ist auch der Grund, warum die ökonomischen und militärischen Machtmittel auch unter Chavez weiter in den Händen der bürgerlichen Klasse und ihres Staatsapparates liegen und nicht einfach an "das Volk" abgegeben werden können.

Eine solche "Reform" ist von Chavez auch nicht zu erwarten. Dazu brauchen sie vielmehr eigene Massenorganisationen, Arbeiter- und Bauernräte, Milizen und v.a. eine eigene revolutionäre Massenpartei, die sich anders als Chavez nicht mit einem gerechteren Kapitalismus zufrieden gibt, sondern Venezuala zu einem Fanal für die proletarische Revolution in Lateinamerika und weltweit machen will.

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Nr. 93, September 2004

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