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Deutschland rüstet nach

Militärische Globalisierung

Gerald Waidhofe, Neue Internationale 88, März 2004

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Wer nach dem Ende des kalten Krieges eine Ära des Friedens erwartete, sieht sich nun stattdessen diversen heißen Kriegen gegenüber.

Als nach dem 11. September 2001 die NATO den Bündnisfall ausrief, erwies sich diese als nicht effizient genug. Vor allem die europäischen und dabei besonders die deutschen Militärstrukturen waren den neuen, globalen Anforderungen nicht gewachsen. Die NATO sollte zu einer flexibleren und mobileren Streitkraft, die immer und überall auf der Welt in Konflikte eingreifen kann, umgebaut werden. Das bedeutet höhere Militärhaushalte und mehr kampforientierte Truppen mit kriegstauglichem Material.

Ihre Aufgabe ist die Auffindung und Bekämpfung "terroristischer Zentren" - mit oder ohne Genehmigung der betreffenden Nation. Als weitergehendes Ziel gilt inzwischen auch die Unterbindung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen. All das dient aber nicht etwa der Friedenssicherung, sondern der Sicherung der politischen und ökonomischen Vorherrschaft des Imperialismus auf dem gesamten Globus und der Ausschaltung aller potentiellen "Störfaktoren".

Trügerische Friedenshoffnungen

Die weltweiten Militär-Ausgaben erreichten dazu 2002 die Rekordsumme von knapp 800 Milliarden US-Dollar - Tendenz steigend. Umfasst der Rüstungshaushalt der USA mehr als 400 Mrd. US-Dollar, beträgt jener der Euro-NATO "nur" etwa 170 Mrd. Inzwischen wird deshalb an einer neuen europäischen Verfassung mit Aufrüstungspflicht und einer Eurotruppe mit ca. 60.000 Mann gebastelt.

Als sich 2003 ein neuer Krieg gegen den Irak unter dem Vorwand des Kampfes gegen angebliche Massenvernichtungswaffen Saddams anbahnte, entstand dagegen eine imposante Bewegung. Am 15. Februar 2003 marschierten weltweit in über 600 Städten über 20 Millionen gegen diesen Krieg. Das zeigt nicht nur das Ausmaß der Empörung über die Militarisierung der Weltpolitik, sondern auch die riesige Kluft zwischen den Kriegstreibern und den sie unterstützenden Regierungen einerseits und den Massen andererseits.

Millionen hatten gehofft, dass ein Krieg gegen den Irak durch die deutsch-französisch-russische Achse verhindert und durch ein Veto im UN-Sicherheitsrat gestoppt werden könnte. Das erwies sich als Illusion, weil die Politik der deutschen Regierung und ihrer Verbündeten selbst nur eine andere Form imperialistischer Politik darstellt. Die "Freiheit" und "Souveränität" des irakischen Volkes sind ihnen keinen Deut mehr Wert als George W. Bush. Das Hungerembargo, das im Jahrzehnt zuvor bereits tausenden Kindern das Leben kostete und den Irak ökonomisch ruinierte, wurde von Deutschland genauso mitgetragen wie alle anderen UNO-Sanktionen, die dafür sorgten, dass der Irak zum "leichten Opfer" des US-Angriffs wurde.

Der deutsche Imperialismus verfolgt wirtschaftliche und geopolitische Interessen, die sich mit jenen der USA nicht immer, tendenziell sogar immer weniger decken. Diesen Interessen entspricht es beispielsweise nicht besonders gut, wenn im Irak ein neues Regime unter Führung der USA installiert wird. Der deutsche Imperialismus ist keineswegs besser oder friedfertiger als jener der USA, sondern lediglich schwächer, in einer ungünstigeren Ausgangsposition und dadurch (noch) stärker auf die politische und ökonomische Intervention orientiert.

Schließlich haben die deutschen Absichten zu einer von den USA unabhängigeren Außenpolitik momentan einen gewissen Rückschlag hinnehmen müssen. Gegenüber den europäischen Plänen für eine EU-Interventionstruppe mit 60.000 Soldaten, die zu 1/3 aus Deutschland kommen und vom Einsatzführungskommando in Potsdam-Geltow geleitet werden soll, wurde beim NATO-Gipfel in Prag die ‚NATO-Response-Force’ (NRF) in die Wege geleitet. Diese NRF macht nicht nur die ‚geopolitische Ausrichtung nach Süden’ und die Anstrengung zum Aufbau einer kurzfristig überall einsetzbaren Interventionstruppe von rund 21.000 Soldaten deutlich, sondern auch, wer die Kriegsziele und die Einsätze letztlich bestimmt. Die militärische Führung über wesentliche Teile des europäischen Militärs wird damit weiterhin von den USA (mit)kontrolliert.

Insofern versuchen Deutschland und die EU zur Zeit, einen offenen Bruch mit den USA zu vermeiden, andererseits baut man das eigene Militärpotential aus und versucht, den militär-technologischen Rückstand zu den USA aufzuholen.

Schröders Vision, dass die EU bis 2010 die mächtigste Wirtschaftsregion der Welt werden soll und die entsprechenden Bemühungen zur Sicherung des deutschen Führungsanspruches darin werfen unweigerlich die Frage nach der militärischen Ausstattung dieser entstehenden Supermacht auf.

Deutscher Nachholbedarf

Um dem gerecht zu werden, wird die Bundeswehr umgebaut. Sie soll insgesamt zwar verkleinert, aber die Einsatzkräfte sollen zugleich von 66.000 auf 200.000 Soldaten ausgebaut und mit besserem Material versorgt werden. Bereits vor dem NATO-Gipfel in Prag gab es Rüstungsaufträge von rund 113 Mrd. Euro. Immerhin hat Deutschland inzwischen nach den USA und Britannien weltweit die meisten Truppen im Auslandseinsatz.

Die Beschaffung der neuen Transportflugzeuge A 400 M ist dabei nur die Spitze des neuen militärischen Eisberges. Bekanntermaßen hatte der ehemalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping 73 dieser Flugzeuge für 8,6 Mrd. Euro bestellt, obwohl das Parlament dafür nur 5,1 Mrd. Euro bewilligt hatte. Die seit Juli 2003 hergestellten Eurofighter werden bis 2015 mit rund 18 Mrd. Euro veranschlagt; das Gesamtsystem dieser 180 Kampfflugzeuge sind mit Kosten in Höhe von etwa 25 Mrd. Euro verbunden. Das liegt deutlich über den Planungen, weil dieser Jäger jetzt auch als Jagdbomber für Einsätze gegen Bodenziele nachgerüstet wird. Dazu kommen noch 219 Transporthubschrauber NH90 und 212 Kampfhubschrauber Tiger. Ohne die zu erwartenden Preissteigerungen, werden dafür für ein Jahrzehnt jährlich noch einmal 3,5 Mrd. Euro benötigt.

Auch die Marine darf kräftig zulegen: zunächst mit 3 Fregatten und 15 Korvetten für zusammen 4,7 Mrd. Euro. In den Schubladen liegen schon Pläne für einen Flugzeugträger samt trägertauglichen Marineflugzeugen und ein Einsatztruppen-Unterstützungsschiff.

Innerhalb des Heeres wurden mittlerweile zwei neue Elitedivisionen formiert: die ‚Division Luftbewegliche Operationen’, welche die Heeresfliegerkontingente von fast 400 Hubschraubern zusammenfasst und die ‚Division Spezielle Operationen’ (DSO), der neben zwei Luftwaffenbrigaden und unterstellten Divisionstruppen auch das bereits einsatzerprobte Kommando Spezialkräfte (KSK) angehört. Eine weitere Art Sonderdivision stellt das Luftwaffentransportkommando (LTKdo) mit 96 Flugzeugen und 85 Hubschraubern dar. Außerdem werden bereits Waffensysteme wie der neue Schützenpanzer NSPZ Igel für ‚Schlüsselvorhaben des Heeres besonders für Auslandseinsätze’ konstruiert.

Der Zweck dieser Auf- und Umrüstung wurde in den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) 1992 festgeschrieben: die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und der ungehinderte Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt. In den neuen VPR vom letzten Jahr heißt es hierzu: "Künftige Einsätze lassen sich wegen des umfassenden Ansatzes zeitgemäßer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und ihrer Erfordernisse weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen." Mir anderen Worten: Nicht mehr überwiegend "Heimatverteidigung" ist angesagt, sondern eine aggressive Interventionsstrategie, die sich nicht mehr um Völkerrecht, nationale Souveränität und ähnliche "Werte" kümmert.

Der militaristische Kurs ist nicht mit parlamentarischen Mitteln zu stoppen. Ein deutliches Zeichen dafür setzte der Bundestag mit seinem Beschluss zur Verlängerung des Mandats für ‚Enduring Freedom’ und zur Ausweitung des entsprechenden Auftrages: die ABC-Abwehrsoldaten in Kuwait wurden bestätigt, der Auftrag des Kommandos Spezialkräfte (KSK) wurde erweitert und die deutsche Marine wurde auch zur Begleitung von Transporten zum Kriegsgebiet Irak eingesetzt.

Die Illusionen in die Fähigkeit der deutschen oder anderer imperialistischer Regierungen "für Frieden zu sorgen", werden v.a. von reformistischen Gewerkschaftsführern, von bürgerlichen Intellektuellen und Pfaffen in die Anti-Kriegsbewegung hineingetragen. In Deutschland reihte sich außerdem die ‚Friedenspartei’ PDS in den pazifistischen Sing-Sang ein - freilich selbst das nur halbherzig, da sie sich durch "Fundamentalopposition" nicht die Tür zu Koalitionen mit der SPD verschließen will.

Hätten die Gewerkschaftsführungen die Kampfkraft der ArbeiterInnen weltweit in Streiks mobilisiert; hätten sie nicht versucht, die "friedlichen" Regierungen zu stützen, sondern stattdessen die Kriegsvorbereitungen durch direkte Aktionen und Blockaden zu verhindern - der Irak-Krieg hätte verhindert werden können! Wir müssen daher die Konsequenzen aus der bisherigen Politik der Anti-Kriegsbewegung ziehen.

Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Seine Verhinderung bedarf nicht einschränkender pazifistischer Illusionen, sondern praktischer Mobilisierungen und eines klaren Verständnisses über den imperialistischen Charakter von Kriegen wie jenem gegen den Irak. Zugleich muss die Phrase von der Gewaltfreiheit ersetzt werden durch eine klare Position der militärischen Verteidigung gegen jeden Angriff des Imperialismus.

RevolutionärInnen werden alle pazifistischen Illusionen und die damit verbundenen Versuche, einen Schulterschluss mit den "demokratischen" und "friedlichen" Teilen der internationalen Bourgeoisie herzustellen, scharf zurückweisen. Die einseitige, perspektivlose und demotivierende Orientierung auf Proteste und "Latschdemos" ist genauso unzureichend. Massenmobilisierungen, Blockaden und Streiks sind die einzig effektiven Kampfmittel, um den Kriegstreibern das Kriegen auszutreiben!

Dafür müssen die Jugend und die Arbeiterbewegung gewonnen werden. Das schließt ein, gegen die verlogene, inkonsequente und inaktive Haltung der reformistischen Führungen der Arbeiterbewegung - der Gewerkschaftsspitzen, der SPD und PDS -, der kleinbürgerlichen Grünen und sonstiger Pazifisten politisch zu kämpfen und aufzuzeigen, dass kapitalistische Globalisierung und Kriege zwei Seiten derselben Medaille sind.

Entsprechend der Beschlüsse des Europäischen Sozialforums in Paris und des Weltsozialforums in Mumbai finden am 20.03. im Rahmen des Internationalen Aktionstages für Frieden und soziale Gerechtigkeit weltweit Manifestationen und Aktionen statt.

Sie richten sich vor allem gegen die Besetzung des Irak und die Politik Israels gegen die PalästinenserInnen. Wir rufen zur Unterstützung dieser Aktionen auch deshalb auf, um den Zusammenhang von imperialistischem Krieg und Besatzung mit dem Sozialabbau im "eigenen" Land zu verdeutlichen. Wer diesen Zusammenhang nicht darstellt, wird unmöglich große Massen gegen den imperialistischen Krieg formieren können.

Ein solcher Widerstand muss sich an der Tradition der revolutionären Arbeiterbewegung orientieren, die sich in Auseinandersetzung mit einer Kriegssituation weder auf einen Burgfrieden einließ, noch auf pazifistische Illusionen.

So können wir uns beispielsweise an Karl Liebknecht halten, der die revolutionäre Position kurz mit den Worten ausdrückte: "Krieg dem Krieg!"

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Nr. 88, März 2004

* Aktionstage am 2./3. April: DGB-Führung bremst
* Metall Tarifrunde 2004: Vergebene Chancen
* Heile Welt
* SPD mit neuer Spitze: Wechsel ohne Wandel
* Uni-Streiks: Eine Zwischenbilanz
* Studentenstreik: Bremer Erfahrung
* 200. Todestag Kants: Freiheit, philosophisch betrachtet
* Demokratischer Rassismus: Nein zum Kopftuchverbot!
* Slowakei: Hungeraufstand der Roma
* Wahlen im Iran: Weg mit dem Mullah-Regime!
* Brasilien: Tropischer Blairismus
* München: Solidarität mit den Festgenommenen!
* Deutschland rüstet nach: Militärische Globalisierung