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IG Metall

Oh Schreck - Tarifrunde!

Frederik Haber, Neue Internationale 86, Dezember 2003/Januar 2004

Mancher Gewerkschaftsfunktionär hätte jetzt am liebsten keine Tarifrunde. Denn sie schürt die Erwartungen der Mitglieder, erzeugt Konflikte mit dem Kapital und könnte zudem den desolaten Vorstellungen der IG Metall Spitzen-Bürokraten noch eine weitere hinzu fügen. Deshalb sind diese seit Mitte Oktober damit beschäftigt, die Erwartungen der Mitglieder in den Betrieben zu dämpfen und die Kapitalvertreter zu beschwören, nicht unnötig zu zündeln. "Solche Gedankenspiele sind Sprengstoff für die Tarifbewegung" warnte IGM-Chef Peters Gesamtmetall, nachdem diese eine Arbeitszeitverlängerung auf 40 Stunden als Forderung aufgestellt hatte. (Financial Times Deutschland, 11.11.03)

Während es in der IGM-Spitze bisher gelang, die Diskussion in Belegschaften und Vertrauenskörpern auf kleiner Flamme zu halten, und höhere Forderungen nur vereinzelt aufgestellt wurden, lassen sich die Kapitalisten gerade nicht zügeln. Sie brauchen im internationalen Konkurrenzkampf ganz dringend höhere Profite. Sie treiben ihre Parteien und die Regierung zu immer weiteren Senkungen der Lohnkosten bei der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung; sie wollen die Flächentarife untergraben; sie sorgen mit Massenentlassungen für neue Rekorde bei den Arbeitslosenzahlen. - wieso sollten sie also in der Tarifrunde die Gewerkschaften schonen?

Das Verhalten der IGM-Spitze jedenfalls kann sie nur anstacheln: Sie können mit einigem Recht darauf vertrauen, dass Leute, die gegen die Agenda 2010 nicht mobilisiert und den Oststreik für 35 Stunden abgewürgt haben, auch in der Lohn/Gehalts-Runde höchsten bellen, aber nicht beißen. Genüsslich reiben Unternehmer-Sprachrohre wie DIE WELT das der IG Metall auch unter die Nase: "IG Zahnlos", "Die Mitglieder laufen weg", "Stell dir vor es ist Demo und keiner geht hin".

Die Basis regt sich

Aber die Gewerkschaft besteht nicht nur aus Bürokraten. Die IGM hat noch immer über 2,5 Mio. Mitglieder. Es gibt einigen Grund dafür, darauf zu vertrauen, dass sie nicht so verkommen sind wie ihre Führung. Das hat der 1. November gezeigt. Zwar sind einige zehntausend MetallerInnen in Berlin noch nicht 2,5 Millionen, doch es gibt ganz offensichtlich ein Potential, das kämpfen will, das verankert ist, das andere mitreißen kann. Etliche betriebliche Aktionen in den letzten zwei Monaten gegen die Angriffe auf die Tarifautonomie und die Agenda (mehrere DaimlerChrysler-Werke, Porsche, Bosch, ZF), gegen Arbeitsplatzvernichtung (Ford-Köln, Mahle-Werke, DC-Mettingen) bestätigen das. Es wäre also durchaus möglich, eine offensive Tarifrunde durchzuführen - und zu gewinnen.

Dazu wäre eine höhere Forderung als die jetzt beschlossenen 4% wichtig gewesen. Es gibt zwar viele Belegschaften, die mehr oder selbst diese 4% für unrealistisch halten - nicht zuletzt deshalb, weil sie durch die Kapitulantentaktik der IGM-Führung ständig demoralisiert werden. Aber diese Belegschaften werden auch nicht deshalb kämpfen, weil 2,5% eine bescheidenere Forderung ist. Entscheidend ist, die Belegschaften, die jetzt kampffähig sind, zu mobilisieren. Dazu ist die "4" wenig geeignet. Für diese Belegschaften ist sie eher ein Signal, dass gar nicht gekämpft werden soll. Erfahrungsgemäß wächst die Kampfbereitschaft auch dadurch, dass die Forderungen auch so anspruchsvoll ausfallen, dass ein Kampf dafür auch lohnenswert erscheint.

Trotzdem kann eine größere Mobilisierung in Gang kommen. Beispielsweise, wenn die kämpferischen Sektoren ein Beispiel geben oder andererseits, wenn die Unternehmer weiter provozieren. Ihre Forderung nach Arbeitszeitverlängerung ist eine solche. MetallerInnen dürfen da nicht defensiv reagieren, wie J. Hofmann, Bezirksleiter von Baden -Württemberg : " Ich halte es für wenig hilfreich, jetzt in eine Lohnrunde zusätzliche Forderungen reinzubringen. Sie heizen die Lohnrunde unter einem Aspekt an, der überhaupt nicht zur Verhandlung ansteht. Die Manteltarifverträge sind geschlossen..." (Deutschlandradio 10.11). Angesichts steigender Arbeitslosigkeit muss die Arbeitszeit nicht nur diskutiert werden - sie muss verkürzt werden!

Auch die Agenda und die weiteren Angriffe in ihrem Gefolge, müssen weiter Thema bleiben. Wenn die Unternehmer versuchen, per Gesetz die Beiträge für die Sozialversicherung auf die Arbeitenden abzuwälzen, dann hat der Kampf gegen diese Gesetze genau seinen Platz auch in der Tarifrunde. Die Logik des Apparates von der "reinen" Lohnrunde ist auch geradezu absurd: was nützen vier Prozent mehr Lohn, wenn das gesamte Sozialsystem ruiniert wird und gleichzeitig durch die steigende Arbeitslosigkeit immer mehr Leute darauf angewiesen sind.

Auf jeden Fall muss die Tarifrunde konsequent durchgezogen werden, bis - ohne faule Kompromisse aufgrund vorauseilenden Gehorsams der Bürokratie - die 4% ohne Abstriche erreicht sind! Führung und Organisation des Kampfes muss so weit wie möglich direkt demokratisch von der Basis in Betrieb und Gewerkschaft kontrolliert werden. Zugleich muss die Tarifrunde mit dem Kampf gegen die Agenda verbundnen und wenn möglich zum politischen Massenstreik gegen die Sozialabbauoffensive weitergetrieben werden.

Kollege Bremser

Die Bürokratie sieht das anders. Sie wollen die "Politik" aus dem Betrieb heraushalten. Auf die Frage nach dem Tarifsystem, das FDP-Chef Westerwelle und BDI-Chef Rogowski kippen wollen, erwiderte besagter Hofmann: "Eine solche Überlegung ist mehr als kurzsichtig. Der Flächentarif hat heute zumindest drei Funktionen. Er sichert, dass während der Laufzeit des Flächentarifvertrages Frieden in den Betrieben herrscht. Wer den Konflikt in den Betrieb tragen möchte, Konflikte bleiben ja nicht aus, zerstört einen der großen Standards, den Deutschland hat, nämlich einen hohen betrieblichen Frieden, wenig Streiktage und doch eine hohe Kooperationsbereitschaft auf betrieblicher Ebene. Das lebt allein davon, dass Konflikte externalisiert sind, raus aus den Unternehmen und außerhalb geregelt werden, nicht reingetragen." (Deutschlandradio 10.11)

Was Hofmann hier sagt, hat grundsätzlichen Charakter: Was für Deutschland wichtig ist, sind nicht hohe Löhne oder soziale Errungenschaften, sondern "hoher betrieblicher Frieden". Das "Interesse Deutschlands" ist gleich dem Interesse des deutschen Kapitals. Genau diesem Interesse ist auch die Bürokratie verpflichtet: "wenig Streiktage" und "hohe Kooperationsbereitschaft auf betrieblicher Ebene", also die Zusammenarbeit der Betriebsräte mit den Geschäftsführungen. Diese Bürokratie ist voll und ganz mit diesem System verbunden und opfert bereitwillig die Interessen der Lohnabhängigen, um ihre privilegierte Position als Vermittlerin zwischen Kapital und Arbeit zu behalten.

Was folgt daraus? Die Niederlagen und das Versagen der IG Metall-Führung im Jahr 2003 und der Eiertanz, den sie jetzt in der Tarifrunde veranstalten, sind nicht Resultate der Unfähigkeit einzelner RepräsentantInnen; sie sind eine logische Konsequenz ihrer Überzeugungen, ihrer reformistischen Politik. Diese Überzeugungen kommen nicht nur aus der engen Verbindung mit der SPD, sie stecken in der Bürokratie und ihrer sozialen Lage einer besonderen, privilegierten Kaste in der Arbeiterbewegung selbst. So wichtig die Forderung nach einer Trennung von der SPD ist - sie reicht deshalb nicht aus. Eine andere Orientierung kann gegen diese Bürokratie nur systematisch und organisiert durchgesetzt werden. Auch wenn immer wieder Aktionen der Basis die Führung vorwärts stoßen können, diese wird ihren Zugriff auf den Apparat immer dazu nützen, den Druck der Massen ins Leere laufen zu lassen.

So "einfache" Dinge wie Widerstand gegen Sozialabbau oder die Durchführung einer erfolgreichen Lohntarifrunde werden mit der vorhandenen Führung zunehmend schwieriger und machen eine andere Orientierung immer nötiger. Das erhört die Zahl der Kolleginnen und Kollegen, die für eine klassenkämpferische Basisbewegung, für eine Alternative zur reformistischen Gewerkschaftsführung gewonnen werden können. Aber so etwas fällt nicht vom Himmel. Dies erfordert eine organisierte Struktur von Leuten, die nicht mit dem deutschen Kapital gegen das ausländische kämpfen wollen, sondern die mit diesem System gebrochen haben - es erfordert eine revolutionäre Gewerkschaftsfraktion.

Als ARBEITERMACHT haben wir dafür Vorschläge entwickelt und die Diskussion mit den KollegInnen dazu begonnen.

neue internationale
Nr. 86, Dez 2003/Jan 2004

*  Gegen die Agenda 2010: Bewegung von unten
*  Uni-Streik: Arbeiter und Studenten, ein Kampf!
*  IG Metall: Oh Schreck - Tarifrunde!
*  Argentinien: Nein zur Repression!
*  Repression im Betrieb: Siemens - ohne Maske
*  Europäisches Sozialforum: Ein Schritt vorwärts, ein Schritt zurück
*  Attac-Aktuell: Bremser statt Beweger
*  Wahlen in Frankreich: Antikapitalismus mit Reformprogramm?
*  85 Jahre KPD-Gründung: Schwere Geburt
*  Slowakei: Free Mario!
*  Heile Welt
*  Irak: Besatzer vertreiben!