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Russland

Ölboom und Lohndumping

Stanislaus Kattelbach, Neue Internationale 79, April 2003

Russlands Veto-Drohung gegen die zweite US-Resolution im Sicherheitsrat hat viele überrascht. Anstelle des gemeinsamen Kampfes mit Bush gegen den "Terrorismus", beschwört Putin nun die Stabilität des Mittleren Ostens.

Die russische Regierung arbeitet an umfassenden Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Akkumulation von Kapital. Erste Erfolge sind bereits zu verzeichnen.

Das BIP in 2001 setzt sich aus folgenden Sektoren zusammen: Industrie 29,1 %, Landwirtschaft 6,8 %, Bauwesen 8,3 %, Dienstleistungen (einschließlich Transport, Kommunikation, Handel sowie staatliche und kommunale Dienstleistungen) 55,2 %.

Russland-EU

Außenhandelspartner Nr. 1 ist Deutschland im besonderen, sowie die EU im allgemeinen. Der bilaterale Handel zwischen EU und Russland erreicht 48 % des gesamten russischen Außenhandelsumsatzes.

Bei den Exporten nimmt das Erdöl eine herausragende Stellung ein. Öl, Ölprodukte, Erdgas, Kohle und Strom ergeben 53,7 % des Gesamtexports. "Russland hängt wie ein Junkie an der Ölnadel", bemerkte neulich Präsidentenberater Illarionow.

Die Exporte von Öl und Gas machen mehr als ein Drittel der Staatseinnahmen aus. Die Haushaltsplanung richtet sich nach dem Ölpreis. Fällt der Preis, ist sie Makulatur. Nach einem Sieg der USA im Irak könnte die Situation ungemütlich werden. Falls wieder Öl aus dem Irak auf dem Weltmarkt gehandelt wird, könnte der Ölpreis dramatisch fallen.

Die Erdölbranche ist das Rückgrat der russischen Wirtschaft. Sie pumpt, was das Zeug hält. Im Januar wurden 34 Mill. Tonnen gefördert, elf Prozent mehr als im Vorjahr. In diesem Jahr sollen es über 400 Mill. werden.

Russland, das kein Mitglied der OPEC ist, liegt inzwischen auf Platz 2 hinter Saudi-Arabien. Es ist auch der bedeutendste Erdöllieferant Deutschlands.

Nur wenige Ölkonzerne dominieren die gesamte Branche. Um den ersten Platz streiten sich der halbstaatliche Konzern Lukoil und das Unternehmen Yukos des Milliardärs Chodorkowski.

Etwa die Hälfte der Investitionen in die russische Wirtschaft entfällt auf die Ölbranche. Die meisten Ölunternehmen wurden Mitte der 1990er zu Schleuderpreisen privatisiert. Neben dem Ausbau der westsibirischen Förderstätten hat die Regierung ein fast 90 Mrd. $ Investitionsprogramm angekündigt, um weitere Öl- und Gasreserven anzuzapfen.

Darüber hinaus hat russisches Kapital im Irak viel zu verlieren. 1997 schloss Lukoil ein Öl-Abkommen mit Bagdad. Wert des Deals: 20 Mrd. $.

Putin befürchtet nicht ohne Grund, dass eine US-Marionettenregierung im Irak die Verträge mit Russland kündigen könnte. Washingtons Diplomaten haben versucht, Russland durch Versprechen zur Zustimmung im Sicherheitsrat zu animieren. Bereits angedacht war eine amerikanisch-russische "Energie-Partnerschaft", in der die Giganten Lukoil und Yukos Öl direkt an die USA liefern könnten.

Doch Moskau ist misstrauisch. Die Handelserleichterungen, die Bush für das Stillhalten bei der Stationierung von US-Truppen im ehemals sowjetischen Zentralasien vor dem Afghanistan-Feldzug im Herbst 2001 versprochen hatte, lassen bis heute auf sich warten. Putin weiß natürlich, dass die USA in Zentralasien weniger hinter Terroristen als hinter Rohstoffen her sind. Im Irak geht das große Ringen um das verbleibende Öl der Erde in seine entscheidende Phase.

Putin muss nun alle politischen und militärischen Hebel ansetzen, um den tschetschenischen Widerstand zu brechen, um Stabilität an der Südgrenze im Kaukasus zu erreichen. Diesem Ziel dient auch die jüngste "Volksabstimmung" über Tschetscheniens Unabhängigkeit.

Georgien sieht sich von den imperialen Bestrebungen Russlands bedroht und steht bereits unter dem "Schutz" der USA.

Der politische Konflikt zwischen Washington und Moskau spiegelt die kapitalistische Konkurrenz im Weltmaßstab wider. Russland strebt den Aufstieg zur imperialistischen Regionalmacht an, um seinen gegenwärtigen Status einer entwickelten und militärisch besonders starken Halbkolonie zu überwinden. Im Unterschied etwa zur Türkei hat Russland durchaus Chancen dafür. Doch diese stehen den amerikanischen Interessen für Rohstoffkontrolle und Kapitalexport direkt entgegen. Die starke wirtschaftliche Abhängigkeit von den Exporten nach Europa treibt das russische Kapital an die Seite von Berlin und Paris.

Superausbeutung

Der Weg Russlands von bürokratischer Planwirtschaft zur imperialistischen Regionalmacht kann nur erfolgreich sein, wenn die Profite der Privatwirtschaft und der halbstaatlichen Unternehmen deutlich höher liegen als in den großen kapitalistischen Ländern.

In Russland gibt es dafür nur eine einzige Möglichkeit: die Ware Arbeitskraft muss deutlich unter ihren Wert gedrückt werden. Nur dadurch kann eine Kapitalakkumulation in Gang gesetzt werden, die einen umfangreicheren Kapitalexport ermöglicht. Das bedeutet vor allem gigantische Verelendung der russischen Arbeiterklasse.

Die guten Wachstumsraten der russischen Wirtschaft seit 2000 wären ohne die Verarmung großer Teile der Bevölkerung unmöglich gewesen. Ausstehende Löhne, Lohnkürzungen, Verweigerung der Krankenversorgung usw. sind seit Jahren Alltag.

Im Oktober 2002 riefen die russischen Gewerkschaften zu einem nationalen Aktionstag auf. Mit der Forderung nach "ausreichenden Löhnen und sozialen Garantien" protestierten Millionen russischer ArbeiterInnen durch Streiks und Demonstrationen gegen die Putin'schen "Reformen". Beteiligt waren vor allem ArbeiterInnen aus der Öl- und Gasproduktion, der Papierindustrie und der chemischen Industrie.

Die russische Arbeiterbewegung beginnt sich langsam zu erholen. Sie steht vor einer Alternative: Aufstieg des russischen Kapitalismus zur imperialistischen Regionalmacht, gepaart mit militärischer Diktatur und tiefster Armut oder Reorganisierung der Arbeiterklasse im Kampf um Rätedemokratie und demokratische Planwirtschaft.

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neue internationale
Nr. 79, April 2003

*  Nieder mit dem Imperialismus! Sieg dem Irak!
*  Antikriegsbewegung: Den Krieg stoppen - aber wie?
*  Antikriegskomitee Neukölln
*  Heile Welt
*  Debatte: Generalstreik gegen Krieg
*  Türkei: Ankaras Ambitionen
*  Russland: Ölboom und Lohndumping
*  Argentinien: Keine Räumung von Zanon!
*  Nach dem Bahnstreik: Schwellenkampf
*  Wirtschaft: Woher kommt die Krise?
*  Michael-Moore-Film: Bowling against Bush
*  Rot-Grüner Generalangriff: Schröders Reformkeule