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Brasilien

Der Putsch und seine Auswirkung auf Frauen

Patricia Rangel, Neue Internationale 217, März 17

Am 31. August letzten Jahres wurde der politische Umsturz in Brasilien in die Tat umgesetzt durch die Beendigung des Impeachment-Prozesses gegen Dilma Rousseff, der ersten Präsidentin in der Geschichte des Landes. Die Frauenfeindlichkeit war einer der Faktoren, der die Einleitung dieses parlamentarischen Putsches medial beförderte.

Am Ende der Abstimmung im Kongress brachen die rechten ParlamentarierInnen in spöttische „Tschau Querida!“-Gesänge aus (Tschüss, Schätzchen!) - sicherlich eine symbolische Episode für ein männlich dominiertes Parlament (nur 9,9 % des Unterhauses und 16 % des Oberhauses bestehen aus weiblichen Abgeordneten). Die letzten 6 Jahre gab es unzählige Kommentare in den großen Medien und aus der Gesellschaft im Allgemeinen über das Erscheinungsbild von Dilma, die nichts anderes waren als klare Manifestationen von Machismo.

In einer gewalttätig patriarchalen Gesellschaft macht es wenig aus, was eine weibliche Führerin anstellt, sondern wichtig ist, was sie anzieht, wie ihr Körper ist, wie sie geht, wie sie spricht. Wie oft lesen wir über das Gewicht, die Kleidung oder die Erscheinung von männlichen Repräsentanten? Nie oder sehr selten, da dies einfach nicht für relevant gehalten wird. 2016 haben sich die frauenfeindlichen Angriffe vertieft und ein beunruhigendes Niveau der Gewalttätigkeit erreicht: die Beschimpfungen gingen über in „Puta“, „Vaca“, „Arrombada“, „Vadia“ (Hure, Kuh, Gangster-Flittchen, Herumtreiberin); es wurden Aufkleber für Autos verbreitet, die die Präsidentin mit offenen Schenkeln auf dem Tankdeckel zeigen; es wurden Aufkleber herausgebracht, die Dilma in verschiedenen unterwürfigen Sexualpositionen darstellten.

Kurz vor dem Beginn des Impeachment-Prozesses gab es eine Serie von Versuchen der Presse, ein anderes Bild der Präsidentin zu konstruieren, eines der völlig Verunsicherten - eine altbekannte patriarchale Strategie zur Delegitimierung von Frauen, indem man sie mit Irrationalität und emotionalem Ungleichgewicht assoziiert. Studien zeigen, wie man historisch Frauen als „hysterisch“ behandelte, indem man ihnen „abwegiges“ soziales oder sexuelles Verhalten unterstellte. Was man in Bezug auf Dilma gemacht hat, folgte diesem Rezept. Das vielleicht beste Beispiel dafür war die Titelseite des Journals „Istoe“, die eine Fotomontage von einer erregten Dilma benützte mit dem Titel: „Die nervösen Explosionen der Präsidentin“. Man versuchte offensichtlich ein frauenfeindliches Spiel, das allen Frauen unterstellt, dass sie zu emotional seien und daher unfähig zu regieren und rationale Entscheidungen zu treffen (ob im öffentlichen oder privaten Raum). Klarerweise würde gegenüber einem männlichen Präsidenten, gegen den man eine Diffamierungskampagne starten würde, eine andere Strategie eingeschlagen. Sicherlich würde man nicht die „Unausgeglichenheit“ und „Emotionalität“ desselben zum Thema machen, so wie man es mit Frauen offenbar leicht anstellen kann.

Botschaft an die Frauen

Die Botschaft der Amtsenthebung an alle brasilianischen Frauen in Bezug auf ihre Rechte ist gefährlich. Das gegenwärtige brasilianische Szenario, das sich im Putsch und im Aufstieg der Rechten abzeichnet, zeigt die Gefahren und Rückschritte, die den traditionell unterdrückten und marginalisierten Schichten drohen, wenn der Staat vollkommen in den Händen der Konservativen ist. Die bescheidenen Errungenschaften werden kassiert. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, demokratische Errungenschaften zu verteidigen.

Wir sind uns sicher, dass das machistische Element des Putsches nur Ausdruck dessen ist, dass die Putschisten unter dem Usurpator Michel Temer die Frauen, insbesondere die Arbeiterinnen, angreifen werden und auch die bescheidenen bisherigen Errungenschaften auf dem Spiel stehen. Der bürgerliche Staat ist, wie wir wissen, vor allem da zur Verteidigung des Kapitals, der Frauenunterdrückung und der Privilegien der Eliten: einer kleinen Gruppe von weißen, männlichen, heterosexuellen, christlichen Menschen mit großem Vermögen. Je mehr dieser Staat unmittelbar von ausgesprochen Konservativen besetzt wird, desto sicherer werden die Rechte der Unterdrückten und Marginalisierten noch mehr beschnitten.

In der Regierung Temer wurden das Frauenministerium, das Ministerium gegen rassistische Unterdrückung und für Menschenrechte aufgelöst und die Finanzmittel für Frauen- und Anti-Diskriminierungsarbeit um die Hälfte gekürzt, während Militärhaushalt, Agrarsubvenstionen für Großgrundbesitz und Subventionen für die Atomindustrie ausgeweitet wurden. Im Kontext des Putsches werden viele für die Frauen wichtige Projekte abgeschafft, zusätzlich zu den ansonsten bedrohten Rechten. In der Regierung selbst gibt es keine einzige Ministerin - das erste Mal seit der Regierung des Militärdiktators Ernesto Geisel (1974-79).

Natürlich ist jetzt auch eine völlige Umkehr in der Frage der Abtreibung auf der Tagesordnung. Mehr als eine Million Frauen setzen sich jedes Jahr in Brasilien den Gefahren einer illegalen Abtreibung aus. Trotz des Kampfes der Frauenbewegung bleibt das Gesetz auch unter den Regierungen der PT (ArbeiterInnenpartei) weitgehend unverändert. Es erlaubt den freiwilligen Schwangerschaftsabbruch nur im Fall von Vergewaltigung, drohender Gefahr für das Leben der Mutter oder, wenn das Überleben des Kindes nach der Geburt in Frage steht. Aktuell droht große Gefahr, dass es zu einem weiteren Rückschritt kommt. Eine Allianz aus konservativen Kongressabgeordneten und religiösen Führungen, besonders der evangelikalen Kirchen, hat mehrere frauenfeindliche Gesetzesinitiativen vorgetragen. Ein Beispiel ist die Gesetzesinitiative 5069, die neue Regelungen für Opfer von sexueller Gewalt vorschlägt, um ihnen den Zugang zu legaler Abtreibung zu erschweren.

Im selben Geist verläuft die Debatte um die Rechte von LGBTIAQs. Dilma plante einige recht bescheidene Reformen, darunter die Möglichkeit legalisierter Lebenspartnerschaften von Menschen gleichen Geschlechts, die noch nicht einmal so weit gehen wie die Homo-Ehe. Außerdem wurde didaktisches Material erarbeitet, um die Homophobie an Schulen zu bekämpfen, was aber aufgrund der Proteste aus dem religiösen Lager suspendiert wurde. Diese zaghaften Veränderungen werden von der gegenwärtigen Regierung mit großem Getöse abgelehnt.

Die sexistische und geschlechtliche Gewalt ist weiterhin strukturell und allgemein. Derzeit existiert in Brasilien nur eine 24-Stunden-Nothilfe für die Gewaltopfer in der größten Stadt des Landes, Sao Paulo. Mit der Hilfe der putschistischen Regierung versuchen die ParlamentarierInnen jetzt, das Gesetz „Maria da Penha“ gegen häusliche sexistische Gewalt abzuschaffen und die Hilfe für die Opfer zu streichen. Dabei gehört Brasilien zu den Ländern mit den höchsten Raten an Gewalt gegen Frauen weltweit. Seit Jahrzehnten nimmt diese zu. Im Durchschnitt werden im Land 13 Frauen pro Tag (!) ermordet.

Es ist notwendig, den Kampf für die Rechte der Frauen zu verstärken und auf die Straße zu bringen, strategische Bündnisse und politische Prozesse in Gang zu setzen, um die anti-rassistische und anti-patriarchale Agenda voranzubringen und die der Konservativen und Fundamentalisten zu durchkreuzen. In diesem Sinn ist die Verbindung dieses Kampfes mit dem der ArbeiterInnen und ihren Bestrebungen, die Angriffe der Putschisten auf ihre sozialen Rechte mit einem Generalstreik zu beantworten, von entscheidender Bedeutung!

Fora Temer! Nenhum Direito A Menos! Greve Geral!

Nieder mit Temer! Kein Recht weniger! Generalstreik!

Fascistas, Golpistas e Machistas nao passrao! Die Faschisten, Putschisten und Machisten werden nicht durchkommen!

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Nr. 217, März 17

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