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Griechenland

Der Kampf geht weiter

Günther Schneider, Neue Internationale 217, März 17

Die griechische Regierung geht davon aus, dass die Wirtschaftsleistung des Landes heuer um 2,7 Prozent steigen wird. Auch wenn dies möglicherweise eintritt, die Lage der arbeitenden Bevölkerung ist trist.

100-Euro-Generation

Seit Beginn der Krise ist die Wirtschaftsleistung um ein Viertel geschrumpft. In den vergangenen zwei Jahren ist der Bruttomonatslohn vollbeschäftigter ArbeiterInnen von 1.327 Euro auf 1.182 Euro gesunken.

Laut Angaben des griechischen Arbeitsministeriums verdienen 41 % der Beschäftigten weniger als 700 Euro im Monat, 22 Prozent kommen auf 700 - 1.000 Euro monatlich. An die 28 Prozent erhalten ein Gehalt zwischen 1.000 Euro und 2.000 Euro. Der Bruttolohn für rund eine halbe Million von Teilzeitbeschäftigten macht 400 Euro im Monat aus. Die auf Grundlage der Lebenshaltungskosten statistisch ermittelte Armutsgrenze liegt bei 665 Euro pro Monat.

Wurde 2008 noch von der „700-Euro-Generation“ gesprochen so ist heute die „100-Euro-Generation“ im Vormarsch begriffen. Es handelt sich dabei um Beschäftigte mit Teilzeitarbeitsverträgen und flexiblen Arbeitsverhältnissen mit 2 bis 3 Tagen oder einigen Stunden Arbeitszeit pro Woche. Laut Daten des Arbeitsministeriums beträgt für 126.956 Beschäftigte der Monatsbruttolohn maximal 100 Euro.

Die Arbeitslosigkeit ist zwar mit 23,1 % geringer als im September 2013 mit 27,9 %, aber die Teilzeitbeschäftigung ist sprunghaft angestiegen. Über die Hälfte der neuen Arbeitsplätze waren im Jahr 2016 Stellen mit weniger als 20 Wochenstunden. Der Anteil von Langzeitarbeitslosen ist enorm hoch. Der Großteil der Arbeitslosen erhält keinerlei Unterstützung, er bleibt vom Staat seinem Schicksal überlassen.

Erstmals wurde im Jänner 2017 eine Grundsicherung, die sogenannte „soziale“ Solidaritätsbeihilfe (KEA) eingeführt. Landesweit wird es voraussichtlich ungefähr 700.000 Berechtigte geben, die in extremer Armut leben. So darf bei Antragstellung das Gesamteinkommen für einen 1-Personen-Haushalt in den letzten 6 Monaten 1.200 Euro nicht übersteigen. Die Grundsicherung beträgt maximal: für einen 1-Personen-Haushalt 200 Euro im Monat, für jedes weitere volljährige Mitglied des Haushalts zusätzlich 100 Euro pro Monat und für jedes minderjährige Mitglied des Haushalts zusätzlich 50 Euro pro Monat.

Seit 1.1.2017 werden die griechischen Massen mit neuen Steuern und Steuererhöhungen zusätzlich belastet.

Die Zahlen drücken nicht die tatsächlichen Verhältnisse aus. Sie sind bürgerlichen und staatlichen Statistiken entnommen und in deren Interesse geschönt. Die tatsächliche Lage eines Großteiles der griechischen Bevölkerung ist noch schlimmer, als es die ohnehin erschreckenden Daten vermitteln.

500.000 junge Leute suchen im Ausland ihr Glück und viele ArbeitsmigrantInnen verlassen Griechenland.

Widerstand

Im Jahr 2016 gab es zwei Generalstreiks gegen die drohenden Rentenkürzungen und Steuererhöhungen. Der erste war im Februar 2016. Die ArbeiterInnen führten einen eintägigen Streik durch. Die Bauern und Bäuerinnen hatten schon vor dem Streik zwei Wochen die Fernstraßen blockiert und gingen gemeinsam mit den ArbeiterInnen und vielen verarmten KleinbürgerInnen auf die Straße. Danach blockierten die Bauern und Bäuerinnen wieder die Fernstraßen.

Die KapitalistInnen und deren Regierung drängen die Massen in die Armut und Verschuldung und die Banken nutzen dies in Raubrittermanier aus, indem sie die Häuser der Verarmten enteignen und zwangsversteigern. Dies hat die Bevölkerung erzürnt, sie versuchte, ihre verarmten NachbarInnen zu schützen. Daraus wurde im Oktober 2016 eine Bewegung, die regelmäßig die Gerichte stürmte und die Auktionen stoppte. Die Bewegung war erfolgreich und die Regierung musste - zumindest für eine gewisse Zeit - die Auktionen stoppen.

Als Obama am 15. 11. 2016 seine Abschiedsrede in Athen hielt, riefen zahlreiche Organisationen (Gewerkschaften, Parteien, Friedenskomitees u. a.) zu Versammlungen und Demonstrationen in Athen auf. Am 14.11. hat die griechische Regierung plötzlich alle Versammlungen und Demonstrationen für den 15. und 16.11. verboten. Am Abend des 14. November haben Gewerkschaften vor dem Ministerium für Öffentliche Ordnung gegen das Verbot protestiert.

Die Linke zeigte keine Bereitschaft, sich dem Verbot der Regierung unterzuordnen. Am 15. und 16.11. kamen 5.000 PolizistInnen, 5.000 GeheimpolizistInnen und 500 US-amerikanische Sicherheitskräfte in Athen zum Einsatz. Es kam zu einem heftigen und stundenlangen Kampf, als sich 7.000 bis 10.000 DemonstrantInnen der Repression mit Wasserwerfern und Tränengas widersetzten.

Der zweite Generalstreik gegen die geplanten Rentenkürzungen und Steuererhöhungen am 8.12.2016 legte wieder das öffentliche Leben in Griechenland lahm. Die Gewerkschaft der Privatangestellten (GSEE) hatte zu einem 24-stündigen Streik gegen die im Jänner 2017 bevorstehenden Rentenkürzungen und Steuererhöhungen aufgerufen. Die zweite große Gewerkschaft, die des Öffentliches Dienstes (ADEDY), hatte sich angeschlossen. PAME, die Gewerkschaft der „Kommunistischen Partei“ KKE, hatte auch aufgerufen, aber getreu ihrer sektiererischen Politik hielt sie eigene Demonstrationen und Kundgebungen ab. In Athen, Thessaloniki und anderen Städten fuhren keine U-Bahnen, Züge und Busse und mehrere andere Berufsgruppen, wie die der LehrerInnen und ÄrztInnen, streikten ebenfalls. Die Seeleute in Griechenland befanden sich schon bereits eine Woche früher im Arbeitskampf, zahlreiche Inseln waren deshalb von der Außenwelt abgeschnitten.

Noch am Abend des 8.12., also während der Streiks, hat Ministerpräsident Tsipras ganz überraschend in einer Fernsehansprache eine Pensionserhöhung für NiedrigstrentnerInnen in Form einer 13. Rente bekanntgegeben. Davon werden 1,6 Millionen PensionistInnen (60,32 %), die monatlich weniger als 850 Euro erhalten, profitieren. Der Generalstreik hat Wirkung gezeigt.

Die 13. Rente entpuppte sich allerdings als einmaliges Almosen von 100 bis 350 Euro und die Renten werden 2017 erneut schrumpfen. Viele PensionistInnen haben daraufhin erneut demonstriert.

Die Bauern und Bäuerinnen kündigten für den 23. Jänner 2017 wieder Straßenblockaden an. Mit den höheren Sozialabgaben und Steuern und den noch niedrigeren Renten können sie im internationalen Konkurrenzkampf nicht bestehen.

Wie kämpfen?

Die griechischen Massen haben großartig gekämpft, um den sozialen Kahlschlag zu verhindern. Trotzdem haben sie eine schwere Niederlage erlitten. Sie mussten erfahren, dass die KapitalistInnen in ihrer Systemkrise im Klassenkampf von oben zu unerbittlicher Härte bereit sind. Aber viele haben begriffen, wozu die KapitalistInnen in der Krise imstande sind, und das Klassenbewusstsein eines Großteils der Massen ist gestiegen.

Wenn die ArbeiterInnen in Boomzeiten einen Streik durchführen, ist es ohne Weiteres möglich, dass der Streik erfolgreich ist. Die griechischen ArbeiterInnen haben ca. 30 eintägige und mitunter auch zweitägige Generalstreiks durchgeführt und die Erfolge waren im Vergleich zu den Angriffen so gut wie nicht vorhanden.

Um in Zeiten wie diesen einen Streik erfolgreich zu beenden, ist es notwendig, revolutionäre Mittel anzuwenden. Die ArbeiterInnen müssen sich in Streikkomitees organisieren. Sie müssen die bürokratischen Gewerkschaften zwingen, den Streik zu unterstützen, ohne aber ihnen die Führung der Streiks zu überlassen.

Ein Generalstreik sollte das ganze Land organisieren und die Streikkomitees müssen versuchen, die kleinen Bauern und Bäuerinnen und die KleinbürgerInnen, die in Griechenland noch zahlreich sind, einzubeziehen.

Wenn er erfolgreich sein soll, muss er ein unbefristeter Generalstreik sein, der Kampf fortgeführt werden, bis das Kampfziel erreicht ist. Ein Generalstreik dieser Art wird notwendigerweise die Machtfrage aufwerfen: der geringe Spielraum der Regierenden, der kaum Möglichkeiten zu substanziellen Kompromissen lässt, wird bei einem konsequenten Generalstreik den Zusammenstoß mit der wirklichen Macht hinter der Regierung unvermeidlich machen. Ob in- oder außerhalb von Euro/EU, letztlich können die griechischen ArbeiterInnen ihre elementaren Interessen nicht mehr durch symbolische Streiks durchsetzen, sondern nur, indem sie aus ihren Kämpfen heraus Machtorgane entwickeln und verteidigen, die ein ökonomisches und soziales Programm für ihre Interessen durchsetzen.

Was tun?

Am 20.1.2017 schrieb die Griechenland-Zeitung, dass die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia im Aufwind sei. Würde heute in Griechenland gewählt, käme sie auf 30,5 %, (andere Schätzungen sagen 27 %) die Regierungspartei Syriza auf 16,5 %, die faschistische „Goldene Morgenröte“ („Chrysi Avgi“ - CA) auf 7,5 %, die Demokratische Allianz (mit der „sozialistischen“ PASOK) und die „kommunistische“ KKE auf je 6,5 %. Die Zentrumsunion mit 2,5 %, die rechtspopulistische Koalitionspartnerin ANEL und die liberale „To Potami“ mit je 2 % würden an der 3 %-Hürde scheitern und den Sprung ins Parlament nicht schaffen. 86,5 % der Bevölkerung sind mit der Regierung unzufrieden.

Doch derartige Umfragen stellen nicht immer die Realität dar. Außerdem wird die Wahl voraussichtlich im Oktober 2019 stattfinden und da kann sich noch vieles ändern.

Im attischen Perama, einem Vorort der Stadt Piräus im westlichen Athener Ballungsraum, kam es am 17.1.2017 in einer Schule zu Übergriffen von Neonazis auf PädagogInnen und VertreterInnen der lokalen Selbstverwaltung. Anlass war eine Sitzung, bei der Einzelheiten über den Unterricht für 25 Flüchtlingskinder in der Schule besprochen werden sollten. Perama, ein ArbeiterInnenviertel, ist vom Niedergang der Werftindustrie, die dieses Viertel prägt, dramatisch betroffen. Die Arbeitslosenrate liegt bei 95 % (2016), 75 % (2015), 45 % (2014). Durch die Arbeitslosigkeit leben dort heute viele Menschen im Elend.

Um den Aufstieg der FaschistInnen zu verhindern, ist ein konsequenter Kampf gegen die Verelendungspolitik der KapitalistInnen und deren HandlangerInnen, der im Sturz des kapitalistischen System mündet, notwendig.

Petros Constantinou von Antarsya (ein Bündnis der antikapitalistischen Linken) sagte in einem Interview vom 9.12.2016, die „Konservativen sind schwach und zerstritten, obwohl sie eine neue Führung gewählt haben.“ Die faschistische Chrysi Avgi konnte „in den letzten Wahlen ihren Stimmenanteil von 7 % zwar verteidigen, die Anzahl der Stimmen ist jedoch gesunken“. Die Bevölkerung sei nicht frustriert, sondern wütend. Es rolle eine neue Streikwelle heran. „Syriza ist immer noch stark, weil weitere Teile der gesellschaftlichen Mitte sich nach links bewegen und die Verluste durch jene Menschen ausgleichen, die Syriza wegen des Memorandums den Rücken gekehrt haben. Diese Menschen fühlen sich zum Teil angezogen von der Linken links von Syriza: von der linken Syriza-Abspaltung „Volkseinheit“, der KKE und Antarsya. Ich schätze, gemeinsam machen wir zehn Prozent aus. Es gibt auch keine Demoralisierung innerhalb der Linken.“

Wir glauben, dass Petros ein bisschen Zweckoptimismus verbreitet. Andererseits ist es zweifellos der Fall, dass im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern die Linke weiterhin ein wesentlicher Faktor in der Mobilisierung gegen die Krisenpolitik des Kapitals ist - trotz schwerwiegender Fehler und des Verrats von Syriza. Es ist daher möglich, aber auch zwingend notwendig, dass RevolutionärInnen in Griechenland aus den Problemen der Vergangenheit lernen, die programmatischen Lehren ziehen und eine Taktik entwickeln, die reformistischen Führungen von Syriza, KKE und Volkseinheit herauszufordern. Nur mit einem klaren Programm, das Antworten auf die aktuelle Krise und das Problem der reformistischen Verführer bietet, kann eine wirklich revolutionäre Partei entstehen, die in die kommenden Kämpfe in Griechenland entscheidend eingreifen wird.

Die internationale Krise des kapitalistischen Systems führt zu Angriffen auf den Großteil der Bevölkerung weltweit. Nationalismus und Rassismus dienen dazu, von den tatsächlichen Ursachen der Krise abzulenken. Der Faschismus wird wieder salonfähig. Um Massenelend, Rechtsruck und Kriege zu verhindern, muss in jedem Land der Klassenkampf organisiert und international vernetzt werden.

Es ist für uns notwendig, dass wir den griechischen Klassenkampf möglichst gut studieren und die Lehren daraus ziehen, denn wir können in Zukunft womöglich auf Ähnliches gefasst sein.

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Nr. 217, März 17

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