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Kampf gegen Frauenunterdrückung

Weg mit § 218 und § 219!

Elise Hufnagel, Neue Internationale 211, Juli/August 16

Im Mai gingen in Lima, Peru, AktivistInnen auf die Straße, um gegen eine geplante Novelle des Abtreibungsgesetzes zu protestieren. Diese würde als Strafe für eine Frau, die abgetrieben hat, 50 Stunden soziale Arbeit festlegen.

In Irland beginnen jetzt erst die Proteste gegen das absolute Abtreibungsverbot dort. Die Kampagnen ähneln denen, die es bei uns in den Siebzigern gab. Frauen schreiben öffentlich „Ich habe abgetrieben“, um anderen Mut zu machen und das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen.

Auch im amerikanischen Wahlkampf wird Schwangerschaftsabbruch jetzt thematisiert, spätestens seit der oberste Gerichtshof die restriktiven Gesetze in Texas, die nur dazu dienten, die (legale) Abtreibung zu erschweren, zurücknahm. Dabei ist Texas nur einer von 23 Staaten, in denen es Frauen schwer gemacht wird, eine Abtreibung in einer Klinik durchführen zu lassen. Zudem gibt es von solchen immer weniger und diese befinden sich meist in Großstädten. Das treibt Frauen immer wieder zu irgendwelchen Pfuschern auf dem Land und gefährdet ihre Gesundheit.

Donald Trump sinniert auch darüber, dass es ja eigentlich nicht ausreiche, ÄrztInnen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, mit Strafen zu bedrohen. Ginge es nach ihm, müssten auch die betroffenen Frauen „bestraft“ werden.

Lage in Deutschland

Da könnte frau jetzt sagen, im Vergleich dazu geht es uns hier ja gut. Die Frauenbewegung hat genug erreicht, wir haben unsere Fristenlösung und wer nicht völlig verpeilt ist, kann die 12 Wochen einhalten, während denen legal abgetrieben werden kann. Die Beratung ist ja auch eine gute Sache, schließlich ist das eine schwere Entscheidung und außerdem betrifft Abtreibung ja häufiger junge Frauen, die noch wenig Lebenserfahrung haben (ein zähes Gerücht, das schon längst widerlegt wurde).

Grundsätzlich benennt der §218 eine Abtreibung als strafbare Handlung. Dabei können sowohl ÄrztInnen als auch Laien und auch die Schwangere selbst zu „TäterInnen“ werden, die mit Gefängnis bis zu 3 Jahren bestraft werden. §218a betrifft dann einen „Tatbestandsausschluss“, nämlich die bekannte Fristenlösung. Bis zu 12 Wochen nach Empfängnis gehen sowohl ÄrztIn wie Patientin bei einer Abtreibung straffrei aus, für die Schwangere wird diese Frist sogar noch um 10 Wochen verlängert. Dann wird sie hierzulande aber keine Ärztin für den Eingriff mehr finden und muss in ein Land fahren, wo die Gesetze für MedizinerInnen lockerer sind.

Das alles setzt aber eine Beratung voraus, die mindestens drei Tage vor dem Eingriff liegen muss.

Diese ist in §219 geregelt: Dabei soll der Schutz des ungeborenen Lebens vorrangig sein und die Schwangere dahingehend ermutigt werden, das Kind auszutragen. Es soll ihr klar gemacht werden, dass eine Abtreibung nur in „Ausnahmesituationen“ in Frage komme - das hört sich dann schon wie ein Erziehungsratgeber für schwierige Kinder an. Ach ja, und es ist zu hinterfragen, ob die Belastung wirklich so groß sei, dass sie die „zumutbare Opfergrenze“ übersteigt. Geopfert wird dabei auf jeden Fall das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper und ihre Zukunft.

Die Beratungspflicht ist natürlich ein gefundenes Fressen für zahlreiche Lebensschützer, die ihre Beratungsstellen anpreisen, bei denen Frauen massiv bedrängt werden, das Kind doch auszutragen.

Angeblich bekommen sie auch finanzielle Unterstützung, auch für später, wie Zuschüsse zur Kinderbetreuung, wobei da natürlich keine Zahlen genannt werden. Die fröhlichen Erfolgsvideos zeigen dann doch eher gutsituierte Mütter, deren größtes Glück die Entscheidung für das Kind war.

Viele dieser (und auch kirchlicher) Stellen händigen dann auch nicht den Beratungsschein aus, wenn sie die Gründe für eine Abtreibung nicht akzeptieren können. Wer darauf reinfällt und immer noch nicht geläutert ist, muss zur nächsten Beratungsstelle gehen und die ganze Geschichte nochmal erzählen.

Warum?

Warum halten sich solche Gesetze in unserem ach so aufgeklärten Land immer noch? Hat sich das klassische Familienbild nicht längst überlebt?

Der Abtreibungsparagraph reiht sich ein in eine systembedingte Frauenunterdrückung, die noch lange nicht überwunden ist. Im Gegenteil, er ist ein Symptom für ein weltweites Rollback auf die Rechte der Frauen und ihr Bild in der Öffentlichkeit. Er steht im Zusammenhang mit immer noch schlechteren Arbeitsbedingungen von Frauen (22% weniger Lohn als Männer und der Großteil der Minijobs), dem größten Teil der Haus- und Reproduktionsarbeit, dem Abbau von sozialen Leistungen (wie z.B. bezahlbare Kinderbetreuung) und einem tief verwurzelten Sexismus, auch wenn frau jetzt „nein“ sagen darf. Eine Schönheits-OP (übrigens erheblich teurer und gefährlicher als ein Schwangerschaftsabbruch) sorgt höchstens für ein paar Schlagzeilen, ist aber gesellschaftlich akzeptiert und lockt immer NachahmerInnen an. Ein Schwangerschaftsabbruch hingegen scheint immer noch eine „peinliche Angelegenheit“ zu sein, die verschwiegen wird; oder die Frau wird ängstlich beäugt, ob sie nicht doch einen der vielen prophezeiten Spätschäden bekommt.

Das Bild der bürgerlichen Familie wird von allen konservativen Parteien aufrechterhalten, mit dem Vater als Hauptverdiener und der Mutter, die sich zwischen ihrem Nebenjob, der Hausarbeit und der Versorgung der Angehörigen aufreibt: nicht aus nostalgischen Gründen, sondern weil diese kostenlosen Ressourcen dringend gebraucht werden, um das System Kapitalismus aufrecht zu erhalten. Kindererziehung, Pflege, Teilnahme am gesellschaftlichen Leben werfen keinen Profit ab und haben daher keine Lobby.

Und im Zuge der „Flüchtlingskrise“ bekommt das Thema Schwangerschaftsabbruch auch wieder neuen Auftrieb: Die Deutschen könnten zur Minderheit im eigenen Land werden, was hilft da besser, als die Abtreibung zu verbieten (Vorschlag AfD) und wieder selber mehr deutsche Kinder zu bekommen? Niemandem nützt ein konservatives Familienbild mehr als den rechten PropagandistInnen. Die „heile“ Familie als Rückzugsort gerade in der Krise dient ebenso der Verschleierung von Unterdrückungsformen wie auch als Ablenkung von der Spaltung innerhalb der ArbeiterInnenklasse zwischen Mann und Frau, “AusländerInnen“ und Deutschen, Vollzeitbeschäftigten und Prekären oder Arbeitslosen.

Kampf

All das erklärt auch, warum in diesem System selbst der Kampf für gesetzliche Verbesserungen auf so zähen Widerstand trifft, warum es eine Massenmobilisierung aller lohnabhängigen Frauen und der gesamten ArbeiterInnenbewegung braucht, um grundlegende Forderungen durchsetzen zu können.

Abschaffung des frauenverachtenden Abtreibungsparagraphen sowie der Beratungspflicht!

Verbot der Einmischung religiöser FanatikerInnen und MoralistInnen in die Privatsphären der Frauen!

Abschaffung der Fristenlösung! Vollständige Übernahme der Kosten einer Abtreibung und aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat!

Ausbau der Beratungsstellen für sexuell Unterdrückte! Freiräume für Opfer sexueller Gewalt!

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Nr. 211, Juli/Aug. 2016

*  Khartum-Prozess: Auffanglager als Entwicklungshilfe
*  Kampf gegen Rassismus: Welche Taktik brauchen wir?
*  Kampf der Frauenunterdrückung: Weg mit § 218 und § 219!
*  Mahle-Konzern: Vor der Kapitulation?
*  Brexit 2016: Kein Grund zur Freude
*  Für eine internationale europäische Konferenz: Widerstand - europaweit!
*  Frankreich: Die Frage des Generalstreiks
*  Neues BND-Gesetz: Stasi 2.0 war gestern, jetzt kommt Stasi 3.0
*  23. - 28. August Sommerschulung: Revolutionärer Marxismus/REVOLUTION-Camp
*  Brasilien: Olympia im Zeichen von Korruption und Krise