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Labour Quami Movement in Pakistan

Eine etwas andere Gewerkschaft

Martin Suchanek, Neue Internationale 189, Mai 2014

Die Gewerkschaftsbewegung in Pakistan insgesamt ist schwach und zersplittert. Nur rund zwei Prozent der Lohnabhängigen sind organisiert. Sie teilen sich darüber hinaus auf mehrere tausend Einzelgewerkschaften und einige „Föderationen“ und „Konföderationen“ auf.

Die ohnedies geringe Organisierung ist stark auf den öffentlichen Sektor konzentriert,  weite Teile der privaten industriellen oder kommerziellen Unternehmen wie landwirtschaftliche Betriebe sind gewerkschaftsfreie Zonen. Darüber hinaus sind die bestehenden Verbände oft politisch an bürgerliche Parteien gebunden, insbesondere an die ehemalige Regierungspartei PPP (Pakistanische Volkspartei). Ihre Führungen und Funktionäre gelten gemeinhin als korrupt und sind enger mit dem Management als mit den Beschäftigten verbunden.

Der dramatisch schlechte Zustand der Gewerkschaften spiegelt die Schwäche der Arbeiterbewegung insgesamt wider. Dabei war diese noch in den 1970ern sehr militant und stark, aber sie wurde unter der Militärdiktatur von Zia ul-Haq mithilfe klerikal-faschistischer Banden, der Polizei und des Geheimdienstes zerschlagen. Sie erlitt eine strategische Niederlage, von der sie sich bis heute nicht erholt hat.

Neue Ansätze

Die Schwäche der Gewerkschaften darf aber nicht damit gleichgesetzt werden, dass es keine signifikanten Streikbewegungen der Arbeiterklasse oder keine Massenbewegungen der Lohnabhängigen, der Bauern oder der städtischen und ländlichen Armut geben würde.

In den letzten Jahren entwickelten sich zum Beispiel wichtige Streikkämpfe von Assistenzärzten, von weiblichen Beschäftigten im Gesundheitswesen oder kürzlich von Krankenschwestern in Lahore. Zur Zeit findet eine riesige Protestbewegung im Bezirk Gilgit im Norden des Landes statt. Aus diesen Aktionen und Kämpfen sind auch einige neue Massenorganisationen entstanden.

Eine der beeindruckendsten ist die „Labour Quami Movement“ (LQM = Nationale Arbeiterbewegung). Die LQM ist eine Gewerkschaft von TextilarbeiterInnen, die allerdings auch eine lokale Organisation im Stadtteil darstellt. Sie organisiert in Faisalabad WeberInnen, die an Elektrowebstühlen arbeiten. Die Stadt selbst hat heute rund 7 Millionen EinwohnerInnen und ist ein Zentrum der Textil- und Bekleidungsindustrie in Pakistan.

Insgesamt sind lt. GenossInnen der LQM rund 200.000 ArbeiterInnen in Pakistan als Weber beschäftigt und 500.000 Menschen in verwandten Berufen. Die LQM ist als Organisation bislang v.a. auf Faisalabad beschränkt. Dort organisiert sie rund 45.000 Arbeiter in 26 Stadtteilgruppen. Diese stellen das Rückgrat der Bewegung dar, weil die rein betriebliche Organisierung in Produktionsstätten mit Beschäftigtengrößen von rund 70-100 zu zersplittert wäre, um massenhaft handlungsfähig zu sein. Es ist dabei auch wichtig zu begreifen, dass die LQM, obwohl sie wichtige gewerkschaftliche Kernaufgaben wahrnimmt wie den Kampf um höhere Löhne, bis heute nicht offiziell als Gewerkschaft anerkannt ist.

Dass Unternehmen trotzdem Tarife mit ihr aushandeln ist einzig ihrer Mobilisierungskraft zu verdanken. Sie kann 10.000e, bei den größten Kundgebungen sogar bis zu 200.000 Menschen mobilisieren.

Zudem ist die LQM keine „reine“ Gewerkschaft. Wie ein Blick auf ihre Geschichte zeigt, war sie auch immer an politischen Kampagnen und Kämpfen,  z.B. gegen die Diktatur, beteiligt und sie kandidiert auch in einigen Stadtteilen als eigene Liste bei den Kommunalwahlen. Außerdem organisiert sie auch Protestbewegungen (z.B. gegen religiöse Spaltungen, Kampagnen zur Bekämpfung der Armut).

Geschichte

Die LQM wurde am 3. Dezember 2001, also noch unter der Militärdiktatur von General Musharaff und während des Ausnahmezustands, gegründet. Dem ging eine vorbereitende, illegale Arbeit voraus. In den Betrieben herrschten damals Zustände ähnlich der Sklaverei (wie sie auch heute in manchen Sektoren der Wirtschaft Pakistans üblich sind, so z.B. in Ziegeleien). 2001 gab es eine 1. Mai-Kundgebung der ArbeiterInnen aus den Webereien und ihrer Familien. Die Antwort darauf war massive Repression und langjährige Haftstrafen für vermeintliche „Rädelsführer“. 2004/05 erlebte die Bewegung jedoch einen neuen Aufschwung in der Kampagne gegen steigende Lebensmittelpreise.

Nach der Gründung 2006 konnte die LQM einige erste Erfolge erzielen: 7.000 Rupien (1 Euro entspricht heute etwa 135 Pakistanischen Rupien) konnten als Mindestlohn für einen Monat durchgesetzt werden, kurz danach eine Lohnerhöhung um 500 Rupien.

2010 begann die LQM eine weitere Kampagne, die sie bis heute führt, nämlich für die Abschaffung des Stücklohns. Die Bezahlung nach Stücklohn hat für die Textilarbeiter eine fatale Konsequenz. Kommt es zu einem Stromausfall - und diese finden gerade in den Sommermonaten extrem oft statt -, stehen natürlich auch die Webstühle still. Die ArbeiterInnen erhalten jedoch für diese Zeit, da sie ja auch kein Produkt herstellen, keinen Lohn. So wälzen die Kapitalisten einen Teil der Risiken des maroden Energieversorgungssystems auf die Beschäftigten ab.

Repression

Im Juli 2010 rief die LQM zum Streik gegen die Weigerung der Bosse auf, die vereinbarte 17%-Erhöhung des Mindestlohns umzusetzen. Als ArbeiterInnen die Textilfabrik in Fazal verließen, um sich dem Streik anzuschließen, wurde aus dem Fabrikgebäude auf sie geschossen. Einige entschlossene ArbeiterInnen gingen zurück in die Fabrik, um die Banditen zu entwaffnen, welche vom Management anheuert worden waren, um den Streik einzuschüchtern.

Auf der danach stattfindenden Hauptkundgebung in der Stadt wurden die DemonstrantInnen erneut angegriffen: von mit Steinen bewaffneten Banditen und von der Polizei, welche mit Tränengas auf die DemonstrantInnen schoss. Während dies geschah, wurde ein Raum in einer von den Streiks betroffenen Fabrik, ohne das Wissen der Streikenden, in Band gesetzt. Das wurde später als Beweis für die Gewaltbereitschaft der Streikenden benutzt, welchen vorgeworfen wurde, die „Fabrik niederbrennen zu wollen“.

Nur drei Tage später wurde eine Beschwerde bei der Polizei eingebracht, welche 14 FührerInnen der LQM (einschließlich der sechs lokalen StreikführerInnen) benannte, sowie 150 namentlich unbekannte „Komplizen“. Trotz der erwähnten Umstände wurden die Angeklagten gemäß der „Anti-Terror“-Gesetze angeklagt. Drei Monate später wurde ein Angeklagter wegen angeblich versuchten Totschlags an den vier Fabrikbesitzern vor Gericht gestellt. Dem Angeklagten wurde der Gebrauch von Schusswaffen vorgeworfen, obwohl davor nie die Rede davon war.

Auf Basis dieser konstruierten Anklage sprach der vorsitzende Richter, Mian Muhammad Anwar Nazir, die Angeklagten in allen Fällen für schuldig und fällte Urteile von insgesamt 490 Jahren Haft. Praktisch bedeutet dies ungefähr 10 Jahre Haft für jeden der sechs AktivistInnen, da einige der verhängten Strafen gleichzeitig abgesessen werden können.

Neue Führung

Die Repression stellte aber auch für das weitere Funktionieren der LQM einen Wendepunkt dar. Ein wachsender Teil der Mitglieder und die Angehörigen der Inhaftierten waren mehr und mehr unzufrieden mit der Führung der LQM. Dieser wurden Abgehobenheit von der Basis, fehlende Demokratie, aber auch eine inkonsequente Verteidigung der verurteilten GewerkschafterInnen vorgeworfen.

So kam es 2013 zu einer Neuwahl der Gewerkschaftsführung (samt der Weigerung der alten Führung, diese anzuerkennen und Gelder für die Familien der inhaftierten GewerkschafterInnen weiter auszuzahlen). Diese Auseinandersetzung hat die LQM zweifellos geschwächt - sie hat sie jedoch überstanden und ist dabei, weiter zu wachsen.

Noch 2012/13 konnte erfolgreich eine Lohnerhöhung durchgesetzt werden. Die LQM hatte einen Massenstreik mit einem „Marsch nach Lahore“, der Provinzhauptstadt des Punjab, verbunden, an dem sich 90- 100.000 Menschen beteiligten. Während die Unternehmer und die Regierung zuvor jede Verhandlung über die Forderungen abgelehnt hatten, waren sie nach rund 30 Kilometern des Marsches bereit einzulenken.

Es sind solche militanten, entschlossene Aktionen und die Fähigkeit, sowohl die Beschäftigten wie die Bevölkerung mobilisieren zu können, die bislang die Stärke der LQM ausmachen.

Ihre Hauptkampagnen auf gewerkschaftlicher Ebene sind heute:

Kampf für die Registrierung als Gewerkschaft (was wahrscheinlich bald erreicht werden kann);

Kampf für höhere Löhne und Abschaffung des Stücklohnsystems;

Kampf um eine Sozialversicherung (nur rund 20.000 ArbeiterInnen in der Industrie haben eine solche).

Perspektive

Die LQM stellt eine in vielfacher Hinsicht vorbildliche Kampforganisation dar. Sie ist tief verankert in „ihrer“ Stadt, in „ihren“ Betrieben. Sie wird von einer großen Aktionsbereitschaft ihrer Basis getragen, von einem hohen Aktivitätsgrad. All das zeigt, dass ArbeiterInnen auch unter schwierigsten Bedingungen kampfkräftige Organisationen schaffen können.

Unterstützung erhielten die LQM-GenossInnen eigentlich nur von Teilen der pakistanischen Linken. Der Internationale Gewerkschaftsbund oder Branchengewerkschaften aus den imperialistischen Ländern haben bisher keinerlei Interesse an einer Zusammenarbeit gezeigt - ein politischer Skandal, der jedoch typisch für das Verhältnis westlicher bürokratischer Gewerkschaftsapparate zu Gewerkschaften in Pakistan sein dürfte.

Die LQM steht als militante Gewerkschaft jedoch auch vor wichtigen neuen Herausforderungen: Erstens wird eine wahrscheinliche Anerkennung als „echte“ Gewerkschaft auch unweigerlich die Frage der Institutionalisierung ihres Verhältnisses zu den Unternehmen und zum Staat und damit auch die Gefahr der Entstehung einer „ganz normalen“ Gewerkschaft mit Routine und bürokratischem Apparat aufwerfen.

Schließlich ist der „rein gewerkschaftliche“ Kampf, so militant er auf geführt wird, immer auch noch nur ein gewerkschaftlicher Kampf, ein Kampf im Rahmen des Systems der Lohnarbeit. So wichtig es ist, diesen Kampf (wie auch jenen für kommunale Verbesserungen und Kampagnen) zu führen, so steht auch eine andere Frage, jene nach der politischen Ausrichtung der LQM an.

In der Vergangenheit hat sich die LQM zurecht gegen alle Vereinnahmungsversuche von bürgerlichen Parteien (wie z.B. der Muslimliga, als diese in Opposition war) gestellt. Viele in der LQM stimmen der Notwendigkeit einer Klassenpartei der Arbeiterklasse zu. Die Awami Workers Party in Faisalabad arbeitet eng mit ihr zusammen.

Aber das Verhalten von Teilen der AWP-Führung um Farooq Tarik, die sich im Kampf gegen die abgelöste LQM-Spitze an deren Seite gestellt hatten und die demokratische Entscheidung der LQM nicht anerkennen wollten, hat auch zu Skepsis von vielen aus der LQM geführt. So verständlich diese sein mag, so greift sie auch zu kurz. Wenn die LQM zu eine politisch selbstständigen Organisation werden will, darf sie ihre Haltung zur Frage der Schaffung einer Arbeiterpartei nicht darauf beschränken, dass jemand anders diese Partei „für sie“ aufbaut und sie diese dann unterstützt. Genau diese Haltung, die letztlich die Initiative anderen überlässt, statt selbst die politische Initiative in die Hand zu nehmen, spiegelt eine politische Schwäche der LQM wider. Doch sie kann sie überwinden - indem sie sich selbst aktiv in die politische Neuformierung der pakistanischen Linken, indem sie sich selbst in die politischen Auseinandersetzungen in der Awami Workers Partei einmischt. Indem sie sich dort auf den linken Flügel stellt, könnte die LQM einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau eine neuen revolutionären Arbeiterpartei leisten.

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Nr. 189, Mai 14
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