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Zum “allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz” (AGG)

Ende der Diskriminierung?

Brigitte Falke, Neue Internationale 119, April 2007

Im August letzten Jahres wurde das AGG nach einem langwierigen Gesetzgebungsverfahren und großem Gezerre zwischen Verbänden und Parteien im Bundestag verabschiedet. Dabei war man unter Zeitdruck geraten, weil eine weitere Verschiebung ein EU-Strafverfahren wegen Nichtumsetzung einer EU-Richtlinie bedeutet hätte. Noch heute ist das Gesetz selbst unter diesem Gesichtspunkt fragwürdig, da es in einigen Punkten das EU-Recht nicht umsetzt.

Während der DGB das Gesetz als „Aufwertung des Standorts Deutschland“ und als „Garantie für Chancengleichheit“ feierte, malten Unternehmerverbände das Gespenst von Klagefluten und enormer Bürokratie an die Wand. In dem halben Jahr seiner Umsetzung ist von den Vision beider Seiten jedoch wenig Realität geworden.

Ursprünglich sollte das noch von der Rot-Grünen Bundesregierung geplante Gesetz - damals noch „Antidiskriminierungsgesetz“ genannt - ein umfassendes Instrument sein, um systematische Benachteiligungen zu unterbinden. Dies betrifft Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Alter, Behinderung oder sexueller Identität. Die Benachteiligungen betreffen Einstellungs- und Beschäftigungsbedingungen, Mitwirkungsrechte, Sozialleistungen, Bildungszugang und Güterzugang (z.B. Wohnraum).

Ungleichbehandlung zur positiven Diskriminierung der genannten Gruppen sind nach AGG §5 ausdrücklich zulässig. Neu waren insbesondere zivilrechtliche Konsequenzen (z.B. Schadenersatz, Entschädigungen) und die Beweisumkehr im Gerichtsverfahren. Außerdem sollten im Gesetz eine wirksame Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingerichtet und die rechtliche Stellung von Antidiskriminierungsverbänden (z.B. Selbsthilfegruppen) aufgewertet werden.

Im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde eine Unzahl von Ausnahmebestimmungen und Einschränkungen vorgenommen, die vom ursprünglichen Anspruch wenig übrig gelassen haben.

Gleich nach Regierungsbeteiligung von CDU/CSU wurden die Kirchen und die „ihnen zugeordneten Einrichtungen“ von Benachteiligungsverboten (insbesondere aus religiösen Gründen) ausgenommen. Gleiches gilt auch für andere „Tendenzbetriebe.“

Gravierender noch sind die Einschränkungen bei der Wohnungsvermietung. So heißt es in AGG §19 (3): „Bei der Vermietung von Wohnraum ist eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse zulässig“. Mit diesen Formulierungen lassen sich natürlich wie bisher MigrantInnen bei der Wohnungssuche diskriminierend behandeln, wie in dem bekannten Film „Die Beduinen von Paris“ dargestellt.

Gleichermaßen bleibt der Kündigungsschutz außen vor. Wie auch bei den Sozialleistungen auf die entsprechenden Sozialgesetzbücher verwiesen wird, so hier auf die Bestimmungen im BGG bzw. dem Kündigungsschutzgesetz. Hier müssen die Betroffenen darauf vertrauen, dass der Gesetzgeber diese Gesetze mit den Antidiskriminierungsrichtlinien der EU in Übereinstimmung bringt.

Praktisch besonders relevant war die Abschwächung der „Beweisumkehr“. Hier wird nun zur Voraussetzung gemacht, dass der/die Betroffene dem Gericht mit „Indizien beweist“, dass eine Benachteiligung gemäß den im Gesetz genannten Gründen vermutet werden kann (AGG §22). Erst dann muss der Beklagte das Gegenteil beweisen.

Schließlich wurde mit der „Antidiskriminierungsstelle des Bundes“ eine weitere zahnlose Behörde geschaffen. An diese können sich Betroffene zwar wenden, werden aber bloß weiter vermittelt und beraten. Ansonsten kann sich die Stelle ebenso „wirksam“ in Gesetzgebungsverfahren und das Gebaren öffentlicher Stellen einschalten, wie andere Schutzorgane (siehe „Datenschutz“). Ebenso bleiben für Antidiskriminierungsverbände nur äußerst eingeschränkte Vertretungsrechte in Gerichtsverfahren („Rechtsbeistand“ in besonderen Verfahren).

Es bleibt also insbesondere die Möglichkeit zivilrechtlicher Konsequenzen wegen Diskriminierung bei Einstellung oder Beschäftigungsbedingungen. Dies hat in der Praxis vor allem zur Arbeitsbeschaffung von Juristen für die entsprechenden Schulungen und Richtlinienformulierungen geführt. Job-Angebote mit diskriminierenden Inhalten, wie z.B. „Suchen Verstärkung für unser junges Team“ (Altersdiskriminierung) werden von entsprechend geschulten Personalchefs nun eben vermieden. Die tatsächliche Diskriminierung muss ja nicht so plump dokumentiert werden, dass sie klagefähig wird.

Eine der wenigen realen Möglichkeiten in diesem Zusammenhang bietet AGG §17. Er erlaubt dem Betriebsrat oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft die gerichtliche Geltendmachung der entsprechenden Benachteiligungsverbote. Damit könnte das AGG in Betrieben mit gut organisierter und politisch bewusster Belegschaft durchaus als Waffe gegen unternehmerische Spalter-Politik genutzt werden. Allerdings ist wiederum der öffentliche Dienst (Personalräte) von dieser gesetzlichen Möglichkeit ausgenommen.

Bürokratie

Ansonsten vermehrt das AGG die Zahl politisch wirkungslosen InteressenvertreterInnen der verschiedenen benachteiligten Gruppen mit einer weiteren Stelle, die jetzt eine Unzahl von Bundes-, Länder- und Kommunal-Stellen koordinieren soll: Frauenbeauftragte, Frauenvertretungen, Gleichstellungsbeauftragte, Ausländerbeauftragte, Schwerbehindertenvertretungen usw. Auch wenn diese Stellen rechtlich unterschiedliche Möglichkeiten haben, so fehlt ihnen die organisierte Kraft von Betroffenenverbänden, die genügend soziales Gewicht haben, selbst diese geringen rechtlichen Möglichkeiten auch tatsächlich umsetzen zu können. Vielfach bleiben diese Stellen somit Alibi-Funktion und Selbstbeschäftigungsräume für NGOs und entsprechende Vereine.

Auch wenn Schwerbehinderten-Vertretungen hier sicher mehr Möglichkeiten haben (wegen ihrer rechtlichen Stellung und wegen ihrer praktischen Verbindung zu Betriebsrat und Gewerkschaften), so bleibt dies durch die restriktive Definitionsmacht von „Schwerbehinderung“ (bzw. „Gleichstellung“) durch Integrationsämter und Berufsgenossenschaften in der Praxis auf einen kleinen Teil der wirklich Betroffenen eingeschränkt. Wie „wirksam“ auf diesem Gebiet gesetzliche Bestimmungen sind, zeigt sich an der mit Sanktionen (Ausgleichsabgabe) belegten Quote von 5% Schwerbehinderten, die mindestens beschäftigt werden müssen. In vielen Betrieben bestehen die Vertretungen nicht auf diese Quote, um keinen „Standortnachteil“ zu haben.

Insgesamt verwundert es also nicht, dass das AGG seit seinem Inkrafttreten nur wenig Wirkung hatte. So wurden von den 30.000 Fällen am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im letzten Jahr ganze 5 oder 6 Verfahren wegen Diskriminierung geführt. Bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sind im letzten halben Jahr 900 Anfragen eingegangen; ein Großteil davon zu Fragen des Arbeitsrechts, die auch ohne das AGG hätten bearbeitet werden können.

Die Zahn- und Wirkungslosigkeit des „Gleichbehandlungsgesetzes“ wird aber noch durch einen weiteren Faktor vergrößert. Anders als viele Arbeitsschutzbestimmungen und andere Rechte der Lohnabhängigen, die wenigstens eine Begrenzung der Ausbeutung und andere Formen der Unterdrückung ermöglichen, ist das AGG nicht das Resultat einer Mobilisierung, eines kollektiven Kampfes, sondern ein technokratischer Erlass, der am grünen Tisch zwischen diversen Lobby, ExpertInnen bürokratisierter Interessenvertretungen unter Führung der Ministerialbürokratie ausgehandelt wurde. Die Betroffenen kennen das Gesetz erst gar nicht. Dann ist es natürlich auch kein Wunder, dass selbst die bescheidenen Verbesserungen des Gesetzes kaum wahrgenommen oder gar eingeklagt werden.

Bürgerlicher Rechtshorizont

Darüber hinaus zeigt sich auch bei diesem Gesetz wieder der das bürgerliche Recht bestimmende Widerspruch zwischen der - der Tauschwertsphäre entspringenden - formellen Gleichheit der Rechtssubjekte und der den Eigentumsverhältnissen geschuldeten reellen Ungleichheit. Was in „Menschen-“ und „Grundrechten“ an Gleichbehandlungsprinzipien aufgestellt wird, ist letztlich der Absicherung von Eigentumsrechten in den Zentralnormen des bürgerlichen Zivil- und Strafrechts untergeordnet. Die von der bürgerlichen Klassengesellschaft notwendig produzierte oder reproduzierte Ungleichheit auch nach Geschlecht, Nationalität, Ethnie, Behinderung etc. kann daher mit Mitteln des bürgerlichen Rechts nicht überwunden werden.

Dass in einem Gesetz gegen Diskriminierung das zentrale Merkmal von Ungleichbehandlung in dieser Gesellschaft, nämlich die aufgrund von sozialer Herkunft und Besitz, überhaupt nicht vorkommt, macht deutlich: Die Beseitigung der Klassenunterschiede ist der blinde Fleck, der jedem Kampf gegen Diskriminierung im Rahmen dieses Systems notwendig anhaftet.

Nur die Überwindung der bürgerlichen Klassengesellschaft schafft die Voraussetzung für eine solidarische Gesellschaft, in der Frauenunterdrückung, Rassismus und Diskriminierung von „Andersartigen“ endgültig der Geschichte angehört!

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Nr. 119, April 2007
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