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Wahlen in Frankreich

Kritische Unterstützung für Besancenot!

Martin Suchanek, Neue Internationale 119, April 2007

Die Bedeutung der französischen Präsidentschaftswahlen ergibt sich in erster Linie aus der Rolle Frankreichs in der EU und den strategischen Fragen der imperialistischen Einigung unter deutsch-französischer Vorherrschaft.

Zu wählen gibt es für die Arbeiterklasse nichts, betrachtet man die KandidatInnen der großen bürgerlichen Lager und der Sozialdemokratie - Nikolas Sarkosy (UMP), Ségolène Royal (PS) oder Francois Bayrou (UDF).

Zweifellos ist Sarkosy als aggressiver Rassist kaum zu übertreffen, sieht man vom alten Faschisten Le Pen und seinen Gefolgsleuten ab, die immerhin auf 10 bis 15 Prozent in den Umfragen kommen.

Royal arbeitet mit dem blasser werdenden Blair-Charme und tischt neben Standortpatriotismus und einigen Versprechungen für „mehr französische Arbeit“ v.a. Vorschläge zur staatlichen Drangsalierung von Gefängnisinsassen, Jugendlichen, MigrantInnen oder Obdachlosen auf.

Alle drei geben sich als Patrioten. Alle drei beschwören, die Tricolore, die Republik und versprechen auch den französischen ArbeiterInnen, dass für sie etwas von der Weltmachtstellung Frankreichs abfallen solle.

Die Realität ihrer Politik wird eine Fortsetzung der innenpolitischen Angriffe auf allen Fronten sein - sei es der Angriff auf den Kündigungsschutz, die rassistischen Angriffe auf die Jugend der Vorstädte oder die Sans Papiers (ImmigrantInnen ohne Papiere), die Verfassung (oder ein „Vertrag“, der diese auf weniger hochtrabende Weise umsetzt), Militarisierung der EU, Interventionen im Nahen Osten und in Afrika.

Die Linke

Unter diesen Kandidaten  gibt es für die Arbeiterklasse nichts zu wählen. Sie stehen für weitere strategische Angriffe - im Namen der EU und des französischen Imperialismus.

Zugleich finden die Wahlen vor einem besonderen Hintergrund statt. In den letzten Jahren war es den Massenbewegungen gelungen, der herrschenden Klasse empfindliche Rückschläge zu verpassen und wichtige Teilerfolge zu erringen (das Nein beim EU-Referendum, die Rücknahme des CPE-Gesetzes). Angesichts dieser wichtigen Mobilisierungen und Kämpfe sind die Umfragewerte der Linken (inkl. der KPF und der Grünen) bemerkenswert mager.

Ende März sagten die Umfragen den beiden „trotzkistischen“ Kandidaten Olivier Besancenot (LCR) und Arlette Laguiller (LO) je drei Prozent voraus, Marie-George Buffel von der KPF und Jose Bove lag sogar nur bei je 2 Prozent, Voynet von den Grünen bei 1,5 und Gérard Schivard von der Parti des Travailleurs (PT, Lambertisten) bei 0,5 Prozent.

Was den Niedergang der KPF betrifft, so ist dieser wohlverdient und braucht auch nicht von Linken bedauert zu werden. Die KPF hat sich nicht nur in der Vergangenheit an SP-geführten Regierungen und deren Angriffen auf die Arbeiterklasse beteiligt. Sie strebt eine solche Regierungsbeteiligung wie auch die Grünen für die Zukunft erneut an.

Die Grünen hatten zum Glück nie eine solche Bedeutung in Frankreich wie in Deutschland und auch die Kandidatur von Bové ist wohl eher Ausdruck einer Schwäche der extremen Linken, denn der überzeugenden politischen Perspektive eines radikalen kleinbürgerlichen Bauernführers.

Hinzu kommt, dass sich KPF und Grüne gerade bei den Aufständen in den Banlieus gegen die rebellierende Jugend gestellt haben, dass sie nicht einmal Massendemos gegen den Ausnahmezustand organisierten usw.

Gerade angesichts dieser Entwicklung sind die Umfragewerte insbesondere der „extremen Linken“, also von LO und LCR, schlecht - zumal, wenn man sie mit jenen im Jahr 2002 vergleicht, als sie bei einer gemeinsamen Wahlkampagne auf 11 Prozent bekamen.

Was LO betrifft, erklären sich die schlechten Ergebnisse daraus, dass diese Organisation eine sektiererische Haltung gegenüber den sozialen Bewegungen und den Kämpfen der Unterdrückten außerhalb der Kernschichten der beschäftigten Arbeiterklasse einnahm.

So war LO auffallend und beschämend abwesend in den Mobilisierungen, Demonstrationen und Aktionen gegen Krieg und gegen Rassismus. LO stellt sich praktisch gegen den Aufstand in den Banlieus, den es in die Nähe eine Emeute von Lumpen stellte. Kurz: das Sektierertum gegenüber vorgeblich „nicht-proletarischen“ Kämpfen - in Wirklichkeit gegenüber nicht-ökonomischen - schlägt hier oft in Opportunismus gegenüber dem französischen Staat und den sozial-chauvinistischen Vorurteilen von Teilen der Arbeiterklasse um. Verdientermaßen hat das dazu geführt, dass LO die eigene politische Anziehungskraft nicht erhöhen konnte.

Die LCR

Bei der LCR ist Frage komplizierter. Sie ist ohne Zweifel ein aktiver und wichtiger Teil der sozialen Bewegungen und in diesen gut verankert. Ihr Kandidat Besancenot und die LCR solidarisieren sich mit Arbeiterkämpfen bzw. beteiligen sich an ihnen, aber auch an Bewegungen der Erwerbslosen, anti-rassistischen, anti-faschistischen Mobilisierungen usw.

Das Problem der LCR ist jedoch, dass sie selbst keine klare Linie zum Aufbau einer Arbeiterpartei hat, die AktivistInnen und Bewegungen politisch um ein revolutionäres Programm vereinen könnte.

Das zeigte sich in der Vergangenheit immer wieder daran, dass die LCR auf offene Kritik und den Bruch mit dem Reformismus z.B. der KPF oder von attac verzichtet hat. Das zeigt sich darin, dass haufenweise leere Phrasen über ein vorgeblich „soziales Europa“ unterzeichnet oder selbst in die sozialen Bewegungen getragen werden.

Auf elektoraler und politischer Ebene zeigt sich das darin, dass die LCR ein Wahlbündnis mit der KPF angestrebt hat, was jedoch an der KPF scheiterte.

Dahinter steckt das „langfristige“ Projekt einer „Einheit links von der Sozialistischen Partei“ - auf nicht-revolutionärer Grundlage. Zweifellos können RevolutionärInnen in der Formierung einer solchen Partei als Fraktion arbeiten und für eine kommunistische Programmatik eintreten. Aber der LCR schwebt die politische Einheit auf einer nicht-revolutionären Grundlage vor, auf einer Art „Kompromiss“ zwischen Reform und Revolution.

Eine politische Einheit mit der KPF heißt unwillkürlich, sich auf deren Programm - vielleicht mit ein paar linkeren Versatzstücken und schwammigeren Formulierungen - zu einen. Kurzum, die von der LCR angestrebte „linke Einheit“ wäre eine Einheit auf Grundlage eines Programms zur Reformierung, letztlich also zur Verteidigung des französischen Kapitalismus.

Genauso wenig wie eine Frau halb schwanger, kann ein politisches Programm „halb-revolutionär“ sein.

Doch selbst das Programm, mit dem Besancenot antritt, ist alles andere als revolutionär. Im Wahlprogramm tritt er für unbefristete Arbeitsverträge für alle ein, für ein Nein zu Flexibilisierung und Überstunden, eine allgemeine Lohnsteigerung von 300 Euro für alle, einen Mindestlohn von 1.500 Euro, sofortige Kürzung der Arbeitszeit auf 32 Stunden und dann auf 30, Besteuerung der Reichen, früheres Renteneintrittsalter.

Daneben tritt er für die Wiederverstaatlichung privatisierter Dienstleistungen im Gesundheits- und Bildungssektor sowie für volle Bürgerrechte für MigrantInnen und Legalisierung der Sans Papiers ein.

Außerdem ruft er zur Verstaatlichung aller Unternehmen auf, die die Produktion schließen oder verlagern wollen. Er tritt für die Abschaffung der Mehrwertsteuer und die Einstellung des Schuldendienstes Öffentlicher Bereiche ein. Auf politischer Ebene spricht er sich für die Abschaffung des Senates (der zweiten Kammer), der „monarchistischen Befugnisse des Präsidenten“ und die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung ein, um die Fünfte Republik zu ersetzen.

Wie erkämpfen?

Viele dieser Forderungen sind korrekt. Aber wie und von wem sollen sie umgesetzt werden? Selbst wenn Becancenot die Wahlen gewinnen würde, so würde er ein solches Programm sicher nicht per Dekret umsetzen können.

Wer soll z.B. das von ihm geforderte „Verbot von Entlassungen“ durchsetzen? Reicht dazu ein einfaches Gesetz? Oder ist dazu nicht vielmehr die Mobilisierung der Arbeiterklasse, Streiks, Besetzungen, Arbeiterkontrolle notwendig? Braucht es zur Durchsetzung seines Programms nicht eine Arbeiterregierung? Und wenn ja, auf welche Kampforgane (Räte, Milizen) muss sie sich stützen? Wie kann diese den bürgerlichen Staat, Polizei, Armee, die Faschisten usw. in Schach halten und entwaffnen? Was ist also notwendig, um eine Arbeiterregierung an die Macht zu bringen und sie zu verteidigen?

Sicherlich wird es keine SozialistInnen oder KommunistInnen geben, die gegen die Abschaffung der Fünften Republik sind - aber durch welche Republik soll sie ersetzt werden, durch eine bürgerliche Republik auf dem Boden des Kapitalismus, oder durch eine proletarische auf dem Boden einer demokratischen Planwirtschaft und der Räteherrschaft der Klasse?

Auch wenn Becancenot für sich beansprucht, ein „anti-kapitalistisches“ Programm zu vertreten, so fehlt jeder Hinweis auf die Notwendigkeit des revolutionären Kampfes, um die Kapitalistenklasse zu enteignen, eine Planwirtschaft zu etablieren, den staatlichen Unterdrückungsapparat des bürgerlichen Staaten zu zerschlagen und durch die Räteherrschaft zu ersetzen.

Becancenots Programm ist sicher linker als die meisten Programme „linker“ Parteien oder Kandidaten in Europa. Aber es ist im Grunde ein links-reformistisches Programm.

Wir - die Liga für die Fünfte Internationale und unsere MitstreiterInnen in Frankreich - rufen daher zu Becancenots Wahl trotz der strategischen Stoßrichtung seines Programms auf! Denn die LCR hat sich in den letzten Jahren in Kämpfen als eine Kraft präsentiert, die, wenn auch auf einer inadäquaten politischen Grundlage, für Abwehrkampf und die Formierung von Avantgardeschichten links von der KPF aufgetreten ist. Trotz des links-reformistischen Charakters seines Wahlprogramms kann Becancenot mit mehr Recht als jede(r) andere „linke“ KandidatIn für sich beanspruchen, ein Kandidat des Kampfes und der Bewegungen zu sein.

Wir teilen im Übrigen auch die Entscheidung der Mehrheit der LCR, bei den Wahlen selbst anzutreten und nicht, wie diese Minderheitsfraktionen vorschlugen, seine Kandidatur im Namen „linker Einheit“ zugunsten von KPF oder Bove zurückzuziehen. Das wäre vielmehr ein falscher, liquidatorischer Schritt opportunistischer Anpassung an kleinbürgerliche oder reformistische Kandidaten.

Die Schwäche der LCR besteht vielmehr genau darin, dass selbst das Programm von Becancenot noch von dieser Anpassung geprägt ist. Wir verbinden daher unseren Aufruf für Becancenot mit der Kritik an den reformistischen Fehlern des Wahlprogramms. Wir rufen dazu auf, die Unterstützung für Becancenot mit der Propaganda für ein Aktionsprogramm zu verbinden, das revolutionären Charakter hat, für ein Programm des Widerstandes gegen die zukünftige Präsidentschaft - egal ob Royal oder Sarkozy - und für den Aufbau einer Arbeiterpartei auf dieser Grundlage.

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Nr. 119, April 2007
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