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AFL-CIO-Spaltung

"Kings of Labor" entzweit

Sean Murray, Neue Internationale 103, August/September 2005

Am 25. Juli traten zwei der größten US-Gewerkschaften aus dem Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO (American Federation of Labor - Congress of Industrial Organizations) aus. Die Dienstleitungsgewerkschaft SEIU (Service Employees International Union) und die Teamsters (Gewerkschaft der Transportarbeiter) verließen den Verband mit dem Vorwurf, der amtierende AFL-CIO Präsident John Sweeney habe bei der Eindämmung des Mitgliederschwundes versagt.

Zwei andere Gewerkschaften, "Unite Here" (Textil- und Hotelbranche) und die UFCW ("United Food and Commercial Workers", Nahrungsmittel- und Werbebranche), sind dabei, sich ihnen anzuschließen. Der Bruch kam vier Wochen, nachdem die vier abtrünnigen Gewerkschaften das Bündnis "Change to Win" ins Leben gerufen hatten, also sinngemäß "Verändern, um zu siegen".

Rekrutierung

Damit soll die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder wieder erhöht werden. Die vier Gewerkschaften stellen zusammen etwa 40% der AFL-CIO Mitglieder. SEIU-Präsident Andrew Stern und Teamsters-Präsident James Hoffa Jr. ließen wissen, dass ihre Entscheidung, den AFL-CIO zu verlassen, schwierig, aber notwendig gewesen sei. In einer Erklärung verkündete Hoffa, dass eine neue Ära für amerikanische ArbeiterInnen begonnen habe.

UFCW-Präsident Joe Hansen schätzt die Chancen auf eine Versöhnung gering ein. "Unsere Differenzen sind so fundamental und grundsätzlicher Natur, dass ich zu diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit für einen Kurswechsel sehe."

Als Sweeney vor zehn Jahren erfolgreich den AFL-CIO-Präsidenten Lane Kirkland herausforderte, tat er dies mit einem ganz ähnlichen Programm. Er trat an, den Mitgliederverlust der Gewerkschaften zu stoppen und den Trend umzukehren. Seit dieser Zeit ging der Verfall des AFL-CIO unvermindert weiter. In der Privatwirtschaft sank der gewerkschaftliche Organisationsgrad von 10.3% im Jahr 1995 auf 7.9% im Jahr 2004. Das ist im privaten Sektor der niedrigste Stand seit 1900, als die US-Gewerkschaften nur 6.5% der ArbeiterInnen repräsentierten.

Stern konnte auf die Tatsache verweisen, dass die Mitgliederzahl seiner Gewerkschaft von 625.000 im Jahr 1980 auf  heute 1.8 Millionen in die Höhe geschnellt ist, die 50.000 Mitglieder in Kanada eingeschlossen. Aber wenn es um den Versuch geht, den Trend des Mitgliederverlustes der US-Gewerkschaften umzukehren, steht die SEIU ziemlich alleine da. Die Mitgliederzahl bei den Teamsters ist unter Führung Hoffas mit etwa 1.4 Millionen lediglich gleich geblieben.

Auch die Wiederwahl Bushs, einschließlich der republikanischen Kontrolle über Senat und Repräsentantenhaus, hat zur Spaltung beigetragen. AFL-CIO "investierten" fast 44 Millionen Dollar in den Wahlkampf Kerrys und der Demokraten. SEIU-AktivistInnen waren nicht selten entscheidend für die Gewinnung von Stimmen auf der lokalen Ebene. Nach der Wiederwahl Bushs fragten viele einfache Mitglieder zu Recht, warum den Demokraten so viel Geld in den Rachen geworfen wurde?

War es falsch, Geld für Politik auszugeben, oder war es falsch, Geld für eine Partei der Bosse auszugeben? Anna Burger, die Präsidentin von "Change to win", kritisierte die Sweeney-Führung, "zuviel für Politik und zu wenig für Organisierung" auszugeben, und forderte eine massive Umwidmung von 22,5 Millionen Dollar des AFL-CIO Budgets weg von politischer Aktivität hin zu Organisierungskampagnen.

Dabei wird allerdings ein ganz falscher Gegensatz aufgemacht. ArbeiterInnen brauchen eine Partei, die politisch gegen die herrschende Klasse kämpft, genauso wie sie Gewerkschaften brauchen, um sich gegen ihre Bosse zu verteidigen. Genauso, wie die Unternehmer eine ausbeutende und unterdrückende Klasse darstellen, bilden ArbeiterInnen aller Produktions- und Dienstleistungszweige eine ausgebeutete Klasse, die zusammen kämpfen muss.

Die Kapitalistenklasse hat immer den Staat benutzt, um gewerkschaftliche Organisierung zu schwächen und zu zerstören. Der niederträchtige Taft-Hartley Act ist nur die Spitze des Eisbergs. Dieser 1947 verabschiedete Zusatz zum "National Labour Relations Act" sieht u.a. vor, dass vom Staat eine 60tägige "Abkühlungsfrist" zwischen Ausrufung und Beginn eines Streiks erzwungen werden kann.

Sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene ist die US-amerikanische Arbeitsgesetzgebung eine der gewerkschaftsfeindlichsten der Welt. Sie kann nur durch gleichzeitigen Kampf auf politischer und ökonomischer Ebene zurückgeschlagen werden.

Darüber hinaus ist die Arbeiterklasse ja nicht nur am Arbeitsplatz, sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen unterdrückt. Ihre Interessen sind denen der herrschenden Klasse diametral entgegengesetzt, was zum Beispiel die rassistische Todesstrafe, die Kontrolle der Immigration, den Irakkrieg und die Regulation des Welthandels betrifft. Sie braucht eine politische Organisation, eine Partei, die für ihre Interessen eintritt. Sonst wird sie im Verhältnis zu ihren ökonomischen Ausbeutern, der Kapitalistenklasse, weiter geschwächt.

Worum geht es?

Wie ist also der Bruch mit der AFL-CIO zu bewerten? Zum einen ist es eher ein Hahnenkampf innerhalb der Bürokratie als ein klarer Richtungsstreit zwischen links und rechts. Das Programm von "Change to Win" ist aus Gewerkschaften mit etablierten Bürokratien entstanden, die, bis zu einem gewissen Punkt, für eine weitere Zentralisierung der Macht eintreten. Aber es ist auch eine wirkliche Reaktion auf die akute Krise der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung, deren Mitgliederzahlen in den letzten 20 Jahren massiv zurückgegangen sind?

Basismitglieder haben in US-Gewerkschaften so gut wie keinen Einfluss auf deren Politik. Ebenso wenig  können sie die weit überbezahlten Gewerkschaftsführer zur Rechenschaft ziehen. Die Gewerkschaftsführer sind fast buchstäblich "Kings of Labor". Stern, der ein jährliches Einkommen von 230.000 Dollar bezieht, hat sich – wenig überraschend – in keiner Weise gegen das Demokratiedefizit innerhalb der Gewerkschaften ausgesprochen, trotz seiner rhetorischen Betonung der Rechenschaftspflicht für Ausgaben aus der Mitgliederkasse.

Gegen die Parole "Organisieren, organisieren, organisieren!" lässt sich schwer etwas einwenden, wenn auch der Achtungserfolg der SEIU nicht immer auf so noble Weise erreicht wurde wie in der " justice for janitors" – Kampagne, die in Ken Loach’s Film "Bred and Roses" beschrieben wird.

Dennoch hat die Methode von Stern Wirkung gezeigt. Die Mitgliedschaft hat sich innerhalb von zehn Jahren ungefähr verdoppelt, wenn auch in Sektoren, die nicht aus den USA ausgelagert werden können. Darüber hinaus warf er die Frage nach "globalen Gewerkschaften" auf und machte sich für Verbindungen mit der TGWU um "First Bus" stark, dem britischen Transportgiganten, der in den USA mittlerweile notorisch Gewerkschaften bekämpft.

Auch wenn schlaue Taktiken in Bezug auf Verhandlungsergebnisse, Gewerkschaftsarbeit im Stadtteil und das Konzentrieren auf die Kernbereiche der ArbeiterInnen neue Mitglieder, volle Gewerkschaftskassen und die Sicherung der hohen Gehälter der GewerkschaftsführerInnen bringen mögen - ein Rezept, um die US-Arbeiterbewegung wiederzuerwecken oder Bezahlung und Arbeitsbedingungen der ArbeiterInnen zu verbessern, sind sie nicht.

Wie die Stagnation überwinden?

Seit Mitte der Siebziger Jahre kann von einer fast ununterbrochenen Stagnation bzw. sogar von einem Rückgang des Reallohns der Mehrheit der Beschäftigten in den USA gesprochen werden. Auch wenn es ein mit gewerkschaftlicher Organisierung zusammenhängendes Lohngefälle gibt, so hat das vor allem den Effekt, dass die Löhne an Arbeitsplätzen mit gewerkschaftlicher Organisierung langsamer sinken als in der Gesamtwirtschaft.

Wovon beide Seiten der AFL-CIO-Spaltung nichts wissen wollen, ist klassenkämpferische Gewerkschaftsarbeit: eine Politik, welche die Bosse und ihre Verbände angreift, während gleichzeitig die Mitglieder auf die Konfrontation mit dem Staat vorbereitet werden, zu der eine solche Politik unvermeidlich führen würde.

"Change to Win" kritisiert den AFL-CIO für seine Schwerpunktsetzung auf die Politik. Tatsächlich sind Hoffa und die Teamsters sehr weich gegenüber den Republikanern, und wohl die zahmste Gewerkschaft im Umgang mit der Bush-Administration und ihrer arbeiterfeindlichen Politik. Obwohl die SEIU für eine der linkesten Gewerkschaften gehalten wird, gab sie den Demokraten 65 Millionen Dollar für ihren Wahlkampf und spendete sogar der "Republican governors association" 500.000 Dollar.

Leo Trotzki, der in der Russischen Revolution eine führende Rolle spielte, betonte in einer Diskussion mit Führern der US-amerikanischen trotzkistischen Bewegung 1930 die Notwendigkeit, mit dem Zwei-Parteien-System zu brechen und eine eigene Arbeiterpartei aufzubauen.

Trotzki schlug vor, diesen Aufruf mit einem Programm von Übergangsforderungen zu verbinden, die das Geschäftsgeheimnis angreifen, Arbeiterkontrolle über die Produktion verlangen etc. So könnten die politisch fortgeschrittensten Teile der ArbeiterInnen für eine sozialistische Perspektive gewonnen werden.

Die Gründung einer Massenpartei der ArbeiterInnen, die sich auf die unabhängige, eigenständige Aktion der Klasse stützt, ist immer noch brennende Notwendigkeit für die ArbeiterInnen und ihre Organisationen in den USA. Schon viel zu lange ist die organisierte Arbeiterschaft an die "besten Freunde der Arbeit", die Demokratische Partei der Bosse, gefesselt.

Ob die erneute Spaltung in der amerikanischen Arbeiterbewegung zu einem Anwachsen der Mitgliederzahlen führen wird wie in den 30er Jahren, hängt von der Aktivität der GewerkschafterInnen und SozialistInnen ab, nicht von den "Kings of Labor". Wenn die Bürokratie, erschreckt über schwindende Mitgliederzahlen, anfängt, darum zu konkurrieren, wer mehr Leute organisiert, kann das günstige Bedingungen für eine Initiative von unten schaffen.

Die Formierung einer kämpferischen Basisbewegung innerhalb der Gewerkschaften ist absolut notwendig, um die BürokratInnen von schmutzigen Deals mit Teilen des Unternehmerlagers abzuhalten und um sie daran zu hindern, die Organisierungskampagnen anderer Gewerkschaften zu sabotieren.

Diese Bewegung wird für die Solidarität unter den Gewerkschaften eintreten und für Aktionseinheit der Kämpfe am Arbeitsplatz und in Stadtteilen sorgen. Sie kann die zukünftige Vereinigung der Gewerkschaften auf demokratischer Basis vorbereiten. Militante Klassenkampfaktionen wie Vollstreiks aller Beschäftigten, Besetzungen, Boykotts, unterstützt von Komitees der Arbeiterklasse und der rassistisch Unterdrückten, sind  auch für eine erfolgreiche Organisierungskampagne im Zeitalter des Outsourcing, des Neoliberalismus und der Globalisierung notwendig.

Für gewerkschaftliche Organisierungskampagnen mit Klassenkampfmethoden!

Für eine Basisbewegung in allen Gewerkschaften!

Für eine Massenpartei der Arbeiterklasse, die sich auf die Gewerkschaften und Organe des Klassenkampfes stützt und für ein revolutionäres Programm gewonnen werden muss!

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Nr. 103, Aug./Sept. 2005


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*  Aktionsprogramm: Vom Abwehrkampf zur sozialen Revolution!
*  Wahlkampf 2005 und die Linke: Mitschwimmen und absaufen
*  SPD, DGB, Linkspartei und Mindestlohn: Wer bietet weniger?
*  VW-Skandal: Boulevard und Billiglohn
*  Frauen und Polen: Kirche, Küche, Kinder
*  AFL-CIO-Spaltung: "Kings of Labor" entzweit
*  Hugo Chavez: Der neueste Prophet
*  Heile Welt
*  Sozialforum in Erfurt: Reformismus von unten oder Widerstand gegen den Generalangriff?