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Macrons Wahlsieg

Kein Erfolg für französische ArbeiterInnen

Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale 9.5.2017, Infomail 944, 11. Juni 2017

Emmanuel Macron, früherer Investmentbanker und Wirtschaftsminister, gewann locker mit einem Wahlergebnis von 66,1 % gegenüber den 33,9 % von Marine Le Pen die zweite Runde der französischen Präsidentschaftswahlen. Dieses Ergebnis war deutlich höher als die von manchen Umfragen vorhergesagten 20 % Stimmenvorsprung.  Macrons Programm ist das der französischen Bosse. Die angekündigte „Arbeitsmarktreform“ ist dabei ein Versuch, das französische Kapital gegenüber seinen europäischen und weltweiten Rivalen konkurrenzfähiger zu machen und die Führungsrolle des Landes an der Seite Deutschlands innerhalb der EU wiederherzustellen.

Angela Merkel begrüßte den Sieg Macrons und das EU-Spitzenduo, Jean-Claude Juncker sowie Donald Tusk, sagten, sie seien über das Ergebnis „erfreut“. Sie betrachten es als Bruch in der scheinbar ansteigenden Welle des Anti-EU-Populismus, welche durch die Brexit-Entscheidung ausgelöst wurde. Sie haben angekündigt, mit Macron zusammenzuarbeiten, um die EU zu reformieren, gleichzeitig haben sie ihn aufgefordert, vorwärtszugehen bei der „Auflockerung“  des Arbeitsmarktes und Kürzung des französischen Haushaltsdefizits.

Das ganze Gerede über Reformen, verpackt in schönen Versprechen wie der Schaffung von Jobs für Frankreichs Arbeitslose, bedeuten in Wahrheit eine Schwächung der Gewerkschaftsrechte am Arbeitsplatz, eine Schwächung von Arbeitsschutzrechten, die Privatisierung von öffentlichen Industriezweigen und eine Senkung der Kaufkraft der Löhne. Kurz gesagt, es bedeutet eine vollständigere Auswirkung des „Loi Macron“ und des „Loi El Khomri“, welche unter Präsident François Hollande in Kraft traten.

Die Reformen werden mit der bei 9,9 % liegenden durchschnittlichen Arbeitslosigkeit (mehr als doppelt so viel wie in Deutschland und Großbritannien) und der erschütternd hohen Jugendarbeitslosigkeit von 23,7 % „gerechtfertigt“.  Die Bosse Frankreichs, welche in der „Bewegung der Unternehmen Frankreichs“ (MEDEF) organisiert sind, haben schon lange Druck ausgeübt, die gut bezahlten „Jobs fürs Leben“ loszuwerden und durch prekäre, niedrig entlohnte zu ersetzen.

Die Zerstörung der ArbeiterInnenrechte und das Brechen der Macht der Gewerkschaften waren Ziel aller französischer Präsidenten der letzten 20 Jahre. Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und François Hollande haben es alle versucht, dabei gelang ihnen allerdings kein strategischer Durchbruch. Aus diesem Grund war die Geschichte dieser Jahrzehnte gekennzeichnet durch eine Reihe von Streikwellen, sozialen Kämpfen und Jugendaufständen, begonnen im November-Dezember 1995 bis zu den Streiks im Mai und Juni 2016.

Macron hat sich schon verpflichtet, neue „Reformen“ der französischen Arbeitsgesetzgebung in Kraft zu setzen. Angesichts seines weiten Vorsprungs beim Wahlergebniss wird er diese auch, wenn nötig, per Präsidialdekret erzwingen. Trotzdem sollte sich Macron, bevor er zu ausgelassen feiert, bewusst werden, dass die meisten Menschen ihn wählten, um Le Pen zu stoppen. Einer Umfrage von Harris Interactive am Sonntag bei annähernd 7000 WählerInnen zufolge war das die Motivation bei etwa 59 % von ihnen. Eine andere Umfrage (Ipsos) stellte fest, dass 61 % der WählerInnen nicht wollten, dass Macron die Mehrheit in der Nationalversammlung erhält.

Dieser Mangel an Begeisterung schlägt sich auch in der Wahlbeteiligung nieder. Die Enthaltung war mit 25.4 % die höchste seit 1969. Das kann auch nicht mit „Wählerapathie“ für nichtig erklärt werden, da 11,5 % der WählerInnen (4,2 Millionen Menschen) nichts ankreuzten oder einen absichtlich ungültig gemachten Wahlzettel abgaben. Ungefähr ein Drittel der IndustriearbeiterInnen und mehr als ein Drittel der Jugendlichen zwischen 18 und 24 sowie die Arbeitslosen fielen in diese Kategorien.

Trotz alldem, selbst trotz der Wahlniederlage, bleiben Marie Le Pen und die Front National (FN) eine ernste Gefahr für die französische ArbeiterInnenklasse, welche sie mit Rassismus gegen MigrantInnen, Geflüchtete und französische MuslimInnen genauso wie mit antideutschem Chauvinismus zu vergiften versuchen.

Die FN hat ihre Ursprünge in den extrem rechten, reaktionär populistischen und militaristischen Elementen aus der Zeit der französischen Kolonialkriege und heute immer noch einige bewusst faschistische Kader innerhalb ihrer Ränge. Sie wurde von Jean-Marie Le Pen als „angesehene rassistische“ Front für Faschismus gegründet, allerdings ohne eine auf den Straßen kämpfende Miliz oder eine Strategie systematischer Angriffe auf die ArbeiterInnenbewegung.

Eine solche Organisation ist unter günstigen Bedingungen perfekt in der Lage, eine faschistische Bewegung aufzubauen. Solche Bedingungen wären ein gravierender wirtschaftlicher Zusammenbruch, welcher das untere Kleinbürgertum genauso wie Teile der ArbeiterInnen und Angestellten ruiniert und radikalisiert und wo gleichzeitig die ArbeiterInnenbewegung darin versagt, eine lebensfähige revolutionäre Alternative aufzubauen.

Marine Le Pen hat versucht, der FN noch mehr als ihr Vater die „Giftzähne zu ziehen“, um lokale, regionale und nationale VertreterInnen in die Parlamente und Gemeinderäte zu bringen. Vor 3 Jahren gewann die FN eine Menge an lokalen Ratsämtern, obwohl diese Zahl aufgrund von Rücktritten und Korruptionsskandalen wieder sank. Es ist bemerkenswert, wie die bürgerlichen Parteien und die ReformistInnen bisher immer bei Wahlen zusammengearbeitet haben, um die FN rauszuhalten. Aus diesem Grund besitzt sie zurzeit nur 2 Sitze in der Nationalversammlung. Diese Strategie dient allerdings ihrem Anti-Establishment-Anstrich und schadet ihr langfristig nicht.

Marine Le Pen verabschiedete sich außerdem von den neoliberalen Programmpunkten der FN der 80er und 90er Jahre, um frühere WählerInnen der sozialistischen und kommunistischen Parteien in den runtergekommenen Industriegegenden Frankreichs zu gewinnen. Sie präsentiert sich nun als Anti-Globalisierungs- und Anti-Neoliberalismus-Kandidatin. Neben ihrer oppositionellen Haltung gegenüber Macrons Reformen versprach sie, entweder neu zu verhandeln oder den Euro und sogar die Europäische Union ganz zu verlassen. Außerdem beschuldigt sie die EU, von Deutschland dominiert zu sein und systematisch die französische Souveränität zu verletzen. Natürlich fällt all dies immer noch mit einem großen Druck gegen Einwanderung zusammen. Zusammengefasst stand sie politisch auf einer Plattform von Staatsrassismus und Wirtschaftsprotektionismus.

Le Pens Versprechen, die Hauptoppositionskraft gegen Macron zu werden, ist keine leere Prahlerei, sondern eine ernste Gefahr. Wenn die Hauptparteien der ArbeiterInnenbewegung ihre Taktik der Wahl des „geringeren Übels“ in Gestalt von Macron auf eine Einschränkung des Widerstandes gegen seine „Reformen“ ausweiten, wird es ein großes Vakuum geben, in dem sich die FN als wahre Gegnerin des Establishments darstellen kann. Das ist schließlich der Grund dafür, warum Marine Le Pen das Wahlergebnis ihres Vaters gegen Jacques Chirac von 17,9 % im Jahr 2002 verdoppeln konnte.

Im nächsten Monat werden wir ZeugInnen des Kampfes Macrons um die Mehrheit in der Nationalversammlung werden, ohne die er als nicht handlungsfähiger Präsident enden könnte. Seine neue Partei „La République En Marche“ (Vorwärts mit der Republik!) wird eine volle Kandidatenliste im Bündnis mit dem offen bürgerlichen Zentrumspolitiker François Bayrou von  Demokratischen Bewegung stellen. Außerdem könnte er bedeutende Persönlichkeiten und deren AnhängerInnen vom rechten Flügel der Sozialistischen Partei gewinnen.

Obwohl die Bedrohung der französischen ArbeiterInnenklasse durch Macron eine andere ist als die durch Le Pen, bleibt das Argument des kleineren Übels ein gefährliches. Die Sozialistische Partei (PS) und die Französische Kommunistische Partei (PCF,) welche Macron unterstützten, um Le Pen zu stoppen, werden möglicherweise versucht sein, ihren Widerstand gegen seine Politik auf ein Niveau einzuschränken, welches ihn nicht stürzen, sondern den Weg für die FN bei zukünftigen Wahlen frei machen wird.

Wir können uns alle sicher sein, dass die Angriffe Macrons auf die Errungenschaften der französischen ArbeiterInnenklasse demagogisch von der FN abgelehnt werden. Je mehr die FN an Einfluss gewinnt, desto stärker wird das Argument werden, die Opposition zu Macron aufzuweichen oder ihn sogar weiterhin zu unterstützen. Diese Politik des geringeren Übels und der Klassenkollaboration ist deshalb die denkbar schlechteste Vorbereitung auf einen jetzt notwendigen Kampf gegen den Anschlag Macrons und der Bosse auf Arbeitsbedingungen, Lohnniveaus und Arbeitsrechte.

In der ersten Runde der Parlamentswahlen im Juni sollten ArbeiterInnenklasse, Jugendliche und Franzo/e/sInnen mit Migrationshintergrund für KandidatInnen stimmen, welche vollständig unabhängig von Macron sind und für einen Kampf gegen ihn und Le Pen eintreten. Dies beginnen mit KandidatInnen der radikalen Linken, der Nouveau Parti Anticapitaliste, NPA, oder Lutte Ouvrière, LO. Das kann aber auch eine kritische Wahlunterstützung für KandidatInnen der reformistischen ArbeiterInnenparteien wie der PCF, der PS oder der France Insoumise  (Rebellisches Frankreich) bedeuten, wo diese unabhängig von allen Persönlichkeiten oder Parteien des Bürgertums antreten.

Die wichtigste Aufgabe besteht nun darin, die Parlamentswahlen als Plattform zu nutzen, um für eine ArbeiterInneneinheitsfront des Widerstands aufzurufen. Widerstand gegen die Reformen Macrons, den andauernden Ausnahmezustand, den staatlichen Rassismus gegen die Jugend in den Vororten der Großstädte (Banlieues) genauso wie gegen die Agitation der FN, die sich gegen die muslimische Gemeinschaft, die Roma und andere Minderheiten richtet: Das muss der zentrale Sammlungsaufruf im Wahlkampf sein!

Die große Wahlenthaltung und ungültige Stimmabgabe zeigen, dass Millionen von Menschen sich nicht von Macron und Le Pen hinters Licht haben führen lassen. Um für diese Menschen eine positive Alternative zu bieten, ist jedoch eine neue Partei notwendig. Automobilarbeiter Philippe Poutou, Präsidentschaftskandidat der NPA, hat bereits für die Schaffung einer neuen Partei der französischen ArbeiterInnenklasse und der sozial und rassisch Unterdrückten aufgerufen. Das jüngste Statement der NPA in Bezug auf Macrons Sieg lautet:

„Um uns auf diese Auseinandersetzung (gegen die Reformen) vorzubereiten, brauchen wir eine politische Kraft, die uns repräsentiert, die unser soziales Lager organisiert und den Bossen und EigentümerInnen entgegentritt. Eine kämpferische Partei, verankert in den Tageskämpfen, eine Partei, welche sich nicht davor fürchtet, das kapitalistische Privateigentum anzugreifen, eine Partei, welche einen Bruch mit den nationalen und europäischen Institutionen verteidigt. Eine feministische, ökologistische, internationalistische Partei für die revolutionäre Umwandlung der Gesellschaft. Dies ist eine dringende Aufgabe.“

Dieser Aufruf muss sich an alle kämpferischen Kräfte richten, die sich gegen Macron und Le Pen stellen, und außerdem muss er sich auf ein Programm für diesen Kampf konzentrieren.

Wenn die Probleme, welche die NPA seit ihrer verheißungsvollen Gründerzeit verfolgen, nicht angegangen werden, wird dieses Projekt allerdings erneut scheitern. Diese Probleme umfassen eine unzusammenhängende, wenig zugespitzte Politik, welche aufgrund ihrer institutionalisierten öffentlichen Fraktionen entstand, und sich in der Unfähigkeit ausdrückt, ein Aktionsprogramm, für das alle kämpfen, zu entwickeln, genauso wie das Unvermögen, die GewerkschaftsbürokratiInnen zu kritisieren, wenn diese die sozialen Massenbewegungen verkaufen. Durch die tiefe Krise des französischen Reformismus besteht eine reale Möglichkeit für den Aufbau einer durch ein Programm definierten, zentralistischen und disziplinierten Partei, welche ihre Wurzeln in den Massenkämpfen hat. Dies ist tatsächlich eine dringende Aufgabe.

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