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Hamburg

OSZE tagt – Stapellauf für G20-Gipfel

Bruno Tesch, Infomail 918, 8. Dezember 2016

In diesen Tagen, 8.-9. Dezember, findet in Hamburg die Ministerrats-Tagung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) statt. Den Vorsitz über die Zusammenkunft führt Deutschlands Außenminister und baldiger Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Mission

Hervorgegangen ist die OSZE aus der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa KSZE. Diese Einrichtung ging zurück auf Anregung der stalinistischen Bürokratie in der UdSSR aus den 60er Jahren. Sie hoffte damit ihre Strategie der friedlichen Koexistenz und Klassenkollaboration mit dem Kapitalismus in geregelte Bahnen zu lenken. In einer Schwächephase des Imperialismus schien die Voraussetzung dafür auch günstig, als schließlich 1973 die KSZE institutionalisiert wurde.

Ihr gehörten außer europäischen Ländern und der UdSSR auch USA und Kanada an. Es passte den westlichen Ländern damals gut ins Kalkül ihrer sogenannten Entspannungspolitik, um die UdSSR und den Warschauer Pakt v. a. diplomatisch und militärisch berechenbar zu halten. Doch kurze Zeit später liefen die Vorbereitungen zu einer hemmungslosen Aufrüstung an, die im sogenannten NATO-Doppelbeschluss 1979 mündeten und den Ostblock in eine Rüstungsspirale drängten, die den wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch der bürokratisch degenerierten ArbeiterInnenstaaten herbeiführen sollte.

Es folgte der K. o., die Konferenz wurde 1995 in eine Organisation umgewidmet, die sich auf aktuell 57 Länder erstreckt. Neben den ehemaligen Ländern der UdSSR ist ferner die Mongolei dabei. Die OSZE hat sich nun neben den sicherheitstechnischen Daten wie Konfliktvermeidung und –bereinigung auch politisch-inhaltliche Ziele ins Poesiealbum geschrieben: Wahrung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten.

Die OSZE steht eindeutig unter imperialistischer Fuchtel. Verhindert hat sie weder militärische Auseinandersetzungen auf europäischem Boden wie die Balkankriege der 90er Jahre noch die aktuelle in der Ukraine. Hier spielte die OSZE eine eher unrühmliche Rolle, als im April 2014 ein sogenanntes Beobachterteam in der Ostukraine festgesetzt wurde, unter denen sich etliche Nicht-OSZE Mitglieder befanden, darunter allein 4 westukrainische Offiziere, die offenbar die Organisation zur Tarnung von Spionage nutzen durften.

Ansonsten bleibt ihr Wirken weitestgehend im Verborgenen, sieht man mal von der Entsendung von WahlbeobachterInnen ab – natürlich nur in Länder, die der Unregelmäßigkeit verdächtigt werden, also niemals westlich-imperialistische. Vollends zur Farce wird die OSZE, wenn sie sich zum Krieg gegen die Flüchtlinge, die nach Europa einreisen wollen, oder zur Aufrüstung nach außen und innen – dies dient ja dem Sicherheitsbedürfnis der herrschenden Klasse – sowie dem massiven Waffenexport in alle Welt in beredtes Schweigen hüllt. Zwar will die Bundesregierung schon aus Eigenreklame das diesjährige OSZE-Treffen nicht zu tief hängen. Sie betont die „letzte Klammer zwischen Ost und West“, klar aber ist, dass die OSZE die Risse zwischen imperialistischen Blöcken nicht kitten kann.

Machtdemonstration

Angesichts der zu vernachlässigenden Bedeutung dieses OSZE-Gipfels und der geringen Gefährdungslage für seine ordnungsgemäße Durchführung müsste der betriebene Aufwand erstaunen. Zwar sind 5 Gegendemonstrationen und Kundgebungen für den 8. Dezember angekündigt, aber weder die Aktionen der Gesellschaft für bedrohte Völker, der kurdischen Gemeinden oder des Umfelds des linken Zentrums B 5 noch der „Vorglühen“-Glühweinausschank des G20 Entern-Bündnisses werden unkontrollierten Massenzulauf haben.

Von daher gibt es nur eine Erklärung: die in Personalstärke von 13.500 angerückten Polizeikräfte, erhebliche Einschränkung von Bewegungsfreiheit für Verkehr und logistische Vorkehrungen, den OSZE-TeilnehmerInnen ein üppiges, ungestörtes Chambre Separée zu bieten, dienen nur dem Zweck, Macht zu demonstrieren. Die eigene Sicherheit lässt sich die herrschende Klasse einiges kosten, das wird auf die LohnsteuerzahlerInnen von Bund und Ländern „gerecht“ verteilt.

Eine großräumige Sicherheitszone wurde errichtet. Straßen rund um das Messegelände werden abgesperrt. Einige innerhalb dieser Zone geparkte Kraftfahrzeuge wurden bereits abgeschleppt. AnwohnerInnen müssen sich ausweisen, FußgängerInnen und der Autoverkehr für die Dauer des OSZE-Schauspiels hinter verschlossenen Türen müssen teils erhebliche Umwege in Kauf nehmen.

Insgesamt werden 1300 DiplomatInnen erwartet, die von 1700 SicherheitsbeamtInnen beschattet werden. Auf der Fahrt vom Flughafen zu den Innenstadt-Hotels erhalten die Delegationen Geleitschutz durch Streifenwagen der Polizei. Wenn die Kolonnen durch die Stadt geschleust werden, können Kreuzungen schon mal für mehrere Minuten gesperrt werden.

Für den Fall, dass die Gäste oder die Sicherheitskräfte sich bei ihrem Spektakel doch gestört fühlen sollten, sind Wasserwerfer in Stellung gebracht und hat die Hamburger Justiz im Untersuchungsgefängnis ausreichend Kapazitäten für mögliche Festnahmen „frei“ gehalten.

Übung für G20

Das alles würde das aufgefahrene Bürgerkriegspotenzial noch nicht wirklich erklären, wüsste man nicht, dass nächstes Jahr am selben Ort ein weiteres exklusives Kammerspiel auf dem imperialistischen Spielplan steht, der Gipfel der G20-Staaten. Hiergegen wird erheblich größerer und breiterer Widerstand erwartet. So soll das OSZE-Treffen die Generalprobe für den Sicherheitsapparat darstellen, um eventuelle Lücken schließen zu können.

Für diesen Zweck ist mit Hartmut Dudde ein Experte in den Kommandostand der Polizei beordert worden. Dudde hat sich bereits unter dem Innensenator der rechtspopulistischen Schill-Partei einen Namen als „harter Knochen“ gemacht und später unter SPD-Dienstherren ein hervorragendes polizeiliches Führungszeugnis selbst ausgestellt. Der provozierte Demonstrationsabbruch vor dem Veranstaltungszentrum Rote Flora im Dezember 2013, Einkesselungen und rigorose Räumungen im ESSO-Hochhaus gehen ebenso in seine Personalakte wie die folgende Verhängung von Verbotszonen über ganze Stadtteile und die restriktive Handhabung des Demonstrationsrechts aus Anlass der Blockupy-Aktionen im Mai 2014.

Dudde war also bisher bekannt dafür, dass er gesetzliche Regelungen nach der Devise „mehr order, weniger law“ interpretierte. Das Bundeskabinett hat bereits im August eine beträchtliche Aufstockung der Bundespolizei beschlossen. Bundesinnenminister de Maizière hat Gesetzesverschärfungen im Versammlungsrecht und bei „Gefahr im Verzug“ Razzien angekündigt. Der rassistische Hintergrund des „Kampfes gegen den Terror“ kann zum Generalangriff auf allgemeine demokratische Grundrechte genutzt werden. Um dies durchzusetzen, braucht es Männer wie Dudde.

Wir sollten uns darauf vorbereiten und jetzt schon nachhaltige Strategien der Gegenwehr entwickeln. Einen kleinen Vorgeschmack bekamen wir bereits, als der Präsident der Hochschule für angewandte Wissenschaften die Räumlichkeiten für eine Aktionskonferenz gegen den G20-Gipfel fristlos kündigen wollte, weil angeblich „gewaltbereite“ Kräfte im Bündnis vertreten seien. Dies konnte vor Gericht noch einmal abgewendet werden. Allen Versuchen der Einschränkung von demokratischen Rechten, zur Kriminalisierung von Gegenwehr gegen die Unterdrückung durch die herrschende Klasse muss entgegengetreten werden. Wir brauchen eine gemeinsame, koordinierte Vorbereitung und Durchführung für die Aktionen gegen Maßnahmen des Kapitalismus und Imperialismus und seine Selbstdarstellung und dürfen uns nicht in „friedliche“ und „gewalttätige“ Sektionen spalten lassen. Der ermutigende Auftakt der bundesweiten Aktionskonferenz gegen G20 Anfang Dezember sollte uns anspornen, den Widerstand zu verstetigen und internationalisieren, in den unbedingt die ArbeiterInnenklasse als Träger einer grundegenden gesellschaftlichen Veränderung einbezogen werden muss.

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Nr. 215, Dez. 16/Jan. 17

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