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Österreich

Stellungnahme zum Austritt von 5 Genoss*innen

Arbeiter*innenstandpunkt, Österreichische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 912, Oktober 2016

Mit Bedauern müssen wir mitteilen, dass fünf Genoss*innen den Arbeiter*innenstandpunkt geschlossen verlassen haben. 18 Monate nach einer Fusionskonferenz im April 2015, bei der wir uns mit sieben Aktivist*innen um deren Betriebsflugblatt „Herzschlag“ nach längerer programmatischer Diskussion zusammengeschlossen haben, ist damit der Versuch, eine Übereinstimmung in Programmatik, Methode des Organisationsaufbaus und gemeinsamer Arbeit herbeizuführen, zu einem Ende gekommen.

Ein zentrales Problem ist der Zeitpunkt des Austritts: Die Genoss*innen, die auch die Führung des Arbeiter*innenstandpunkt dominiert haben, gehen damit der Debatte um die notwendigen Schritte im Organisationsaufbau aus dem Weg. In dieser vollzogen zwei Genossen, die jetzt ausgetreten sind, Anfang Oktober einen radikalen Schritt und forderten von der Mitgliedschaft eine weitgehende Auflösung unserer Strukturen und Treffen, während die Leitung aufrechterhalten werden sollte, um die Gruppe vollständig auf den Aufbruch zu orientieren.

Das kam insofern überraschend, als die Mitarbeit im Aufbruch auf der vergangenen Konferenz nur gegen den Widerstand dieser Genossen beschlossen werden konnte. Eine Analyse als Grundlage dieser Wendung wurde nicht angeboten, die Mitgliedschaft lehnte den Vorschlag deshalb mit großer Mehrheit als überstürzt und die Auflösung unserer Strukturen als unverantwortlich ab. Eine Versammlung eineinhalb Wochen später hätte diese Debatte weiter führen und auf eine starke Grundlage stellen sollen – zu dieser kam es wegen des sehr raschen Austritts aber nicht.

Die politischen, methodischen und eventuell persönlichen Gründe für die Spaltung sind uns noch nicht vollständig klar, Ansätze finden wir aber in aufschlussreichen Gesprächen in der letzten Woche vor ihrem Austritt und in individuellen Stellungnahmen. Die Genoss*innen, die sich aus der Organisation verabschiedet haben, scheinen sich auch nicht vollständig einig darüber zu sein. Wir beschäftigen uns daher mit den zentralen Punkten. Diese lassen sich zu drei Fragen zusammenfassen: wie eine revolutionäre Organisation in Österreich aufgebaut werden soll, die Frage, wie man sich international organisieren soll, und welchen Stellenwert Unterdrückungsformen wie Sexismus oder Jugendunterdrückung für den Klassenkampf einnehmen.

Organisationsaufbau

Wir vertreten die Position, dass es in Österreich keine Partei im Interesse der Arbeiter*innen und keine schlagkräftige revolutionäre Organisation gibt. Eine marxistische Organisation aufzubauen, die den Kern einer revolutionären Arbeiter*innenpartei oder den Kern eines revolutionären Flügels einer Arbeiter*innenpartei stellen kann, ist die wichtigste Aufgabe in dieser Periode. Das betrachten wir als die Aufgabe des Arbeiter*innenstandpunkt und unsere methodischen Überlegungen dazu haben wir gemeinsam mit unseren Genoss*innen der Liga für die Fünfte Internationale (LFI) in den „Thesen zu den ersten Stadien des Parteiaufbaus“ zusammengefasst. Gerade dieser Text ist ein Fokus der Kritik unserer ehemaligen Genoss*innen.

Eine unserer zentralen Überlegungen ist, dass eine kleine Gruppe nicht die Rolle in den wichtigen Bewegungen und Kämpfen spielen kann, die sie gerne würde. Gleichzeitig ist eine ihrer wichtigsten Aufgaben, revolutionäre Antworten auf die brennendsten Fragen des Klassenkampfes zu finden. Deshalb ist es notwendig, einen Schwerpunkt auf Propaganda, also die Darlegung tiefgehender Ideen für ein vergleichbar kleines Zielpublikum aus fortschrittlichen Aktivist*innen oder jenen, die sich bereits in Kämpfen befinden, zu legen.

Außerdem ist es notwendig, eine Organisation aus Revolutionär*innen aufzubauen, die sich über alle notwendigen Bestandteile des revolutionären Programms einig sind und ihre Politik gemeinsam nach außen tragen. Entscheidungen werden demokratisch getroffen und auch von der überstimmten Minderheit diszipliniert durchgeführt. Diesen „demokratischen Zentralismus“ verbinden wir mit einem hohen Anspruch an die Weiterentwicklung unserer Mitglieder in Theorie und Praxis, was mit einer gewissen Orientierung nach innen einhergeht. Den notwendigen Fokus einer demokratisch-zentralistischen Organisation auf die Ausarbeitung und Verbreitung von Propaganda sowie exemplarische Intervention in zentrale klassenkämpferische Auseinandersetzungen bezeichnen wir als kämpfende Propagandagruppe.

Den Anspruch an programmatische und methodische Geschlossenheit lehnen unsere ehemaligen Genoss*innen, oder zumindest Teile von ihnen, ab. Sie argumentieren für einen Zusammenschluss auf recht wenigen („den wichtigsten“) programmatischen Eckpunkten und persönliche Autonomie der Mitglieder abseits davon. Ein Genosse forderte sogar ein „gewisses Lavieren“ um das Programm herum ein, um sich Spielräume zu verschaffen. Wir können das nur so verstehen, dass Revolutionär*innen Teile ihrer Überzeugungen verstecken oder verfälschen sollen, um sich taktische Vorteile zu verschaffen. In der gegenwärtigen Situation lehnen wir so etwas als prinzipienlos ab, weil dadurch kurzfristige Erfolge mit langfristigen Problemen erkauft werden.

So individuell angenehm das klingt, halten wir doch hier eine Kritik aufrecht, die Revolutionär*innen seit Jahrzehnten anbringen, nämlich dass die Überwindung des Kapitalismus eine sehr schwierige Sache ist und ein hohes Niveau an Überzeugung und Disziplin braucht. Außerdem lehnen wir den zweiten Änderungsvorschlag an dem oben dargestellten Konzept ab, nämlich den Fokus auf Propaganda durch mehr Agitation (populärere Darstellung einzelner oder weniger Fragen) zu ersetzen. Das mag zwar in manchen Phasen notwendig sein, aber die Agitation kann nicht die Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit für Wenige leisten, die notwendig ist, um das Fundament zur Überwindung des Stadiums einer kleinen Organisation zu legen.

Internationale Organisation

Als Marxist*innen bekennen wir uns zu einem internationalistischen Standpunkt, stellen also unsere Arbeit in die Interessen der weltweiten Arbeiter*innenklasse und nicht in die Schranken nationaler oder regionaler Grenzen, weil die Arbeiter*innenklasse einen konsequenten Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung nur international führen kann. Neben einer Absage an national-chauvinistische Positionen bedeutet das auch, die praktische Solidarität und Zusammenarbeit mit Revolutionär*innen auf der ganzen Welt zu einem Teil unserer Arbeit zu machen.

Die internationale Organisierung ist für uns auch in frühen Stadien des Parteiaufbaus ein unerlässlicher Bestandteil. Dabei reihen wir uns nicht nur in eine marxistische Tradition ein, die schon seit dem ursprünglichen Bund der Kommunisten gilt: Nur durch eine internationale Organisation können wir nationale Beschränktheit so früh wie möglich überwinden, den internationalistischen Geist in der kommunistischen Bewegung befördern, die Erfahrungen aus den Klassenkämpfen unterschiedlicher Länder in einer kommunistischen Organisation verallgemeinern und politische Kampagnen oder Taktiken (etwa in Richtung des Aufbaus einer neuen Internationale) auf internationaler Ebene durchführen. Jedes Mitglied des AST sieht sich daher in erster Linie als Mitglied der LFI.

Seit sich die LFI als internationale Strömung konstituiert hat, gilt für uns der demokratischen Zentralismus auch international als Organisationsprinzip. Unsere ehemaligen Genoss*innen sehen darin offenbar ein Problem. Sie argumentieren, dass die Genoss*innen der internationalen Leitung unfähig seien, Kämpfe zu führen oder die Situation in anderen Ländern vernünftig einzuschätzen.

Hinter der Kritik der ausgetretenen Genoss*innen verbirgt sich scheinbar nicht nur die Überzeugung, dass Aktivit*innen vor Ort den besten Einblick in die Situation haben, sondern, dass gewählte Leitungsmitglieder aus anderen Ländern die Entscheidungen einer nationalen Sektion höchstens kommentieren dürfen. Statt einer internationalen Organisation mit einer internationalen Führungsstruktur bevorzugen sie vermutlich eine Organisation mit internationalem Austausch und gemeinsamen Leitlinien. Dadurch erhoffen sie sich, Organisationen auf nationaler Ebene einfacher zu konsolidieren. Im gleichen Moment vernachlässigen sie dadurch aber bereitwillig die mögliche Sinnhaftigkeit eines korrigierenden Einfluss einer international erfahrenen Organisation und die notwendige Konsolidierung im internationalen Rahmen.

Arbeiter*innenklasse und soziale Unterdrückung

Ein weiterer Punkt, der in den Debatten vor dem Austritt keine Rolle gespielt hat, sich aber durch die gemeinsame Geschichte der Organisation zog, ist die Frage der Verankerung in der Arbeiter*innenklasse. Die gesamte Organisation war sich einig, dass die erfolgreiche Betriebsarbeit rund um das Betriebsflugblatt „Herzschlag“ eine wichtige Grundlage dafür ist, und wendete einen beträchtlichen Teil ihrer Ressourcen dafür auf.

Keine wirkliche Einigung konnten wir über den Umgang mit den Gewerkschaften erzielen, die wir als Organisation der Arbeiter*innenbewegung mit reformistischer und endeffektiv verräterischer Führung ansehen. Um die praktische Perspektive hin zu einer gewerkschaftlichen Basisopposition und einer Umgestaltung der Teilverbände zu einer kämpferischen und demokratischen Gewerkschaft darzulegen, halten wir es daher für notwendig, Forderungen an die Gewerkschaftsführung zu stellen, um die Aktivist*innen innerhalb der Gewerkschaft kämpfen sollen. Unsere ehemaligen Genoss*innen teilten nach einiger Zeit zwar die Perspektive einer kämpferischen Umwandlung der Gewerkschaften, lehnten das Vorgehen gegenüber der Gewerkschaftsführung aber meist als perspektivlos ab und äußerten sich abseits einer richtigen, aber oberflächlichen Kritik (es gebe keine reale Möglichkeit zur Organisierung an der Basis) nicht zu den Gewerkschaftsstrukturen. Tatsächlich war eine fehlende Analyse des Reformismus in Österreich (vor allem der SPÖ und der FSG) ein zentrales Problem, als Folge deren eine spezielle Politik gegenüber reformistischen Arbeiter*innen und ihren Organisationen praktisch weitgehend abgelehnt wurde.

Außerdem vertreten wir, dass Kämpfe gegen Unterdrückungsformen wie Rassismus, Sexismus Jugendunterdrückung und LGBTQ-Feindlichkeit Kämpfe um die Einheit der Arbeiter*innenklasse und um ein fortschrittliches Bewusstsein innerhalb der Klasse und damit Bestandteile des Klassenkampfs selbst sind. Wir sind der Meinung, dass sich soziale Unterdrückung durch unsere gesamte Gesellschaft zieht und auch in linken Organisationen zum Wirken kommt. Der gesamtgesellschaftliche und innerorganisatorische Kampf dagegen ist daher eine notwendige Bedingung für den Aufbau einer Organisation, die Frauen, Migrant*innen, Jugendliche und sexuell Unterdrückte in den Klassenkampf führt und ihnen einen gleichberechtigten Platz in der Bewegung gibt. Unsere ehemaligen Genoss*innen spielten diese Notwendigkeit regelmäßig herab. Sie forderten auch ein, dass die meisten männlich-dominanten Verhaltensweisen, die von Genossinnen kritisiert wurden, nicht als strukturelles Problem, sondern als individuelles Fehlverhalten behandelt werden müssten. Das ist eine Herangehensweise, die den gesellschaftlichen Rahmen nicht mitreflektiert und damit dem Sexismus und männlichem Chauvinismus nicht auf den Grund geht, gegenüber entsprechendem Verhalten daher machtlos bleibt.

Zusammengefasst geht hiermit eine Zeit zu Ende, in der der Arbeiter*innenstandpunkt zu Recht versucht hat, sich breiter aufzustellen und gewisse Widersprüche in der gemeinsamen Arbeit zu überwinden. Das war anstrengend, oft sehr erfolgreich und hat in unserer Arbeit zu Erfolgen geführt, auf die wir sehr stolz sind. Jetzt müssen wir den Versuch leider als gescheitert ansehen, auch wenn wir den Austritt unserer Genoss*innen als übereilten Fehler ansehen. Im Kern ihrer Kritik scheint jedoch die Forderung nach nationaler Autonomie der Gruppen innerhalb einer internationalen Strömung und die nach „programmatischer Flexibilität“ zu stehen, die wir ablehnen. Wir denken aber, dass es in unserer und ihrer Verantwortung gelegen hätte, diese Differenzen ehrlich anzusprechen und zu versuchen, sie zu überwinden.

Wir halten die Frage des Aufbaus einer revolutionären Organisation heute besonders angesichts des Aufstiegs der FPÖ und des fortschreitenden Niedergangs der SPÖ für zentral und wollen diese Fragen weiter mit allen diskutieren, die diesen Anspruch teilen

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Nr. 213, Oktober 2016

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