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GROUNDHOG DAY II – Die Fortsetzung

Marcus Otono, Infomail 897, 13. August 2016

„Und täglich grüßt das Murmeltier“ ist ein Film aus den 90er Jahren. Den Polizei- und Wachpersonalterror gegen schwarze Menschen in den USA kann man mit einer Horrorversion dieses Films vergleichen, denn die offensichtliche Ermordung von unbewaffneten schwarzen Bürgern durch die Polizei ist ein stets wiederkehrendes Ereignis in Nachrichten und „sozialen“ Medien wie in dem Film, jedoch in ganz anderer Form. In den „sozialen“ Medien werden diese Morde aus der Nähe nachvollziehbar. Die weite Verbreitung von Handykameras und Apps gestattet das sofortige Platzieren der Horrorbilder dieser Polizeimorde an Farbigen in den USA ins Internet binnen Stunden, z. T. nur Minuten z. B. über Facebook weltweit. Über diese Netzmedien sind auch die organisierten, raschesten Reaktionen auf diesen Terror rasch und unmittelbar abrufbar.

Die jüngsten Vorfälle des Polizeiterrors gegen Schwarze bringen jedoch wie alle Serienfortsetzungen einen zusätzlichen Aspekt in die Angelegenheit. Nach den Morden an Alton Sterling in Baton Rouge, Louisiana, und Philando Castile in Falcon Heights, Minnesota, einem Vorort der Zwillingsstädte Minneapolis und Saint Paul, und der folgenden über die sozialen Netzwerke verbreiteten Wut und Empörung ereigneten sich zwei scheinbare Vergeltungsanschläge auf die Polizei durch bewaffnete Einzeltäter, einer in Dallas, Texas, wo auf 11 Polizisten gefeuert wurde, von denen 5 starben, und einer in Baton Rouge, wo 3 Todesopfer unter den 6 Beschossenen waren. Unterdrückung, v. a. wenn sie mit tödlichen Mitteln operiert, bringt immer Widerstand von Seiten der Unterdrückten hervor, aber damit dieser Widerstand wirksam sein kann, muss er in disziplinierter Form vor sich gehen und darf nicht aus bloß zufälligen Handlungen aus Wut heraus bestehen, auch wenn diese Akte verständlich sind.

Die Aktionen – der Polizeiterror

Die Morde an Sterling und Castile geschahen innerhalb von 48 Stunden und erfolgten nach demselben widerwärtigen Muster, das schon zuvor angewendet worden war. Sterling verkaufte in Baton Rouge mit Erlaubnis des Ladenbesitzers CDs vor einem Einzelhandelsgeschäft. Jemand rief bei der Ortspolizei über Notruf an und sagte, dass ein schwarzer Mann mit einer Schusswaffe Menschen bedrohen würde. Sterling wurde allerdings nicht als die betreffende Person ausgemacht. Er war zwar bewaffnet, doch das ist im Staat Louisiana nicht strafbar. Die Polizei rückte an, und die Lage eskalierte. Schließlich wurde Sterling mit mehreren Schüssen in die Brust aus der Nähe niedergestreckt. All dies wurde von den Überwachungskameras des Ladens und der Handykamera des Ladenbesitzers festgehalten. Obwohl die Polizei behauptete, Sterling hätte nach einer Waffe gegriffen, zeigen die Videos deutlich, dass seine beiden Arme von den Polizisten niedergehalten wurden und seine Hände leer waren. Sterling wurde eindeutig von der Polizei hingerichtet. Anscheinend ist für Schwarze nun der Verkauf von CDs ein Kapitalverbrechen.

Der Mord an Philando Castile war sogar noch ungeheuerlicher. Er wurde von der Ortspolizei von Falcon Heights wegen Problemen mit seinem Rücklicht am Wagen angehalten; jedenfalls war dies die anfängliche Ausrede der Polizei. Anderen Berichten zufolge hatte der Polizeibeamte über Funk verlauten lassen, er wolle Castile anhalten, weil er eine „hochnäsig“ wäre und der Beschreibung eines verdächtigen bewaffneten Räubers entspräche, der auf der Flucht war. Castile war ein anerkanntes Mitglied der Gemeinde, arbeitete als Geschäftsführer einer Cafeteria in einer Grundschule des Ortes und wurde von seinen MitarbeiterInnen und den Kindern anscheinend sehr geschätzt, denn er war dort schon über ein Jahrzehnt beschäftigt. Castile war auch Mitglied der Transportgewerkschaft (Teamsters). Er trug eine legale Waffe und hatte eine sogenannte verdeckte Trageerlaubnis dafür vorzuweisen, ebenso einen Kursus für das Führen der Waffe sowie über das Verhalten gegenüber der Polizei bei einer Verkehrskontrolle absolviert. Castile hatte also alles getan, um das Risiko zu minimieren, dem er als Schwarzer in den USA im Umgang mit dem Gewaltapparat des Kapitalismus, d. h. der Polizei ausgesetzt ist. Doch es hat ihm nichts genützt. Als er angehalten wurde, teilte er dem Polizisten ordnungsgemäß mit, dass er im berechtigten Besitz einer verdeckten Waffe sei und sie auch bei sich hätte. Er sagte der Polizei, dass er seine Fahrerlaubnis wie verlangt holen wolle, als auf ihn dreimal gefeuert wurde und er im Auto verblutete. Ein weiterer Umstand, der diesen Mord noch abscheulicher macht, war, dass seine Freundin mit deren 4-jährige Tochter auf dem Rücksitz im Auto mitfuhren. Castile war also nicht der einzige Unschuldige in Lebensgefahr, als der Polizist abdrückte, denn leicht hätte ein Querschläger auch die anderen Insassen treffen können. Das Echo auf diesen Mord wird unweigerlich in der Zukunft das Leben seiner Familie, seiner Freundin und besonders das des kleines Kindes beeinflussen, die nun die Folgen dieses Aktes von Polizeiterror als Tatzeugen erleiden müssen.

Die Reaktion – Black Lives Matter (BLM), Proteste und Ermordungen

Die Reaktionen waren ebenfalls erwartungsgemäß. Die Black Lives Matter-Koalition organisierte kurzerhand Demonstrationen in über 70 Städten im ganzen Land. Alle diese Demonstrationen waren, in Anbetracht der Umstände eines erneuten Polizeiterroraktes, relativ friedlich. Die Antworten der Polizei fielen ebenfalls erwartungsgemäß mit massiven Einsätzen an vielen Orten aus – unter anderem in Baton Rouge und Minneapolis, wo sich kampfbereite und schwer bewaffnete Einheiten gegen unbewaffnete und friedliche Protestierende stellten. Es ist keine übertriebene Reaktion zu sagen, dass die Orte, an welchen die Ermordungen stattfanden, ausgerechnet diejenigen waren, an welchen die Polizei am aggressivsten gegen die Demonstrationen vorging. Offensichtlich sah sich der Staat genötigt, gegen den berechtigten Aufschrei der Bevölkerung doppelt hart einzuschreiten, welche am meisten von den tatsächlich diesen auslösenden Ermordungen betroffen war.

Donnerstagnachts, am 7. Juli, nahmen die Ereignisse eine neue Wendung. Kurz vor der Abschlusskundgebung in der Innenstadt von Dallas (Texas) wurde die Polizei von Michah Johnson, einem Veteran der US-Armee, aus dem Hinterhalt angegriffen. Fünf Polizisten starben, bevor die Polizei – nach gescheiterten Verhandlungen – eine ferngesteuerte Drohne verwendete, um ihn zu ermorden. Zehn Tage später, also zwei Wochen nach der Ermordung von Alton Sterling, kamen drei weitere Polizisten bei einem erneuten Hinterhalt, durchgeführt von Marineinfanterieveteran Gavin Long, in Baton Rouge ums Leben. Long starb natürlich im Kugelhagel der Polizei.

Eine in gewissem Sinn große Ironie und Tragödie rührt daher, dass Militärveterane der imperialistischen US-Abenteuer in Afghanistan und im Irak die Seiten wechseln und als Rebellen im eigenen Land gegen PolizistInnen agieren, welche ebenfalls oft MilitärveteranInnen sind. Dies ist die logische Konsequenz einer Kultur sowie eines Systems, welche von Gewalt und Eroberung durchdrungen sind und in welchen die nachvollziehbare Wut von Unterdrückten jegliches Ventil findet – einschließlich wahlloser Hinrichtungsakte von PolizistInnen als letzter Antwort, wenn alles andere fehlschlägt, die Ermordungen zu verhindern. Es stellt somit eine verständliche Reaktion dar.

Verständlich, aber kontraproduktiv

Egal wie verständlich, sind diese Reaktionen jedoch ungeeignet, wenn das Ziel sein soll, das vorherrschende System von Ermordungen und Gewalt durch die Polizei abzuschaffen. Wie schon Trotzki vor über hundert Jahren in Auseinandersetzung mit AnarchistInnen seiner Zeit darlegte, ändern Hinrichtungen von Repräsentanten des Systems nichts am System selbst. Es wird nur ein Zahnrad in der Maschine ausgewechselt, welche weiter funktionieren wird wie zuvor. Unsere Charakterisierung individueller Gewalt als kontraproduktiv hat nichts mit bürgerlichem Pazifismus zu tun. Aus strikt taktischer Überlegung heraus werden Tötungen einzelner PolizistInnen die Polizei nicht daran hindern, Individuen auf der Straße zu ermorden.

Historisch betrachtet ist es Fakt, dass individuelle Akte von Hinrichtungen und Terror nur die staatliche „Hand“ stärken und als Vorwand verwandt werden, gegen die berechtigten Reaktionen auf Unterdrückung vorzugehen. Stattdessen werden kollektive Selbstverteidigungsorgane der schwarzen sowie anderen unterdrückten Communities, in der Tat Kämpfe der ArbeiterInnenklasse, gebraucht. Dies würde bedeuten, dem in der Verfassung festgeschriebenen Recht auf Waffenbesitz der einzelnen StaatsbürgerInnen einen organisierten Ausdruck zu verleihen. In angespannten Zeiten wie unseren, gezeichnet durch sich intensivierende Klassenkämpfe und Unterdrückung in einem Land, welches bis an die Zähne bewaffnet ist, ist es notwendig Selbstverteidigungseinheiten sowie ArbeiterInnenmilizen aufzubauen, welche die Menschen beschützen, die – mutig genug –für ihre Rechte protestieren. Rechte sowie proto-faschistische Kräfte stellen eine immer sichtbarere Kraft bei Protestveranstaltungen dar. Dieses macht es unvermeidlich, dass dieses Pulverfass eines Tages hochgehen wird. Darauf müssen wir vorbereitet sein.

Johnson, Long sowie andere Veteranen wie diese täten besser daran, ihre Fähigkeiten, welche sie im US-Militär erworben haben, dafür zu nutzen andere Wagemutige zu BeschützerInnen der Protestierenden auszubilden, anstatt in einem Akt bloßer Wut zu enden. Unsere Milizen müssen nicht nur mutig, sondern auch diszipliniert sein. Leider ist es für Johnson und Long zu spät, ein Teil dieses notwendigen Projektes zu sein. Dennoch sollten all diejenigen, die mit Gedanken an ein ähnliches Vorgehen spielen, daran erinnert werden, dass es bessere Wege gibt, um ihre Fähigkeiten zu verwenden. Trainiert uns, um andere trainieren zu können! Nur so können wir schlussendlich auch das System, welches uns alle unterdrückt, ändern.

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Nr. 211, Juli/Aug. 2016

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*  Kampf gegen Rassismus: Welche Taktik brauchen wir?
*  Kampf der Frauenunterdrückung: Weg mit § 218 und § 219!
*  Mahle-Konzern: Vor der Kapitulation?
*  Brexit 2016: Kein Grund zur Freude
*  Für eine internationale europäische Konferenz: Widerstand - europaweit!
*  Frankreich: Die Frage des Generalstreiks
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*  23. - 28. August Sommerschulung: Revolutionärer Marxismus/REVOLUTION-Camp
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