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Rigaer Straße

Scharfmacher Henkel stoppen – Solidarität mit den BesetzerInnen!

Martin Suchanek, Infomail 893, 12. Juli 2016

(Eigentums)recht muss (Eigentums)recht bleiben, so das Credo des Berliner CDU-Innensenators und Scharfmachers Henkel. Vorgeblich sollen nur die Rechte des Hauseigentümers der seit 1992 besetzten Rigaer Straße 94 geschützt werden. Weil die BewohnerInnen Instandsetzungsarbeiten im Erdgeschoss des Gebäudes blockiert hätten, wären eine Kneipe, die Kadterschmiede, und andere Räume am 22. Juni geräumt worden – unter dem „Schutz“ von 300 Bullen.

Allein, das zeigt, dass es sich nicht um eine weitere, angesichts rasant steigender Mieten fast schon „normale“ Räumung handelt. Die Sanierungsabsichten des Immobilieneigentümers, einer Londoner Investmentgesellschaft, dienen nicht nur zur Durchsetzung des Eigentumsrechts eines Profitmachers im Erdgeschoss. Es geht auch darum, dass die BewohnerInnen der 30 besetzten Wohnungen vertrieben werden, obwohl oder weil sie seit 1992 Mietverträge haben. Die Sache wird nicht besser, sondern nur perfider, wenn die Investmentgesellschaft ihr Gewinnstreben humanitär verbrämt und behauptet, die geräumten Räume nach Sanierung an Flüchtlinge zu vermieten.

Das heilige Eigentumsrecht dient Henkel auch als Vorwand für eine politische Abrechnung mit dem „gewalttätigen“ Linksradikalismus und zur Profilierung vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im September 2016.

Henkels Beweggründe

Die CDU liegt in den Umfragen hinter SPD und Grünen. Henkel ist der unbeliebteste aller einigermaßen bekannten PolitikerInnen. In dieser Hinsicht ist die Aktion auch eine Art politisch motivierter Amoklauf, um sich als Bastion von Recht und Gesetz bei der konservativen CDU-Klientel zu profilieren.

Es wäre jedoch verkürzt, Henkel als Opportunisten hinzustellen, dessen Handlungen nur wahltaktisch motiviert sind. Der Innensenator ist auch ein erz-konservativer Überzeugungstäter, die Bekämpfung der linksradikalen Szene sein erklärtes Ziel. Ihre Gewalttätigkeit werde verharmlost. Gegenüber FaschistInnen und rassistischen Übergriffen würde viel mehr Härte verlangt als gegenüber den nicht minder gefährlichen Linksradikalen. Die rassistischen Angriffe auf MigrantInnen und der Aufstieg von Rechtsextremen und RassistInnen würden diese „Verharmlosung“ der Links“extremisten“ weiter befördern, wenn sie z.B. als mögliche Bündnispartner gegen rassistische Aufmärsche akzeptiert würden.

Antifaschismus und Antirassismus sind Henkel suspekt. Nicht nur, weil dabei auch der staatliche Rassismus, den er mitzuverantworten hat, oder die Komplizenschaft von Verfassungsschutz und anderen Diensten mit den Rechten thematisiert wird. Wie viele konservative VerteidigerInnen der bestehenden Ordnung sieht er darin die Gefahr, dass deren GegnerInnen „salonfähig“ gemacht und „verharmlost“ werden.

Der Staat müsse endlich wieder mit voller Härte und ohne Kompromisse gegen alle Formen des „Extremismus“ vorgehen. Daher kommen für Henkel „Gespräche“ mit den BesetzerInnen nicht in Frage. Vielmehr sollen SPD, Grüne, Linkspartei zur Distanzierung von jeder – und sei es auch noch so verlogenen – Form der Vermittlung gezwungen werden.

Diese hatten sich ihrerseits in den letzten Wochen nämlich als „verständnisvolle“ Alternative zu Henkel präsentiert. Auch sie schielen natürlich auf die Wahl im Herbst und stellen die CDU als Gefährderin des „sozialen Friedens“ dar. An Verlogenheit stehen sie Henkel um nichts nach. So hatte der Berliner Regierende Bürgermeister Müller noch bis zum Wochenende auf Gespräche zwischen Senat, BesetzerInnen und Polizei gedrängt – freilich ohne die Einsatzplanung von Innensenator und Polizei in Frage zu stellen oder gar zu stoppen.

Das Kalkül v. a. der SPD war recht klar. Man ließ Henkel gewähren – und wollte sich zugleich als Sachwalter von Vernunft, Gespräch und Dialog darstellen. Bis zum letzten Wochenende schien das aufzugehen. Nicht nur die AnwohnerInnen protestierten gegen die Polizeipräsenz in der Rigaer Straße, die einem Belagerungszustand gleichkommt. Auch die Mehrzahl der Berliner Bevölkerung fragt sich, ob steigende Mietpreise und Wohnungsnot durch Räumungen „bekämpft“ werden sollen. Hinzu kam, dass sich die Festnahme eines angeblich links-extremen Bandstifters, der als Rache für die Bullenübergriffe Autos in Brand gesteckt hätte, als Rohrkrepierer erwies. Es handelte sich nämlich um einen Rechtsradikalen, der außerdem auch als Informant auf der Gehaltsliste der Polizei auftauchte, also einen bezahlten Provokateur!

Die Zusammenstöße von Polizei und DemonstratInnen am 9. Juli haben diese Taktik jedoch vorerst zunichtegemacht. Der Regierende Bürgermeister will nun auch nicht mehr mit den „GewalttäterInnen“ reden. Die Grünen rudern ebenfalls zurück. Selbst der Linkspartei-Chef Udo Wolf sieht zur Zeit keine Möglichkeit für Gespräche und faselt von einem Mediator.

Forcierte Eskalation

Keine Frage: Henkel hat, jedenfalls für die nächste Zeit, seine Linie durchgesetzt. Er will die Eskalation und er wird sie auch weiter forcieren.

Die Bullenpräsenz im Kiez wird weiter aufrechterhalten, womöglich sogar verstärkt. Die BewohnerInnen des besetzten Hauses wie der gesamten Straße werden täglich kontrolliert, schikaniert, erfasst und praktisch belagert. Die „Gesprächsbereitschaft“ von Polizei und Senat gegenüber den AnwohnerInnen ist reine Augenwischerei. Der vorgebliche Dialog dient nur dazu, dass sie „Verständnis“ dafür zeigen sollen, dass sich an der Bullenpräsenz nichts ändern wird.

Nach den Ausschreitungen vom 9. Juli droht ein noch weitergehender Angriff auf die demokratischen Rechte. Henkel will alle weiteren Solidaritätsdemonstrationen und jede Protestdemonstration gegen die Polizeipräsenz verbieten lassen. Wenn das Eigentum auf dem Spiel steht, muss eben das Demonstrationsrecht weichen.

Während SPD, Grüne, Linkspartei bis vor wenigen Tagen von „Gesprächen“ und „Runden Tischen“ gefaselt hatten und früher oder später wieder die Initiative dazu ergreifen werden, haben die BesetzerInnen Gesprächsangebote angelehnt. Kein Wunder. Es fragt sich nämlich, was es eigentlich zu verhandeln geben soll. Jedes Angebot von Polizei, Senat, aber auch die „Runden Tische“ dienen zur Zeit nur dazu, die Räumung von Teilen des besetzten Hauses und die massive Polizeipräsenz in der Straße anzuerkennen. Stattdessen sollte vielmehr der sofortige Abzug der Bullen und die Freigabe der Räume im Erdgeschoss gefordert werden.

Wohnungspolitik des Senats

Neben der Scharfmacherpolitik von Henkel, ist auch die Privatisierung kommunalen Wohnungseigentums durch den Senat ein Grund für die aktuellen Auseinandersetzungen. Die Rigaer Straße war wie viele weitere Häuser im Bezirk Friedrichshain vor mehr als zwei Jahrzehnten besetzt worden. 1992 handelten die BesetzerInnen mit dem damaligen Eigentümer, der kommunalen Wohnbaugenossenschaft, Mietverträge aus. 1999 wurde die Immobilie privatisiert und wechselte schließlich zum aktuellen Eigentümer.

In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Lage der „linksextremen“ MieterInnengemeinschaft nicht von der hunderttausender BerlinerInnen, die von spekulativen Verkäufen und massiven Mietpreiserhöhungen betroffen sind.

Hier liegt umgekehrt aber auch das Potential, die Pläne Henkels zu durchkreuzen, an der Rigaer Straße ein reaktionäres Exempel statuieren zu wollen. Dass das möglich ist, zeigt die Reaktion der AnwohnerInnen des besetzten Hauses. Selbst die bürgerlichen Medien haben bislang keine erklärten GegnerInnen der HausbesetzerInnen gefunden oder gar Menschen, die sich von ihnen bedroht fühlen würden. Die Bedrohung der „Sicherheit“, die Henkel und die Polizei ständig beschwören, geht von Bullenschikanen und von steigenden Mieten aus.

Das ist auch der Grund, warum viele AnwohnerInnen nicht nur die Selbstverteidigung der BesetzerInnen gegen die Räumung befürworten, sondern auch Verständnis für deren Wut aufbringen. Angesichts der massiven Polizeiübergriffe, der Festnahmen vieler AktivistInnen (allein 82 am 9. Juli) ist es verständlich, dass Menschen auf die Polizeigewalt mit Randalen oder Brandanschlägen antworten (wobei bei letzteren wahrscheinlich auch Provokateure mit im „Einsatz“ sind).

Für RevolutionärInnen, ja die gesamte ArbeiterInnenbewegung sollte es selbstverständlich sein, sich mit den BesetzerInnen und allen Festgenommen zu solidarisieren und die Niederschlagung aller Verfahren zu fordern.

Das ändert aber nichts daran, dass es politisch verfehlt, ja kontraproduktiv ist, auf die Attacken des Senats und der Polizei mit Brandanschlägen gegen irgendwelche PKWs zu antworten oder mit „Angriffen“ auf Läden bei Solidaritätsdemonstrationen. Diese Taktik spiegelt jedoch einen Grundfehler vieler Autonomer wider, die sich an der Mobilisierung der „Szene“ orientiert statt zu versuchen, die lohnabhängige Bevölkerung für die gemeinsame Aktion zu gewinnen.

Die Verteidigung der besetzen Häuser gegen Räumung und Polizeipräsenz sollte mit einer politischen Kampagne verbunden werden, die es erlaubt, diesen Kampf mit dem gegen die Mieten- und Wohnungspolitik von Senat und Immobilienspekulanten und Investoren zu verbinden.

Dazu würden wir folgende Losungen vorschlagen:

1. Entschädigungslose Enteignung von Immobilienspekulanten, privaten Investmentgesellschaften. Überführung in kommunales Eigentum unter Kontrolle der MieterInnen und der ArbeiterInnenklasse.

2. Festlegung von Mietobergrenzen und deren Anpassung an die Inflationsrate! Kontrolle durch Komitees der MieterInnen!

3. Ausbau des kommunalen Sozialwohnungsbaus – finanziert aus der progressiven Besteuerung von Reichtum und Kapital, darunter v. a. der Groß-ImmobilienbesitzerInnen!

4. Massenproteste, Demonstrationen und Blockaden gegen Zwangsräumungen; organisierte Selbstverteidigung gegen Polizeiübergriffe!

5. Sofortiger Abzug der Bullen aus der Rigaer Straße! Niederschlagung aller Verfahren gegen Festgenommene! Massenmobilisierungen in Solidarität mit den BesetzerInnen und gegen alle Einschränkungen des Demonstrations- und Versammlungsrechts!

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Nr. 211, Juli/Aug. 2016

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*  Kampf gegen Rassismus: Welche Taktik brauchen wir?
*  Kampf der Frauenunterdrückung: Weg mit § 218 und § 219!
*  Mahle-Konzern: Vor der Kapitulation?
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