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Gewerkschaftsopposition und revolutionäre Partei

Neuer Anspruch

Susanne Kühn, Neue Internationale 96, Dez 2004/Jan 2005

Jacob Schäfer, Betriebsrat aus Wiesbaden, hat mit seinem Dokument "Die Gewerkschaftslinke muss ihre Arbeit und ihren Anspruch neu definieren" (veröffentlicht im Labournet) einen wichtigen ersten Beitrag zur Weiternetwicklung der Gewerkschaftslinken geleistet.

Wir unterstützen die praktischen Forderungen Schäfers:

Die Gewerkschaftslinke muss sich als solche formieren und sich vernehmbar gegenüber den interessierten KollegInnen zu Wort melden.

Sie muss sich aktiv verbreitern und in den Betrieben aufbauen.

Sie braucht eine dazu geeignete Struktur und eine politisch-programmatische Klärung.

Diese Vorschläge sollten unser Meinung nach im Zentrum der nächsten Konferenz der Gewerkschaftslinken stehen. In einer Vordiskussion der Berliner Gewerkschaftslinken wurde in diesem Sinne beschlossen, dass die Diskussion um den Beitrag Schäfers auch in den Mittelpunkt der Konferenztagesordnung gerückt, also am Beginn und nicht als letzter Tagesordnungspunkt behandelt werden soll.

Warum? Weil - wie Schäfer in seinem Papier zurecht betont - die Politik der Gewerkschaften (und damit das Agieren von Linken und Oppositionellen in der Gewerkschaft) eine Schlüsselfrage für den Klassenkampf im nächsten Jahr ist. Weil aufgrund der verschärften Kapitaloffensive in den nächsten Jahren eine strategische Niederlage droht, wenn die Arbeiterbewegung nicht die notwendigen gewerkschaftlichen und politischen Kampf- und Organisationsmethoden zur Abwehr der Generalsangriffs entwickelt.

Daher muss jetzt mit dem Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung gegen die Bürokratie in den Gewerkschaften und Betrieben begonnen werden. Der Verweis darauf, dass diese Bewegung sehr unterschiedlich entwickelt ist, dass in vielen Städten kaum handlungsfähige Basisstrukturen in den Gewerkschaften und kaum Basisaktivitäten vorhanden sind, spricht nicht gegen diese Zielsetzung, sondern macht sie unserer Meinung nach umso notwendiger.

Es ist eine Illusion zu erwarten, dass sich "Ort für Ort" zuerst oppositionelle- und klassenkämpferische Strukturen entwickeln, die dann nur noch "verbunden" werden müssten. Im Gegenteil: aus dem jetzigen Dilemma werden wir nur rauskommen, wenn ausgehend von den "Bastionen" des betrieblichen und gewerkschaftlichen Widerstandes eine aktionsorientierte, politische ausgewiesene Koordination aufgebaut wird - jetzt und nicht irgendwann!

Daher ist auch der Vorschlag von Jacob Schäfer korrekt, eine Delegiertenkonferenz durchzuführen, die sich auf Vertrauensleutestrukturen und betriebliche AktivistInnen stützt, um die politischen Grundlagen und wichtigsten gemeinsamen Ziele und Kampagnen einer Basisbewegung zu diskutieren und zu beschließen.

Das Dokument von Jakob Schäfer hat jedoch bei allen Vorzügen, zwei wichtige politische Schwächen.

Erstens führt Schäfer die aktuelle Politik der Gewerkschaftsbürokratie auf eine Verinnerlichung neoliberalen Gedankenguts und Standortdenkens durch die Gewerkschaftsspitzen, die Apparat und einen Teil der Mitglieder zurück. Das mag zwar als Beschreibung angehen. Die entscheidende Frage ist jedoch, woher diese "Verinnerlichung" neoliberalen Gedankenguts kommt?

Gewerkschaftliches Bewusstsein

Die Gewerkschaftspolitik der letzten Jahrzehnte (eigentlich schon seit der Gründung der Gewerkschaften in Deutschland) war in ihrer Praxis immer im Rahmen des Lohnarbeit-Kapitalverhältnisses befangen. Die Gewerkschaften agierten daher in erster Linie im Bereich der Tarifpolitik, der ökonomischen Auseinandersetzung.

Die Sozialdemokratie verlängerte diese Aktivität im Bereich der Politik, in Parlament und Regierung. Daher auch die "Arbeitsteilung" zwischen Gewerkschaften und SPD, die, wenn auch brüchig geworden, noch heute die deutsche Arbeiterbewegung prägt.

Das Problem ist, dass das mit der Gewerkschaftspolitik der letzten Jahrzehnte einhergehende Bewusstsein im wesentlichen gewerkschaftliches, reformistisches Bewusstsein war, also im Grunde bürgerliches Bewusstsein. Es war in jedem Fall kein Klassenbewusstsein im eigentlichen Sinn.

In den letzten Jahrzehnten hat sich der Kapitalismus dramatisch verändert. Konnte der gewerkschaftliche Kampf - der von sozialdemokratischen Reformen flankiert war - noch in den 1960er und 70er Jahren auf "vorzeigbare" Kompromisse verweisen, so findet der rein gewerkschaftliche Kampf in einer Krisenperiode notwendigerweise unter ungünstigeren Bedingungen statt.

Jener Flügel der Bürokratie um Peters oder Bsirske, der - seinem Anspruch nach - nicht auf den Neoliberalismus setzt, geriet im letzten Jahr in die Defensive, weil er die Politik der 1970er Jahre unter vollständig veränderten Rahmenbedingungen des Kapitalismus fortsetzen wollte.

Das zeigte sich u.a. beim Kampf um die 35-Stunden-Woche im Osten. Dieser Kampf war von der Bourgeoisie zu einem politischen Kampf gemacht worden, den ein Flügel der Gewerkschaftsführung nur mit rein ökonomischen Mitteln gewinnen wollte.

Daher verliert dieser Flügel mehr und mehr Boden an die Rechten in den Gewerkschaften, weil deren Konzept zwar auf Kapitulation hinausläuft, in sich jedoch einfach schlüssiger ist als das der "Traditionalisten". Daraus nährt sich auch der Vormarsch "neoliberalen Gedankenguts".

Deshalb muss die Intervention von Revolutionären auch darin bestehen, an die Stelle des erodierenden reformistischen Bewusstseins revolutionäres Klassenbewusstsein in die Gewerkschaften und Betriebe zu tragen - denn es wird eben nicht "spontan" aus der Bewegung entstehen. Denn dieses spontane, im Rahmen des Systems der Lohnarbeit entstehende Bewusstsein ist notwendigerweise gewerkschaftliches, also bürgerliches Bewusstsein.

Wir führen diesen Punkt länger aus, weil er mit einem zweiten, in der Gewerkschaftslinken nur allzu verbreiteten politischen Fehler verbunden ist - Schäfers Forderung nach "Unabhängigkeit der Gewerkschaftspolitik von allen Partei- oder gar Regierungsinteressen".

Unabhängig?

Hätte Schäfer sich auf alle liberalen und sozialdemokratischen Parteien beschränkt, hätten wir damit kein Problem. Der Bruch mit der SPD-Umklammerung der Gewerkschaften ist zweifellos eine wichtiger Schritt, wenn es darum geht, die Gewerkschaften zu Kampforganisationen zu machen.

Aber die Antwort darauf kann nicht die "Unabhängigkeit" von allen Parteien sein. In der Gewerkschaftslinken und in der gesamten Widerstandsbewegung kämpfen verschiedene politische Kräfte - reformistische, kleinbürgerlich radikale, zentristische (also solche, die zwischen Reform und Revolution stehen), anarchistische, links-syndikalistische und revolutionäre - um die politische Vorherrschaft.

Natürlich ist es notwendig und legitim, im Kampf Vereinbarungen zu treffen. Genauso wie die Gewerkschaften ihren Kurs nicht werden ändern können, wenn sich die politischen Mehrheitsverhältnisse unter den ArbeiterInnen und Mitgliedern nicht ändern, wenn sich nicht revolutionäres, also kommunistisches Klassenbewusstsein und Organisiertheit unter den Lohnabhängigen verbreitet, so kann letztlich auch eine Basisbewegung ihre Aufgabe ohne kommunistische Führung nicht erfüllen.

Das schimmert auch bei Schäfer durch, wenn er politische Stellungnahmen und ein klassenkämpferisches Programm fordert, um eine Grundlage für die eigene Handlungsfähigkeit zu haben und als gewerkschaftspolitische Strömung wahrgenommen zu werden.

Partei und Opposition

Doch damit hat er auch die Frage nach der politischen Hegemonie in der Gewerkschaftslinken angesprochen, ob er das will oder nicht. Eine Gewerkschaftslinke oder Basisbewegung, die nicht von einer bestimmten politischen Richtung dominiert wird, kann es nicht geben.

Die Frage ist vielmehr: Welche Richtung soll es sein? Natürlich wäre heute die Dominanz einer solchen Bewegung durch eine "bestimmte" Partei Unsinn. Das liegt aber nur daran, dass es momentan keine revolutionäre Arbeiterpartei in Deutschland gibt.

Wenn jedoch in der gegenwärtigen Periode der Kampf für eine solche Partei - und damit auch für ihre führende Rolle in einer entstehenden klassenkämpferischen Basisbewegung - nicht geführt wird, so wird die Basisbewegung in den Gewerkschaften ihren eigenen Aufgaben politisch nicht gerecht werden können. Im Gegenteil: die Gewerkschaftslinke und die BasisaktivistInnen müssen als gewerkschaftliche Opposition eine aktive Rolle bei der Schaffung einer neuen Arbeiterpartei spielen, sie müssen z.B. aktiv in die Formierung der Wahlalternative eingreifen - gerade um sicherzustellen, dass eine neue Arbeiterpartei wirklich für die Interessen der Lohnabhängigen steht und aktiv für die Umwandlung der Gewerkschaften in Organe des Klassenkampfes eintritt.

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Nr. 96, Dez 2004/Jan 2005

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