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Irak

Keine Friedhofsruhe!

Michael Pröbsting/Jeremy Dewar, Neue Internationale 94, Oktober 2004

Die Widerstandsaktionen in Najaf und das von Ayatollah Sistani vermittelte Friedensabkommen haben erneut die Schwäche des irakischen Ministerpräsidenten von Bushs Gnaden Allawi offenbart. Der hatte auf Geheiß Washingtons zum zweiten Mal innerhalb von fünf Monaten versucht, Muktada al Sadrs aufständische Mahdi-Armee niederzuwerfen.

Am 26. August hatte irakische Polizei dabei bis zu 110 unbewaffnete UnterstützerInnen Sadrs und des gemäßigten 75jährigen geistlichen Führers der schiitischen Mehrheit Iraks, Großayatollah Ali al-Sistani, getötet. Am blutigsten Tag wurden 501 Menschen verletzt. Eine Granate beschädigte die Hauptmoschee in Kufa, ein schiitisches Heiligtum. Die Angriffe begannen, als ein Friedensabkommen von Sadr und Allawis Regierung unterzeichnet wurde.

Während der Erhebung gegen die US-Besatzung im Frühjahr spielte Sadrs Bewegung eine zentrale Rolle. Sie war neben den sunnitischen Aufständischen in Fallujah, Ramadi und Samara die wichtigste Kraft der Rebellion und zwang die US-Kolonialverwaltung unter Prokonsul Paul Bremer, der irakischen Marionettenregierung unter Allawi "die Macht zu übertragen".

Marionette Allawi

So spöttisch wie zutreffend wurde Premierminister Allawi als "Bürgermeister der Innenstadt Bagdads " bezeichnet. Einst Saddam Husseins Geheimdienstchef, wechselte Allawi später auf die Seite von CIA und MI 6. Bei solch zweifelhafter Vergangenheit ist es kein Wunder, dass er im Volk keinen Rückhalt hat. So lange ihn amerikanische SoldatInnen an der Macht halten, braucht er diesen nicht unbedingt. Aber falls sie wieder abrücken, wird seine Position mehr als schwierig.

Die Belagerung Najafs durch US-Marineinfanterie und irakische Truppen geschah in der Absicht, Sadrs weit unterlegene Streitkraft zu zermalmen. Drei Wochen lang setzten die USA Hochtechnologiewaffen ein. Die Auswirkungen auf die zivilen BewohnerInnen, wenn eine dicht bevölkerte Altstadt in eine Kampfzone verwandelt wird, können nur erahnt werden.

Die irakischen Widerständler konnten nur Kalaschnikows, einige Granatwerfer und Panzerbüchsen aufbieten. Deshalb lockten sie die BesatzerInnen in die Enge der Altstadt. Das erwies sich als richtige Taktik, zudem die US-Armee keine schweren Verluste riskieren wollte.

Es gibt keinen Zweifel, dass Allawi und die USA diese Schlacht provoziert haben. So schrieb die Financial Times: "US-Streitkräfte im Irak gingen gegen zwei islamistische politische Gruppen (…) in die Offensive und sperrten ein einflussreiches sunnitisches Klerusmitglied in Bagdad ein. Sie brachen einen zweimonatigen Waffenstillstand mit Gefolgsleuten Muktada al-Sadrs, der in Kufa residiert." Erst nachdem die Interimsregierung sich geweigert hatte, Mahdi-Gefangene freizulassen, erklärte Sadr am 5. August das Ende des Waffenstillstands.

Allawi, der als "starker Mann" auftritt, erklärte, er würde "diese kriminellen Vogelfreien die Lektion lehren, die sie verdienten… Eure Regierung hat entschieden, mit eiserner Faust gegen alle diese VerzweiflungsverbrecherInnen, die versuchen, die leuchtende Zukunft des irakischen Volks aufzuhalten, zurückzuschlagen".

US-Außenminister Colin Powell assistierte: "Unsere Kräfte in Najaf schnüren (…) die Stadt ein, um die Lage stabilisieren zu helfen und mit der Mahdi-Armee abzurechnen…Die Gewalt wird von Geächteten und Elementen des früheren Regimes ausgeübt sowie von Terroristen, die keine Feuerpause anerkennen, die nichts als Zwang respektieren."

Tatsächlich brachten "Elemente des früheren Regimes" ihre alten Qualifikationen zur Anwendung - im Dienste ihres alten Kommandeurs Allawi! Zuerst vertrieben sie arabische FernsehreporterInnen des Senders al-Jazeera aus Najaf. Als Worte versagten, die ReporterInnen zu vertreiben, griffen die ex-baathistischen Polizeioffiziere auf Methoden zurück, die sie unter Saddam gelernt hatten und begannen mit dem Beschuss des Hotels.

Allawis Regime agiert ähnlich wie früher Saddam. Wie einst Saddams Presseoffiziere lügt sie schamlos. Sie verkündete, dass sie das Imam Ali-Heiligtum von Sadrs Männern erobert hätten - obwohl das Fernsehen klar zeigte, dass das nicht stimmte. Dann feuerten Allawis Männer auf unbewaffnete protestierende SchiitInnen, die nach Najaf marschierten, um das Friedensabkommen zu unterstützen. George Bush hat oft ehemalige BaathistInnen für die Gewalt im Irak verantwortlich gemacht; zynischerweise hatte er diesmal Recht.

Demonstrationen

Als die US-Marines auf die Imam Ali-Moschee vorrückten, wo sich Sadr aufhielt, erhoben sich tausende IrakerInnen - einige bewaffnet, andere nicht. In Basra forderten DemonstrantInnen den Rückzug der US-Streitkräfte aus Najaf, während die Mahdi-Armee die Kontrolle aller Hauptstraßen übernahm. In Diwanija brannten tausende Protestierende die Büros von Allawis "Irakischer Nationaler Allianz" nieder. Aus dem ganzen Land marschierten unzählige "menschliche Schutzschilder" auf Najaf zu, um die Rebellenkämpfer zu unterstützen.

Die Demonstrationen beschränkten sich nicht auf die schiitischen Gebiete. In Fallujah skandierten Tausende: "Lang lebe Sadr! Fallujah steht zu Najaf gegen Amerika". Ein Konvoi aus 40 Lkw brachte Lebensmittel, Wasser und Medikamente nach Najaf. Der Sprecher Ghalib Jusuf al-Eisawe erklärte: "Wir kamen hierher, um wirkliche Brüderschaft mit der Bevölkerung Najafs auszudrücken und sie vor Ort zu unterstützen". Der Schutz für den Konvoi wurde von der Polizei Fallujahs gestellt.

Selbst Abgeordnete zur Irakischen Nationalkonferenz - 1300 handverlesene irakische FührerInnen - ausersehen, einen US-kontrollierten Weg zur "Demokratie" voranzubringen - wandten sich gegen Allawi und seine imperialistischen UnterstützerInnen. Obwohl US-Panzer die Konferenz beschützten und ein Ausgangsverbot herrschte, erschütterten zur Eröffnung mehrere Mörsersalven das Tagungsgebäude. Delegierte sprangen auf, sangen "Ja zu Najaf!" und "So lange es Luftangriffe und Bombardierungen gibt, können wir keine Konferenz abhalten", wobei sie ihre Fäuste in die Luft reckten. Eine Abgeordnetengruppierung führte schließlich eine Friedensmission zu Verhandlungen mit Sadr an.

Nicht verwunderlich, dass dies die Moral der neuen irakischen Polizei und Armee anrührte. In einem Interview für al-Jazeera stellte der Polizeichef von Sadr City fest: "Wir sind nicht bereit, einen einzigen Schuss auf einen Iraker abzufeuern - ob er zur Mahdi-Armee gehört oder nicht". Hunderte irakische Nationalgardisten und Soldaten weigerten sich zu kämpfen. Ein Beamter des Verteidigungsministeriums kommentierte freimütig: "Das kann immer wieder passieren."

Najaf war ein weiterer erfolgloser Versuch, den irakischen Widerstand zu zerschmettern und das Land für die imperialistische Ausbeutung zu "befrieden". Dabei wäre ein militärischer Erfolg vor den US-Präsidialwahlen im November für Bush und Cheney, deren Popularität im Sinken begriffen ist, wichtig.

Doch statt eines Erfolges wird die Umsetzung der US-Pläne für Mittelost immer fraglicher. Falls der irakische Widerstand nicht erstickt wird, können weder das irakische Öl ausgebeutet noch Militärstützpunkte eingerichtet werden.

Trotz aller bisherigen Erfolge steht der irakische Widerstand vor der Frage, was seine Ziele, was eine Perspektiven sind.

Der von Sistani vermittelte Kompromiss wird die Not der irakischen Massen nicht lindern. Seine "fünf Punkte" händigen die Macht lediglich wieder an irakische Polizei und Armee aus und rufen zur Volkszählung vor den Wahlen im Januar auf. Das beabsichtigte Ausmaß der Integration der Mahdi-Armee Sadrs in die neuen irakischen Streitkräfte wird in den vor uns liegenden Tagen und Wochen klarer werden. Aber der Zweck einer Volkszählung ist unmittelbar durchsichtig.

Sie soll zeigen, dass 60% der Bevölkerung SchiitInnen sind und den Grundstein dafür legen, dass Sadr, vielleicht im Bündnis mit Sistani oder anderen islamistischen Anführern, diese Mehrheit in einen Erdrutschsieg bei den Wahlen ummünzt.

Aber das Volk entlang religiöser, ethnischer oder geschlechtlicher Linien zu spalten, käme einer Wiederholung der Taktiken Saddam Husseins und der alten Kolonialmacht Britannien gleich. Nach solch heldenhaftem Widerstand gegen Jahrzehnte der Diktatur und ausländische Besatzung dürfen sich sunnitische AraberInnen und KurdInnen, ganz zu schweigen von den schiitischen Frauen und Männer, nicht auf einen Islamistenstaat einlassen.

Dieser würde den Irak auch nach Beendigung der imperialistischen Besatzung nicht aus der Abhängigkeit von ihm befreien können. Ein Islamistenstaat Irak wäre ein kapitalistischer Staat, in dem die Herrschaft reaktionärer Eliten bestehen bliebe - genauso wie die Unterdrückung und Ausbeutung der Massen. Zudem würde sich die Situation religiöser und nationaler Minderheiten und der Frauen verschlechtern.

Ein anderer Weg

Die örtlichen Guerillascharmützel müssen in einen nationalen Volksaufstand verwandelt werden. Entscheidend dabei sind nicht so sehr Zahl und Art der Waffen, sondern die Haltung der Massen, vor allem der Arbeiterklasse, aber auch der Stadtarmut und der Jugend.

Nur durch eine Volksmobilisierung mittels demokratischer Massenorgane - in Betrieben, ArbeiterInnenvierteln, unter den Armen in Stadt und Land - kann es die irakische Arbeiterklasse schaffen, die Führung des nationalen Befreiungskampfs dem reaktionären Klerus zu entreißen.

Die Arbeiterklasse muss den Kampf für Arbeitsplätze, soziale Maßnahmen und demokratische Rechte, einschließlich Frauenrechten und des Selbstbestimmungsrechts des kurdischen Volkes, mit dem bewaffneten Kampf gegen Allawi und die Besatzer verknüpfen.

Die Bildung demokratisch gewählter und verantwortlicher Arbeiter- und Bauernräte ist unabdingbar, um einen Generalstreik durchzuführen, der dann in einen bewaffneten Massenaufstand übergehen kann. Auf diese Weise könnte die nationale Unabhängigkeit erreicht und eine souveräne, revolutionäre verfassunggebende Versammlung gebildet werden.

Die Gewerkschaften können dabei eine wichtige Rolle spielen, aber nur, wenn sie den bewaffneten Kampf aktiv unterstützen. Politische Opposition gegen die Islamisten ist dabei ebenso nötig wie eine militärische Einheitsfront mit ihnen gegen die imperialistischen Besatzer.

Die Unterbrechung der Ölversorgung Bagdads durch die ArbeiterInnen in Nasirijah am 10. August war ein gutes Beispiel für solche Solidaritätsaktionen. In der Erklärung der ÖlarbeiterInnen heißt es: "Wir stellten die Förderung aus Protest gegen das unmenschliche Benehmen der Interimsregierung und ihre Kollaboration mit den Besatzungskräften bei der Durchsuchung der heiligen Stadt Najaf und der Verletzung der Schia, ihrer Ornamente und heiligen Stätten ein".

Um den Widerstand aber bis zur vollständigen sozialen Emanzipation aller Werktätigen und Unterdrückten, d.h. zur sozialistischen Revolution zu führen, ist vor allem eine andere politische Führung vonnöten. Die irakischen Massen brauchen eine revolutionäre, trotzkistische Partei, die offen ausspricht, dass es ohne proletarische Revolution weder nationale, noch soziale Befreiung oder Demokratie geben wird.

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Nr. 94, Oktober 2004

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