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Europäisches Sozialforum

EGB vereinnahmt ESF

Dave Stockton, Neue Internationale 94, Oktober 2004

Die Grundstrukturen des Europäischen Sozialforums (ESF) vom 14.-17. Oktober in London sind klar. Die Hauptredner der 30 großen Vollversammlungen sind festgelegt. Über 700 kleinere Treffen, die von verschiedenen Organisationen, Gewerkschaften, Kampagnen, Nichtregierungs- und politischen Organisationen vorgeschlagen worden waren, sind auf 150 - 170 Veranstaltungen zusammengelegt worden. Daneben wird es aber noch mehrere hundert Workshops geben.

Eine Teilnehmerzahl von über 20.000 scheint gewährleistet - trotz der holprigen Vorbereitungstreffen in London, Istanbul und Berlin.

Vom 3.-5. September trafen sich 230 VertreterInnen aus ganz Europa im großen Gebäude des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) in Brüssel zum letzten Vorbereitungstreffen für das ESF.

Rolle des EGB

Es wurde durch John Monks, den Präsidenten des EGB und früheren Generalsekretär des britischen Gewerkschaftsverbandes, eröffnet. Er sprach davon, dass es noch nicht lange her sei, dass die Gewerkschaften gegenüber der Sozialforumsbewegung noch skeptisch waren, aber seit dem 10.

EGB-Kongress in Prag im Mai 2004 klinken sie sich stärker in die Bewegung ein. Monks meinte weiter, dass viele Gewerkschaften zu der Erkenntnis kamen, dass Globalisierung, Verlagerung von Produktion in Billiglohnländer sowie die Privatisierungen einen gewaltigen Druck auf die ArbeiterInnen ausüben und zu einer Senkung des Lebensstandards, zu höherer Arbeitslosigkeit und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen führen. Die Gewerkschaften hätten eingesehen, dass sie ihre Kräfte mit den sozialen Bewegungen verbinden müssten, um für eine bessere Welt zu kämpfen. Aber er machte auch klar, dass dies für den EGB eine Humanisierung des Kapitalismus bedeute, nicht etwa dessen Ersetzung.

An die 230 Teilnehmer des ESF-Vorbereitungstreffens in Brüssel richtete Monks auch eine Warnung: "Wir werden nicht allem zustimmen - ich möchte hier keine Abstimmung über die EU-Verfassung". Das entspricht auch den Prinzipien des Weltsozialforums von Porto Alegre, die bekanntlich verbindliche Beschlüsse auf Basis von Mehrheitsentscheidungen ablehnen.

Dieser Grundsatz, Abstimmungen ausschließen, gehört zu den wichtigsten Schutzvorrichtungen für die gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Führer. Sie sollen die Bewegung daran hindern, Forderungen an sie zu stellen und deren Handeln in der Praxis zu testen. Wenn eine Mehrheit diesen Willen und ihre Entscheidungen gegen eine Minderheit nicht durchsetzen kann, kann die Minderheit immer wirksame, entschlossene und kämpferische Aktionen mit oder ohne Gewerkschaftsbürokraten und akademische "Würdenträger" blockieren.

Nichtsdestotrotz kann das 3. ESF doch ein bedeutsames Ereignis für die Bewegung werden.

Versammlung der sozialen Bewegungen

Sehr viel begrenzter war der Fortschritt im zentralen politischen Bereich der ESF-Arbeit, die vornehmlich am Sonntag, dem 17.10.2004 stattfinden wird: der Versammlung der sozialen Bewegungen und der Abschlussdemonstration.

Negativ ist allein schon der Umstand, dass diese Versammlung zum ersten Mal nicht konkurrenzlos stattfindet, sondern parallel zu Seminaren und Arbeitstreffen. Das wird die Bedeutung des einzigen Teils des ESF schmälern, der nicht in der Zwangsjacke der Porto Alegre-Prinzipien steckt und Mobilisierungen und Aktionen im Namen der Bewegung (wenn nicht des ESF selbst) voran treiben kann.

Pierre Kalfa von der französischen Eisenbahnergewerkschaft SUD-PTT wies darauf hin, dass die Versammlung im vergangenen Jahr für den Aktionstag gegen Sozialabbau bzw. die EU-Verfassung keinen Termin festgelegt und es für Verhandlungen mit dem EGB offen gelassen hatte. Das war ein Fehler und der Grund für das Scheitern der Aktion.

Selbstkritik

Die Liga für die 5. Internationale (L5I) begrüßt diese verspätete, wenn auch nicht offen eingestandene Selbstkritik. Es waren gerade Kalfa und andere französische Gewerkschaftsführer, die in Paris darauf bestanden hatten, dass kein Termin festgelegt werden könne. In Brüssel sagte er nun, dass ein solcher Termin hätte festgelegt werden müssen. So hätten die radikaleren Gewerkschaften zustimmen können und es hätte dann die EGB-Gewerkschaften und schließlich sogar den EGB-Vorstand dafür gewonnen werden können.

Kalfa meinte, dass wir dieses Jahr nicht auf den EGB warten sollten, bevor wir eine Bündelung von Aktionen zur Verteidigung sozialer Errungenschaften organisieren. Wir sollten um den EU-Gipfel im März herum mobilisieren. Fünf Jahre nach Einführung der neoliberalen Lissaboner Agenda ist es Zeit, Bilanz zu ziehen.

Das ist immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Darin äußert sich ein brauchbareres Prinzip als bspw. das reformistische Programm für eine europäische Verfassung, wie es von Leo Gabriel vom österreichischen Sozialforum vorgetragen wurde, oder die endlose Reihe von Antikriegsdemonstrationen, die von einigen Delegierten der Internationalen Sozialistischen Tendenz (IST), der internationalen Tendenz der britischen Socialist Workers Party (SWP; in Deutschland Linksruck), gefordert wurden.

Folgende Vorschläge für die Organisierung der Versammlung der Sozialen Bewegungen wurden vorgebracht: Bildung von 2 bis 3 Arbeitsgruppen, die das Grundgerüst für eine Erklärung der Versammlung erarbeiten soll. In dieser Erklärung soll dargelegt werden, wogegen und wofür wir kämpfen. Sie soll sie mit sorgfältig ausgewählten europaweiten Aktionen verbinden, welche die Bewegung stärken und eine regelmäßige internationale Zusammenarbeit fördern soll.

Doch für die Umsetzung dieser Vorschläge muss der Versammlung eine Entscheidungshandhabe gegeben werden, wie es auch von unserer internationale Strömung, der L5I vorgeschlagen worden ist.

Die Nachtrabpolitik der IST war auch Gegenstand von Diskussionen über die Abschlussdemo. Die IST-Sprecher forderten, dass sie unter dem Hauptmotto. ‘Stoppt Bush' ablaufen sollte. Bemerkenswert dabei ist, dass nicht der britische Premierminister und Kriegspartner von Bush, Blair, im Blickpunkt ihrer Vorschläge steht. Haben sie Angst, damit die Livingstone'sche Labour Linke und die Gewerkschaftsbürokratie zu verprellen?!

Auf jeden Fall haben die französischen und italienischen GenossInnen aber Recht, wenn sie darauf beharren, dass die Angriffe auf soziale Errungenschaften und Arbeiterrechte in ganz Europa sowie die antidemokratischen Grundzüge der neuen EU-Verfassung als die zentralen Fragen, neben dem Krieg, herausgestellt werden sollen.

Die Demo muss in der Hauptstadt des europäischen Neoliberalismus und imperialistischen Krieges die wachsende Bedeutung und internationale Verflechtung unserer Bewegung in der Öffentlichkeit dokumentieren.

Nur gegen Bush?

Wir wollen eine Bewegung der britischen Arbeiterschaft, der Frauen, der Jugend und Einwanderer schaffen, die in bewusster und aktiver Solidarität mit ihren Geschwistern auf dem Festland und den Opfern von Rassismus, Sexismus und Imperialismus handeln. Eine Demonstration, auf der z.B. Arbeiter der Gewerkschaften RMT, Sudrail, CGIL und Cobas gemeinsam gegen die Privatisierung bzw. für die Wiederverstaatlichung der Eisenbahn demonstrieren, würde einen gewaltigen Eindruck hinterlassen. Alle kämpfenden Teile sollten versuchen, etwas Derartiges zustande zu bringen.

Schließlich wurde ein Kompromiss mit der Losung ‘Gegen Krieg, Rassismus und Neoliberalismus - für ein soziales Europa', die an der Spitze der Demo getragen werden soll, erreicht.

Zwar tun diese Losungen kaum jemandem weh, und jeder kann sich seine Bedeutung heraussuchen, aber wenigstens erleichtern sie den AktivistInnen, das Bewusstsein der britischen ArbeiterInnen auf Blairs und Browns Attacken zu lenken und konkrete Forderungen an ihre Gewerkschaftsführung zu stellen.

Wenn SWP und Socialist Action behaupten, die Weltpolitik drehe sich ausschließlich um Bushs Empire, ist das nur eine Entschuldigung dafür, den Kampf gegen die Labour-Regierung herunterzuspielen und keine Forderungen an den Gewerkschaftsverband TUC stellen zu müssen.

Hauptseminare und Zusammenkünfte

Mitglieder der Liga für die Fünfte Internationale haben an mehreren Treffen teilgenommen, die Seminarvorschläge aus ganz Europa zusammengefasst haben. Unser Ziel war nicht nur, eine Plattform für unsere eigenen Ideen zu sichern, sondern TeilnehmerInnen klare und ehrliche Debatten zwischen verschiedenen Tendenzen über die Hauptfragen der Bewegung anzubieten. Entgegen der Eintönigkeit von Podien, die mit ergrauten Bürokraten und Akademikern besetzt sind, wollen wir der Jugend, gewerkschaftlichen und außergewerkschaftlichen KämpferInnen eine aktive Beteiligung ermöglichen. Damit hatten wir einen, wenn auch begrenzten Teilerfolg.

Die L5I ist eine von 16 Organisationen, welche die Zukunft der Bewegung erörtern möchten, obwohl die endgütige Entscheidung darüber auf ein Delegiertentreffen in Paris verschoben wurde. Unabhängig davon, ob wir einen Plattformsprecher erhalten oder nicht, werden wir weiter für das Recht eintreten, unsere Positionen auf dem Forum vortragen zu dürfen.

In der entscheidenden Frage der Gewerkschaften und ihrer sich auflösenden Beziehungen zur Sozialdemokratie, besonders in Deutschland und Britannien, wo die Aufgabe der Formierung neuer Arbeiterparteien von einer wachsenden Zahl von ArbeiterInnen erörtert wird, hoffen wir ein Seminar mit Berliner Gewerkschaftslinken, der französischen TNI Transform und Globalise Resistance in Schottland veranstalten zu können. Wir rufen alle GewerkschafterInnen auf, die es satt haben, weiter von Blair und Schröder gegängelt zu werden, zum Forum zu kommen und mitzuhelfen, eine internationale und kämpferische Antwort auf den Reformismus zu erarbeiten!

Die sozialistische Jugendorganisation World Revolution hatte ebenfalls einige erfolgreiche Treffen.

Der Fall des eingekerkerten Antifaschisten Mario Bango, der mit Interesse von mehreren Gewerkschafts- und Sozialbewegungsführern aufgenommen wurde, wird im Mittelpunkt eines Seminars von Roma-Organisationen stehen. Dies sollte ein nützliches Forum für osteuropäische Delegierte sein, v.a. dafür, dass der Kampf für die Gleichheit der Roma ein Schlüssel für den Kampf um demokratische Rechte für alle und die Einheit der Arbeiterklasse ist.

World Revolution unterstützte auch das Bestreben der v.a. von türkischen Jugendlichen getragenen Organisation Young Struggle, ein Seminar zur Vereinigung von Jugendkämpfen gegen Neoliberalismus und Kapitalismus abzuhalten. Wahrscheinlich noch wichtiger war nach zehnmonatigem Ringen die Durchsetzung einer Jugendversammlung.

Die unwirsche Reaktion von ‘Erwachsenen'organisationen darauf zeigte sich u.a. in der Weigerung, den Jugendlichen Simultanübersetzungen zur Verfügung zu stellen. Die Unterstützung von großen sozialdemokratischen Jugendgruppen, der baskischen Jugend und verschiedener linker Organisationen konnten dies jedoch zu einem unverzichtbaren Teil des Programms für SchülerInnen, StudentInnen und junge ArbeiterInnen machen, die scharenweise auf dem ESF sein werden.

Mobilisierung

Das ESF ist das politische Hauptereignis der weltweiten antikapitalistischen Bewegung. Es findet zu einer Zeit statt, in der diese Bewegung am Scheideweg steht.

Ein Weg führt in die Klassenkollaboration und zeichnet prokapitalistische politische Antworten vor wie die von Lula in Brasilien, Livingstone in London und John Monks in Brüssel. Ein anderer führt zur Selbstisolation der People's Global Action und den Zapatistas, die sich weigern, den Kampf um die Macht im Staat zu führen, der nötig ist, um ein verrottetes System abzuschaffen.

Wir rufen die zehntausenden KämpferInnen aber auf, einen Weg zu beschreiten, der eine ganz andere Richtung hat: den Sturz des Kapitalismus durch die Formierung einer neuen, Fünften Internationale, einer neuen Weltpartei der sozialistischen Revolution.

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Nr. 94, Oktober 2004

*  Wie weiter mit der Bewegung gegen Hartz IV? Demos, Besetzungen, Streiks!
*  Gewerkschaftsbürokratie sabotiert Widerstand: Auf zum Winterschlaf?
*  Die MLPD und die Montagsdemos: Alle für die Einheit?
*  Frauen und Hartz IV: Küche oder Klassenkampf?
*  Heile Welt
*  Konflikt bei VW: Immer wieder Hartz?
*  Europäisches Sozialforum: EGB vereinnahmt ESF
*  Hafenarbeiter gegen Lohndumping: Internationale Streiks sind machbar!
*  Palästina: Weg mit der Mauer!
*  Irak: Keine Friedhofsruhe!