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Wahlalternative

Neue Besen, alte Rezepte

Hannes Hohn, Neue Internationale 91, Juni 2004

In den letzten Wochen sind Projekte zur Neugründung von Parteien wie Pilze aus dem Boden geschossen. Sie sind allesamt auf diese oder jene Weise Reaktionen auf die tiefe Krise der Sozialdemokratie.

Diese Krise des Reformismus - die sich durchaus auch im europäischen Maßstab (z.B in Britannien) abspielt - ist in Deutschland von mehreren Besonderheiten geprägt. Unter dem Druck der Krise des Kapitalismus, der verschärften globalen Konkurrenz und der Ambitionen des deutschen Kapitals, dem imperialistischen Hegemon USA die Führungsrolle streitig zu machen, führen Unternehmer und Regierung scharfe Attacken gegen die Massen und die Arbeiterklasse. Dass die Agenda 2010 dabei von einer SPD-Regierung durchgeführt wird, hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich große Teile ihrer sozialen Basis - die Mehrheit der ArbeiterwählerInnen - von ihr abgewandt haben.

Aspekte der Krise

Die Krise des Reformismus wird an der neuralgischen Verbindung zwischen SPD und Gewerkschaften offenbar. Der SPD droht der Verlust ihrer politischen und organisatorischen Vorherrschaft über das Gros der Klasse. Die Gewerkschaftsbürokratie - das Scharnier zwischen SPD und Gewerkschaftsbasis - stützt zwar trotz aller Angriffe die SPD-Regierung, aber sie muss verstärkt lavieren, um die Basis nicht vollends zu verprellen. Einerseits ruft sie zum Protest auf die Strasse, andererseits versucht sie alles, um effektive Kampfaktionen wie Streiks zu verhindern.

Damit sind wir beim zweiten Aspekt der Krise des Reformismus. Nicht allein tiefe Unzufriedenheit und Abwendung der Mitglieder und WählerInnen von der SPD prägen das Bild. Die letzten Monate waren vor allem auch davon geprägt, dass 100.000e gegen Schröder und seine Politik auf die Strasse gegangen sind. Dabei hat sich auch gezeigt, dass es zunehmend auch Unmut über die Zögerlichkeit und Inkonsequenz der Gewerkschaftsführung gibt. Erste Anfänge der Formierung einer von der Gewerkschaftsbürokratie unabhängigen Basisbewegung gegen die Agenda sind sichtbar geworden. Die Bürokratie befürchtet deshalb, dass sich Teile der Basis damit politisch und organisatorisch ihrem Zugriff entzieht - das wäre der Anfang vom Ende der reformistischen Käseglocke über der deutschen Arbeiterbewegung.

Ein dritter Aspekt kennzeichnet die Krise des Reformismus. Anders als früher ist die PDS außerstande, von der Misere der SPD zu profitieren. Kein Wunder, denn ihr "linker" Reformismus hat sich gleich mehrfach diskreditiert: durch den programmatischen Rechtstrend, durch die Juniorrolle beim Sozialabbau in zwei Landesregierungen (besonders in ihrer Hochburg Berlin) und vor allem dadurch, dass die PDS keine besonders aktive oder gar Vorreiterrolle beim Kampf gegen den sozialen Crashkurs der Bundesregierung spielt. Der Abwärtstrend der PDS ist weniger Resultat "interner Querelen", wie von ihrer Führung oft dargestellt, als Ausdruck der politisch-strategischen Impotenz des Linksreformismus. Das wird auch daran deutlich, dass es in der SPD selbst keine auch nur ansatzweise "Opposition" zu nennende Gruppierung gibt. Die SPD-Linken inkl. der Jusos fressen Schröder und Müntefering - wenn auch zähneknirschend - aus der Hand.

Die diversen Initiativen für eine neue Partei müssen sich vor diesem Hintergrund also vor allem daran messen lassen, welchen Beitrag sie leisten, um erstens die Bewegung gegen die Agenda zum Sieg zu führen, d.h. die Bewegung vom Protest zu Streiks und zum Generalstreik zu führen; und zweitens inwiefern sie grundlegende Kritik am Reformismus insgesamt und nicht nur an einer seiner Spielarten üben und eine grundlegende Alternative dazu formulieren können.

Vor kurzem haben sich zwei Parteiprojekte zusammen geschlossen: Die "Wahlalternative" und die Initiative "Arbeit und soziale Gerechtigkeit". Das Gemeinschaftsprojekt heißt nun "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit". Die InitiatorInnen kommen überwiegend aus dem Gewerkschaftsapparat, ergänzt durch einige linke Theoretiker und Leute aus dem Umfeld von PDS, attac usw.

Die Wahlalternative

Während bei Leuten wie dem geschassten ex-PDS-Funktionär Hiksch sicher auch der Ausblick auf eine neue Politkarriere eine Rolle spielt, geht es doch nicht nur darum. Sie sehen mit der Krise der SPD die Gefahr, dass die SPD als politischer Arm des Reformismus zerbricht bzw. sie mit ihrer unsozialen Politik jeglichen Rückhalt in der Gewerkschaftsbasis verliert. Insofern versuchen sie, eine neue politische Interessenvertretung zu schaffen.

In ihren bisher vorliegenden politischen Erklärungen betonen sie, "dass gegen den sozialen Kahlschlag der Bundestagsparteien nur eine gemeinsame Organisierung helfen kann" (dieses und die folgenden Zitate aus: www.Wahlalternative.de).

Völlig richtig wird betont, dass die Lohnabhängigen und alle vom Sozialkahlschlag Betroffenen eine politische Organisation brauchen, die die verschiedenen Aktivitäten und Initiativen politisch bündelt und mit einer grundsätzlichen politisch-programmatischen Alternative verbindet.

"Das Ziel ist es, als 'politischer Arm' für die Anliegen von Sozial- und Umweltverbänden, Gewerkschaften, Friedensbewegung und Globalisierungskritikern zur Verfügung zu stehen".

Weiter heißt es: "Außerparlamentarische Bewegungen und Initiativen für eine parlamentarische Vertretung sind daher kein Widerspruch, sondern zwei Seiten ein und derselben Medaille". Doch wovon ist die Medaille der Wahlalternative geprägt? Was sind ihr Ziele und Methoden?

Bezeichnend für das politische Verständnis der Wahlalternative sind zwei Aussagen ihrer programmatische Erklärung. Zum einen betont man hinsichtlich des ökonomischen Hintergrunds der neoliberalen Angriffe: "Die Probleme müssen als Ergebnisse falscher, neoliberal geprägter Politik und von Krisenprozessen und Widersprüchen aufgezeigt werden, die die kapitalistische Ökonomie aus sich heraus hervorbringt".

Schon hier schwingt mit, dass die Misere Ergebnis "falscher Politik" sei, was die impliziert, dass es offenbar auch eine "richtige Politik" geben müsse, mit der der Kapitalismus einigermaßen stabil, krisenfrei und sozial zu managen wäre. Welche Politik das nach Vorstellung der Wahlinitiative wäre, wird weiter unten noch dargelegt. Immerhin betont man aber richtig, dass die Ursache der sozialen Misere in der kapitalistischen Ökonomie selbst liegt.

Umso mehr verwundert es dann, welchen Schluss man daraus zieht. "In der öffentlichen Debatte sind der Widerspruch zwischen einzelwirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Perspektive und als Hauptproblem der wirtschaftlichen Entwicklung die Schwäche der Binnennachfrage hervorzuheben."

Also nicht etwa die Überwindung des Kapitalismus insgesamt, sondern lediglich eine andere Politik würde die Probleme lösen. Diese Politik der Hebung der Binnennachfrage ist allerdings keineswegs neu, sondern nur dem Instrumentarium des Herrn Maynard Keynes entnommen. Gerade dessen Konzepte der Ausgleichung der Krisenprozesse des Kapitalismus durch staatliche Intervention waren ein Kernstück sozialdemokratischer Politik nach 1945.

Die heutige Probleme resultieren aber zum Grossteil daraus, dass aufgrund der Tendenz des Falls der Profitrate dieses antizyklische "Gegensteuern" des Staates nicht mehr funktioniert und lediglich die Staatsverschuldung in astronomische Höhen katapultiert. Es ist bezeichnend, dass den Initiatoren einer Alternative zur SPD und ihrer Politik nichts Originelleres einfällt, als deren Fehler von früher als Antworten für Morgen feilzubieten.

Wenn man schon den Widerspruch zwischen privatkapitalistischer Aneignung und gesellschaftlicher Erzeugung - also den zentralen Widerspruch des Kapitalismus - erwähnt, verweist man eigentlich auf die Frage, was an dessen Stelle zu setzen ist. Auf diese Frage gibt die Wahlalternative keine Antwort! Unsere Antwort darauf ist, die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und die Entwicklung einer auf demokratischen Rätestrukturen beruhenden Planwirtschaft, deren Ziel nicht Profit sondern die effektivste Befriedigung von Bedürfnissen wäre - mit anderen Worten: Sozialismus.

Zu solchen Schlussfolgerungen gelangen die Vordenker der Initiative jedoch nicht. Mehr noch: sie haben von vornherein ein Tabu errichtet, auch nur einen Millimeter in diese Richtung zu denken. Da wird ihr sonst eher umschreibender und recht unklarer Stil auch plötzlich ganz strikt: "abstrakter Linksradikalismus ("nur die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus ist eine Perspektive")" verkündet man da, wirke nur "desorientierend." Und noch eindeutiger: "Es geht heute nicht um "Reform oder Revolution", sondern um sozialen Reformismus oder weiteren Vormarsch der neoliberalen Reaktion."

Es folgt sogar noch eine Aussage, die eine Begründung dafür sein soll, weshalb eine revolutionäre Orientierung falsch sei: "Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie, die Rahmenbedingungen für die Durchsetzung politischer Veränderungen vorgibt, und die eine Errungenschaft darstellt. Demonstrationen und auch politische Streikaktionen haben letztlich den Zweck, Druck auf die Parlamente auszuüben."

Auch hier also wird nicht etwa über die Rahmenbedingungen und Funktionsweisen der kapitalistischen Gesellschaft nachgedacht, sondern diese stattdessen als quasi gottgegebene Bedingungen akzeptiert. Statt Nachdenken und Alternativen auch hier wieder nur ein Denkverbot! Die ur-refomistische Vorstellung, dass Proteste, Kampfaktionen, Streiks usw. nur dazu da sind, um Druck auf Parlamente und Parteien auszuüben - wozu sie freilich auch da sind - wird hier genüsslich wiedergekäut. Wenn man an anderer Stelle zu recht beklagt, dass es zu wenig außerparlamentarischen Widerstand gibt, dann liegt es doch nahe, darüber nachzudenken, ob das nicht auch an eben jener von den Reformisten gedachten Funktion von Kämpfen liegt, die sich strikt dem demokratisch-parlamentarischen Rahmen anzupassen haben.

Wem das alles an Klarheit noch nicht reicht, dem könnte Folgendes die Augen öffnen: "Um politisch voran zu kommen, ist eine ernst zu nehmende wahlpolitische Alternative nötig, die den außerparlamentarisch in der Gesellschaft entwickelten Druck ins politische System transformiert."

Konkret heißt das: Wenn es gelänge, einen Generalstreik gegen die Agenda zu organisieren, dann würde dieser automatisch die Frage der Macht im Staate aufwerfen. Anstatt dass aber die Organe des Generalstreiks die gesamte Macht im Staat übernehmen, müssten diese gemäß den Ratschlägen der Initiative dann lediglich die Manövriermasse dafür stellen, dass eine neue parlamentarische Mehrheit ermöglicht wird. Wenn dann statt Müller Meyer Minister ist, können die ArbeiterInnen wieder nach Hause gehen, um am Tag darauf wieder für den Profit anderer zu malochen. Danke, Wahlalternative!

Soziale Basis

Diese (links)reformistische Konzeption ist kein Zufall. Sie drückt nur die Denkweise und die soziale Lage der Mehrheit der InitiatorInnen aus. Als überwiegend hauptamtliche FunktionärInnen der Gewerkschaften war es traditionell ihre Funktion, als Unterhändler zwischen den Klassen, als Vermittler bei Konflikten zu agieren. Das schloss mitunter durchaus ein, dass sie die Basis zu Kämpfen riefen - letztlich aber vor allem, um in den Verhandlungen genug Druck- und Drohpotential zu haben. Damit war und ist verbunden, dass die Basis weitgehend keinen direkten Einfluss darauf hat, wer Kämpfe führt, wer sie kontrolliert, für welche Ziele und mit welchen Methoden sie geführt werden.

Getreu dieser Logik sieht sich die Wahlalternative als "politischer Arm" des Widerstands gegen die Agenda 2010 und die neoliberale Politik. Ihr geht es darum, die soziale Energie der Proteste und realen Kämpfe dafür zu nutzen - und nur dafür - das Kräfteverhältnis im Parlament zu ändern.

Deshalb findet man in den langen Statements der Wahlalternative auch kein klares Programm mit konkreten Forderungen und Kampfschritten, das aufzeigt, wie das aktuelle Niveau des Kampfes gehoben und die Agenda letztlich gekippt werden kann.

Entsprechend ihrer Programmatik zeigt auch das Herangehen an den Aufbau der Wahlalternative, dass in schöner BürokratInnenmanier versucht wird, zu verhindern, dass die Basis sich zu stark einmischt und evtl. über den politischen Horizont der InitiatorInnen hinausgeht.

"Zur Vorbereitung der gemeinsamen Organisation wurden paritätisch besetzte Kommissionen zu Fragen der Programmatik, der Organisation, der Statuten und der gemeinsamen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gebildet. Ende Juni sollen diese Vorarbeiten abgeschlossen sein und einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden."

Anstatt von vornherein das Projekt einer Alternative zur SPD und ihrer Politik breitestmöglich in der Klasse, v.a. an der Basis in Betrieb und Gewerkschaft zu verbreiten und die Gewerkschaftsführungen aufzufordern, im DGB diese Debatte zu führen, wurde im kleinen erlauchten Kreis der InitiatorInnen schon mal ausgehandelt, was die Basis später dann applaudieren soll - inkl. der erwähnten antikommunistischen Denkverbote.

Im Juni gibt es dann eine bundesweite Konferenz in Berlin. "Ein erstes Aktionsprogramm steht dabei im Mittelpunkt. Dies wird die Basis für die Diskussion in den Regionalgruppen zur künftigen inhaltlichen Profilierung bilden." Mit der erwähnten Art der Vorbereitung und inhaltlichen Prädisposition haben sich die Wahlalternativ-Promis schon mal einen Vorteil verschafft.

Was soll die soziale Basis der Wahlalternative sein? "Wir bauen mit vielen eine Organisation auf, in der Menschen zu Wort kommen sollen - wenn sich Prominente anschließen wollen, heißen wir sie herzlich willkommen." Ist das nicht sehr demokratisch? Menschen können zu Wort kommen. Doch: Welche Klasse prägt diese Partei? Und auf welche Art?

Die erste Phase des Aufbaus der Alternative zeigt schon sehr deutlich, worauf sie hinausläuft: linksreformistische "Prominente" und Funktionäre bestimmen, die Basis darf darüber beraten und muss dann alles in die Praxis umsetzen. Arbeiterdemokratie? Fehlanzeige!

Was tun?

Bei allen Schwächen, Tricks und Halbheiten ist die Wahlalternative jedoch auch Ausdruck des beginnenden Bruches von Teilen der Klasse von der SPD. Das Projekt ist nicht nur für alle, die eine Alternative zur Sozialdemokratie suchen und gegen die Politik Schröders kämpfen wollen, eine Chance. Es ist auch noch nicht ausgemacht, wie das Projekt letztlich aussieht.

Es wird viel davon abhängen, wie die Linke, wie die AktivistInnen der Anti-Agenda-Bewegung interveniert!

Die ARBEITERMACHT stellt dabei folgende Forderungen in den Mittelpunkt:

Für eine neue Arbeiterpartei, die sich auf die Arbeiterklasse und die Organe und Initiativen der Anti-Agenda-Bewegung stützt!

Für eine offene Debatte um ein Programm, das nicht auf Wahlen gerichtet ist, sondern darauf zielt, die Agenda durch einen Generalstreik zu kippen! Gegen alle Ausgrenzungen von Revolutionären, Linken usw.!

Für volle Demokratie! Für regionale und bundesweite Treffen von Delegierten der Gewerkschaftsbasis, der Betriebe und sozialen Initiativen zur Beratung und Festlegung von Kampfmaßnahmen und einem Programm!

Wir selbst werden dabei ein revolutionäres Programm vorschlagen und dafür eintreten, dass die Wahlalternative zu einer wirklichen Alternative wird - zum Kapitalismus!

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